Schon früh entwickelte Angela Pontius Interesse für die bildende Kunst, aber auch für Musik und Literatur. 1980 nahm sie das in jungen Jahren bereits praktizierte plastische Modellieren wieder auf und belegte zwischen 1982 und 1988 Kurse an der Europäischen Akademie für Bildende Kunst in Trier bei den Dozenten Heijo Hangen und Guido Bidinger. Über viele Jahre hinweg arbeitete sie seit 1983 außerdem in wöchentlichen Aufenthalten in Bidingers keramischer Werkstatt und schuf in dieser Zeit Dutzende von Tonfiguren, von mit Motiven bemalten, glasierten Schalen, von Gefäßen und Reliefs. Wie die späteren Gemälde bleiben die oftmals archaisch anmutenden Keramiken auf der Schwelle zwischen Abbildung und gestalterischem Experiment.
Seit 1990 gewinnen die ursprünglich vorwiegend als Vorbereitung plastischen Gestaltens angefertigten Skizzen an Eigenbedeutung, indem sie zu selbstständigen Zeichnungen und Farbbildwerken avancieren. Es sind intime, sehr sensible Papierarbeiten von intensiver Ausdruckskraft. Oft fließen die Techniken ineinander, gehen Malerei und Zeichnung Hand in Hand. In den Gemälden finden sich linear strukturierte Partien, in den Zeichnungen umgekehrt mit dem Pinsel aufgetragene Farbinseln, die einen Kontrast zu den Leerstellen des weißen Papiers und den gezeichneten Linien aufbauen. Drucktechnische Verfahren können in den gemalten Bildern die Oberflächenstruktur stellenweise mit filigranen Mustern bereichern. Wie ein Schleier liegen hier die Farbsprengsel auf dem Blatt. Sie erzeugen Transparenz, lockern die Farbdichte in ähnlicher Weise auf wie die nachträglich auf den Tuschefeldern aufgebrachten Kreidespuren. Das Resultat ist ein leuchtendes, sattes Kolorit, das sich mit Verwischungen oder harten Zäsuren wie in den Collagen ins Diffuse, Mehrdeutige verunklärt.
Über die Jahre hinweg bleibt die Künstlerin ihren bevorzugten Themen treu. Es sind Darstellungen aus der Bibel, vor allem dem Alten Testament, der Mythologie, Literatur und Musik. Vielfach werden sie als Bildfolgen entwickelt und geben verschiedene Aspekte oder Charaktere der Ausgangserzählung wieder, so z. B. Saul und David aus dem Buch Samuel, Salomon und die Königin von Saba aus dem Buch der Könige, Kassandra oder Orpheus aus der griechischen Mythologie, die raunenden, schicksalsbestimmenden Nornen aus der nordischen Sagenwelt.
Auch musikalische Vorlagen liefern Material für bildnerische Fassungen: Mozarts Oper Don Giovanni, Felix-Mendelssohn-Bartholdys Oratorium Elias, diverse Kompositionen von Claude Debussy, etwa die Prélude, eine sinfonische Dichtung nach Stéphane Mallarmés Gedicht L‘après-midi d‘un faune. Weitere Anregungen bieten ihr Clair de la lune, der berühmte dritte Satz aus der Suite bergamasque, der ebenfalls auf der Grundlage eines Gedichtes, diesmal von Paul Verlaine, entstand, oder der dritte Satz der Estampes mit der poetischen Bezeichnung Jardins sous la pluie.
Angela Pontius faszinieren die lyrischen, landschaftsmalerischen Musikstücke, in denen Debussy die klassisch-romantische Tradition in eine eigenständige, die Moderne einleitende Harmonik verwandelt. Er gilt als Hauptverteter des Impressionismus, und seine sphärischen Klangbilder übten Einfluss auf die impressionistische Malerei z. B. Claude Monets oder Paul Gauguins aus. Die Prélude zu L‘après-midi d‘un faune diente aber auch 1912 dem russischen Ausnahmetänzer Vaslav Nijinsky als musikalische Begleitung seines gleichnamigen Balletts. Das Tänzerische und Fließende dieser Musik fand hier eine körperliche Umsetzung, bei Pontius, 100 Jahre später und immer noch aktuell und animierend, eine bildkünstlerische.
Die Titel ihrer Werke verweisen auf die Inspirationsquellen. Doch die Bilder selbst breiten die bekannten Erzählstoffe nicht detailverliebt und mit ikonografischen Finessen episch aus. Es geht nicht um die Story, um die Schilderung von Handlungen. Dafür treten abstrakte Gestaltungsabsichten zu auffällig in den Blick und betonen skizzenhafte Elemente zu offensichtlich das Suchende, Unfertige, Provisorische. Die Bildfiguren, seien es nun Personen, Gegenstände oder Landschaftsausschnitte, tauchen wie Traumgespinste aus dem rhythmischen Geflecht von Farbflecken auf. Gleitende Bewegungen und "fließende Momente", wie der Titel einer ihrer Einzelausstellungen lautet, dominieren den Eindruck. Die Musik, Ausgangspunkt vieler Darstellungen und Grundtenor ihres Lebens, prägt auch den Duktus ihrer künstlerischen Handschrift. Wird der Tanz selbst zum Thema erhoben, dann niemals als unbeschwertes Vergnügen, sondern als Ausdrucksform existenzieller Erfahrungen wie Verführung, Verlockung, Hingabe, Verderben oder Tod, so in Tanz der Salomé, Erlkönigs Töchter und Tanz der Nornen.
Inhalte, die zeitgemäße Ereignisse und Tendenzen reflektieren, findet man in den Tuschemalereien kaum. Zwar gibt es bildnerische Verarbeitungen persönlicher Eindrücke von profanen Begebenheiten wie die Feier einer Goldenen Hochzeit oder Zeichnungen von Menschen im Seniorenheim – einmal humorvoll, einmal sehr ernsthaft –, doch greift Pontius lieber auf einen Fundus klassischer Erzählungen zurück, die sich mit zeitlosen, typisch menschlichen Verhaltensmustern und Wesenszügen auseinandersetzen. Mit ihren uralten Wahrheiten berühren sie den Kern des Menschseins: Individualität und soziale Bindung, Liebe und Leiden, Würde, Authentizität und Maskerade, Verführbarkeit und Macht, Schicksal und Tod.
Auf diese Parameter, auf die jeweils subjektiv widerfahrenen, archetypischen Daseinsaspekte kommt es der Künstlerin an, und kommt es der Kunst prinzipiell an: Sie liefert individuelle Interpretationen von Herausforderungen, die alle Menschen tangieren, und damit Möglichkeiten der Problembewältigung. Um das zu erreichen, braucht es nicht notwendig eine Bildsprache mit identifizierbaren Motiven, ganz im Gegenteil, ungegenständliche Formulierungen können auf der rein sinnlichen Ebene elementare Erlebnisse und Empfindungen viel unmittelbarer auslösen. Farbwirkungen spielen hier eine entscheidende Rolle, aber auch kompositorische Gewichtungen, Rhythmik oder der Malgestus.
In den Werken von Angela Pontius ist beides gegeben: figürliche und formale, vom Gegenständlichen unabhängige und meist von der Farbe getragene Bildhandlung. Ihre ästhetischen Erfindungen verweisen darauf, dass Dissonanzen den Einklang nicht selten unterwandern. Sobald uns nämlich die kräftigen, leicht transparenten Farben in ihren Sog ziehen, verhindern Brüche die Gefahr einer gefälligen Harmonie. Es bleibt etwas Undurchschaubares und Rätselhaftes, das den Reiz dieser zugleich starken und feinfühligen, leisen Arbeiten ausmacht.
Petra Wilhelmy
Redaktion: Petra Wilhelmy
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