Wenn die Kunst uns einen Brief schreiben könnte: Welche Botschaft würde sie uns darin überbringen?
Unabhängig davon, wie verschieden Kunstwerke sind: Eine Botschaft ist in allen zu finden, zunächst gelenkt von der Aussageabsicht der Künstler*innen, dann der Wahrnehmung der Betrachtenden überlassen. Häufig werden die in der Kunst enthaltenen Botschaften textlos kommuniziert, immer wieder begegnen uns aber auch Buchstaben und Worte. So sind bisweilen rein bildnerische Elemente mit sinnhaften Textdarstellungen kombiniert. Ferner können Buchstaben unter Reduktion ihrer sprachlichen Bedeutung bildhaft eingesetzt werden, so dass sie vor allem in ihrer Formästhetik wirken.
Alle Arbeiten des Albums zeigen Kunstwerke mit sprachbezogenen Elementen in unterschiedlichster Art. Die Künstler*innen vermitteln in ihrer individuellen Bildsprache, was sie bewegt – teilweise direkt erkennbar, teils uns selbst zur Interpretation freigestellt.
Kathrin Brinkmann und Nadine Kiefer,
Studierende des Masterstudiengangs Kulturmanagement an der htw saar, Saarbrücken, SS 2024
Redaktion: Petra Wilhelmy
Als Vertreter der visuellen Poesie setzt Hiroshi Tanabu Zeichen der japanischen Kanji-Schrift in Szene. In den Mittelpunkt rückt er das Schriftzeichen für Blau, gestaltet in hellem Ton vor indigofarbenem Grund. Von hier aus breiten sich horizontale und vertikale Linien bis in den schwarzen Rahmen hinein aus, wo sich weitere, kleine, bunte Kanji befinden. Kurios ist, dass das untere grüne Schriftzeichen als einziges keine Farbe, sondern ein Insekt benennt: die Motte. Welche Intention sich dahinter verbirgt, bleibt rätselhaft. Womöglich wählt Tanabu ein semantisch unpassendes Wort, um die Überflüssigkeit der Wortbedeutung bewusst zu machen. Vielleicht fungiert die “Motte” aber auch als humoristisches Detail, das nur für japanisch sprechende Menschen erkennbar wird?
Inspiriert von Schreiblernhilfen, den sogenannten Abécédaires konstruiert Vera Molnár ein Netz aus Buchstaben. Der Titel ihres Werkes macht deutlich, dass die von ihr verwendeten Zeichen aus geraden Segmenten bestehen. Nicht direkt ins Deutsche übersetzbar, bezeichnet der Begriff Abécédaires visuell aufbereitete Alphabete, die das Lernen von Lesen und Schreiben erleichtern sollen. Als Lesehilfe kann Molnárs Werk allerdings nicht herangezogen werden, vielmehr steht man einem labyrinthisch anmutenden Rätsel gegenüber. Auf der Suche nach Buchstaben und Wegen schweift der Blick über das Werk, ohne konkrete Anhaltspunkte zu finden. Aus der Ferne wirkt das Bild wie eine gleichförmige Fläche: Man erkennt keine einzelnen Buchstaben, sondern sieht ein Muster kurzer, gerader, filigraner Linien, von denen sich nur manche bei genauerem Hinsehen als Lettern entpuppen. Verstärkt wird die vereinheitlichende Wirkung dadurch, dass Molnár mit den Buchstaben und ihren Formen spielt: Sie spiegelt, dreht, überlagert und zerteilt sie, um ihre sprachliche Lesart weiter zu entfremden und zu verschleiern.
Anders als bei vielen anderen Werken Leonardo Mossos handelt es sich bei Poesia Struttura Musica um kein skulpturales Werk, sondern um eine Darstellung in 2D. Trotzdem erzeugt der Architekt gekonnt eine räumliche Wirkung. Verschiedene Wortfetzen unterschiedlicher Größe, gebildet aus dem Bildtitel, sind kreuzartig gruppiert. Von einem dichten, kompakten Mittelpunkt aus bewegen sich die Schriftzüge in vier verschiedene Richtungen, wobei sich zum Rand hin Überlagerungen tendenziell auflösen. Mosso verwendet die drei Primärfarben Rot, Gelb und Blau; die dunkleren Farben überdecken die helleren und stehen dadurch im Vordergrund. In dieser Komposition erinnern die rechtwinkligen, quadratischen Elemente in der Rasterstruktur an Architekturen des Brutalismus.
In einer für ihn typischen Kombination verschiedener Zeichensysteme überlagert Josef Linschinger in diesem Werk aus dem Album An Excercise in Contamination die Vokale des lateinischen Alphabets mit Barcodes. In einem orthogonalen Raster von 5 x 5 Segmenten treffen Zeichen und Farben aufeinander und bilden Klang- und Formzusammenhänge, sie kontaminieren sich quasi. Interessant erscheint hier die koloristische Gestaltung: Der Künstler arbeitet mit synästhetischen Verbindungen der auditiven Vokale und visuellen Farben. Jedem Vokal ist eine Farbe zugeordnet, die den lateinischen Buchstaben und die entsprechende Barcode-Zeile definiert. Während manche Buchstaben sofort erkennbar sind, verschmelzen andere stark mit der Codeschrift und bilden Muster und Strukturen. Die Technik des Siebdrucks ermöglicht Transparenzeffekte, die die klaren Farben der Vokale weiter aufbrechen. Obwohl alle fünf Zeilen sich stark ähneln, wirkt das Werk aufgrund seines Farbspiels dynamisch, abwechslungsreich und sehr bunt.
In seinem kleinformatigen Prägedruck, einer Hommage an den Begründer des Suprematismus Kasimir Malewitsch, in dessen Schaffen die Ideologie der reinen Gegenstandslosigkeit eine vorrangige Rolle spielt, greift Jouët in der umfassenden Reduktion aller bildnerischen Mittel diese absolute Gegenstandslosigkeit wieder auf. Wie sein Vorbild in dem berühmten Weißen Quadrat auf weißem Grund beschränkt er sich auf eine ausschließlich weiße Farbgebung. Optisch wahrnehmbar bleibt nur das in Braille-Schrift geprägte Wort "Blanc” (Weiß), das sogar rein haptisch, ohne jegliche visuelle Mittel erfahrbar sein kann. Der Ausschluss sämtlicher Störungsquellen bedingt eine maximale Konzentration auf die Farbe und das Wort „Weiß“. Zugleich erweitert sich der Spielraum an Deutungsmöglichkeiten.
Im Mappenwerk Farbe der Sprache – Sprache der Farbe vereinen sich Poesie und bildende Kunst auf gleichberechtigte Weise. Der Dichter Eugen Gomringer und der Künstler Jo Enzweiler entwickeln im Dialog eine Werkreihe, in der sich poetische und grafische Komponenten wechselseitig beeinflussen. Drei Gedichte, die die Farben Rot, Gelb und Blau dem Schwarz gegenüberstellen, werden jeweils mit einem Prägeduck kombiniert. Die Farbkonstellation des Bildes veranschaulicht eine der im Text thematisierten Abhängigkeiten zwischen Helligkeit, Intensität und Ton der Farben. So passen sich in dem ausgewählten Beispiel Rot und Schwarz übereinstimmend der hellen Tonalität ihres Pendants an. Die Bandbreite des variierenden Zusammenspiels der Farben und des künstlerischen Dialogs lässt sich nur in der vergleichenden Betrachtung der gesamten Reihe entdecken.
Wir wollen die Reform: So lautet nicht nur der Titel des Werks von Aloys Ohlmann aus dem Jahr 1974, sondern auch der abgebildete Zeitungsausschnitt. Es handelt sich um einen Appell des damaligen Oberarztes der Psychiatrischen Universitätsklinik Hamburg, die Versorgung psychisch kranker Menschen zu reformieren. Hinter dieser Forderung steht im Bild eine Gruppe gesichtsloser, offenbar ihrer Individualität beraubter Personen, über der sich zwei übergroße Schatten als Symbol des Ausgeliefertseins an das Gesundheitssystem oder an die Erkrankung bedrohlich auftürmen. Das rechts im Vordergrund schwebende Hakenkreuz in den Farben der bundesdeutschen Flagge, gespiegelt und zerbrochen, kritisiert die unreflektierte Übernahme medizinischer Behandlungsweisen aus der Zeit des Nationalsozialismus, die endlich abgeschafft und erneuert werden müssen.
Auf besondere Weise integriert Marcelle Cahn Schrift in einen Siebdruck aus dem Jahr 1973. Offenbar spontan, wie diverse Streichungen und Ergänzungen zeigen, fügt sie collageartig einen Kommentar zu ihrem Bildmotiv hinzu. Darin betont sie ihre Fokussierung auf elementare Objekte wie Kugeln und Linien, die ihrer Wahrnehmung nach Einsamkeit und stille Existenzen widerspiegeln. Gleichzeitig stellen die Kugeln für sie Raumempfinden dar. Auch in diesem Werk wirkt es so, als ob sich die Kugeln auf den Linien bewegen, obwohl nur ein scheinbar willkürlicher Augenblick dieser Bewegung festgehalten wird. Diese Bildsprache aus einfachen Formen ist typisch für ihr Schaffen in der Nachkriegszeit, das von konstruktivistischen Collagen geprägt war. Inspirieren ließ sie sich dabei von alltäglichen Gegenständen wie Büromaterial.
Imre Baks Werk Vier violett quadrat ist charakteristisch für sein Schaffen im Stil der konkreten Kunst und der geometrischen Abstraktion. Zu sehen sind vier violette Quadrate, von denen sich jedoch eines visuell deutlich abhebt. Das Violett manifestiert sich nämlich im oberen rechten Quadrat ausschließlich durch das mit schwarzer Farbe auf weißem Grund geschriebene Wort “Violett”. Indem die Farbe entweder konkret dargestellt oder verbal verschlüsselt ist, wird die Aufmerksamkeit bewusst auf verschiedene Wahrnehmungs- und Darstellungsweisen gelenkt. Diese Kodierung kann aber nur in Ländern des europäischen Sprachraums verstanden werden. Gleichzeitig schließt die Kodierung diejenigen aus, die den Code nicht kennen. Die Farbe dagegen ist für Sehende universell wahrnehmbar. Mit seiner kontrastierenden Konfrontation regt Bak Reflexionsprozesse an in Bezug auf unser Verständnis von Sprache und Farbe und deren Abstraktionsgrade.
Anders als der Titel der Reihe Alphabetisches vermuten lässt, baut Klaus Basset seinen Druck ausschließlich aus zwei Zeichen auf, O und I, die zwar Buchstaben darstellen können, in dieser Kombination aber intuitiv an die Ziffern 0 und 1 der Binärsprache erinnern. Räumliche Effekte und Kontraste aus Hell und Dunkel generiert er durch Überlagerungen und Negativformen. Symmetrische Linienbildungen erzeugen gleichzeitig Eindrücke von Statik wie auch Bewegung. Auf dieser Basis entsteht eine Reihe ähnlicher Drucke, die nach den Prinzipien eines Rasters mithilfe einer Schreibmaschine hergestellt werden.
Privatpersonen | Schüler*innen, Studierende | Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen | |
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je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: