Leo Kornbrust
Schriftsäule, Text von Felicitas Frischmuth, 1984
Granit, 296 x 12 x 12 cm, Dauerleihgabe des Künstlers
Kunsthöfe im Ravelin I
Laboratorium
Institut für aktuelle Kunst im Saarland
Choisyring 10
Eine große Entwicklungslinie durchzieht das Werk von Leo Kornbrust: vom Organischen zum Tektonischen, "von der organisch geformten hin zu einer architektonisch gefestigten Form" (Katja Hanus: Werkverzeichnis der Skulpturen 1952-1999. St. Wendel 1999, S. 5). Kornbrust begründet diese Entwicklung u. a. mit den Worten "zu lernen, sich gegen die Natur zu stellen." Diese Aussage ließe sich auch weiter gefasst interpretieren; der Künstler sucht Artefakte zu schaffen, Bilder von dem, was hinter dem augenfälligen Erscheinungsbild steht. Die Entwicklungslinie verläuft keineswegs geradlinig, sie erkundet vielmehr Seitenwege und Abzweigungen. Die Wandlung des Kubus zur Kugel durch Facettierungen aufgrund stereometrischer Operationen steht als Leitmotiv über einer Hauptlinie seines künstlerischen Schaffens. Letztlich entdeckt Kornbrust in der Reduktion auf stereometrische Grundstrukturen in den Makrobereich übersetzte Strukturen des Naturaufbaus im Nanobereich: Kristallgitter, Elementarteilchen. In den Schrift-Skulpturen, die in enger Schaffensgemeinschaft mit seiner Frau, der Lyrikerin Felicias Frischmuth entstanden, verbinden sich die perfekte geometrische Form des Oktogons, einem Sinnbild für Vollkommenheit und Perfektion, im Christentum auch für die Auferstehung, mit der Poesie Frischmuths zu einer festen Einheit. So entspricht auch die Schriftsäule im Ravelin, dem "Modell des Kunstwerks", das Rainer Grübel in seinem Essay "Zur Ästhetik des Wortes bei Mihail M. Bachtin" in einem Diagramm darstellt (Michail M. Bachtin: Die Ästhetik des Wortes. Herausgegeben von Rainer Grübel. Frankfurt a. M. 1979, S. 27): Das sprachliche Material (Lyrik) und das äußere Werk (Säule) bilden das ästhetische Objekt. Sprachliche Konstruktion und Komposition des Artefakts bilden zusammen ein architektonisches Objekt. Sprachliche und kompositionelle Formen münden in die "architektonische Form des Sehens". Sprache ist charakterisiert als abstrakt, bildnerisches Werk als funktional; zusammen sind sie "vollendet”.
Michael Jähne
Abseits rührt sich ein Instinkt / Verschnürungen / Blätter Fensterplatz / wenn einer sagt was hast du für / einen schönen Hut / was hast du für ein schönes Kleid / dann meint er nicht den Hut dann / meint er nicht das Kleid / elfenbein gefroren länglich weit / durch die Türe geht der ganze / Mensch aus dem Fenster / kannst du dich hinauslehnen / schauen / aus dem Fenster kannst du / hinausspringen / Durchsprung Öffnung Aderlaß / Erkenntnis
Die Grenzpfosten sind aus / Kunststoff Grabesstille / grobe Versäumnisse flankieren die / Straße Achtung / überall wo ich jemand gehen sehe / vermute ich Wege / vielleicht ist es dir zu dunkel hier / ins Aus von uns aus / elektrisierte Nylonfäden Ameisen / auf der Bettdecke / Blumen auf dem Kopfkissen ein / Pfau ein Papagei / Parallelstraßen die Tulpen / verbeugen sich ich erkenne / Wind den Kopf vom Bett aus / angehoben an der Bewegung / der Zweige / Die Maus schlupft wasserdicht / unter dem blauen Auge durch / der Karpfen wühlt sich ein wühlt / auf roh symbolische / Umzäunungen licht leicht bauen / aufsitzen sich strecken / oben drüber gehen einfach / auftreten
Ich setze den Fuß ängstlich fest / Tritt unängstlich / in Hinsicht schon auf dem Baum / eine gut verästelte Birke / ein bayerischer Bretterzaun / versinkt im Schnee mitsamt / den Gräbern Friedhöfen Kirchen / Bänken Ausruhstellen / Marterln Hinweisstellen / Trimmpfaden Triumphadern / Geraschel / ich halte an ich bleibe stehen ich / lausche / kein Papier im Kopf keine / Tempotücher in der Manteltasche / ein runder Knopf am Schuh rote / Strümpfe du gehst ruhig / weiter schließt dein Ohr mit dem / Augenlid zu . / deine Wimpern stehen weit heraus / an einigen Stellen / schaut die Erde durch / hinein ist ganz leicht hinein / kommen wir immer wir / strecken unseren Kopf aus der / Mulde heraus wir schweben / du willst nicht verbessern aber du / läßt dich auch nicht / verbessern du schwebst
Was willst du Zuflucht Oase / Lichtnelke / Wir haben einen Zwischenraum / zwischen uns und die Erde / gelegt der Schotter raschelt nicht / erzeuge ich das Geräusch? / Was für eine harte Decke / Leuchtacker Gleisdeich wohin / ich trete vorfühle vortrete austaste / mit ausgebreiteten / Armen hinstürze. / ich will nicht stürzen mich / abdrücken dieser vernagelte / Acker ich hole dich / verrottenes zertretenes / ausgelatschtes Schuhzeug eine / Warntaste Grenztürme Wachhaus / Porzellanfabrik
Wir laufen aus den spitzig kalten / Schatten der Tannen / heraus die Bäume sind Waffen / geworden lange scharfe / überlange ungemein spitze / Dreiecke in der Fläche / Zeichnungen auf dem Spielbrett / richtungsweisend / sie geben den Ton an sie / überschatten das Feld / verdrängen die Sonne dehnen sich / innerhalb von Minuten / aus wir fühlen ihre / rasiermesserscharfen Spitzen / ihre Angriffe am Leib am Körper / am Bauch am Kopf / an der Stirn zuerst so gefährlich / wie Eiszapfen
Leuchtschnee Leuchtkopf die / Sonne stichelt der Schnee / raschelt der Gneishügel / schimmert die Panzer haben / breite Spuren im Acker / hinterlassen
Felicitas Frischmuth
Biografie:
Leo Kornbrust, Bildhauer, Zeichner
geboren 1929 in St. Wendel
Felicitas ("Fe") Frischmuth, deutsche Schriftstellerin und Lyrikerin
geboren 1930 in Berlin
gestorben 2009 in St. Wendel
verheiratet Leo Kornbrust
Bibliografie:
Jo Enzweiler (Hg.): Laboratorium - Institut für aktuelle Kunst im Saarland. Kunsthöfe im Ravelin I. Saarbrücken 2011
Redaktion: Claudia Maas
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