Jo Enzweiler
Realisierung des Projekts ‘Hommage à El Lissitzky’, 29.9.-02.10.1978
Kartoncollagen, Papier
St. Johanner Markt, Saarbrücken
1978 realisierte Jo Enzweiler auf dem St. Johanner Markt in Saarbrücken sein dem russischen Maler, Grafiker und Architekten El Lissitzky gewidmetes Projekt ‘Hommage à El Lissitzky’. Im Interview mit Monika Bugs äußert Jo Enzweiler einen wesentlichen Aspekt, von dem seine Faszination für El Lissitzky ausgeht: die Fähigkeit El Lissitzkys nämlich, die Kunst gesellschaftlich zu nutzen. Betrachtet man darüber hinaus die Grundthese Enzweilers, auf der sein Lissitzky-Projekt aufbaut, so lassen sich eindeutige Parallelen im Raumverständnis Enzweilers und Lissitzkys aufweisen.
Existentiell für die Konzeption des Projektes ‘Hommage à El Lissitzky’ ist das Raumverständnis, welches Jo Enzweiler mit dieser Aktion kommunizieren wollte. Die ‘Sichtbarmachung’ der Abhängigkeit menschlicher Existenz von der Existenz des Raumes war das Grundanliegen Enzweilers, das auf das Raumverständnis El Lissitzkys Bezug nimmt. »Dabei handelt es sich nicht um eine abbildhafte Wiedergabe dieser wechselseitigen Abhängigkeit, vielmehr wird der Versuch unternommen, den menschlichen Raumerfahrungsbereich auszuweiten und um neue Dimensionen zu bereichern.« Die Zeit ist eine Dimension, die Enzweiler in seinem Kunstraum neu zu definieren sucht. Jo Enzweiler beschreibt die Erfahrung der Zeit, vergleichbar der freien Assoziation in der selbstreflexiven Rezeption, als eine variable Wahrnehmung. Als persönliches Beispiel nennt der Künstler seine eigene Erfahrung der zeitlichen Dimension während eines Besuchs ägyptischer Pyramiden. Die Grabkammern der Pyramiden als ‘Kunstraum’ zu erfahren, eröffneten dem Künstler ein Erlebnis des ‘unendlichen Raumes’, welches er in seiner Kunst umzusetzen versucht: »Der Besucher des Raumes soll für einen kurzen Augenblick mit dieser ungewöhnlichen Situation konfrontiert werden, er soll seine Erlebnisfähigkeit steigern, um womöglich zu einem ähnlichen Schlüsselerlebnis des ‘unendlichen Raumes’ zu gelangen.«
Die Raumerfahrung des Besuchers – so Jo Enzweiler – erfolgt über dessen Selbstreflexion. Der Betrachter wird in dem Kunstraum ganz auf sich selbst ‘zurückgeworfen’. Lässt der Rezipient eine solche Reflexion nicht zu, erschließt sich ihm keinerlei Raumwirkung, der Kunstraum erscheint sinnentleert und funktionslos. Die aktive Betrachtung des Rezipienten ist gefordert. Ohne sie ist eine Vermittlung der Raumerfahrung nicht möglich. Jo Enzweiler nutzt den Kunstraum dazu, sein Schlüsselerlebnis der Erfahrung des ‘unendlichen Raumes’ für den Rezipienten, den aktiven Besucher seines Kunstraumes, nachvollziehbar zu machen. Die Tatsache, dass Jo Enzweiler mit seiner Aktion auf die Straße geht anstatt seinen Kunstraum innerhalb eines Museums zu präsentieren, bringt verstärkt sein Anliegen zum Ausdruck, die Gesellschaft in sein Kunstschaffen mit einzubeziehen.
