Albert Weisgerber gehörte zur aufstrebenden Malergeneration des frühen 20. Jahrhunderts, die wie August Macke und Franz Marc den Weg in die Moderne wies. Zur Verwirklichung seiner künstlerischen Ziele blieben dem Maler jedoch nur wenige Jahre. 1915 fiel er mit 37 Jahren in einem Schützengraben bei Fromelles in Flandern. Gleichwohl hatte Weisgerber bis zu seinem frühen Tod mit mehr als 400 Gemälden sowie unzähligen grafischen Arbeiten ein umfangreiches und vielschichtiges Oeuvre von hoher künstlerischer Qualität und Aussagekraft geschaffen. In der kurzen Zeit seines künstlerischen Wirkens vollzog sich in seiner Arbeit eine eindrucksvolle Entwicklung, die maßgebende Positionen der Moderne vom späten Impressionismus bis zu einem Expressionismus eigener Form und Prägung durchlief. In meisterlichen Formulierungen schuf er ein facettenreiches Werk, das die deutsche Kunst um einen essentiellen Beitrag bereicherte.
Bekannt wurde der in St. Ingbert geborenen Maler vor dem Ersten Weltkrieg vor allem als erster Präsident der "Neuen Münchner Secession". In München, wo er studierte und den größten Teil seines Lebens verbrachte, fand Weisgerber seine eigentliche Heimat. Seit 1894 Schüler an der dortigen Kunstgewerbeschule, schaffte er 1897 den Sprung an die Münchner Akademie, wo er sein Können zunächst in der Zeichenklasse von Gabriel Hackl gefördert sah. Ein Jahr später jedoch schon durfte er sich wie Wassily Kandinsky und Paul Klee zu den viel beneideten Schülern des Malerfürsten Franz Stuck zählen.
Mit dem Eintritt in die Akademie knüpfte Weisgerber Kontakte zur progressiven Münchner Zeitschrift "Jugend", einem satirisch-humoristischen Unterhaltungsblatt, dessen moderner Illustrationsstil über viele Jahre hinweg durch den Künstler mitgeprägt wurde (Vgl. Weber, 1961). In München nahm Weisgerber intensiv Anteil am künstlerischen und geistigen Leben der Isar-Stadt teil. In den einschlägigen Schwabinger Künstlercafés verkehrte er in den Kreisen der Münchner Boheme, pflegte freundschaftliche Kontakte zu Malern, Dichtern, Musikern und Kulturschaffenden. Von etlichen seiner Freunde und Weggefährten schuf er eindrucksvolle Porträts, die ihn rasch als herausragendes Talent der jungen Münchner Malerei bekannt machten. Das imposante Gemälde des Dichters und Bohemiens Ludwig Scharf gehört hierzu ebenso wie die psychologisch eindringlichen Bildnisse des späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss oder der Malerfreunde Jules Pascin und Rudolf Levy.
Mit Beendigung der Akademiezeit stellte Weisgerber in der Secession aus (Christoffel, 1950, S. 12) und war damit im Kreis der fortschrittlichen Münchner Kräfte aufgenommen. Der Maler, der sich zeitlebens der Festlegung auf einen Stil verweigerte und sich trotz seiner vielfältigen Kontakte zur Avantgarde keiner der revolutionären Künstlergruppen anvertraute, erwies sich auf seinem Weg zu künstlerischer Selbstständigkeit als ausgesprochener Grenzgänger (Dittmann, 1982, S. 179 und Fischer, 2003). Zwischen den großen und umwälzenden Kunstströmungen seiner Zeit angesiedelt, nahm seine Malerei von verschiedener Seite her Anregungen und Impulse auf, die der Künstler gleichwohl zu einer eigenständigen Bildform umzudeuten wusste. Neben dem frühen Einfluss der dunkeltonigen Malkultur der Münchner Schule wurden sowohl die Auseinandersetzung mit der Lichtmalerei des Impressionismus als auch der Expressionismus mit seiner psychischen Ausdruckskraft der Farbe richtungweisend. Doch nicht nur München mit seiner reichen malerischen Kultur prägte Weisgerbers Werk, auch Paris als Kristallisationspunkt der Moderne war für seine Entwicklung von entscheidender Bedeutung.n mannigfacher Weise war Weisgerber bei seinen Paris-Besuchen mit den modernen Kunstströmungen in Berührung gekommen, hatte sich mit der alten Kunst ebenso auseinandergesetzt wie mit der künstlerischen Avantgarde. Im legendären Pariser Café du Dôme, dessen Künstlerkreis er zwischen 1905 und 1907 mit Unterbrechungen fast zwei Jahre hinweg angehörte, fand er, wie viele aus dem Ausland kommende Künstler, darunter zahlreiche Deutsche, eine feste Anlaufstelle. Dort traf er sich mit Rudolf Levy, Hans Purrmann, Jules Pascin, Rudolf Grossmann und wurde mit Henri Matisse persönlich bekannt. Einfluss auf ihn gewannen neben Paul Cézanne, Henri de Toulouse-Lautrec, Henri Matisse, der bei seinem Auftritt 1905 im Kreis der Fauves einen wahren Skandal auslöste, und letztlich Edouard Manet, dessen legendäre Olympia noch Jahre später den Anstoß zu Weisgerbers "Liegende (Miss Robinson)" gab. Das spezifische Pariser Milieu des Variété, Theater, des Zirkus und des Kabaretts, fand in einer ganzen Reihe von Bildern sein Interesse.
Weisgerbers leidenschaftliche Begierde, die Werke der großen Meister zu studieren, zog ihn aber auch nach Italien. Die Begegnung mit der italienischen Renaissance-Kunst führte zu einer weiteren Vertiefung seiner Idee der großen Kunst und markiert einen Wendepunkt in seiner Entwicklung. Schwermut liegt über der späten Kunst Albert Weisgerbers. So erfuhren seit 1909 vor allem biblische und mythologische Stoffe im Werk des Künstlers eine ungeahnte Aktualität. Existentielle Themen von Leid und Tod, von Kampf und Überwindung rücken in den Blickpunkt seiner Aufmerksamkeit und bestimmen die malerischen Gehalte der Spätzeit. Figuren der christlichen Legende und des Alten Testaments wie des Sebastians, des Propheten Jeremias oder des Absalom schildert er als mahnende Vorboten der Moderne. Die Figur des heiligen Sebastian - seit alters her eine Symbolgestalt des Künstlers in seiner Rolle als Außenseiter und Märtyrer der Gesellschaft - beschäftigte Weisgerberdabei besonders intensiv. Als Sinnbild des Leidens an der Welt und der Hoffnung auf Erlösung übernimmt der Heilige die Funktion einer Identifikations- und Schlüsselfigur im Oeuvre des Malers.
Im Gegensatz zu zahlreichen Künstlern der Avantgarde, die sich zunehmend der Abstraktion verpflichtet fühlten, blieb Weisgerber an das Menschenbild und die Wiedergabe der realen Welt gebunden. Während die 1905 in Dresden gegründete Künstlervereinigung "Brücke" in ihren Programmen nachdrücklich den bewussten Bruch mit der Tradition betonte und der Blaue Reiter unter dem Begriff des "Geistigen in der Kunst" die Bindungen an das Sichtbare abstreifte, um sich ganz der Reflexion einer übergeordneten Seinswelt hinzugeben, beschritt Weisgerber im Kreis des Münchner Expressionismus einen Sonderweg. Der kunsthistorischen Forschung galt er mit seinen späten Bildern als Vertreter eines idealistischen Expressionismus. (Weber, in: Pfälzer Heimat, 1962)
Albert Weisgerber, dessen Werk und Person epochale Brüche und Spannungen durchlebte, suchte eine eigenständige Position zwischen den Avantgarden. Immer im Aufbruch, tastend und suchend vollzog sich seine Bildsprache mehrgleisig und erwuchs im Spannungsfeld der großen europäischen Malerei.
Andrea Fischer
Redaktion: Andrea Fischer
Privatpersonen | Schüler*innen, Studierende | Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen | |
---|---|---|---|
je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: