Kunstvermittler, Organisator, Hochschullehrer, Gründungsrektor der Hochschule der Bildenden Künste Saar – die Persönlichkeit Jo Enzweiler zeigt viele Facetten – und doch ist er in erster Linie Künstler. "Jo Enzweiler gehört der konkreten Kunst an," schreibt Lorenz Dittmann 1988 in einem Ausstellungskatalog.
Dennoch stellen sich in fast allen Werkgruppen dieses Vertreters der vielleicht gegenstandsfernsten Richtung der bildenden Kunst in Collagen aus mehrschichtigen, gerissenen Kartonplatten, Zeichnungen, Stempelgouachen und Prägedrucken Gegenstandsassoziationen, genauer Landschaftsassoziationen ein.
In Notizen und Betitelungen früher Blätter tut der Künstler dies selbst: Zeichnungen und Skizzen verquicken sich mit Reisenotizen. Diese Auf-Zeichnungen, wie Enzweiler seine Zeichnungen (um 1989) nennt, sind Protokolle von Momentaufnahmen, schnelle Kürzel von Stimmungen eines Gesehenen (Landschaft), von Atmosphäre und Ausstrahlung eines Ortes, zu graphischen Stenogrammen verdichtet, aufgenommen mit Stift oder Feder, später mit Pinsel und Farbe verfestigt, pendelnd zwischen fein gewebter Schraffur und hingepeitschtem Linienduktus.
Es sind Diagramme eines visuellen Barometers eines Künstlers, der ständig misst und registriert, welcher (Un-)tätigkeit er auch nachgehen mag. Diese Auf-Zeichnungen werden in rechteckige Rahmen diszipliniert, durch Übermalung, Kopie uns Vergrößerung festgeschrieben, der Ratio des konkreten Künstlers unterworfen.
In der Werkgruppe der Karton-Collagen verbindet sich die mathematische Rationalität der Konkreten Kunst mit Strukturen, die sich vielfältigen Assoziationsmöglichkeiten öffnen. Flächen mehrschichtigen, z. T. farbigen Pappkartons werden einem Raster aufgezeichneter Rechtecke oder Quadrate unterworfen: Reihen gleichartiger Elemente bilden sich. Gesetzmäßiger Aufbau wird vorgegeben. Innerhalb dieser vorgegebenen Felder reißt Enzweiler Teile einer oder mehrerer Pappschichten ab. Der scheinbar gleichmäßige Abriss variiert von Feld zu Feld. Innerhalb der seriellen Reihung finden deutlich sukzessive Formveränderungen statt. Schrittweise Veränderung heißt auch Bewegung – und nimmt man die Assoziation hinzu. Die sich in den Rissstrukturen ja deutlich aufdrängt: Landschaftsformationen, im geographischen wie geologischen Sinn – so wird die Bewegung zur Erfahrung von Veränderung des Standpunktes wie auch der Befindlichkeit des Gesehenen, erkennbar als visuelles Zeichen.
Eine weitere Werkgruppe fügt sich in diese Entwicklungslinie ein, wie bereits ein erster Blick auf Farbgebung und Technik zeigt.
Enzweilers Farbgebung ist eigentlich nicht repräsentierend. Gewiss, die Landschaftsassoziation, die sich bei den Kartoncollagen so stark einstellt, lässt den Betrachter nur zu leicht die Farbgebung hierfür reklamieren. Das Wissen um den Entstehungsort einer ganzen Reihe von Gouachen (etwa die karge, von Höhenzügen geprägte Landschaft Südspaniens, in der Braun, Gelb, Beige und Graubraun dominieren) tut ein übriges. Die Verwendung grundsätzlich verschiedener Farbklänge für ganz ähnliche Formverläufe – einerseits eine Farbtrias aus Grün, Gelb und Weiß, andererseits ein Dreiklang aus Schwarzblau, Mittelblau und Weiß oder Dunkelblau, Gelb und Weiß, auch unter Hinzunahme weiterer Farben – aber entzieht dem Argument, die Farbe repräsentiere hier, sei unmittelbar aus der Betrachtung der Landschaft gewonnen, die Grundlage. Nach eigener Aussage legt Enzweiler seiner Arbeit – hier den Gouachen – keine Farbsystematik zugrunde. Er weist der Farbe – nach grundsätzlicher Auswahl – zunächst keine Aufgabe zu und doch zeigt sich in jedem einzelnen Blatt eine Stimmigkeit des Farbklanges oder ein im Kontrast wohltönender Akkord.
Ein Blick auf den Arbeitsprozess ist auch hier aufschlussreich und wichtig: die Gouachen entstehen in mehreren - es können bis zu fünfzehn sein – Stempelvorgängen, je nach Anzahl der verwendeten Farben. Für den Stempel greift der Künstler auf ein althergebrachtes und eigentlich immer etwas stiefmütterlich behandeltes Material zurück, er verwendet die Kartoffel.. Enzweiler für seine Arbeit eine besondere Eigenschaft seines Materials: auf den zuvor äußerst glatt geschliffenen Stempelflächen verbindet sich pflanzliche Stärke mit Farbpigmenten und verleiht der gedruckten Farbfläche einen samtig-festen und gleichzeitig transparenten Glanz. Die erste Farbe wird mit dem Stempel in eine zuvor festgelegte Grundform (Rechteck oder Quadrat) eingedruckt, dabei wird der Stempel, der an drei Seiten geschliffene Kanten aufweist, an der vierten Seite aber den kurvigen Verlauf der Kartoffelform hat, vor einem zweiten aufdrücken um 180 Grad gedreht. Dabei entsteht, etwa im Zentrum des Bildfeldes, eine ovoide oder elliptische Struktur, die durch Wiederholen des Stempelvorganges mit einem anderen Farbauftrag vom übrigen Bildfeld abgesetzt wird. Das mehrfach wiederholte Stempeln mit den zuvor bestimmten Farben, z. T. ohne den Farbauftrag auf dem Stempel zu erneuern, führt zu einer Überlagerung von transparenten und/oder opaken Flächen. Die rechteckigen bzw. quadratischen Bildfelder ordnen sich – ähnlich den Feldern in den Karton-Collagen – in unterschiedlicher Anzahl zu seriellen Reihen. Dabei entwickelt die Farbmaterie eine gewisse Autonomie: von Feld zu Feld wird der Farbaufdruck heller, die Farbfläche wird fleckiger, offener, drängt mit nachlassender Festigkeit des Stempels über dessen Grenze hinaus. Das Überstempeln mit anderen Farben verstärkt diese autonome Reaktion; der Künstler greift nur begrenzt in diesen Prozess ein. Geringe Verschiebungen beim Aufsetzen des Stempels verändern die sehr dünne Trennungslinie zu Trennungszonen, die immer als HORIZONTale wahrnehmbar bleiben.
Lässt Enzweiler in seinen Kartoncollagen die Assoziation von Landschaftsbildern als Rezeptionsmöglichkeit zu, muss sie auch mit gleichem Recht für die Gouachen gelten, denn ein wichtiges Element verknüpft zusätzlich beide Werkgruppen: die Horizontale der Reißspur in den Kartoncollagen ist auch in den Stempel-Gouachen ein wichtiges Bildmittel.
Ein weiteres wichtiges Merkmal dieser Werkgruppen ist die wiederholende (oder serielle) Reihung einzelner Bilder. In der reihenden Wiederholung konstituiert sich Bewegung. Bewegung generiert wiederum den Begriff der Zeit. Bewegung und Zeit sind Begriffe, die wie Horizontale, Entstehung, Veränderung, zum Wesen der Landschaft gehören und gleichzeitig Begriffe von Weltzusammenhang sind, damit als essentielle Zeichen eine allgemeingültige Aussage treffen, wie es Anliegen der konkreten Kunst ist.
Selbst wenn man Jo Enzweilers Arbeiten zunächst als reine Form- und Farbereignisse betrachtet, so zeigen die sich alsbald einstellenden Landschaftsassoziationen, dass das "Band mit der Natur im Bewußtsein des Künstlers nur noch dichter geknüpft wird" und machen das Wissen um die als Prinzipien in der Natur wirkenden Kräfte deutlich. Es ist ein Wissen, das fast schon zum Bestandteil des (unter-)bewusstseins geworden ist, wie die Konsequenz im Werk Enzweilers zeigt – durch sein immer weitergehendes Beobachten, Sezieren und Analysieren der Natur, der Landschaft und der nachfolgenden Verbildlichung dessen, was hinter dem Vordergründig liegt. Angefangen von den zeichnerischen Reiseskizzen über die Reißarbeiten bis zu den Stempel-Gouachen reihen sich Schichtschnitte hintereinander, die immer tiefere Schichten freizulegen imstande sind.
Auf diesem Wege bewegt sich Jo Enzweiler auch bei seiner künstlerischen Arbeit für den öffentliche Raum konsequent weiter. Er bezieht sich stets auf Funktion und Charakter des Ortes, Platzes oder Bauwerks, für den/das sein Kunstwerk bestimmt ist, und transponiert die Wesensmerkmale des Ortes in eine klare strenge, konkrete Formensprache. Diese greift wiederum Formanregungen des Ortes auf. Die künstlerische Form komprimiert Nachrichten über das Wesen des Ortes, führt sie auf essentielles zurück und gibt sie so an den Betrachter weiter.
Das Wirken von Enzweilers Arbeiten im öffentlichen Raum weist zurück auf seine Tätigkeit als Kunstvermittler, der weniger die eigene Arbeit in den Vordergrund stellt, als vielmehr das Bemühen, Sensibilität für die Anliegen der Kunst zu schärfen sowie Akzeptanz und Verständnis für die Kunst zu schaffen.
Michael Jähne
(aus: Paul Bertemes, Jean Colling (Hg.): Visites d'Atelier besuche. Band 1. Luxembourg 2006)
Redaktion: Michael Jähne, Sandra Kraemer, Oranna Dimmig
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