Michel Gérard
"Wanderung eines Caspar David", 1991
12-teilige Skulptur, Gusseisen, geschmiedet, Höhe 4 m, Durchmesser 12 m
Saarbrücken, Malstatt, Bürgerpark, Hafeninsel
Kunststandort Bürgerpark auf der Hafeninsel zu Saarbrücken-Malstatt
Ein Raum für die Begegnung von Vergangenheit und Gegenwart
Mitte der 1980er Jahre begannen die Planungen für die in Saarbrücken zwischen den Stadtteilen St. Johann und Malstatt gelegene Westspangen-Brücke, einer wichtigen Verbindung der Autobahnen A 623 und A 620. Wiederum war es ein Verkehrsweg, der die Aufmerksamkeit auf umgebendes Areal lenkte. Zeitgleich mit der Planung der Brücke entwickelte man die Idee eines Bürgerparks für das links und rechts der Brücke liegende Gelände. Von hier wurde seit dem späten 17. Jahrhundert die Steinkohle verschifft, waren Kohlwaage und Stapelplatz situiert. Bei der Neuplanung der Großstadt Saarbrücken nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Hafen aufgegeben und zugeschüttet. Die ersten Überlegungen der Nachkriegszeit zur Neuordnung Saarbrückens hatte der französische Architekt Georges-Henri Pingusson erarbeitet. Seine Entwürfe sahen bereits für diesen Bereich eine Brücke, eine Grünanlage, eine Kongresshalle sowie Verwaltungsgebäude vor, die seinerzeit jedoch nicht zur Ausführung kamen. Die Kongresshalle wurde erst 1967 nach Entwurf von Dieter Oesterlen realisiert.
Mit dem Bau der Westspange setzten 1985 die ersten Überlegungen zur gärtnerischen Gestaltung des Brachlandes auf dem rechten Saarufer links und rechts der Brücke ein. Unter der Leitung von Peter Latz, Landschaftsarchitekt aus München, entstand unter Mitarbeit von Studenten, Lehrlingen und Saarbrücker Bürgern das innovative Konzept eines „Bürgerparks“. Hier sollten Vergangenheit und Gegenwart aufeinandertreffen. Der Ort der Arbeit, aus dem Brachland geworden war, wandelte sich zum Ort der Freizeit und Träger eines allmählich wachsenden Bewusstseins für die industrielle Vergangenheit der Region. Der 1989 eröffnete Park bezeugt auch den im Land vollzogenen Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft. Kohle und Stahl, die mehr als 100 Jahre das Land umfassend geprägt hatten, verloren ihre Bedeutung. Den Abgesang auf das Industriezeitalter begleitete eine zweite, allmählich stärker werdende Stimme. Industriekultur wurde zum beherrschenden Thema. Nicht mehr die Industriearbeit, sondern ihre Kultur und Geschichte rückte in den Mittelpunkt. Die Kunst übernahm dabei die Aufgabe, der Veränderung ein Bild zu geben. Dafür hatte Peter Latz drei Großskulpturen vorgesehen.
Die einzige realisierte Skulptur ist die 1991 eingeweihte Installation „Wanderung eines Caspar David“ (12-teilige Skulptur, Gusseisen, geschmiedet, Höhe 4 m, Durchmesser 12 m) des französischen Bildhauers Michel Gérard. Sie fand ihren Platz auf der Freifläche in der Nähe der Kongresshalle. Gérard erwies mit seiner Arbeit für den Bürgerpark ein Verständnis von Landschaftskunst, die nicht die Wüstungen und die durch die Industrie verursachten Schäden überpflanzt und wegdekoriert, sondern sie als deren Charakteristikum betont und an die Oberfläche holt. „Ich versuche, an noch aktiven oder erst vor kurzem stillgelegten Industriestandorten einen Sinn zu erfassen, der mir eine andere Erkenntnis dieser industriellen Geschichte vermitteln könnte. Ich bin der Zeuge des Untergangs, des Endes des Industriezeitalters, der ihre Geschichte als existenzielle Erfahrung darstellt“, schrieb Gérard über seine Arbeit, der er einen Tagebucheintrag des Malers Caspar David Friedrich voranstellte: „Fördere dunkel Erahntes aus den Tiefen der Nacht ans Licht des Tages.“ Gérard interpretierte diese Worte buchstäblich und im metaphorisch-bildhaften Sinn: Einmal, indem er im Bergbau gebräuchliche Arbeitsgeräte vergrößert ans Tageslicht holte. Ein anderes Mal, indem er sie zu Metaphern für die Weltsicht des Malers machte, die dieser in seinen Gemälden ausgebreitet hatte. Bogen, Rad, Spitze und Spazierweg sind genuine Motive der Bildwelt des Malers. Damit beschritt er einen doppelten Weg, um die Geschichte des Ortes mit seinem eigenen Schöpfungsmythos, so Gérard, eng zu führen. Dafür wählte Gérard geschmiedete, nicht industriell gefertigte Gegenstände, die er an einen Ort brachte, an dem einst Kohlen, Erzeugnisse eines industriell betriebenen Bergbaus, verschifft wurden. Heute wandert der Besucher über den Ort, an dem die Ausbeute der Erde in den Kreislauf der Verwertung eintrat. Gérard hat mit der 12-teiligen Skulptur ein begehbares Bild geschaffen, in dem er an die Geschichte des Ortes erinnert. Doch das allein ist es nicht, Gérard verweist darin auch auf die Zweiwertigkeit im Umgang mit der Natur. Kosmosverehrung und Schöpfungsmythos klingen darin an wie die Erkenntnis, dass nur durch den Raubbau an ihr Entwicklung möglich wurde, ein Raubbau, der zu Lebzeiten Caspar David Friedrichs anhob und zu Lebzeiten Gérards endete. Die Rieseninstrumente Gérards resümieren diesen Zeitraum, der mit den Regenbögen, Berggipfeln und Höhenkämmen in den Gemälden Friedrichs begann und mit den auf die Erdoberfläche gewuchteten Instrumenten der Ausbeutung ihres Innern endete. Von nun an bewegen wir uns auf der Erde, nicht über oder unter ihr. Bewegung wird zum Leitmotiv unseres Handelns, um den durch die Zeit verursachten Verlust zu erfahren und einen Impuls zu erhalten und darüber hinaus zu Neuem und Anderem zu kommen. Worin es bestehen und von welcher Qualität es auch sein mag. Ganz so wie im Osten der Stadt, am Heizkraftwerk Römerbrücke, stellt Kunst auch an ihrem westlichen Rand eine Frage, die eine Stadt bewegt: Unter welchen Bedingungen leben wir?
Sabine Graf
Biografie
Michel Gérard, Bildhauer, Maler
geboren 1938 in Paris, Frankreich
lebt und arbeitet in New York
Bibliografie
Redaktion: Oranna Dimmig und Claudia Maas
Privatpersonen | Schüler*innen, Studierende | Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen | |
---|---|---|---|
je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: