Georges-Henri Pingusson gehörte wie Marcel Roux, André Sive, Edouard Menkès, Jean Mougenot und Pierre Lefèvre zu der Gruppe französischer Urbanisten, die unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Wiederaufbau saarländischer Städte beauftragt waren. Der Militärgouverneur und spätere Botschafter Gilbert Grandval hatte dabei Pingusson als Chefplaner mit der Rekonstruktion Saarbrückens betraut.
Diese Urbanisten waren zugleich Stadtplaner und Architekt und hatten die Strömungen der modernen französischen Architektur in ihrem bis zum Zweiten Weltkrieg geschaffenen Werk aufgenommen.
Pingusson, 1894 geboren und nur wenige Jahre jünger als der mit ihm befreundete und geistesverwandte Le Corbusier hatte nach einer Ausbildung zum Elektro-Ingenieur ab 1920 an der Pariser École des Beaux Arts im Atelier des traditionsverbundenen Gustave Umbdenstock Architektur studiert und sich 1925 selbständig gemacht. Von da an spielte er eine bedeutende Rolle in der Architekturszene Frankreichs. Er verteidigte entschieden die Funktionalität der Moderne, die Klarheit und Strenge ihrer Formen, nutzte die neuen Materialien und die damit gegebenen Möglichkeiten einer Vorfabrikation und Standardisierung. Aber er sah auch schon früh die Grenzen und betrachtete sie kritisch. Er verweigerte sich einer unter rein merkantilen Gesichtspunkten entstandenen Architektur.
Indem er überlieferte Materialien oder regionale Besonderheiten in seinem Werk aufnahm, gewann seine Architektursprache eine poetische Komponente, eine den Menschen vertraute. Er hatte keine strenge Doktrin. Wichtig war ihm die ästhetische Form als Ergebnis eines kreativen Aktes, der geistige Ideen und gleichzeitig materielle Qualität bezeugt. Und er sah in der Architektur eine Disziplin, die sich nicht auf den Enzurf und seine Realisierung beschränkt, sondern die Bevölkerung teilnehmen lässt, um sich der notwendigen wirtschaftlichen Aufgaben und der menschlichen Bedürfnisse zu vergewissern. Dieser soziale Aspekt begleitet das gesamte Werk.
Am Anfang des realisierten Werkes von Pingusson stehen eine Reihe von Villen an der Côte Basque und der Côte d'Azur. Sie zeigen seine Entwicklung von einer regionalistisch geprägten Architektur hin zum Formenvokabular des Internationalen Stils. Das Hotel 43 Latitude, in St. Tropez 1929 bis 1932 erbaut, ging in die Architekturgeschichte ein und zählt bis heute zu den Hauptwerken der französischen Moderne. Die Architektur erinnert an einen Ozeandampfer. Der große Gebäudekomplex inmitten eines Pinienhaines enthält an die einhundert Zimmer, ein Restaurant, eine Tanzbar und ein Casino sowie eine Reihe von Geschäften. Dazu kommt ein großer Sportbereich mit Schwimmbädern und Tennisplätzen. Betrachtet man die durch langgezogene Fenster- und Brüstungsbänder betonte horizontale Linienführung, die abgerundeten Enden des schmalen Bauriegels, die aufsteigenden Vertikalen von Treppenhaus und Kamin, die begrünten Dachterrassen, dann sind die Ähnlichkeiten mit einem Schiff nicht zu übersehen. Pingussons Begeisterung für technische Errungenschaften, Flugzeuge und Schiffe, finden Ausdruck in der Form seiner Architektur, darin Le Corbusier verwandt. Eine Besonderheit sind die Flure des Hoteltraktes, die nur einseitig Zimmer erschließen, auch dies einem Dampfer vergleichbar. Durch eine raffinierte Konstruktion, bei der die Deckenhöhe der Erschließungsflure um ein halbes Geschoss abgesenkt ist, werden die Zimmer zweiseitig belichtet. Sie geben den Blick frei auf das Golfpanorama im Norden wie im Süden auf das Landesinnere. Pingusson wird diese Erschließung auch in seinem späteren Werk immer wieder anwenden. Die geometrisch strenge Architektur des Hotel 43 Latitude erhält durch die schmiegsame und elegante Linienführung, durch das rhythmische Gleichgewicht der Einzelteile, die sich alle dem Gesamtprogramm einordnen, und durch Pilotis eine schwebende Leichtigkeit. Zusammen mit der Materialität - das Betonskelett ist mit dem regionalen Baumaterial, dem Ziegelstein, ausgefacht - erhält der Komplex eine überzeugende Aussagekraft.
1937 zeichnete Pingusson gemeinsam mit Philippe Jourdain und André Louis für den Ausstellungspavillon der U.A.M. auf der Pariser Weltausstellung verantwortlich, der innerhalb von zehn Wochen aus standardisierten Metallelementen errichtet wurde. Gleichzeitig entstand gemeinsam mit dem Freund Robert Mallet-Stevens der Pavillon "Électricité et de la Lumière". Die leicht gekurvte Fassade formt einen riesigen Wandschirm.
Vom Sommer 1945 bis Januar 1950 war Pingusson als Planer im Wiederaufbauamt mit der Rekonstruktion der Stadt Saarbrücken beauftragt. Er wurde dabei zum ersten und bis heute einzigen, der einen umfassenden Masterplan für die Gesamtstadt erarbeitete. Auf der Grundlage einer genauen Analyse des Stadtgebietes unter topografischen und klimatischen, unter demografischen und hygienischen, verkehrlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten entwickelte er seinen Plan. Er untersuchte Geschichte und Siedlungsformen, die Verteilung städtischer Funktionen, wertete Bevölkerungsstatistiken aus, berücksichtigte die Zerstörungen und erhaltene geschichtsträchtige, wertvolle Bauten und Ensemble. Sein Leitbild war das 1933 in der Charta von Athen festgelegte und seitdem als ideal geltende Stadtplanungsmodell. Das bedeutete eine funktionale Aufteilung der Stadt in Industrie- und Arbeitszonen, in Wohngebiete, in Verkehrsbereiche und solche der Kultur und der Freizeit. Damals glaubte man, mit der Funktionstrennung das Heilmittel gegen ungesunde Lebensverhältnisse gefunden zu haben. Und Pingusson wollte "das Leben in dieser Stadt gesund und praktisch gestalten und damit lebenswert machen." (Bau-Zeitschrift, S. 38) Das Ergebnis war ein Wiederaufbauplan, der die überlieferten Missstände beseitigen würde, sich in bestimmten Stadtbereichen jedoch radikal über bestehende Strukturen hinwegsetzte, um ein neues Erschließungssystem einzuführen, gleichzeitig aber auch die barocken Sichtachsen herausarbeitete und die Stadtkerne um St. Johanner Markt, Schloss und Ludwigskirche respektierte und behutsam sanierte.
Pingusson plante ein zusammenhängendes Verkehrsnetz mit großen Durchgangsstraßen ohne niveaugleiche Kreuzungen. Fußgänger, PKW und Schwerlastverkehr erhielten je eigene Bereiche. Zwei Ringstraßen bildeten unter Benutzung alter Straßen einen großen äußeren Gürtel, der die bereits bestehenden Bahnstrecken begleitete und damit Verkehrsbelästigungen bündelten. Den Durchgangsverkehr sollten die Hafeninsel und Saar überquerende Nord-Süd-Achse sowie senkrecht dazu, entlang des Flussufers, eine Ost-West-Achse aufnehmen. Eine große äußere Verbindungsstraße durch das Deutsch-Mühlental würde den Fernverkehr bewältigen. Die Straßenbahn wollte Pingusson aus der belasteten Stadtmitte herausnehmen und in diesem Bereich als Untergrundbahn führen. Und schließlich wollte er die Saar regulieren und zwischen Burbach und Luisental einen Industriehafen, zwischen Völklingen und Fenne einen neuen Kohlehafen mit direktem Bahnanschluss ansiedeln. Auf der Hafeninsel plante Pingusson einen großen zentralen Platz als neuen Mittelpunkt der Stadt. Hier am Ufer der Saar siedelte er das Regierungsviertel mit repräsentativen Bauten an, Geschäfte sollten im Umkreis des Hauptbahnhofs entstehen. Im Südosten, angrenzend an Alt-Saarbrücken sah er das kulturelle Viertel vor, im Anschluss an das Regierungsviertel ein gemischtes Wohn- und Geschäftsviertel und im Westen dann ein Gelände für Industrieausstellungen, internationale Messen und Sportanlagen, die alle wegen des großen Publikumandranges gute Verkehrsanbindungen benötigten. Den je besonderen Charakter der einzelnen Stadtteile unterstrichen öffentliche Gebäude, Konservatorium, Oper, Bibliothek, Universität und Kunstgewerbeschule plante er im Anschluss an die Altstadtkerne, Handels- und Handwerkskammer, Post- und Bahndirektion, Versicherungen zwischen Saar und Bahnhof, die Spitäler an den Sonnenhalden von Triller, Reppertsberg, Winterberg und Kieselhumes. In den Bruchwiesen plante er eine Wohnsiedlung aus mehrstöckigen Gebäuden in strenger Nord-Süd-Ausrichtung, die eine im Tagesablauf optimale Ausnutzung der Sonneneinstrahlung in den Wohnungen ermöglicht. Wohnungen in Mehrgeschossbauten und Hochhäusern, umgeben von großzügigen Grünanlagen, wies Pingusson eine erzieherische Aufgabe zu. "Sie sollen durch ihren Stil, ihre ganze Anlage erzieherisch wirken und helfen, die Freundschaft für kommende Generationen zu säen" (Die Saar, S. 43)
Am Kieselhumes plante er eine "Wohnkolonie erster Klasse in freier Ordnung", also ein Villenviertel, auf den Hängen im Süden ebenfalls Wohnsiedlungen. Genauso wie er die erhaltenen Wohngebiete Rastpfuhl, Rodenhof, Am Homburg und Rotenbühl bewahrte, tastete er auch die alten Stadtkerne von Alt-Saarbrücken und St. Johann nicht an. "Eine Stadt zweckmäßig zu bauen, ihr Leben praktisch und leistungsfähig zu gestalten, erfüllt nicht alle Ziele der Stadtbaukunst; sie will vielmehr, dass eine Stadt auch schön ist," war er überzeugt. Er zählte die natürlichen Schönheitselemente auf: "Die Saar selbst, deren Ufer heute auf langen Strecken unausgenutzt, zur Schaffung einer Prachtstraße, der neuen Stadt würdig, benutzt werden sollen, die bewaldeten Hänge, der Felsen des alten Schlosses, die Anhöhen des Halberges und Kaninchenberges, alte Architekturen von Wert, wie die Ludwigskirche mit Ludwigsplatz und der St. Johanner Markt. … Zum Wesen des St. Johanner Marktplatzes mit seinem verträumten Barock passt zum Beispiel keineswegs der Lärm der großen Verkehrsstraße." (Bau-Zeitschrift, S. 50) Den Schlossgarten erweiterte er zu einer noch über die Zähringerstraße hinausführenden Grünanlage. Am Ludwigsplatz entstand zwischen Palais Lüder und Palais Freytal die Stengelsche Nordpromenade wieder und ermöglichte den Blick über den Bahnhof zum Ludwigsberg. In Höhe der Sulzbachstraße verband ein neuer Platz Bahnhofstraße und Saarufer.
Die französischen Urbanisten und auch Pingusson fühlten sich als "Träger einer Sendung des französischen Städtebaus, dessen große und klare Linien sich logisch und bereitwillig dem strukturellen Grundriss der Stadt und ihrer historischen Vergangenheit überordnen sollen." (Die Saar, Städtebau. 1946, S. 36) Doch die Radikalität einer solchen rationalen Planung verband Pingusson zumindest in den erhaltenen Stadtbereichen mit der überlieferten Struktur. Mit seinem Plan machte Pingusson aus der kleinen, eher behäbigen Großstadt eine Metropole. Die Umsetzung war auf zwanzig Jahre angelegt. Bereits am 14. September 1946 präsentierte er seine Wiederaufbaupläne dem Stadtrat und legte sie immer wieder auch der Öffentlichkeit zur Diskussion vor. Denn er war davon überzeugt, dass gegen die Vorstellungen der Bevölkerung kein Plan gelingt. "C’est pourquoi l’urbaniste qui a concu une cité nouvelle, une ville satellite ou un grand ensemble, ne pas seulement étre utilisé comme un serviteur occasionnel qui ayant fait son plan, est éloigné de sa réalisation, détaché de la vie de son ouvre. Il devrait avec l’architecte qui la prolonge, écouter les habitants, partager leur vie et leur ambitions, se faire l’associé et l’auxiliaire de leur accomplissement, on ne peut sans lui maintenir sa vision initiale garder l’esprit et l’ enthousiasme de sa création." (o. D. 46 IFA 23/793)
Am 6. Januar 1947 empfahl der Stadtrat, grundsätzlich diesen Plan als Grundlage des Wiederaufbaus der Stadt zu betrachten und beschloss ihn eine Woche später, am 13.1.47. (SZ vom 14.1.47 "Ein neues Saarbrücken wird gebaut") Dennoch wurde er aus vielfältigen Gründen nicht umgesetzt, obwohl Pingusson ihn immer wieder revidierte und für einzelne Bereiche auch konkretere Planungen vorlegte. Sie aber konkurrierten mit gleichzeitigen Überlegungen der deutschen Planer im Stadtplanungsamt. Insbesondere Stadtbaurat Karl Cartal hatte schon einen Wiederaufbauplan fast fertig gestellt, als Pingusson mit seinen Überlegungen begann. Cartal kritisierte: "die monumentale Achsenführung der Verkehrsstraßen und das neugewählte Moment der Hochhausbebauung verursachen eine vollständige Veränderung des Stadtbildes." (StA Sb, G 60 Nr. 72. Unterscheidungsmerkmale zwischen dem Bebauungsplan der französischen Militärregierung und den Wiederaufbauarbeiten der Stadtbauverwaltung.)
Zu einer "vertrauensvollen Zusammenarbeit" zwischen Pingusson und den deutschen Planern, wie sie von Grandval gewünscht wurde, ist es nie gekommen. Für das weitgehend zerstörte Umfeld des Saarbrücker Bahnhofs entwickelte Pingusson einen Verkehrs- und Wiederaufbauplan, der die ursprüngliche Struktur völlig veränderte und neue Straßenzüge entstehen ließ. (Schreiben Pingusson vom 5.6.1948 "Bahnhofsvorplatz") Er bewahrte Bergwerksdirektion, Landeszeitung, Post- und Bahnhofsbauten, nahm aber keine Rücksicht auf bereits weitgediehene Umbaupläne der Vorkriegszeit und einen begonnenen Straßentunnel. Seine Bahnhofsanlage war weitaus größer und legte Wert auf eine vollständige Trennung von Fernverkehr, Ortsverkehr und Fußgängerströmen. Die den Platz tangierende Schnellstraße führte unter den einmündenden Straßen - heute Reichs- und Kaiserstraße - hindurch. So setzte sich seine Vorplatzanlage aus drei Ebenen zusammen: dem eigentlichen Platz als An- und Abfahrt, sowie Abstellplatz für Autos und um ihn herumgeführt, übereinander gestaffelte Fußgängergalerien, verbunden durch Treppen und Übergänge. Die Eisenbahndirektion lobte zwar die großzügige Gesamthaltung der Pingusson-Pläne, bemängelte aber die zu starke Berücksichtigung des Autoverkehrs und die fehlende Platzgeschlossenheit. Aus wirtschaftlichen Gründen entschied sie sich dagegen und stellte eigene Überlegungen an. (Schreiben der Eisenbahnverwaltung vom 24.6.1948)
Noch bis Ende 1949 versuchte Pingusson, seine Pläne zu retten, dann zog er sich aus Saarbrücken zurück. In seinem Kündigungsschreiben an Grandval heißt es: "Die gestrige Versammlung vom 24.10 hat … die Unmöglichkeit einer Stadtplanung offenbart. Während dieser Sitzung, die alle denkenden Köpfe der Saar versammelte, bzw. die Mehrheit der für die Zukunft des Landes verantwortlichen Persönlichkeiten, hat keine Stimme außer unserer, Interesse und Unterstützung für die Stadtplanung Saarbrückens, die ich seit vier Jahren verteidige, gezeigt. Zwei Minister waren anwesend und haben durch ihr Verhalten ihre wahre Meinung gezeigt. Der Ministerpräsident hat gleichzeitig die Gültigkeit der Planung angenommen und ernsthaft vorgeschlagen, entgegen der Planung wieder aufbauen zu lassen mit dem Ziel, später abzureißen was schlecht gebaut wurde, wenn die florierende Wirtschaft es erlauben würde. Wie soll man unter diesen Bedingungen weiter hoffen, die Stadtplanung zu Ende zu bringen, wenn die für ihre Förderung verantwortliche Macht dagegen kämpft und sie gleichzeitig als technisch für gut erklärt? Jede Planung braucht eine Macht, die sie unterstützt. Da Sie erkannt haben, dass das Haut Commissariat nicht mehr direkt an dieser Planung interessiert ist, da ich auch keine Kontakte mit meinen Abteilungschefs bekommen kann und an keinem entscheidenden Gespräch mitwirken kann, sehe ich mich dazu gezwungen, diese anstrengende und unmögliche Tätigkeit aufzugeben. Ich bitte Sie, Monsieur le Haut Commissaire, mich von meinem Amt zu entbinden." (übersetzter Briefentwurf an Grandval vom 25.10.49, 46 IFA 26/253) Auf Bitten von Grandval wartete Pingusson noch mit der endgültigen Kündigung bis zum 31.12.1949. Er bekundete noch einmal sein Erstaunen darüber, "dass ein Staatsoberhaupt, Ministerpräsident und Aufbauminister nie das Interesse gezeigt hat, eine Diskussion mit den regionalen oder hauptstädtischen Verantwortlichen für die Stadtplanung zu führen und jede angebotene Entwicklungsmöglichkeit grundlos verschoben hat. Nicht weniger kurios ist die Tatsache, dass ohne einen Meinungsaustausch mit denselben Verantwortlichen zu führen und ohne sein Wissen Anordnungen getroffen wurden, um den Hauptteil des Planes zu verabschieden, obwohl hierfür keine absolute Notwendigkeit bestand." Er meinte damit das Alt-Saarbrücker Gebiet um die Eisenbahnstraße. "Dieses durch die starke Zerstörung fast vollständig abgetragene Viertel könnte sehr glückliche Änderungen erfahren. Der Verzicht, diese Möglichkeiten zu nutzen, sowie jeden Tag mit ansehen zu müssen, wie man sich weiter von dieser Gelegenheit entfernt, ist eine Entscheidung, der ich mich nicht unterordnen kann. Es bleibt mir also nur übrig, mein Amt niederzulegen. Trotzdem bin ich überzeugt davon, dass in dem heutigen Zustand die Stadtplanung Saarbrückens schon mit den geringsten und unvollkommensten gesetzgebenden und finanziellen Mitteln realisierbar wäre. Der Wille, zum Ziel zu kommen, müsste nur da sein. Ich bin auch davon überzeugt, dass die Richtlinien des Projektes fortbestehen werden, doch das Zögern in der Leitung des Wiederaufbaus hat die Feindseligkeiten soweit anschwellen lassen, dass es nicht mehr in meiner Macht steht, sie allein zu beherrschen." (übersetzter Abschiedsbrief an Grandval vom 24.11.49, 46 IFA 26/253) Der Ministerpräsident verlängerte seinen Vertrag noch einmal bis in den April 1950. Pingusson war bereits nach Paris zurückgegangen.
Dennoch baute er zwischen 1950 und 1954 im Auftrag von Grandval die französische Botschaft, das heutige Bildungsministerium in Saarbrücken. Man wählte dafür eine herausgehobene Lage, nämlich den Schnittpunkt der beiden großen Verkehrsachsen und gewann damit einen perspektivischen Abschluss des zentralen Platzes auf der Hafeninsel. Die Botschaft wurde zum einzigen realisierten Bau seines Planes, der hier eine das Saarufer säumende Reihe von Hausscheiben vorsah. Seit 1948 hatte Pingusson Entwürfe für die Industrie- und Handelskammer und andere Verwaltungsbauten gefertigt, auf Piloti gestellte lange Rechteckscheiben, von Treppentürmen rhythmisiert und mit einer untergeschobenen Eingangshalle. In der Botschaft nun sah Pingusson ein Fanal zur Umsetzung seines Planes. Gleichzeitig schrieb er ihr die symbolische Bedeutung als Zeichen für den Frieden zwischen den Völkern zu. Er nahm dafür auch in Kauf, dass die beiden bauleitenden Saarbrücker Architekten Hans Bert Baur und Bernhard Schultheis seinen Entwurf in der Ausführung verwässerten. Das ursprüngliche Konzept mit der kontrastreichen Gegenüberstellung von der Residenz im Flachbau und der Hochhaus-Kanzlei zeigte "freischwebend transparente, plastisch rhythmisierte und ineinander verschmelzende Baumassen" (Haufe-Wadle, S. 9). Ein um die Ecke geführtes Fensterband hätte Corps-de-Logis und Botschafterflügel zu einer transparenten Lichtwand verschmolzen. Wie im Hotel 43 Latitude die Hotelzimmer, erschließen hier die Flure nur einseitig Büroräume. Wie dort waren sie zweigeschossig geplant. Lichtzonen in den sich gegenüberliegenden Außenwänden hätten den Blick freigegeben auf Garten und Saar. Geblieben ist die funktionale und formale Trennung der Bauteile: ein langer schmaler Riegel in Nord-Süd-Ausrichtung mit einseitiger Erschließung und zellenartigen Büroräumen sowie die den Ehrenhof rahmenden privaten und öffentlichen Räume der Residenz. "Die Abschirmung der Büroräume zur Saar machen einen der Kompromisse deutlich, die Pingusson bei der Realisierung eingehen musste." (Haufe-Wadle, S. 10)
Dennoch: mit den Mitteln der modernen Architektur - Pilotis, Dachterrasse, Betonskelett, Durchdringung von Innen- und Außenraum - schuf er erneut einen eleganten, harmonisch gegliederten Gebäudekomplex aus aneinander gefügten Baufiguren, in dem das Verwaltungsgebäude die städtebaulich herausgehobene Position besetzt. Diese rationale Gestaltungsweise überlagerte er mit erzählerischen Momenten: Er schloss das Kopfende des Verwaltungstraktes mit einem Muschelkalkkleid und rahmte damit das Skelett. Der vorspringende Treppenturm mit dem Sockel aus Bruchsteinmauerwerk verankert den Bau im Boden, während Pilotis ihn scheinbar über der Erde schweben lassen. Über zwei Geschosse führt die achsensymmetrisch ausgebildete Säulenstellung vor der Glaswand des Botschafterflügels, bevor ein attikaähnlicher Abschluss sie auffängt. Zusammen mit dem Innenhof erinnert diese Anlage an klassische Fassadengliederungen. Das Innere zeichnet sich durch Raumfluchten aus, deren Einzelteile in Höhe und Größe flexibel variieren. Eine großzügig breite repräsentative Treppe führt hinauf zur Enfilade von Salons und Speisesaal, Glaswände öffnen sie zum Park. Eine vorgelagerte Freitreppe verbindet Innen- und Außenraum. Das leider verlorene Mobiliar der Empfangsräume entwarf der Möbeldesigner Jacques Dumand. Kostbare Wandtapisserien von François Arnal zieren bis heute Ost- und Westseite der Empfangshalle. Die großartige Wandgestaltung mit Marmorplatten und Lackfurnieren des Botschafterzimmers ist weitgehend erhalten, wie auch dessen Mobiliar. Für das Casino im Verwaltungsgebäude hatte der Künstler Boris Kleint großformatige Wandschirme entworfen. Sie fehlen ebenso wie Betonglasfenster in der Eingangshalle von Karl-Heinz Grünewald.
Als Pingusson 1955 den Grand Prix d’Architecture erhielt, kam er auch auf die Botschaft zu sprechen: "Ce que j’ai recherché dans le plan de l’Ambassade, cette pierre française à la Sarre, c’était le sentiment de cet ordre tranquille, de force sans contrainte qu’apportait notre présence, par le rhythme des facades, comme par la disposition du plan, la juste répartition des fonctions depuis la ruche au travail que constitue le bloc des bureaux relié de commandement du bureau de l’Ambassadeur jusqu’ à la résidence privée, en laissant à la position dominante la représentation et l’accueil de notre pays" (Texier, S. 222).
So konnte Pingusson einzig die französische Botschaft, das heutige Bildungsministerium, in Saarbrücken bauen und damit die "Grande Nation" repräsentieren. Allerdings erst nach seinem Weggang aus der Stadt. Als Fachpreisrichter beim Wettbewerb "Montanhauptstadt Saarbrücken" kehrte er 1955 noch einmal ins Saarland zurück. Im angrenzenden Lothringen fand er in den nächsten Jahrzehnten weitere Aufgaben als Planer und als Architekt. Doch auch dort wurde vieles nicht umgesetzt.
Als "architecte en chef de la réconstruction de la Moselle et de la Lorraine" war er von 1949 bis 1961 für den Wiederaufbau lothringischer Gemeinden zuständig. Er verantwortete u.a. die Neuordnung von Waldwisse, Roussy und Briey-en-Forêt.
In dem kleinen kriegszerstörten Ort Waldwisse nahe Thionville, gleichzeitig bäuerlich geprägt und Arbeiter-Wohnort, konnte er die städtebauliche Theorie der Funktionstrennung in die Praxis umsetzen. Im Zentrum des Ortes gruppieren sich um einen großen Platz die öffentlichen Gebäude, Geschäfte aber auch Arbeiterwohnungen. Die Bauernhöfe siedelte er am Ortsrand an und begründete dies mit hygienischen Zwängen wie mit der notwendigen Sicherheit für Mensch und Tier. Im Gegensatz zu traditionellen lothringischen Bauernhäusern sind Wohnung und Stall voneinander getrennt und öffnen sich sowohl auf das Feld wie auf den Garten. Den zweigeschossigen Gebäuden im Ortskern verleihen Pultdächer eine einheitliche Gestalt. Durch vollständig geschlossene Giebelwände erhalten die streng geometrischen, mit einem feinen Rhythmus gegliederten Fassaden markante Höhe und Gewicht.
1952 stellte Pingusson den Bebauungsplan für Briey-en-Forêt auf und präsentierte der Gemeinde das Modell für eine neue Stadt im Grünen, eine "ville verte". Seiner Meinung nach bot die alte Stadt keine ausreichende Möglichkeit für eine Expansion. Und er konnte Le Corbusier gewinnen, eine Unité d’Habitation zu entwerfen. Sie wurde realisiert wie auch die von Pingusson geplanten Bauten: Schule, Heizzentrale und Wohnsiedlung. Die Kirche, Sportanlagen, ein Kino und weitere Einrichtungen blieben Idee. Für mehrere Gruppen bandartig aneinander gereihter zweigeschossiger Wohnhäuser mit Garagen im Sockelgeschoss und Gärten vor und hinter dem Haus entwickelte Pingusson ab 1955 vier verschiedene Typen aus Betonfertigteilen. Er setzte damit Erkenntnisse um, die er während des Krieges versuchsweise mit Häusern aus Fertigteilen erprobt hatte. Während die Wohnhäuser fest im Boden verankert sind, steht Pingussons Schule auf Pilotis, wird von Rampen erschlossen und reiht sich ein in die Formensprache der Moderne. Auch hier wendet Pingusson sein Prinzip der einseitigen Erschließung an. Die Flure sind vertieft, Treppenstufen führen jeweils hinauf in die Klassenzimmer, die wieder natürliches Licht von zwei Seiten erhalten. Der Blick aus dem Fenster verbindet mit der umgebenden Natur.
In Briey ist es eine kleine Schule, in Saargemünd baute er ein Lycée Techniques für 1500 Schüler mit Internat, Lehrerwohnungen und Sportanlagen auf dem Gelände einer ehemaligen deutschen Kaserne. Den einzelnen Funktionen entsprechend, haben auch die Fassaden unterschiedliche Gesichter. Sie gruppieren sich um eine große Halle, in der die technischen Werkstätten gebündelt sind. Entworfen bereits 1955 zog sich der Bau bis 1978 hin. Die gleiche Bauzeit gilt für die ebenfalls 1955 begonnene Feuerwehrzentrale in Metz. Doch zentrale Programmpunkte - der Feuerwehrturm und ein Hochhaus mit 52 Wohnungen für Feuerwehrleute und ihre Familien - war bereits 1965 realisiert. In der Nachbarschaft des Deutschen Tores vermitteln diese beiden markanten Bauten das Bild einer rationalen, schmucklosen Architektur.
In seinen lothringischen Kirchenbauten gelingt es Pingusson moderne architektonische Gestaltungen, regionale Tradition und Gegebenheiten, Spiritualität und Glaube eindrucksvoll zu verbinden. Mit dem Kirchenbau hatte sich Pingusson bereits in den 1930er Jahren beschäftigt. Seine nicht realisierten Pläne für eine Arbeiterkirche in Arcueil veröffentlichte er mit einem Aufsatz "Construire une Eglise" 1938 in der Zeitschrift "L'art sacre". ( S. 315 f) Erst nach dem Krieg konnte er mit der Kirche Saint-Martin Évêque in Corny nahe Metz einen ähnlichen Plan verwirklichen. Die Betonkirche auf quadratischem Grundriss und einer Kuppel über dem im Zentrum stehenden Altar zeugt von seiner Vorliebe für eine rigoros einfache formale Behandlung. Eine lange Sandsteinmauer schirmt den Bau zur Straße hin ab, an der ein freistehender Glockenturm die Gläubigen zum Gebet ruft. Die Kirche in Fleury dagegen errichtete Pingusson auf den Fundamenten eines zerstörten Vorgängerbaus. Der rechteckige Grundriss hat die Proportionen einer Landkirche. Dem Langschiff vorgelagert ist eine Säulenhalle mit flachem Gewölbe und gibt den Blick frei auf eine Marienkapelle. Durch raffinierte Lichteffekte erweckt Pingusson den Eindruck, als seien die Mauern nicht untereinander, Boden und Wände nicht miteinander verbunden. Dieses großartige, sensible Raumgefüge strahlt eine dem Gotteshaus angemessene Feierlichkeit und Stille aus.
In der Kirche in Borny verbindet sich die traditionelle Grundrissform auf lateinischem Kreuz mit dem Aufriss einer Hallenkirche. Das Kirchenschiff erscheint zweigeteilt. Geschlossene Wände im Laienbereich tauchen die Gläubigen in Dunkelheit. Den Altarbereich jedoch öffnen Glaswände zum Licht und hüllen diesen heiligen Bereich in strahlende Farbigkeit. Das abstrakte Muster der Fenster hat Jacques Le Chevallier entworfen. Die weiß gefasste Betonkirche bezeichnete Pingusson als "une église en robe de mariée". (Donzé, S. 12)
1960 schuf Pingusson im französischen Boust ein Gotteshaus für 600 Gläubige. An einer langen Mauer vorbei, die der freistehende 18 m hohe Glockenturm betont, führt der Weg zum Eingang des geschlossenen Rundbaus. Eine konisch geformte Kuppel mit im Scheitel zusammenlaufenden und an ein Velo erinnernden Betonrippen krönt den zentralen, um einen Meter erhöhten Altar, der die Blicke anzieht. So können alle Gläubigen das Geschehen beobachten, an der heiligen Handlung teilnehmen. Hinter einem Säulenring breitet sich ein Chorumgang aus, während die Sitzbänke in mehreren Reihen den Altar umkreisen. Natürliches Licht dringt nur sparsam ein durch das zwischen Kuppel und Decke des Umgang gespannte Fensterrund. Auch ein 18 m langes und 2 m hohes farbiges Glasfenster mit abstraktem Muster - der Schöpfer ist Pierre Bozzolini - hinter dem Altar filtert das Tageslicht, verhindert eine Blendung der Anwesenden und hüllt den Raum in gedämpfte Farbigkeit.
Für eine bäuerlich geprägte Gemeinde, verwurzelt in lokalen Traditionen, baute Pingusson ein einfaches und bescheidenes Gotteshaus und nutzte als Baumaterial die Steine der Region. Eingebunden in diese schlichte Architektur sind bildkünstlerische Werke. Der Kanzelsockel ist mit Fresken von Lambert Rucki geschmückt. Dieser Künstler schuf auch die große Statue am Eingang und das bronzene Kruzifix über dem Altar. Deutsche Baumeister hatten diese Bauform in der Zwischenkriegszeit entwickelt, sie wurde von Pingusson bewundert, jetzt sah er in seinem Kirchenbau einen Repräsentanten des Friedens: "C’est sous le signe d’une unité orientée vers la paix des hommes et des peuples que s’est réalisée la très modeste église de Boust" (Georges-Henri Pingusson, L’Église de Boust à Boust-Usselkirch, Metz o. J.) Das von Pingusson vor der Kirche errichtete Mahnmal widmete er den deutschen und den französischen Gefallenen beider Weltkriege.
Mit dem "Monument aux Martyrs de la Déportation" schrieb er sich 1961/1962 erneut in die Geschichte ein. Auf der Spitze der Pariser Seine-Insel grub er eine Krypta in die Erde. Enge Zugänge, steile Treppen führen hinab in fensterlose Räume, die dreieckige Nischen erweitern, deren jede für ein Hauptlager der Deportierten steht. Sein letztes Werk vor seinem Tod 1978 war die Rekonstruktion der zerstörten Altstadt von Grillon (Vaucluse). Dabei übernahm er sensibel und einfühlsam die überlieferten Bauformen, Details und Materialien.
Pingusson war seit der Gründung der U.A.M. (Union des Artistes Modernes) von 1929 bis zu ihrer Auflösung 1958 Mitglied, zeitweise deren Präsident, gehörte zum Redaktionsausschuss der Zeitschrift "l’Architecture d’Aujourd’hui", für die er selber immer wieder auch Artikel verfasste. Sein eigenes Werk begleitete er mit kurzen theoretischen Schriften. Sie wurden jedoch nie in einer Publikation veröffentlicht, wie vermutlich sein Stolz und seine vornehme Bescheidenheit - wie ihn Wegbegleiter schildern - ihn daran hinderten, ein Werkverzeichnis in Auftrag zu geben. Seit 1949 Professor an der Pariser École des Beaux Arts, beeinflusste er Generationen von Architekturstudenten. Der Cercle d’Etudes Architecturales verlieh ihm 1955 den Grand Prix d’Architecture, den hervorragende Vertreter der zeitgenössischen Architekturtheorie erhielten. Weitere Ehrungen folgten. An der Saarbrücker Kunsthochschule hatte er sich vergeblich um eine Professur bemüht (Brief an Gowa vom 7.5.1947), wenigstens ernannte ihn die Architektenkammer Saar 1950 zum Ehrenmitglied.
Marlen Dittmann
Auswahl
Redaktion: Sandra Kraemer, Claudia Maas, Oranna Dimmig
Privatpersonen | Schüler*innen, Studierende | Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen | |
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je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: