Im Jahre 1969, damals war Erwin Steitz 42 Jahre alt und wirkte als Kunsterzieher am Gymnasium zu Sulzbach, wurde in der Saarbrücker Zeitung ein Beitrag von ihm veröffentlicht, in dem er seine Gedanken zur künftigen Ausstellungspraxis von Kunstwerken äußerte. Jahrzehnte danach, erscheinen seine damaligen Aussagen erwähnens- und überlegenswert. "Könnte man", so hat er sich gefragt, "damit den Anspruch eines Museums für moderne Kunst begründen, Gültiges vom Ungültigen im Bereich der pluralistischen heutigen Kunst zu scheiden? Müssen nicht so Einseitigkeiten und Versäumnisse zumindest die unausbleiblichen Folgen sein? Ich meine", so führte er anschließend an diese Fragen aus," es gibt einen besseren und unserer Gesellschaftsordnung gemäßeren Weg, dem Ziel, um das es geht, wenigstens näher zu kommen: Es ist die offene Auseinandersetzung, in der viele Faktoren den notwendigen Klärungsprozess bewirken.
Engagement der einzelnen, Selektion und Stimulans der Gruppierungen, Kunstdemonstrationen, die zu überzeugen suchen, differenzierende und überbrückende Diskussionen sind da wichtiger als mit Amtsketten zu zelebrieren."
"Annäherungen" lautet der Oberbegriff, den der Künstler dieser Ausstellung gegeben hat, denn er ist der Überzeugung, dass der vielleicht wichtigste Beitrag jeder Gegenwartskunst darin besteht, eine größtmögliche Annäherung an die Würde und die Freiheit des Menschen zu ermöglichen. Und diese Erkenntnis ist mehr als eine bloße Altersweisheit; sie war und ist immer noch der Prozess einer Entwicklung, die den Künstler nicht ruhen lässt, auch in die Zukunft hinein seine Werke zu schaffen und sie seinen Mitmenschen als ein Mittel der Auseinandersetzung mit ihren Lebensumständen anzubieten.
Begonnen hat alles nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Zusammenbruch des glücklicherweise nicht "Tausendjährigen" Dritten Reiches. 1946 hat Erwin Steitz in Homburg Abitur gemacht und besuchte anschließend in Saarbrücken die Schule für Kunst und Handwerk. Er war sich durchaus bewusst, in einer Zeit zu leben, in der das durch den Nationalsozialismus heroisierte Bild des Menschen durch Auschwitz und Hiroshima als Lüge entlarvt worden war, und dass auch die Kunst gerade in Deutschland eine neue Sprache suchen und finden musste. Boris Kleint, der sich darum bemühte, neue Möglichkeiten der Gestaltung aufzuzeigen, und Karl Kunz, der konkretere und diszipliniertere Wege anbot, der Kunst zu einem ihr adäquaten Stellenwert zu verhelfen, waren in Saarbrücken seine Lehrer. Allerdings empfand er subjektiv die Situation an dieser Schule eher bedrückend und "entzog" sich bereits nach einem Jahr, wie er selbst sagt," diesem mich zunächst belastenden Druck durch meinen Wechsel zu Karl Hubbuch nach Karlsruhe". Dort blieb er bis zum Jahre 1951, dort lernte er die Erfahrungen in Saarbrücken im Nachhinein" als Vorteil zu schätzen", dort fand er schließ lieh auch seinen persönlichen Zugang zur Moderne. Ihren künstlerischen Niederschlag fand das Urerlebnis, im wahren Wortsinn eigenständige Kunst schaffen zu können, mit einer Holzschnittfolge zu Shakespeares Hamlet, die 1949 bei seiner ersten Ausstellungsbeteiligung in Freiburg gezeigt wurde. Er selbst beschreibt das damalige Geschehen mit den Worten: "In dieser Tragödie erlebte ich das Abgründige, in Schuld und Leid Verstrickte, Unentrinnbare menschlicher Existenz, Metapher für die eigene Zeit. Aus einem Zustand innerer Sammlung erfolgten rhythmisch gelenkte Striche, die die einzelnen Gestalten in einem System die Bildfläche verspannender Linien entstehen ließen. Es ging nicht mehr um die äußere Erfassung des Geschehens, sondern um die unter der Oberfläche wirkenden Kräfte und Strukturen, um eine Art Durchleuchtung wie im Röntgenbild.“
Noch einmal schuf Erwin Steitz im Jahre 1962 eine thematisch vorgegebene Folge von sechs Farbholzschnitten. Zu der Mappe "Metamorphosen" wurde er "angeregt von den", wie er sie nennt, "poetischen Verwandlungsspielen des römischen Dichters Ovid". Die Texte dazu hat Ludwig Harig verfasst.
Steht die Hamlet-Mappe für Erwin Steitz am Beginn seines nur ihm eigenen Kunstschaffens, so bilden die Holzschnitte zu den Metamorphosen Ovids in gewissem Sinne den Schlusspunkt einer Phase seines künstlerischen Schaffens. "Im Laufe meiner Entwicklung", so stellt er selbst es fest, "traten thematische Vorgaben mehr und mehr zurück zugunsten spontaner Erfindungen". In der Mitte der sechziger Jahre hatte er als Mittel zur Umsetzung seiner Hinwendung zur abstrakten Bildsprache den Rapidographen (Tuschestift) entdeckt, der es ihm ermöglichte, jetzt Zeichnungen entstehen zu lassen, die für ihn "Bewegungsspuren" im leeren Raum "sichtbar" machten, "die in Wechselwirkung zueinander stehen, Energieabläufe, die die Struktur der Welt kennzeichnen".
Seit dem Jahre 1990 hat dann die Pinselzeichnung den Rapidographen als gestalterisches Mittel abgelöst. In jüngster Zeit arbeitet Erwin Steitz verstärkt mit Kohlezeichnungen; dabei spielen Aquarellfarben bei der Ausgestaltung der Werke eine zunehmend größere Rolle. Sie verleihen den kräftigen oder auch feinen Strichen der Zeichnung eine malerische Qualität. In diesem Zusammenhang will ich lediglich auf eine Besonderheit des Künstlers hinweisen: Erwin Steitz lässt uns mit seiner vorwiegend abstrakten Bildersprache nicht allein, indem er seine Bilder uns mit der oft üblichen Bezeichnung "ohne Titel" vor Augen stellt. Er gibt ihnen einen Namen. Schon immer hat er dies getan. Zwar waren auf seinen Holzschnitten, die er beispielsweise 1956 in Homburg auf der Ausstellung "Die Jungen im Lande" mit den Titeln "Reiter", "Hahn" oder "Tänzer" gezeigt hat, noch ein realer Reiter, Hahn oder Tänzer zu sehen, aber auch nach seiner Hinwendung zur Abstraktion bemühte er sich, jedem seiner Werke eine Bezeichnung mit auf den Weg zu geben, die nach seinen Worten "passend, aber nicht einengend sein" sollte, um damit das besondere Verhältnis zwischen den in seiner inneren Welt entstandenen Bildern und den in der Außenwelt stehenden Betrachtern anklingen zu lassen. Beim Schauen seiner Werke können wir die Namensgebung im reinen Wortsinn annehmen, wir können sie als Allegorie auffassen, wir können sie auch ganz außer Acht lassen; der Qualität der Werke tut dies keinen Abbruch. Wesentlich ist nur, dass wir das Freie, das Spontane, das Rhythmische erfassen, mit dem Erwin Steitz sein subjektives Reagieren auf die Außenwelt ins Bild setzt.
Im Werk von Erwin Steitz findet man auch eine Reihe von durchaus realistischen Porträtzeichnungen, die er als seine "Menschenbilder" bezeichnet. Hierin offenbart Erwin Steitz, dass er seit seinen künstlerischen Anfängen bis heute immer wieder gern nach der Natur zeichnet, seien es Landschaften oder auch Tiere, vor allem aber Menschen mit ihrem für sie jeweils charakteristischen Ausdruck.
Was immer wir auch bevorzugen, die Menschenbilder, die Metamorphosen oder aber die aquarellierten Kohlezeichnungen, Erwin Steitz bietet uns eine vielfältige Gelegenheit zum unvoreingenommen Schauen und zu vorurteilslosen Gesprächen.
Günter Scharwath
Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung "Annäherungen“ im Alten Schloss, Dillingen 2004
Redaktion: Doris Kiefer
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