Die Zeichnungen von A. D. Trantenroth – Zwischen Traum und Tat
Vor knapp zwei Jahren stellte mir der Künstler A. D. Trantenroth eine Auswahl seiner Zeichnungen vor. Bei den Vorbereitungen für meinen Beitrag zu diesem Katalog kam mir ein Text in den Sinn, den ich vor längerer Zeit in einem Katalog zu einer Ausstellung des Künstlers gelesen hatte. Vor allem der nachfolgende Abschnitt trifft auch auf seine Zeichnungen zu: "Bei den Arbeiten geht es weder um Aktion noch um Spuren eines Vorganges. Die Dinge sind nicht 'Momentaufnahmen' eines Prozesses, sondern räumlich artikulierte Zustände, in denen Ursache und Wirkung in eine Wechselbeziehung treten. Gefühle werden unmittelbar sichtbar und fühlbar gemacht: z.B. in der Gestrecktheit und Ausgedehntheit der langen, schlanken Stücke, der flachen Stahl- oder Holzplatten; in der Anschmiegsamkeit aneinandergelegter Schnittflächen; in der Kraftzusammenballung kompakter, kleiner Stücke, die gleichzeitig Widerstand nach außen und In-sich-Zurückgezogenheit darstellen; in der Gefährlichkeit spitziger Winkel und Enden, scharfer Kanten; in der Gespannt- und Entspanntheit von Gummischläuchen in Verbindung mit Eisenstäben (...)." (Sonja Klebe, Kunstverein Bochum, 1981)
Der Künstler zitiert in den Zeichnungen zumindest teilweise seine eigenen Entwürfe und Installationen. In oft spielerischen Konstruktionen tauchen über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder die gleichen Bildfragmente auf, mit den selben Gegenständen werden neue Konstruktionsmöglichkeiten durchgespielt. So gibt es Hunderte von Zeichnungen mit Gummischläuchen, mit Spazierstöckchen, die ineinander greifen, mit Nägeln, Fäden oder Scharnieren und Seilen. Auf wunderlichste Weise werden Holzlatten, Kästchen und phantastische Gebilde aneinander gebunden, neben- und aufeinander geknotet, genagelt und verwinkelt. Die Wahrnehmung wird in Frage gestellt, Sehgewohnheiten untergraben. Das Stabile verwandelt sich in Labilität. Holz wird transparent wie Glas, wie bei einem Röntgenbild können wir außen und innen gleichzeitig sehen. Darüber hinaus sind es nicht immer die fertigen Konstruktionen, die dargestellt werden, sondern manche Zeichnungen lassen sich wie eine "Bauanleitung" lesen, ähnlich solchen, die man in Verpackungskartons vorfindet, wenn man z.B. ein Bücherregal zusammenbauen will. Trantenroths Zeichnungen sind Aufzeichnungen, ein Zwischenbereich zwischen Wort und Bild, sie erzählen von möglichen Projekten. Schränkchen, Regale, Schublädchen und Fäden sind gut zu erkennen, aber der "Raum", der rundum gezeichnet wird, ist nicht dreidimensional. Es ist kein Horizont da, keine Schwerkraft zu erkennen, keine Tiefe im Bild vorhanden. Auch die Bildfragmente sind wie Wortfragmente. Die Zeichnungen von einer Serie bilden, zusammengelegt, mehr oder weniger zusammenhängende "Sätze". Auf diese Weise kann man die Gedankengänge des Künstlers eher nachvollziehen.
1989 fand im Museum St. Wendel eine Ausstellung anlässlich des vorläufigen Abschlusses der "Straße der Skulpturen" in St. Wendel/Saar statt. Gezeigt wurden Werke der teilnehmenden Künstler. A. D. Trantenroth legte 16 Vierkantholzstäbe à 8 x 8 cm, je 64 cm lang, auf dem Fußboden aus, so, dass sich ein großes Quadrat ergab. Die Kopfenden der Stäbe waren grün gefärbt, was allerdings nur an den "Ecken" des Quadrates sichtbar war. Etwa in der Mitte (von Trantenroth "anmittig" genannt) befand sich ein ebenfalls quadratisches Metallschächtelchen, oder besser gesagt: eine "Umhüllung" – ähnlich wie die Hülle eines Streichholzschächtelchen – die 4 cm hoch war, bei einer Länge und Breite von jeweils 16 cm. Diese Hülle war außen "gegelbt", innen war das nackte Metall sichtbar. Hier, wie auch sonst in der Arbeit des Künstlers, spielen komplizierte Material-, Farb- und Größenzusammenhänge – oder wie der Künstler es selbst ausdrückt: die bestimmten "Maßigkeiten" – eine große Rolle. Ist das Material eines Teilstückes z.B. leicht im Verhältnis zum Umfeld, dann sind seine Maße quasi "vergrößert". Dies gilt z.B. für die Holzstäbe, die, wären sie aus dem schwereren Eisen, nur so groß wären, dass sie in zwei Reihen in die Metallhülle hineinpassen würden. In dem Fall wären ihre Enden im "kompakteren" gelb gestrichen, sodass das Ergebnis ein rundherum gelb gefärbtes Kästchen wäre. Das gleiche gilt aber auch umgekehrt: wenn die Hülle aus Holz wäre, würden die Holzstäbe darin Platz finden können. In dem Fall wäre die Hülle grün – weil sie dann aus Holz und deshalb größer wäre, müsste auch die Farbe weniger kompakt sein – und das Endergebnis wäre ein rundherum grüner Kasten.
In der zweiten Arbeit, die A.D. Trantenroth im Museum zeigte, ging es um ähnliche Gewichtungen zwischen Material und Maß. An der Wand hing eine kleine Tombakplatte (Tombak = eine Kupfer-Zink Legierung) in einem Holzrahmen. In dieser Platte befanden sich zwei runde Löcher, die als "Negativvolumen" aufzufassen sind. Überträgt man die Maße dieser Platte auf die Museumswand, dann ist aus ihr eine Art "Luftplatte" geworden, sie ist nun selbst "negativ", aber dafür hat sie viel größere Ausmaße. Die beiden Löcher sind – im gleichen Verhältnis zueinander – dahingegen ins Positive "übersetzt", als runde Scheiben. Da die "Luftplatte" größer ist, sind auch diese Scheiben "gewachsen" und sind deshalb nicht mehr aus dem gelblich schimmernden Tombak, sondern aus Holz, wobei ihre Oberfläche nun in einem hellen, leuchtenden Grün erscheint.
Der Künstler baute diese beiden Arbeiten auf eine dermaßen präzise und ernste Art auf, dass es den Anschein hatte, als würde er mit der sorgfältigen Plazierung der einzelnen Teile eine sakrale Feierlichkeit zelebrieren, bestimmten geheimen Ritualen folgend, fast wie ein Hohepriester aus alten Zeiten.
Beim Betrachten der Zeichnungen drängten sich mir außerdem Gedanken an die beiden Projekte auf, die A.D. Trantenroth ein Jahr zuvor an der St. Wendeler "Straße der Skulpturen" erarbeitet hat. Das erste Projekt besteht aus drei "Umfeldveränderungen", die er in der St. Wendeler Innenstadt vorgenommen hat. Hierfür setzte er ebenfalls das schimmernde Material Tombak ein: er verkleidete die Stufen einer Treppe, die in eine Kneipe führt; er ließ eine kleine Platte in der Form einer Treppe in den Boden der Fußgängerzone ein; er verkleidete eine Regenrinne und ließ in deren Nähe eine kleine Spiralenplatte in die Pflasterung ein. Mit diesen kleinen Akzenten – die in Größe und Abstand zueinander in einem bestimmten Verhältnis stehen (wie die Arbeiten im Museum St. Wendel) und so konzeptuell miteinander verbunden sind – veränderte der Künstler das alltägliche Umfeld. Durch den Glanz des Materials verlieh er vorher unscheinbaren oder langweiligen städtischen Gegebenheiten (wie eine Treppe oder eine Regenrinne) eine beinahe sakrale Ausstrahlung. Spiralen (Zentrum, Unendlichkeit) und Treppen (Himmelsleiter) sind uralte Symbole, die in vielen Kulturen eine besondere Bedeutung hatten bzw. haben. Selbst in unserer nüchternen westeuropäischen Kultur sind es immer noch symbolträchtige Zeichen. Sowohl dieser "Mehrwert", als auch das bestimmte Zahlenverhältnis der "Maßigkeit" werden sicher von den meisten Fußgängern nicht bewusst wahrgenommen; wer aber auf der Suche ist, wird sich einer gewissen Wirkung nicht enziehen können.
Das zweite Projekt liegt etwas außerhalb der Stadt St. Wendel. Ausgangspunkt für diese Arbeit war ein großer Sandstein an einer Wegkreuzung. Vis-à-vis steht ein kleiner gelber Pfosten der Telekom, der – als Zeichen für die "alltägliche Welt" – in das Gesamtprojekt mit einbezogen wurde. A.D. Trantenroth hat, wie bei seinen Arbeiten in der Stadt, auch hier kleine Akzente gesetzt: einige Bohrlöcher, eine kleine, grün angestrichene, leere "Nische", die als "Negativ" mit dem gelben Telekom-Pfosten korrespondiert, Scharniere aus Tombak, die den Eindruck erwecken, man könnte den Stein aufklappen, um sein Geheimnis aufzuspüren. Ohne diese Scharniere kämen wir nicht auf die Idee, dass der weitgehend rohbelassene Stein ein Innenleben haben könnte. Die Bohrlöcher und die leere Nische (ähnlich solchen, die z.B. an der Hauswand für eine kleine Heiligenfigur gedacht sind), verstärken das Gefühl, dass das Wesentliche, das eigentlich Bedeutungsvolle, sich im übertragenen Sinne "unter der Oberfläche" abspielt. Aber nur, wer sich auf dieses Gefühl einlässt, wird die Zusammenhänge entdecken und kann erst dann – mit seiner Vorstellungskraft – dort hin gelangen.
Ich gehe deshalb so genau auf die St. Wendeler Arbeiten ein, weil im Grunde genommen auch den gezeichneten Objekten eine solche "Maßigkeit" unterliegt, wenn auch nicht ganz so streng. Das Wissen um die systematische, fast "formelhafte" Methode Trantenroths, die Welt nicht nur zu erfassen, sondern auch einzelne Teilstückchen dieser Welt hervorzuheben, damit Formverhältnisse klarer sichtbar werden, ist für den Betrachter eine wichtige Voraussetzung, um auch die Zeichnungen zu verstehen, ja, "erleben" zu können. Der Künstler "denkt" sich seine Konstruktionen zusammen, er ist gleichzeitig Spurenleger und Spurensucher. Für jeden Tag gibt es mindestens eine Zeichnung, über eine Zeitspanne von mehreren Jahrzehnten. Auf diese Weise ist eine der Zeit enthobene, eigenständige, "parallele" Welt entstanden. Es ist keine "evolutionäre" Entwicklung sichtbar – die Blätter sind zeitlos; A.D. Trantenroth datiert sie, bezeichnenderweise, rückwärts.
Hin und wieder lösen sich die Zeichnungen vom Papier. Manche "Ideenspiele" sind im Rahmen verschiedener Ausstellungsprojekte in die reale Welt – in bestimmte Ausstellungsräume – hineingetragen. So gab es z.B. ein Projekt mit drei Schublädchen, die nebeneinander direkt mit einem dünnen Stift auf einer Wand gezeichnet waren. Auf der Rückseite dieser Wand befanden sich ebenfalls drei gezeichnete Schublädchen (In der Galerie „Kunst in der hinteren Halle“, Hof/Saale, 1997), die jedoch vertikal angeordnet waren. Wäre diese Wand durchsichtig gewesen, hätte man feststellen können, dass die jeweils mittlere Schublade "deckungsgleich" war, sodass sie hätte hin und her geschoben werden können, wäre sie real und nicht "nur" aufgemalt. Dass es eine Zeichnung war, die man vor sich hatte, war erst aus der Nähe ersichtlich; von Weitem sahen die Linien fast aus wie Ritzen, weil der Bleistift auf der unebenen Wand eine "ausgefranzte" Spur gezogen hatte. Durch diese Illusion eines Schattens wurde – zumindest aus der Distanz –eine dreidimensionale Konstruktion suggeriert. Dieser Eindruck blieb, aufgrund existierender Wahrnehmungsgewohnheiten, auch in dem Moment bestehen, als man aus der Nähe feststellen konnte, dass die Schubladen gezeichnet waren. Die Tatsache, dass die Griffe aus realen, spiegelnden Messingknöpfchen bestanden, erhöhte diesen Eindruck noch. Ähnliches passierte bei der auf einer mit Rauhfaser tapezierten Wand gezeichneten "Durchreiche" (In der Galerie "Brochier", Hartmut Beck, München, 1996). Die Maße dieser Durchreiche betrugen 40 x 80 cm. In der Mitte war dieses Rechteck geteilt, und neben diesem Teilstrich befanden sich links und rechts zwei Messingknöpfe, so, dass eine Illusion von zwei Türchen, je 40 x 40 cm groß, entstanden war. Am linken und rechten Rand des Rechteckes befanden sich Scharniere (sog. Klavierbänder). Um beim "Aufklappen" die Griffe der Türen nicht an der Wand anstoßen zu lassen, befanden sich dort an der Wand – also jeweils circa 40 cm links und rechts neben dem Rechteck – Gummipuffer. Deckungsgleich mit der Durchreiche befanden sich auf der Rückseite der Wand 16 gezeichnete Schublädchen, die ebenfalls jeweils mit einem Messingknopf als Griff ausgestattet waren. Hätte man die Durchreiche tatsächlich aufklappen können, würde man die Rückseiten der 16 Schübe sehen.
In der Nähe der Schublädchen stand eine kleine Fußbank. Darauf lag ein Paar gelbe Haushaltshandschuhe – ein Hinweis auf eine verborgene Geschichte. (Vielleicht, dass auch Kinder in die Schublädchen hineinschauen wollen?)
Auch die Projekte im Bereich "Kunst am Bau" leben von Widersprüchlichem: z.B. Schnüre, die durch Wände hindurch gezogen sind, von deren Verlauf man aber nur jeweils Ausschnitte sehen kann, je nachdem wo man sich im Gebäude befindet (Im Gebäude der Schmidt-Bank in Wunsiedel). Nur im Kopf des Betrachters entsteht ein vollständiges Bild, eine "dreidimensionale Geschichte". So wird ihm die Vorstellung vermittelt, dass das betreffende Gebäude nur durch diese Schnüre zusammengehalten wird. Auch hier ist man sich im gleichen Moment bewusst, dass sie diese Funktion keineswegs übernehmen. Weil eine scheinbare Täuschung selbst als Täuschung wahrgenommen wird, ist sie im Grunde keine mehr, obwohl die Idee der Täuschung im Kopf des Betrachters lebendig bleibt.
Sowohl in seinen realisierten Projekten und Installationen, als auch in den Zeichnungen befinden wir uns in der "parallelen", von Zahlen, Farb- und Materialgewichtungen und Maßverhältnissen bestimmten Welt Trantenroths. Diese Welt bleibt dem Betrachter bei einer pur rationalen Annäherung jedoch zum Teil verschlossen. Der Übergang zwischen dem konkret Möglichen und dem Zauber – zwischen Traum und Tat, zwischen Idee, Umsetzung und Illusion – ist fließend. Dies bedeutet, dass man sich auch mit Phantasie an die Zeichnungen heranwagen sollte. Erst wenn man beim Betrachten diese "Dimension" mit einbezieht, kann man "herumschauen" in Verwunderung, sich vielleicht hin und wieder ein wenig wie Alice im Wunderland fühlen. Dann wird klar: so muss es sein, und nicht anders.
Cornelieke Lagerwaard aus: A. D. Trantenroth - Bestiftungen unter Zuckerpulversahnetee. Nürnberg 2001, S. 88-93
Redaktion: Sandra Kraemer, Claudia Maas
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