Horst Linn - Bildhauer, Zeichner, Musiker
Horst Linn ist zuerst Bildhauer, er denkt und arbeitet in drei Dimensionen. Ohne das Bild und den Klang in seiner Arbeit zu vernachlässigen, gilt diese Bedingung vorderhand für alles, was er tut: Als Skulpteur und Zeichner entwirft er räumliche Gebilde, die er zumeist auch selbst ausführt; als Musiker füllt er am Schlagzeug den Raum nicht nur mit Klang, sondern auch mit ausgreifenden Gebärden; als Raumkünstler inszeniert er Werke in städtischen, ländlichen, öffentlichen und privaten Umräumen; als Pädagoge stellte er seinen SchülerInnen und Studierenden ihren eigenen Raum zur Verfügung. Auch wenn er Bilder schafft, sind seine Arbeiten nie als Projektionen von drei in zwei Dimensionen zu begreifen; ganz nebenbei hat ihn das immer von literarischer oder historischer Schilderung, von Geschichte(n) und Darstellungen befreit. Manche Reliefs sind sehr flach, doch sie bleiben immer Reliefs und sind keine vertieften Bilder; diese Eigenschaft hat den Künstler glücklich von der Zentralperspektive befreit, die in seiner Arbeit keine, wenigstens keine tragende Rolle spielt. Noch einmal: In allererster Linie ist Horst Linn ein Bildhauer, denkt und arbeitet in drei Dimensionen - alles andere ist dieser Prämisse nachrangig.
Warum das so ist, hat viele Gründe, sehr diverse zumal. Geboren wurde Horst Linn am 14. Juni 1936 als Sohn des Bildhauers Willi Linn in Friedrichsthal/Saar; die Kindheit verbrachte er in München, wo sein Vater Meisterschüler des Bildhauers Joseph Wackerle gewesen war und ihm bis zur Kriegsverpflichtung bei der Ausführung von Großskulpturen assistierte.
Die frühesten Erinnerungen von Horst Linn haben mit skulpturalen Ereignissen zu tun: Arbeitsproben des Vaters, dessen Mitarbeit bei der Ausführung des Wackerleschen Neptunsbrunnen im Botanischen Garten, Modelle und Bozzetti in der Waltruderinger Wohnung. Nach Einberufung, Kriegsteilnahme und -gefangenschaft zieht Willi Linn um 1946 mit der Familie wieder nach Friedrichsthal, wo er den großväterlichen Betrieb als Bildhauerei neugründet, der später von Linns jüngerem Bruder Max bis zu dessen Tod 2011 fortgeführt wird, und in dem zahlreiche Aufträge zur Realisation von Skulpturen im öffentlichen Raum, beispielsweise Brunnen und Denkmäler, ausgeführt werden.
Doch so prägend die Kindheit und Jugend im Umfeld der Bildhauerei ist, so stark hat sie die Abneigung des jungen Horst Linn gegen das Hauen, gegen den Umgang mit Stein als Material gefördert. Schon in der Schulzeit beginnt er mit intensivem Schlagzeugspiel und nimmt ab 1961 mit dem Pianisten Fritz Maldener sehr erfolgreich an Nachwuchs-Wettbewerben und -festivals in Stuttgart, Neuss und Düsseldorf teil. Gespielt wird dabei vor allem Jazz-Musik der Stilrichtungen Cool Jazz und Bebop. Zeitlebens werden seine Interessen zwischen Musik und Bildender Kunst changieren; nicht unwichtig für diese zwiespältige Positionierung in der Gesellschaft sind die unterschiedlichen Sozialbindungen der beiden Künste - wo Musiker auf das Miteinander angewiesen sind und dieses auch im Alltag praktizieren, präferieren Bildende Künstler eher den Alleingang, was zu stärkerer Abgrenzung und Konkurrenz untereinander führt. Wer mit Horst Linn befreundet ist, kennt lange Gespräche über die Differenzen beider Künste, bei denen er ganz nebenbei ein ungeheuer breit gefächertes Wissen offenbart. Denn zu allen künstlerischen Fähigkeiten gesellt sich bei ihm eine messerscharfe und hervorragend fundierte Intellektualität - die durchaus nicht immer von allen Künstlerfreunden gleichermaßen geschätzt wird.
Ab 1956 studiert Horst Linn am "Centre de métiers d‘art sarrois/Staatliche Schule für Kunst und Handwerk Saarbrücken"; nach drei Jahren erlebt er dort die Umwandlung in eine Staatliche Werkkunstschule, und gegen Ende seines künstlerischen Studiums wird er Zeuge der Querelen um den Erhalt dieser für die Entwicklung des Saarlandes so wichtigen Schule.
Zur künstlerischen Qualifikation erwirbt Horst Linn noch die Befähigung zum Lehramt; an der Universität des Saarlandes studiert er Kunstgeschichte und Philosophie - sein kunsthistorischer Betreuer Josef Adolf Schmoll gen. Eisenwerth rät ihm früh zur Intensivierung seiner künstlerischen Arbeit und fördert diese auch von Anfang an tatkräftig. An der Kunstschule waren die für Horst Linn wichtigsten Lehrer zunächst Boris Kleint und Oskar Holweck mit ihrer Grundlehre; als weiteren einflussreichen Lehrer benennt er den Maler Karl Kunz, dessen schwieriges Verhältnis zur Hochschulleitung sicher auch zur hohen Identifikation der Studierenden mit ihm beitrug; Kunz als Zeichner hat Linn sehr beeindruckt und mag ihn in seinem feinen Gespür für ein materialgerechtes Kolorit bestärkt haben. Die für seine Selbstfindung wohl bedeutendste Person im Kollegium der Werkkunstschule war jedoch Peter Raacke, der seinerzeit die Metallwerkstatt leitete und noch stark dem Schmuck-Design verpflichtet war. Er sorgte für genügend Nachschub an Material, wenn die Studierenden Falt-, Knick-, Schneide- und Aushärtungstechniken erprobten; bei Horst Linn weckte er nicht nur den direkten Umgang mit Kupfer und Aluminium, sondern leitete ihn bei den wichtigsten Technologien an eine materielle Qualität heran, die - zwischen Schmuck und Design changierend - in der Zeit um 1960 unter Künstlern kaum bekannt, sondern allein dem Industrial Design vorbehalten war. Diese Materialqualität wird für Horst Linn auch erst langfristig, dann aber umso nachhaltiger bedeutend, in allen seinen Werkprozessen.
Das Œuvre von Horst Linn lässt sich in fünf große Werkgruppen unterteilen, die mit Phasen seines Lebens in etwa korrelieren; hinzu kommen kleinere Gruppen von Arbeiten, die den Übergang dieser Phasen und Werkgruppen begleiten, aber auch einen eigenständigen Platz im Gesamtwerk beanspruchen können. Dem außerordentlich strengen Selbstanspruch des Künstlers gemäß hat er darauf verzichtet, Arbeiten aus dem Studium in sein Werkverzeichnis aufzunehmen.
Die erste große Gruppe der frei geformten, gefalteten - in den eigenen, oft durchaus selbstironischen Worten des Künstlers: geknitterten - Kupferbleche endet mit dem Beginn seiner Arbeit als Kunsterzieher an Gymnasien in Homburg und Saarbrücken.Die Spiegelobjekte aus geknickten und polierten Edelstahl- oder Aluminiumblechen sind dagegen in die Gründungsphase der Galerie St. Johann in Saarbrücken zu datieren.
Zu Beginn der 1970er Jahre kann Horst Linn eine ganze Reihe von Arbeiten als Kunst am Bau realisieren, vor allem in Zusammenarbeit mit dem Architekten Hanns Schönecker.
Ungefähr mit der Berufung als Professor für Objekt-Design an die Fachhochschule Dortmund kann der Beginn mit den "Wellblech"-Reliefs datiert werden; diese - wohl bekannteste - Werkgruppe im Œuvre von Horst Linn läuft insgesamt länger als alle vorherigen und manifestiert sich auch weiterhin in späteren Arbeitsgruppen, die Linn gelegentlich als "Winkelobjekte" bezeichnet hat und präziser als Arbeiten aus Profilen zu bestimmen sind.
In den 1980er Jahren, nach dem Beginn einer sehr produktiven Partnerschaft mit der Dortmunder Galeristin Anne Voss, erweitert sich das Œuvre um Flachreliefs aus gefalteten Kartons oder Stahlblechen, die obendrein mit einer fein austarierten Farbigkeit aufwarten.
Zu Beginn der 1990er Jahre entstehen Wandobjekte, die der Künstler als "Öffnungen" bezeichnet. Sie spielen mit Fallen unserer Raumwahrnehmung und verweisen immer wieder auf quasi fensterartige Durchblicke entweder an der Wand oder in den Raum hinein.
Nach Beendigung seiner Lehrtätigkeit im Jahr 2001 konzentriert sich Horst Linn zunächst auf einige Arbeiten im öffentlichen Raum, ergänzt diese wie sein bisheriges Schaffen aber auch um einige Werke im Charakter des Object trouvé, etwa mit Leitplanken oder Fahnen.
Das Thema der Öffnungen bleibt jedoch weiterhin im Œuvre präsent, nun vor allem durch kleinformatige Arbeiten aus Karton. Im folgenden seien einige Werkgruppen beschrieben; die Analyse einzelner Arbeiten von Horst Linn macht im Kontext einer biographischen Vorstellung wenig Sinn, da er fast immer in Gruppen ähnlicher Werke gearbeitet hat, die allein in Größe, Farbe und einzelnen Details des Winkels oder der Kontur variieren - alles Elemente, die in einer schriftlichen Fassung mit kleinen Reproduktionen nur schlecht abbildbar sind.
Den frühen Kupferreliefs ist eine Nähe zum Informel nachgesagt worden, und sicher hat sich der hellwache Student Horst Linn seinerzeit auch bei der am Ende der 1950er Jahre sehr modischen École de Paris umgesehen - nur: Großen Einfluss hatte der gestische Pinselstrich und die Écriture automatique auf das bildnerische Denken des jungen Bildhauers nicht. Wer die Kupferreliefs anschaut, erkennt schnell, dass hinter dem scheinbar wahllosen Knittern des Blechs - de facto eine durchaus komplexe Verformung durch Hitze und lineare Krafteinwirkung mit nachfolgender Aushärtung und daraus resultierender, exakt gesteuerter Verfärbung zwischen Gelb, Rot und Braun - ein sehr strukturiertes Vorgehen steckt, das auch auf die späteren Arbeitsweisen deutet.
Die lineare Grundfaltung mag wie die Grundlinien eines Schulheftes oder die Notation eines Musikstücks gelesen werden; immer aber gibt sie dem gesamten Werk eine breit gelagerte Grundstruktur, auf der und innerhalb deren Grenzen sich die kleinen und kleinsten Details entwickeln, die am Ende für die Tiefe und damit Raumwirkung des Reliefs verantwortlich sind. Gleich wie groß diese Arbeiten jeweils sind - vom kleinen Relief bis zur wandfüllenden Arbeit in der Universität des Saarlandes -, werden sie jedoch immer mit einem breiten Rahmen gefasst, der die sensible Binnenstruktur und minimale Tiefenausdehnung des einzelnen Werks betont.
Mit den ersten Kupferreliefs kamen die ersten Ausstellungen; 1961 war Horst Linn Mitglied der neue gruppe saar geworden, was ihm einige Ausstellungsbeteiligungen einbrachte. Aber er dehnte seinen Aktions- und Wahrnehmungsradius schon früh über das Saarland hinaus und setzte sich mit Künstlern wie Programmen beispielsweise des Umfelds der Gruppe Zero auseinander. Reflex dieser Kenntnisnahmen und kritischen Aneignungen sind ab 1968 Spiegelobjekte aus poliertem Edelstahl oder Aluminium; hier geht Horst Linn erstmalig von einer einfachen Grundform aus, dem Quadrat, das durch Knickungen und Faltungen nicht nur in seinem Reflektionsverhalten, sondern auch in seiner Gesamtform, vor allem in der Außenform verändert wird. Doch nicht die shaped canvas interessiert den Künstler, wie es zu dieser Zeit bei us-amerikanischen Hard Edge-Malern üblich war, sondern die Zwangsläufigkeit der sichtbaren Materialveränderung und -anmutung durch einfache, technische Eingriffe werden für ihn wichtig. Das unterschied ihn schließlich auch von den Zero-Künstlern, denen allein das Licht bedeutend war, das auf die Bilder fiel und von diesen reflektiert wurde. Interessant ist in diesem Kontext ein Vergleich der Objekte von Horst Linn mit den Lichtreflektoren von Hermann Goepfert - zwei kollegial verbundene Künstler, die ihre Arbeit mit ungewöhnlich hohem Reflexionsniveau aus Philosophie und Kunsttheorie angingen und die doch vollkommen unterschiedliche Erwartungshaltungen an ihre Arbeit sowie deren Rezeption hatten.
Um 1974, kurz bevor er als Professor nach Dortmund ging, beginnt Horst Linn damit, starke Eisenbleche winklig zu verformen, so dass aus einer rechteckigen Platte durch Wellblech artige Faltungen von 30°/60° oder 45°, gelegentlich auch 90° neue, trapezoide Grundformen, durchaus auch mit gerundet wirkenden Kanten, entstehen. Die rechtwinkligen Faltungen haben eine direkte Ausbreitung in den Raum zur Folge, sodass die entstehenden Arbeiten wie Treppen in einer Raumecke erscheinen oder sich mitunter recht aggressiv in die dritte Dimension ausdehnen. Diese Werkgruppe - für lange Zeit die erfolgreichste des Künstlers, was Ausstellungsbeteiligungen, Personalpräsentationen und Publizität anging - ist sicher diejenige, die sich am ehesten der konkreten Kunst zuordnen lässt: Aus einer einfachen Grundform werden mittels geometrischer Setzungen - Winkel und Anzahl der Faltungen, Winkel gegenüber der rechteckigen Grundform - und eines einfachen Farb-Oberflächen-Schemas durchaus komplexe Arbeiten, denen konsequenterweise nur selten Titel zugeordnet werden. Diese Arbeiten lassen oft ihre Gattungsbindung hinter sich, sind weder Reliefs noch Skulpturen im Raum, sondern inszenieren ihre eigene Haltung gegenüber der Umgebung in situ. Doch in einer Hinsicht bleiben sie immer Skulptur: Man kann und soll so weit als möglich um sie herum gehen; und niemals sind sie als zweidimensionales Bild verständlich.
Ende der 1970er Jahre entwickeln sich aus den "Wellblechen" zwei Stränge bildnerischer Konzeption im Œuvre von Horst Linn: die Arbeit mit Formprofilen - die letztlich bis heute anhält, wenn auch mit starken Variationen der Ausgangsformen - und eine größere Gruppe von Faltungen, die ihre Herkunft aus der Arbeit mit Papier nicht leugnen kann. Beide Gruppen folgen absolut logisch aus den vorherigen Wellenformen. Bei den Profilen geht der Weg aus einer Verkürzung der geknickten Fläche auf ihr Skelett aus gekanteten Tragstäben in gleicher Weise, wie sich rein zeichnerisch ein Würfel aus acht gleichen Flächen oder zwölf gleichen Linien bzw. Stäben darstellen lässt. Bei den Faltungen ist der Akt des Knickens oder Faltens wichtiger als das Material, in dem er vollzogen wird: Die Kunst des Origami - oder einfacher: die des Servietten-Faltens im Hotel-Service - referiert zunächst das Trägermaterial Papier und seine komplexen Materialkonstanten aus Leichtigkeit, Steifigkeit und Maßhaltigkeit, die im Material Eisenblech wesentlich einfacher, allerdings mit den Preisen höheren Gewichts und stärkerer Kraftanstrengung auszuführen sind.
In den Faltungen erhält ein Element der Gestaltung wieder größeres Gewicht, das seit den Kupferblech-Arbeiten eher zurückhaltend behandelt wurde: die Farbe, genauer: die Eigenfarbe des Objekts. Zunächst beginnt Horst Linn mit den klassischen Eisenfarben seiner Bleche, dem dunklen Braungrau als Grundfarbe, dazu den industriellen Anstrichen in dunklem Blau oder technischem Grau; erst später kommt die Farbigkeit des Rostschutz-Anstrichs hinzu, die dann aber für viele Werke eingesetzt wird. Ein weiteres Element der Faltungen wird sich in späteren Werken als deutlich hervorgehobene Eigenschaft wiederfinden: die vor einer Wand in kurzem Abstand schwebende Fläche, mit ihrer Grundlage oder der Wand selbst nur durch schmale Kanten oder kleinere Stege verbunden. Dieses Schweben lässt ein neues skulpturales Element in den Vordergrund treten, das bei den "Wellblechen" nur ephemer wahrgenommen wurde - der Schatten, der in späteren Arbeiten als wahrnehmungssteuernd eingesetzt wird. Bei den Faltungen bildet er eine dritte, quasi virtuelle und autonome Ebene der Räumlichkeit jeder Arbeit, die umso größer wird, je kleiner das Objekt ist.
Die Arbeiten mit den Formprofilen treten parallel zu den Faltungen vereinzelt auf und werden als Gesamtheit durch zwei kleinere Werkgruppen mit vorbereitet: Bei einer kleinen Anzahl von Kartonarbeiten greift Horst Linn nicht nur auf monochrome Kartons - vorzugsweise in Farben, die den Metallfarben ähneln, wobei nur die Mennige durch ein Burgunderrot ersetzt wird, das sich einige Jahre später auch auf dem Metall wiederfindet - zurück, sondern nutzt gelegentlich Bildpostkarten mit Kunstreproduktionen, denen er durch passende Knicke neue Perspektiven, neue Verständnisebenen und vor allem neue Formkomplexe zu geben vermag.
Sie wirken meist als ironische Kommentare zu den oft sehr berühmten, eben unendlich reproduzierten Kunstwerken, aber sie spielen auch gerade durch die Faltung mit den inhärenten Problemen inhaltlicher Kompositionen - ein durchtrieben schmunzelnder Kommentar zu Form und Stil in der bildender Kunst. Diese Bildpostkarten werden ergänzt durch eine weitere kleine Serie mit einem Doppel-Motiv: dem Regenbogen über einer nächtlichen Landschaft von Caspar David Friedrich aus dem Jahr 1810, dessen Gegenstück vom Tage als Bild verloren ist. Horst Linn schneidet hier den rätselhaften Bogen - was hat ein Regenbogen auf einem Nachtstück mit dräuenden Wolken zu suchen, muss man sich fragen - immer wieder aus und versetzt ihn in der Art, wie John Heartfield seine Photomontagen vorbereitete, mit Verdopplungen seiner selbst.
Doch vorher arbeitete Horst Linn noch einige Jahre lang an der Anordnung schmaler Formprofile und gerader Blechstücke zu scheinbar flach auf der Wand aufliegenden, in Wahrheit aber vor- und zurückspringenden Reliefs von beträchtlicher Raffinesse in Raumwirkung und Wandmontage. Prinzipiell von der Außenform des Rechtecks ausgehend, dabei oft vom früher üblichen Quer- zum nun häufigen Hochrechteck variierend, organisiert Horst Linn in diesen Arbeiten der 1980er Jahre subtile Spiele der Ausgangsformen mit dem davor liegenden Raum und mit dem scheinbaren Rücksprung in die dahinter liegende Wand. Die dritte Dimension ist oft nur noch über den Schatten erfahrbar und in der photographischen Reproduktion so gut wie überhaupt nicht mehr. Dafür müssen auch die Rezipienten der Arbeit nicht nur nah an sie herangehen, sondern sich geradezu an der Wand entlangdrücken, um alle Vor- und Rücksprünge dieser Arbeiten entdecken zu können. Bei einigen Arbeiten dieser Gruppe wird die dritte Dimension allein durch Sprünge in der Außenkontur erkennbar; auch hier wird das Prinzip der getreppten Rechtecke oder Quadrate später in die Arbeiten mit Öffnungen übernommen. Gelegentlich werden die Objekte um Streifen aus Wellblech-Faltungen ergänzt, sind dann als plane Flächen nur Träger einer räumlichen Idee, die auch und gerade im Kontext ihrer Farbigkeit wirksam wird.
Diese Formprofile und -streifen schließen im Prinzip die Formfindungsprozesse im Œuvre von Horst Linn ab; alle weiteren Arbeitsgruppen, gleich ob groß oder klein, lassen sich als aus den bis dahin entwickelten, formalen Gegebenheiten weiterentwickelt beschreiben. Auch die Öffnungen, die Horst Linn ab Beginn der 1990er Jahre ersinnt, können sowohl aus dem Prinzip der Faltung - mit der vor einer zweiten Ebene schwebenden Fläche, die nur von einem schmalen Steg oder dünnen Profilen gehalten wird - oder dem der Profile - mit ihrer Anordnung von gegeneinander um 90° verdrehten Elemente - erklärt werden. Sie gehen darüber insofern hinaus, als sie entweder die Flächen durch innere Rechtecke öffnen - wobei das Hintereinander der beiden Öffnungen für diverse Irritationen der Raumwahrnehmung verantwortlich sein kann - oder die Stäbe im Raum zu vollständigen Rahmen schließen. Wesentliches Element der Öffnungen ist die Desorientierung bei der Betrachtung; je nach Sichtwinkel werden vordere und hintere Öffnung kongruent oder diskongruent, formen Quadrate oder Rechtecke, erscheinen als schachtelartige Kleinräume oder nach hinten wegfluchtende Korridore von prinzipiell unendlicher Länge. In einer kleineren Reihe von Arbeiten aus diesem Komplex hat er die geöffneten Metall-Rechtecke um vorgesetzte Scheiben aus Plexiglas erweitert; auch hier sind Vor- und Rücksprünge erkennbar, die noch durch die Brechung an den Lichtkanten erhöht und verdichtet werden.
Waren die Öffnungen wie die Faltungen von zahlreichen Karton-Arbeiten vor- oder nachbereitet worden, so spielt die Zeichnung im Werkprozess von Horst Linn keine besondere Rolle, ist vor allem nur höchst selten Vorbereitung einer metallenen Arbeit. Die gefalteten und geknickten Arbeiten aus Karton, mit höchster Raffinesse in kleinen Formaten ausgeführt, umspielen das metallene Werk, gerade bei den Faltungen und den Öffnungen, während die Profil-Arbeiten eher ohne jede Begleitung im Karton-Bereich auskommen. Ihnen parallel erscheinen jedoch eine ganze Reihe von zeichnerischen Bildserien, die sich eher als Risse denn als klassische Zeichnungen lesen lassen und die gelegentlich auch als Druckgraphiken ausgeführt wurden. Risse verweisen weniger auf den Duktus des Zeichnens als auf die Funktion des Gezeichneten; es ist nicht falsch, beim Anschauen dieser Zeichnungen und Drucke von Horst Linn an Stadtpläne zu denken: Es geht um Linien, deren Orientierung im Raum und die Konditionen ihrer Wahrnehmung.
Wer ein solches Blatt vor sich auf den Tisch legt, schaut es von der Unterkante her an, und dann ist beispielsweise bei einem Blatt, mit Horst Linns eigenen Worten, "die Bewegung der beiden rechten Senkrechten erheblich schneller als die der linken". Nichts anderes bedeuten kartographische Konventionen: Die Bewegung auf der linken Spur wird von Kreuzungen unterbrochen, die rechte führt, einer Brücke gleich, souverän über alle Hindernisse hinweg. Hängt ein solches Blatt jedoch an der Wand, gerahmt und in der klassischen Hängung auf Schulterhöhe, wird es also leicht von oben nach unten angesehen, ist die Wahrnehmung eine andere: Jetzt stehen Säulen vor Wänden, und ein Gewände mag sich zur Seite hin staffeln. Diese sehr abstrakte Raumerfahrung ist kaum mehr aus einem Blatt allein zu destillieren, sondern aus der ganzen Werkreihe, in der es steht. Dort finden sich neben den Linien auch Schnitte, Schichtungen in der Stärke des Kartons, die Lichtkanten produzieren und damit Raumerfahrungen simulieren. Sie wirken geradezu als Raumfallen: Mal springt das hintere Blatt nach vorn, mal nach hinten, eben so wie gerade das Licht fällt und von wo auf das Blatt geschaut wird. Bei diesen Zeichnungen und Drucken vertraut Horst Linn allein auf die Kraft der Linien - und die Einsicht der Betrachter.
Entstanden sind diese Zeichnungen um das Jahr 2000 herum, parallel zu einer Reihe neuerer Arbeiten aus gestaffelten Öffnungen (oder Rahmungen, ganz wie man die Reliefs anschauen mag), aber auch parallel zu einer weiteren Strategie des objet trouvé, den ein Jahrzehnt älteren Arbeiten mit Bildpostkarten entsprechend: Für eine große Installation in einem umgewidmeten Dortmunder Industriedenkmal ließ Horst Linn eine Leitplanke aus dem Straßenverkehr zu einem Kreis von fünf Meter Durchmesser formen, der senkrecht auf der Wand hing. Wieder einmal kommt ein Bogen ins Spiel, diesmal aber nicht als Ausschnitt, sondern als Begrenzung, gar Schutz - wobei nicht ganz sicher ist, welcher Verkehr hier abgehalten und zur Ruhe gebracht werden soll. Auf dieser Arbeit basiert eine weitere, die der Künstler 2005 zu seiner Ausstellung im Hof des Laboratoriums in Saarlouis angefertigt hat: Ein Vollkreis aus einem senkrecht gestellten Eisenprofil wird in eine Raumecke gehängt, und an der anderen Wand derselben Ecke, um 90° gekippt, ist derselbe Kreis als Wandzeichnung angebracht. Hier ist das Prinzip der Abwinklung von Profilen mit dem Kreis verbunden worden und das mit einer durchaus vertrackten Projektion der drei Dimensionen in der Betrachtung. Selbst die Öffnungen spielen in dieser Arbeit - wie in der mit den Leitplanken - mit, stehen sie doch für die nur rare Möglichkeit, diese Kreise unversehrt, in direkter Ansicht von vorn wahrzunehmen.
Parallel zu diesen Arbeiten entstehen eine Reihe von Skulpturen im öffentlichen Raum, die teilweise frühere Werkstrategien übernehmen, andererseits aber auch zu sehr eigenständigen Lösungen führen. Für seine Heimatstadt Friedrichsthal schuf Horst Linn 2006 ein Tor - ein ähnliches auf Formprofilen hatte er schon 1998 in Vechta realisiert - aus Glas und Corten-Stahl, der mit der Werkgruppe "Öffnungen" zu seinem bevorzugten Metall geworden war. Das geschichtete Glas war für ihn nicht nur mit der Arbeit aus Corten-Blechen oder Streifen verbunden, sondern hatte den doppelten Bezug zum Saarland mit seiner großen Glasindustrie sowie zu den (Plexi-)Glasplatten der "Öffnungen", die er in den 1990er Jahren hergestellt hatte. Obendrein ergaben die Brechungen an der Oberkante des Tors einen willkommenen Bezug zum alten Thema des Regenbogens, führten somit die Heimatstadt und die eigene Biographie ineinander. Eine ähnliche Doppelbödigkeit in Anmutung und Produktion zeigt die Fahne, die Horst Linn anlässlich seiner Ausstellung im Laboratorium zu Saarlouis entwarf: Aus einer lachsroten, monochromen Fläche, die räumlich mit der an der Vorderfront des Ausstellungshauses angebrachten Kreisskulptur aus Leitplanken korrespondierte, ragt eine weitere, kleine Fahne in Weiß hervor. Was wie ein witziger Kommentar zur konkreten Kunst anmuten mag, hat dabei einen ganz handfesten, politischen Hintergrund: Der Titel "Rot zeigt weiße Flagge" verweist auf die Ereignisse der Jahres 1989/90, die der Künstler intensiv wahrgenommen hat - sicher auch aufgrund der starken Traditionen konstruktivistisch-konkreter Kunst in Osteuropa - und auf die er mit den ganz eigenen Mitteln reagiert. Gerade in einem Ausstellungszentrum, das sich der konkreten Kunst verpflichtet fühlt, erzählt Horst Linn mit genau deren Mitteln und hoher bildlicher Intelligenz seine eigenen, ganz persönlichen Geschichten.
Dieses Erzählerische auf vorsprachlichem Niveau kennzeichnet auch die letzte Werkgruppe mit noch immer vollkommen überraschenden Ergebnissen. Sie besteht aus aneinander gefügten und/oder geknickten Streifen aus Corten-Stahl, der nun auch häufiger stark farbig gefasst ist, in Rot, Gelb oder Blau. Die Werke folgen - wie die Risszeichnungen, die nun tatsächlich einmal einem skulpturalen Prozess vorangehen - durchaus symbolischen und perspektivisch lesbaren Kombinationen aus Horizonten, Vertikalen und Diagonalen, die sich - in Folge der Profil-Arbeiten, aber doch mit ganz eigener Anmutung - sowohl nah an die Wand anlehnen als auch keck in den Raum hineinstoßen. Letzteres ist wörtlich zu nehmen: An diesen Werken kann man sich den Kopf stoßen.
Wie alle anderen Kunstwerke auch, sind alle Werke aus dem Œuvre von Horst Linn mehr als eine Sehschule. Sie bestehen jenseits aller rationalen Konstruktion auf einem doppelten Eigensinn - dem des Künstler und dem der Betrachter. So konstruiert und reduziert die Zeichen an der Wand, auf dem Boden, im Raum oder auf einem Blatt Papier sind, so sehr folgen sie dem Prinzip des Reißens - auch aus dem Zusammenhang ihrer Herstellung oder ihrer Betrachtung. Das Einfache dieser bildnerischen Lösungen ist mit dem Wort lapidar zu greifen, wörtlich als lineares Meißeln in den geglätteten Stein, ins Metall übertragen als Faltung oder Knick im Schattenriss des Reliefs vor und an der Wand. Lakonisch bleibt die Knappheit der Formulierung bei gleichzeitig höchstem Anspruch an den Intellekt der Wahrnehmung.
Die Arbeit des Bildhauers Horst Linn ist demnach ebenso lakonisch wie lapidar, aber keineswegs simpel. Einfach sind die Mittel, hoch die Ansprüche, die der Künstler an sich selbst und damit implizit an die Für-Wahr-Nehmer seiner Arbeiten stellt. Mit seinen umfassenden Kenntnissen der Kunst- und Technikgeschichte steht er Athanasius Kircher näher als Alexander Calder; in der Behandlung des Raums weist er eher auf Meister Gerhardus als auf Le Corbusier; seine Zeichen sind weniger syntaktisch als pragmatisch und gehören damit der fröhlichen Wissenschaft des anything goes an. Die künstlerische Produktion von Horst Linn entspricht damit einer letzten Forderung der Moderne vor und nach ihrer eigenen Klassik, indem sie mit Adolf Loos das Einfache tut, das so schwer zu machen ist.
Rolf Sachsse
Redaktion: Oranna Dimmig, Claudia Maas, Petra Wilhelmy
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