Die Erweiterung der Raumerfahrung um die zusätzliche Dimension der Zeit
ist die Erkenntnis, die Jo Enzweiler – wie andere Künstler vor ihm – in der Konzeption seines Kunstraumes besonders beeinflusste. El Lissitzky, auf den sich diese Erkenntnis Enzweilers stützt, erkannte bereits 1925, dass die Gestaltung von Räumen der Kunst für den Künstler die Möglichkeit zu bieten scheint, die Dimensionen Raum und Zeit zu einer Einheit zu bringen: »Im vitalen Drang um die Erweiterung der G. [Gestaltung] der K. [Kunst] glauben einige moderne Künstler, einige meiner Freunde, neue, mehrdimensionale Räume aufzubauen, in welche man ohne Regenschirm hineinspazieren kann, wo Raum und Zeit zu einer Einheit gebracht und untereinander auswechselbar sind.«
Für El Lissitzky ergibt sich der Begriff des Raumes aus der Gestaltung von Gegenständen, da sich der Mensch – so El Lissitzky – keinen Raum außerhalb der Gegenstände vorstellen kann und umgekehrt. Der Raum bestimmt sich folglich über die in ihm angeordneten Objekte, wobei der Mensch, um mit den Worten Bernd Schulz’ zu sprechen, selbst Objekt unter Objekten ist. Die Raumerfahrung des Menschen ist also durch die Erfahrung von Gegenständen bzw. der eigenen Präsenz im Raum bestimmt. Die Bemühungen der Kunst, einen neuen Raumausdruck zu schaffen, sieht El Lissitzky daher nur dann erfolgreich, wenn die Erkenntnis der funktionellen Beziehung von Raum und Gegenstand zugrunde liegt: »Ich habe oben gezeigt, dass Raum und Gegenstand in einer gegenseitigen funktionellen Beziehung stehen. Es entsteht die Aufgabe, durch einen materiellen Gegenstand den imaginären Raum zu gestalten.«
Jo Enzweilers Wahrnehmungen des ‘unendlichen Raumes’ im gestalteten Kunstraum lassen sich auf den Begriff des ‘imaginären Raumes’ von El Lissitzky beziehen. In seinem Projekt ‘Hommage à El Lissitzky’ gestaltet Jo Enzweiler seinen imaginären Raum unter der Verwendung des materiellen Gegenstandes Papier. Dieser Werkstoff, der das Kunstschaffen Enzweilers über Jahrzehnte hinweg bis heute prägt, ist ein Hauptaspekt der Gestaltungssprache des Künstlers. Jo Enzweiler verwendete Papiercollagen, um seinen Kunstraum zu gestalten. Über einem nahezu quadratischen Grundriss erhob sich der aus Press-Spanplatten errichtete Kunstraum. Die Wände sowie Boden und Decke dieses Raumes waren mit Kartoncollagen Jo Enzweilers beklebt. Von außen war der Kunstraum wie ein Kokon von Paketen gepressten Altpapiers umfangen, was zunächst in Pyramidenform angedacht, eine Reminiszenz an Pharaonengrabmäler verkörpern sollte. Aus statischen Gründen musste allerdings von der Pyramidenform abgesehen werden und die Altpapierstapel wurden kubisch um den collagierten Raum angeordnet. Die Materialität des Werkstoffes Papier bestimmte die Arbeit in ihren verschiedenen Facetten, um die Vorstellung des ‘imaginären Raumes’ hervorzurufen. Das auf dem St. Johanner Markt in Saarbrücken arrangierte Projekt sollte die Aufmerksamkeit der Passanten ansprechen und Interesse wecken, diesen ‘Kunstraum’ zu betreten. Ausgerüstet mit einer Taschenlampe konnte sich der Interessierte in den Kunstraum begeben, um diesen zu erleben.
Von der breiten Öffentlichkeit wurde das Projekt allerdings unterschiedlich angenommen. Neben Interesse und Anerkennung wurden dem Kunstraum auch Missachtung und sogar Anfeindung zuteil. Der Kunstraum erregte manchen so stark, dass sogar ein Brandanschlag auf das Projekt verübt wurde. In Bezug auf Situationen wie der eben beschriebenen muss Jo Enzweiler leider feststellen, dass es »[…] nicht zur Gänze gelungen [ist], das Konfliktpotential zu verringern und die Akzeptanz so zu steigern, dass Kunst im öffentlichen Bereich unser tägliches Leben bestimmend beeinflussen könnte.« Trotzdem verdeutlicht der Künstler, der mit seiner Kunst aktiv in die alltäglichen Bereiche öffentlichen Lebens tritt, und der sein Projekt inmitten eines Hauptbegegnungszentrums der saarländischen Hauptstadt realisierte, seinen starken Willen, die Öffentlichkeit wachzurütteln, sie mit aktueller Kunst zu konfrontieren, ihr Denkanstöße zu geben.
Biografie
Jo Enzweiler, Maler
1934 geboren in Büdingen
Bibliografie
Jo Enzweiler. Projekte im öffentlichen Raum 1962-2004. Saarbrücken 2005, S. 66-71.
Privatpersonen | Schüler*innen, Studierende | Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen | |
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je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: