Otto Steinert wird 1915 in Saarbrücken geboren, studierte als Soldat Medizin, und wurde 1939 promoviert. (Biografie nach Eskildsen 2000, S. 218-223) 1947 eröffnete er ein Atelier für künstlerische Fotografie in Saarbrücken. Ein Jahr darauf firmierte er bis 1951 als offizieller Fotograf des Saarbrücker Theaters, wo er viele persönliche Kontakte zu darstellenden Künstlern aufbauen konnte. 1948 wurde Steinert von Henry Gowa an die Saarbrücker Schule für Kunst und Handwerk berufen und mit der Gründung einer Fotografie-Klasse beauftragt. Gleichzeitig wurde er Mitglied der Gruppe “fotoform“ und initiierte 1951 die bahnbrechende Ausstellung „subjektive fotografie“ in Saarbrücken, 1954 folgte die zweite und 1958 wurde die dritte Ausstellung dieses Namens veranstaltet. 1954 wurde Otto Steinert zum Professor ernannt. Als im Jahr 1955 mit dem Aufbau einer fotografischen Sammlung im Saarlandmuseum begonnen wurde, fand dies auch vor dem Hintergrund der Ausstellungen Otto Steinerts in Saarbrücken statt (Augustin, Geschichte 2009, S. 12). Die ersten Ankäufe wurden durch Steinert vermittelt und J. A. Schmoll gen. Eisenwerth formulierte diese Gründung im selben Jahr folgendermaßen: "Die Anlage von Foto-Sammlungen unter künstlerischen Gesichtspunkten (z. B. im Museum of Modern Art in New York, beim Saarlandmuseum in Saarbrücken und anderwärts) ist ein Schritt in die richtige Richtung."( Schmoll gen. Eisenwerth 1955, 38) Fünf Jahre später verließ Otto Steinert Saarbrücken und die Schule für Kunst und Handwerk, die er seit 1952 leitete. Er setzte seine Lehrtätigkeit in Essen an der Folkwangschule fort und baute dort seit 1961 eine namhafte fotografische Sammlung auf, die heute im Museum Folkwang beherbergt wird und zu den bedeutendsten Deutschlands gehört. Seit 1960 war Steinert Mitherausgeber des Jahrbuchs "Das deutsche Lichtbild". 1974 erhielt er das Bundesverdienstkreuz am Bande. Nur vier Jahre später starb Otto Steinert im Alter von 63 Jahren an einer Lungenentzündung.
1949 schließen sich die Fotografen Peter Keetman, Ludwig Windstoßer, Siegfried Lauterwasser, Toni Schneiders, Wolfgang Reisewitz und Otto Steinert zur Gruppe "fotoform" zusammen, die im Unterschied zu den Vertretern der Berufsverbände in ihren Arbeiten einen deutlich künstlerischen Akzent setzen. 1950 stellt sich die Gruppe auf der Photokina in Köln vor. 1951 organisiert Otto Steinert in Saarbrücken die erste von insgesamt drei Ausstellungen mit dem Titel "subjektive fotografie". Im Unterschied zu "fotoform" bemüht sich Steinert von jetzt an erfolgreich um ein internationales Forum für die Avantgardefotografie. Er reagiert mit seinem Konzept auf den alten Vorwurf seitens der Kunst, die Fotografie könne lediglich objektive Bilder der Welt herstellen. Denn die Betonung des Subjektiven weist auf den gestaltend künstlerischen Aspekt des technischen Mediums unter dem Vorzeichen eines abstrakten Bild- und Weltverständnisses hin. Damit distanziert sich Otto Steinert auch ganz gezielt von der Fotografie der "Neuen Sachlichkeit", die jegliche das Negativ manipulierende und gestaltende Eingriffe ablehnt.
Steinert sucht in seinen Ausstellungen mit Vertretern der Vorkriegsavantgarde wie Man Ray, Moholy-Nagy und Raoul Hausmann programmatische Anknüpfungspunkte zum französischen Surrealismus wie zum Bauhaus herzustellen. Bei der "Hommage à Oskar Schlemmer" aus dem Jahr 1949 wird die Auseinandersetzung mit der Kunst des Bauhauses ganz besonders deutlich. Vor schwarzem Grund tauchen zwei helle menschenähnliche Figuren auf. Vorlage ist eine Gelenkpuppe aus Stahlrohr, die eigentlich als Modell für anatomische Studien in der Bildhauer- und Modeklasse an der Saarbrücker Kunstschule diente. Während die kleinere Figur eine Aufnahme der rotierenden Puppe darstellt, wird in der vorderen diese Bewegungsaufnahme in das Bild des statischen Modells montiert. Steinert nimmt die Figurinen mit der Kamera auf, schneidet die Negative um die Figuren herum aus und projiziert sie auf den lichtempfindlichen Bildträger. Die weißen rechtwinkligen Linien deuten eine unklar definierte Räumlichkeit des Bildes an und rühren von transparenten Stäben her, die Steinert gleichzeitig mit der Belichtung der Negative auf das Fotopapier legt. Das Bild ist also in einer experimentellen Mischtechnik von Langzeitbelichtung, Kopiermontage und Fotogramm entstanden. Steinert bedient sich auf diesem Wege fotografischer Verfremdungsverfahren, mit denen bereits vor dem Kriege der gestaltend künstlerische Aspekt in der Fotografie hervorgehoben wurde.
Die Montage der rotierenden Figurine mit dem statischen Bild derselben lässt eine Transformation von Linearität zu plastischer Körperlichkeit erkennen. Eine derartige Wandlung durch den medialen, fotografischen Zugriff findet man zuvor schon in einer Fotografie, die von Naum Gabos "kinetischer Konstruktion" aus dem Jahr 1920 aufgenommen wurde. Ein in Schwingung versetzter Metallstab wird im fotografischen Bild zu einem Lichtkörper. László Moholy-Nagy bezeichnet dieses Phänomen als "virtuelles Volumen" (Moholy-Nagy 1968, S. 156) - eine Körperlichkeit, die erst über das Medium der Fotografie sichtbar wird. Genau so verhält es sich bei den Rotationsfiguren Otto Steinerts. Die Lichtspuren der fotografisch festgehaltenen Bewegung umziehen das stählerne Skelett mit einer virtuellen Haut. Erst im fotografischen Zugriff bildet sich die Körperlichkeit heraus. (Vgl. Koenig 1988, S. 192)
Direkter und deutlicher als auf Gabo und Moholy-Nagy bezieht sich Steinert aber im Titel des Bildes auf Oskar Schlemmer (1888-1943), der sich in den zwanziger Jahren dem Tanz an der Bauhausbühne widmet. Für sein "Triadisches Ballett" entwickelt Schlemmer Kostümstudien, die auf geometrischer Basis das Potenzial menschlicher Bewegung im Raum veranschaulichen (vgl. Koenig 1988, 186-194). Während Schlemmer in der geometrischen Zeichnung einen technischen Organismus konstruiert, zeichnet sich die Technizität bei Steinert nicht durch Typisierung des menschlichen Bewegungsapparates aus. Statt einer abstrakten Objektivierung des Menschen vertritt Steinert eine Subjektivierung der Technik. Er verleiht dem ohnehin schon auf die technische Bewegung abstrahierten Modell aus Metall zwar eine virtuelle, aber ungeometrisch-individuelle Gestalt, die allerdings in einem technischen Medium erschaffen wird. Trotz der Referenzen an die Kunst der zwanziger Jahre in Hinsicht auf die Gestaltungselemente in der Fotografie entwirft Steinert mit "Strenges Ballett" eine Umformulierung von Schlemmers mechanistischem Menschenbild hin zu einem individualisitischen Prinzip. Steinert thematisiert in "Strenges Ballett – Hommage à Oskar Schlemmer" die konfliktgeladene Spannung zwischen Mensch und Technik, die in Anbetracht des technisch bedingten Zerstörungspotenzials im Zweiten Weltkrieg zu Beginn der fünfziger Jahre eines künstlerischen Kommentars bedarf. Während die konstruktivistische Kunst am Bauhaus ein bisweilen euphorisches Verhältnis zur Technik zum Ausdruck bringt, beschwört Steinert geradezu die Notwendigkeit einer subjektiven Steuerung derselben. (Steinert 1952, S. 6)
Das 1955 vom Saarlandmuseum erworbene Bild stellt nicht nur einen Grundstein für die Fotografische Sammlung des Hauses dar, sondern problematisiert in exemplarischer Weise wie auch die Arbeit "Verspielter Punkt" aus dem Jahr 1948 das Verhältnis nicht nur zur Avantgarde der zwanziger Jahre, sondern auch zur abstrakt orientierten Nachkriegskunst. Diese Nähe wird anhand der gegenstandsfreien Lichtzeichnungen "Lampen an der Place de la Concorde" und "Luminogramm" aus dem Jahr 1952 besonders deutlich. Beide Arbeiten sind das Ergebnis einer Aufnahme mit bewegter Kamera und geöffneter Blende, die schließlich Bewegungsprotokolle einer Lichtquelle wiedergeben. Derartige Arbeiten kennt man etwa von Peter Keetman, der sie mithilfe eines Lichtpendels erzeugte und so ein geordnetes geradezu physikalisch-technisch anmutendes Bild hervorbrachte. (Spies 1991, S. 322; Sachsse 1996, S. 23) Steinerts Luminogramme sind dagegen wilde Gestikulationen, die einer impulsiven Aktivität zu entspringen scheinen und eher an die individualistisch angetriebenen Drip-Paintings Jackson Pollocks oder auch an die im selben Zeitraum entstandenen gestischen Malereien eines Karl Otto Götz erinnern. Steinert gelingt es zum einen, fotografische Bilder zu generieren, die nicht mehr der Darstellung dienen, sondern Lichtzeichnungen in einem ganz elementaren Sinne hervorbringen, die seiner Meinung nach den höchsten, reinsten und freiesten Grad fotografischer Gestaltung darstellen. (Steinert 1955, S. 12) Gleichzeitig definiert Steinert den fotografischen Zeitbegriff neu, wenn er in einem stehenden Bild im Unterschied zum Film nicht einen Bewegungsablauf vortäuscht, sondern fotografische "Echtzeit" über einen längeren Zeitraum und nicht nur den legendären "Augenblick" festhält. Mit dem fotografischen Zeitbegriff setzt sich Otto Steinert nicht nur in seinen abstrakten Motiven auseinander, sondern auch in Arbeiten wie "Appell" aus dem Jahr 1950, eine Fotografie, die in Paris aufgenommen wurde und ihren Titel einem der im Mittelgrund abgebildeten Plakate verdankt. Hier ist es, ähnlich wie in seiner Arbeit "Ein-Fuß-Gänger", der Mensch, der seine Körperlichkeit in der Bewegung verliert. Es wird, quasi in Umkehrung zur "Hommage à Oskar Schlemmer", die Konstruktion von der Abstraktion abgelöst. Eine weitere Technik Steinerts fotografischer Abstraktion erkennt man in den Arbeiten "Schwarzwaldhang" und "Schwarzwalddach" aus dem Jahr 1956. In der Tonwertverkehrung des Negativabzuges wird eine grafische Verfremdung des Motivs vorgenommen, die darauf abzielt, die für den plastischen Bildeindruck verantwortlichen Grauwerte zu eliminieren und den Rhythmus von Linien, Punkten und Flächen auf sich selbst zu reduzieren. Steinert spricht in diesen Fällen von Strukturen, die in der subjektiven Fotografie eine große Rolle spielten. (Steinert 1955, S. 9) Die klare begriffliche Differenzierung von Faktur, Textur und Struktur, wie sie in der Bauhauspädagogik vorgenommen wurde (Moholy-Nagy 1968, S. 33ff), wird von Steinert und seinen Schülern aufgegeben und die drei Begriffe werden als "Struktur" subsumiert. Geblieben ist das ambitionierte und am Begriff der Produktion (Kemp 1999, S. 16) orientierte Vorhaben, mittels der Fotografie neue Bereiche der sichtbaren Welt zu erschließen.
Roland Augustin
(leicht geänderte Fassung des Beitrags über Otto Steinert in: Gebanntes Licht. Die Fotografie im Saarlandmuseum von 1844 bis 1995. Ausstellungskatalog Saarlandmuseum Saarbrücken 2009, S. 141-149)
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