Kunst muss in uns Spuren hinterlassen. Begegnung mit Seiji Kimoto
Auf Seiji Kimoto sollte man sich vorbereiten. Denn der japanische Objektkünstler, der im Saarland lebt, konfrontiert sein Publikum mit einem merkwürdig surrealen, fast obsessiven Panoptikum des Leidens: deformierte, menschenähnliche Gestalten mit abgetrennten Gliedmaßen sind da zu sehen, von Vierkanthölzern gepfählt oder zwischen Metallplatten gepresst. Archaisch anmutende Figuren, denen Gitterstäbe in die Brust getrieben wurden, eng in Seile geschnürt oder mit Felsbrocken beschwert, die Gesichter zerschunden und von tief eingestanzten Quadern bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Seine Plastiken, sagt Kimoto, seien wohl nichts für sensible Gemüter. Manche Besucher verließen seine Ausstellungen geradezu fluchtartig. Die Mehrzahl allerdings bliebe lange bei seinen Objekten, in stummer Zwiesprache. Diejenigen, die sich dann zu ihren Eindrücken äußerten, bekundeten ihre Betroffenheit und Beunruhigung, aber auch eine nur schwer zu beschreibende Faszination.
Tatsächlich ist die Dichte und schiere Wucht der Plastiken Kimotos beeindruckend. Da ist die erhabene Gestalt eines Magiers, dunkelbraun wie die meisten seiner Figuren, die Hände segnend (oder bannend?) über den Betrachter gestreckt. Auf einer ramponierten Holzkarre steht übergroß ein Torso, die Brust übersät mit Enden von Seilen, die aussehen wie rostiger Stahl. Im Windhauch der Vorbeigehenden bewegen sich auf Papierfahnen halbdurchsichtige Schattenmenschen. Und am Boden liegt, ein Kreuz ins Gesicht gefräst und zermalmt von einem riesenhaften, roten Fuß, ein elendes Häuflein Mensch – doch mit einer letzten Anstrengung des Willens reckt er den Arm wie zum Zeichen seiner Überlegenheit senkrecht in die Höhe. Zeichenhafte Gesten und albtraumartige Visionen, die an das Gewissen des Betrachters appellieren und ihm Selbsterforschung abverlangen, aber auch sehr persönliche Fragen nach den Dämonen stellen, die den Künstler quälen und zu diesen Werken antreiben.
Seiji Kimoto ist ein würdevoller, schlanker Mann mit schlohweißem Haar und Kinnbart. Er wirkt gelassen und zurückhaltend, aber nicht distanziert. Doch die Annäherung ist schwierig. Auf Fragen nach seiner Kunst reagiert er ausweichend oder mit Gegenfragen. „Kunst muss uns berühren und in uns Spuren hinterlassen“, sagt er. Deshalb will er keine Abkürzungen eröffnen, kein Begreifen ohne Hinschauen. Sie soll aus sich heraus wirken können. Kimoto konfrontiert den Betrachter mit dem Anderen und seinem Leiden. Er fordert uns auf, sich auf ihn einzulassen, ihn auszuhalten. Eine Zumutung, die Abwehrreflexe produziert. Als Kind erlebte er den Bombenterror im Zweiten Weltkrieg hautnah mit. Er sah, wie Feuersbrünste ganze Städte zerstörten und verkohlte Leiber, die die Straßen säumten. Ein Trauma, das einen Menschen nie wieder ganz verlässt.
Auch Kimotos Bildnisse des Leidens lassen den Betrachter nicht wieder los und ziehen ihn in einen Sog des Schauens. Häufig platziert er sie an authentischer Stelle, in Fremdarbeiter- und Vernichtungslagern oder den Folterkellern der Stasi. Orte der äußersten Demütigung des Menschen, an denen seine Skulpturen sichtbar machen, was hier einst geschehen ist. Gequälte und verkrüppelte Menschen, mit Gesichtern wie eingefrorene Hilfeschreie. Stumme Zeugen erlittener Gewalt. Wächter der Würde des Menschen. Kimoto erinnert mit diesen Plastiken an die großen Katastrophen der Humanität und gibt uns Fingerzeige zum Nachdenken für eine andere Wirklichkeit. Hier liegt das hintergründige, utopische Motiv seiner Menschenbilder offen zutage.
Kimoto, ein Wahrheitssucher. Seine Skulpturen zeigen nur die Ausgangspunkte einer Reise an, die nach innen führt. Sie bilden nicht einfach ausschnitthaft eine schmerzhafte Vergangenheit nach, sondern weisen über die Erinnerung hinaus auf eine mögliche andere Wirklichkeit und die Wege, die zu ihr führen. Ihre eigentliche Kraft und Authentizität erschließt sich daher erst von ihrem Betrachter her. Mitte der 1980er-Jahre schrieb Seiji Kimoto einmal von einer Tendenz zum genormten und verformten „Bonsai-Menschen“, die zusehends die Überhand gewinne. Unter den zahlreichen Illustrationen zu diesen knappen Hinweisen finden sich bereits hier teils drastische, teils makabre Darstellungen von Zwergwuchs und Verunstaltungen als Folgen einer gezielten Manipulation des Wachstums, aber auch von Selbstverstümmelungen. Skizzen zu einem schmerzlichen Psychogramm der Gegenwart.
Von der Zeichnung kam Kimoto später zur Skulptur, zum Tuschbild und zur Kalligrafie und setzte neben japanischer Lyrik und religiösen Texten auch Ringelnatz und Morgenstern in Arbeiten um, die eine unvermutete Heiterkeit, Leichtigkeit und Weite ausstrahlen. Weniger Beachtung als diese Papierarbeiten findet dagegen in der Regel eine weitere Werkgruppe Kimotos, die abstrakten Objekte und Installationen. Anders als bei den kontextuellen Menschenbildern, die auf die unterschiedlichen Formen individueller Verstrickung in Verhältnisse von Macht und Ohnmacht Bezug nehmen, setzen diese Arbeiten in abstrakter Form etwa Spannungen im Moment kurz vor ihrem Zerbersten ins Bild, oder Bindungen, die allmählich anschwellen und Zug um Zug zu Einschnürungen und schließlich zur Fesselung werden. Spannung und Entwicklung, Freiraum und Einschnürung: das sind die zentralen Begriffe der Bildersprache Kimotos in höchster Konzentration.
Kimotos Werk fesselt und verstört, ist sperrig und von einer großen Dichte. Seine Bilder und Objekte sind durchwirkt von einer eigentümlichen Ambivalenz, die sie zugleich abschreckend und anziehend erscheinen lässt. Der Mensch ist in ihnen vor allem ein Leidender, aber auch der Täter. Der Firnis der Zivilisation ist von ihm abgefallen und er scheint ganz auf seine Körperlichkeit reduziert. Kimoto geht es in diesen Arbeiten vor allem um das Hinschauen auf den Anderen, aber auch auf sich selbst. Er legt den Zustand der Seelen in unserer Zeit bloß, unsere Verletzungen und Verstümmelungen, aber auch unsere Schuldfähigkeit, unsere Hoffnung und unsere Kraft zum Widerstand. Er hält uns den Spiegel vor Augen, fragt uns nach dem Ziel und begleitet uns so auf unserer Reise.
Alexander Bennemann
aus: Paul Bertemes, Jean Colling (Hg.): Visites d'Atelier Atelierbesuche. Band 01. Luxembourg 2006
Seiji Kimoto oder die Sprache des Seiles
Es ist ein außergewöhnlicher Kunstweg: Ende der sechziger Jahre zog es einen japanischen Innenarchitekten nach Deutschland. Aus dem Aufenthalt, der als vorübergehende Station auf dem Weg, Neues kennenzulernen, geplant war, ist ein saarländischer Dauerzustand geworden.
Seiji Kimoto, der Künstler aus Osaka, lebt in Wiebelskirchen, im alten Neunkircher Industrierevier. Das klingt fast nach selbstgewähltem Exil. Es macht aber auch deutlich, dass es nicht möglich ist, Seiji Kimoto mit den üblichen modischen Klischees zu behaften, die wir uns in unserer europäischen Selbstgefälligkeit beim Interpretieren asiatischer Kulturen angewohnt haben. Die künstlerische Laufbahn Seiji Kimotos hört sich wohl sehr saarländisch an: Studium bei Professor Boris Kleint in Saarbrücken, zeitweiser Zusammenschluss in einer Künstlergruppe mit saarländischen Kollegen. Das Lokalkolorit aber erweist sich bei näherer Betrachtung als vordergründiger Trugschluss: Ein Großteil der wichtigen Ausstellungen auf dem künstlerischen Weg Seiji Kimotos fand nämlich außerhalb seiner Wahlheimat statt – auch wenn mittlerweile etliche Kunstwerke von ihm im sogenannten »Öffentlichen Raum« im Saarland zu sehen sind. Der Lebensweg Seiji Kimotos ist der eines Einzelgängers auf der Suche nach menschlichen Werten zwischen den Weltkulturen. Zwar hat die geografische Entfernung zu seinem kulturellen Ursprung die geistigen Wurzeln Seiji Kimotos nur verstärkt. Seine Formensprache erinnert in vielen Elementen an traditionelle japanische Einflüsse, und wer die Tuschezeichnungen sieht, versteht, dass der heute viel strapazierte Begriff des Zen-Buddhismus für ihn nicht zu einem leicht zu vermarktenden Snobismus geworden ist. Zen bleibt für diesen japanisch-saarländischen Künstler auch in Wiebelskirchen das Fundament seiner Einstellung zum Leben.
Seiji Kimoto ist vor allen Dingen ein Plastiker, der seine Skulpturen und Objekte in langwierigen Prozessen aus Holz zusammenfügt. Da gibt es Reliefs und Figuren, die an geknebelte, geknechtete, geschundene Menschen denken lassen – Sinnbilder des Schmerzes und der Unterdrückung. In seinem vor Jahren erschienenen Buch Bonsai-Menschen schreibt Seiji Kimoto, dass viele Pflanzen, die wir als Bonsai klein halten, in der Natur vielleicht zu gigantischer Größe herangewachsen wären. Doch sie bleiben eben »Bonsai«, weil ihr vom Menschen begrenzter Wurzelraum eine freie Entwicklung hemmt. Diese Sätze sind für das Menschenbild in Seiji Kimotos Werken von ausschlaggebender Bedeutung.
Daneben finden sich im Werk Seiji Kimotos Objekte, in denen eine Rückbesinnung auf dinglich beschreibbare Elemente nahezu ganz fehlt, auch wenn symbolische Referenzen an Steine oder Baumstämme vorkommen. Gerade diese nicht-figurativen Plastiken laden zur konzentrierten, meditativen Auseinandersetzung ein. Diese oftmals geometrisch-strengen Kompositionen setzen mit architektonischer Konsequenz kräftige, mitunter aggressive Akzente im räumlichen Umfeld. Ein derartiger Parallelismus von »Menschenbildern« und »Meditationsobjekten« mag dem oberflächlichen Betrachter wie eine zweigleisige Arbeitsweise erscheinen. In Wahrheit aber wirken sich die Klarheit der Form und der durchdachte Aufbau stets als durchgängige und sich ergänzende Merkmale aus.
Zudem sind Seiji Kimotos plastische Werke nicht nur durch solche kompositorischen Aspekte als Teile eines aufeinander abgestimmten, schlüssigen Ganzen zu verstehen. Dem immer wieder eingesetzten Motiv des Seils etwa kommt neben der formalen, gestalterischen Rolle ein wesentlicher und vielschichtiger Bedeutungscharakter zu. Mit einem Seil kann man etwas zusammenbinden, Kontakte herstellen, jemandem aber auch die Freiheit rauben: das Seil als Fessel, das Seil als Verbindung, das Seil als Nabelschnur, das Seil als Galgenstrick. Doch trotz des haltenden Seiles scheint es in vielen Skulpturen mitunter nur eine Frage der Zeit bis zum befreienden Auf- und Ausbrechen. Das Seil hinterfragt also die Ausgewogenheit der Form, es illustriert die Spannung, die in allen Werken von Seiji Kimoto vorherrscht und der man nicht mit einem flüchtigen Augen-Blick auf die Spur kommt.
Diese Ästhetik mit Biss verlangt ausdauernde Dialoge, nicht schnellen, oberflächlichen Konsum. Hier laden nicht groß geöffnete Tore zum Supermarkt der Eitelkeiten in belangloser Kunstverpackung ein. Wer Seiji Kimotos Werke entziffern will, muss sich auf eine spannende, kurvenreiche Entdeckungsreise zwischen asiatischer Kulturtradition und europä-ischen Herausforderungen einlassen. So entstehen Arbeiten, die persönliche Antworten eines Künstlers auf die alltäglichen Unzulänglichkeiten im »Dorf Welt« sind, dessen städtebauliche Grundmuster durch grenzenlose Hektik, durch entfesselte Menschenverachtung, durch Krieg und politische Einfallslosigkeit, durch Werteverlust und Egoismen definiert sind. Seiji Kimotos Werke sind so plastische Zeichen unserer Zeit, in der für vordergründige Harmonie kein Platz mehr ist. Diese kompromisslose Kunst-Sprache hat entlarvenden Charakter. Sie wurzelt zu tief in den Existenzbedingungen des Menschen, als dass sie davon unabhängige Wege beschreiten könnte.
Paul Bertemes
aus: Seiji Kimoto. Objekte und Zeichnungen 1985-95. Hg. Museum St. Wendel, Drs. Cornelieke Lagerwaard. St. Wendel 1995
Seiji Kimoto im Konzentrationslager Mauthausen: Kulturelle Verräumlichung der Erinnerung
Auschwitz, Mauthausen, Bergen-Belsen und all die anderen Lager und Anstalten der nationalsozialistischen Terrorherrschaft sind räumlich umgrenzte Orte des Gedenkens an die Taten und die Opfer. In ihrer Authentizität stellen sich eine Vermittlung zwischen dem historischen Ereignis und dem heutigen Betrachter her, sie erfüllen durch das Gedenken eine aufklärerische und eine pädagogische Funktion. Der lebenszeitlich bedingte Verlust der Generation, die das Grauen noch erlebte, führt zu einer Situation, aus der heraus die Gedenkstätte selbst zu sprechen hat. Die Lehren aus dem Massenmord in den Konzentrationslagern und Euthanasieanstalten verweisen darauf, zu welchen Gräueltaten Menschen fähig sind und eben wegen dieser Erkenntnis muss im Hinblick auf die nationalsozialistische Vergangenheit das Gestern im Heute erhalten bleiben und müssen bezogen auf das menschliche Zusammenleben die Strukturen von Macht und Ohnmacht aufgedeckt werden. Diesen Weg geht die Gedenkstätte Mauthausen, wenn sie es dem japanisch-deutschen Künstler Seiji Kimoto ermöglicht, seine Objekte in einen räumlichen Bezug zu diesem Ort des Terrors zu bringen.
Für mich unternimmt Seiji Kimoto eine räumlich bezogene Vergegenwärtigung von Macht und Ohnmacht, die vor allem deshalb so verstört, weil sie die eigentliche Banalität des Ortes Mauthausen aufschließt und einen Widerhall des einstigen Schreckens hervorruft, der diesen Ort im Akt der historischen Konservierung verlassen hat. Stellvertretend für die Abwesenheit des Grauens setzt Kimoto die Symbole seiner Kunst und seine Kunst als Symbol. Damit schafft er einen Sinngehalt, der uns eine sonst nicht mehr zugängliche Wirklichkeit erschließt. Man kann diese Vorgehensweise mit der Funktion der Sprache vergleichen. Wie die Sprache nicht einfach eine bestehende Wirklichkeit abbildet, sondern eine Wirklichkeit aufschließt und deutet, so steht auch das Symbol nicht einfach für einen bestehenden Sinn, sondern schließt diesen Sinn auf, macht ihn sichtbar und schafft erst so den eigentlichen Zugang.
Das Symbol ist kein bloßer Widerschein der objektiven Wirklichkeit, sondern eröffnet etwas Tieferes und Grundlegenderes. Der Religionswissenschaftler Mircea Eliade hat es einmal dahingehend formuliert, »dass die Symbole sowohl die unmittelbare Wirklichkeit wie die besondere Situation zum ›Bersten‹ bringen.«
Dieses ›Bersten‹ mutet uns Kimoto zu, wenn er seine geschundenen und schrundigen Objekte in den Raum setzt und damit ein Verfahren kulturell geformter Erinnerungen in Gang setzt. Das Verfahren lautet: Bewusstmachung und Beherzigung – Sichtbarmachung – Weitergabe an die folgenden Generationen. In der kulturellen Verräumlichung der Erinnerung wird ein Ort im Ort geschaffen, der einem schlagartig ins Bewusstsein bringt, dass hier tausendfaches Leid zugefügt und erlitten wurde. Die Objekte selbst machen es sichtbar, im Prozess ihrer Bearbeitung, in ihrer Oberfläche, in ihren schwarz-roten Farben, in den gekrümmten Figuren, im drohenden Seil, im zermalmenden Felsen, im fragilen Papier.
Kimotos Symbole brechen die geschlossene Oberfläche der Dinge und lassen dahinter eine bisher verborgene Tiefe sichtbar werden, sie zeigen, was war, was ist und was immer wieder sein kann. Die bei dieser Sichtbarmachung aufscheinenden Zusammenhänge sind nicht erfreulich, weshalb ich von der Zumutung spreche, die uns Seiji Kimoto aufnötigt. Weil es dabei aber um das menschliche Zusammenleben, um Macht und Herrschaft, Unterdrücken und Aufbegehren, Scheitern und Hoffen, Tod und Leben geht, wird das Symbol zum Mahnmal. Kimotos Objekte richten an uns nicht nur die Aufforderung, der Opfer der Ereignisse in Mauthausen zu gedenken, sondern fordern uns ab, die Ereignisse selbst als Mahnung und Appell aufzufassen, die sich im Prinzip an die Menschheit als Ganzes richten.
Anton Markmiller
aus: Seiji Kimoto. Macht und Ohnmacht. Menschen – Spuren – Schatten. Hg.
Republik Österreich, Bundesministerium für Inneres, Abt. IV/7, Wien 2006
Kalligrafisch-musikalische Improvisationen mit Perkussionist und Kontrabassist Rudolf P. Schaaf
Redaktion: Sandra Kraemer, Claudia Maas, Andreas Link
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je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: