Über die photographischen Arbeiten von Wolfgang Pietrzok. Die Werkreihe der „Quetschungen“
Seit Jahren arbeitet Wolfgang Pietrzok an der Werkreihe seiner „Quetschungen“: auf einer etwa 150 x 150 cm großen Glasscheibe lässt er nackte Modelle Posen einnehmen, die sich aus einem detaillierten Aufnahmeplan oder aus der Bewegung heraus ergeben. Farbe wird auf die Glasplatte aufgebracht und durch die Aktion des Modells in ihrer Verteilung und Struktur modifiziert und gestaltet. Die Glasscheibe liegt auf einem Metallgestell, drunter befindet sich der Photograph mit der Kamera und arrangiert überwiegend nach vorher ausgeführten Skizzen seine Bildfolgen mit den durch ihr eigenes Gewicht abgeflachten und dadurch deformierten und verfremdeten Körpern.
Malerei, Zeichnung und Photographie sind Techniken, die sich im klassischen Sinn mit der Transformation eines dreidimensionalen Objekts in ein zweidimensionales Bild befassen. Durch seine Inszenierungen hat Wolfgang Pietrzok dieses seit dem Kubismus aktuelle Problem der zeitgenössischen Kunst teilweise bereits in der Realität, seiner Vorlage gelöst. Entsprechend seinen Arrangements verändern sich die Formen in der Bewegung, entstehen neue Flächen, veränderte Durchblicke und Farbkonturen. Die Photographie betont vor allem die Teile, die das Glas berühren, während andere Partien als Folge von Physiognomie und Pose nur durch die opake, blaue Flüssigkeit zu erahnen sind. Wo Partien des Körpers durch transparente Glasflächen sichtbar werden, entwickelt sich ein spannungsvoller Dialog zwischen Fläche und räumlicher Tiefe bzw. Körpervolumen, zwischen abstrakten Formen und identifizierbaren, realen Körperteilen.
Ohne Zweifel wurde Wolfgang Pietrzok während seiner Studienzeit an der Kasseler Kunstakademie durch Floris Neusüss und dessen »Nudogramme« (Fotogramme nackter Körper in Lebensgröße) beeinflusst, und ganz sicherlich ist er von Yves Kleins Anthropomorphien der blauen Epoche, von dessen »lebenden Pinseln« fasziniert. Auch Wolfgang Pietrzoks Modelle agieren als lebende Pinsel. Während jedoch Yves Klein seine Modelle blau anmalte und ihre Körperabdrücke auf Leinwand und Papier aufbringen ließ, schüttet Wolfgang Pietrzok die blaue Farbe auf das Glas und lässt die Modelle darauf agieren. Der Körperabdruck zeigt sich dadurch als Negativ. Das Blau wird zum Hintergrund, der durch seine Neutralität den Abdruck als abstrakte Form erscheinen lässt, jedoch den Körper als Ganzes und sein Volumen nicht negiert. Diese Abdrücke, oft durch intensiv blaue Konturlinien begrenzt, erinnern bisweilen an Solarisationseffekte der experimentellen Photographie.
Wolfgang Pietrzok präsentiert uns das Quadrat seiner Glasscheibe wie eine Theaterbühne, auf der sich ein Tanz entfaltet; ein Tanz von ungezwungener Leichtigkeit, dessen Bewegungen wie eingefroren erscheinen, der paradoxerweise an ein Schweben denken lässt. Manchmal erinnern uns Körperteile an makabre Vorstellungen: Auf einigen schwarz-weißen Photographien lassen die deutlich hervorstehende Rippen an einen aufgerissenen, verletzten Körper denken, und plötzlich verwandelt sich das vorher ästhetische Ballett in einen Totentanz.
Es ist das Quadrat, welches den Bewegungen Dauer verleiht und die Komposition festigt. Die Bedeutung dieses Bildformats erweist sich dabei als wichtiges, gestalterisches Moment, das es erlaubt, den Körper zerlegen und vor dem blauen, flächigen Bildhintergrund Motivteile gegeneinander zu verschieben und bis zu 360° zu verdrehen. Auf diese Weise transformiert sich Bewegung in einen bewegten und expressiven Rhythmus.
In diesen neueren Arbeiten setzt Wolfgang Pietrzok eine Vielzahl von Körperdetails zu Tableaus zusammen, manchmal verdoppeln sich Körperpartien. Sie zeigen den Körper in seiner realen Größe und gehen mitunter sogar darüber hinaus. In ihrer monumentalen Größe überschreiten diese Bildtableaus die Grenzen traditioneller Photographie und erreichen bildhafte Qualitäten.
Dr. Reinhold Misselbeck
Wolfgang Pietrzok fotografiert seine Modelle von unten nach oben, durch eine Glasscheibe hindurch, die auf ein Gerüst montiert ist. Seine "Quetschungen" sind die Folge von Druck oder Gravitation, die sich als Deformation der Körper an ihrer Unterseite zeigt.
Einerseits ist der orts- und raumlose "Himmel", gegen den der Künstler seine Motive fotografiert, tatsächlich ein Gebiet, das man nicht betreten kann. Zum anderen erzeugt Pietrzoks Methode bei mir auch die Vorstellung, dass ein Künstler der Gegenwart in einem bildnerischen Medium, das vergleichsweise jung ist, wie ein Freskenmaler der Vergangenheit arbeitet, der ein Deckengemälde ausführt, den Blick und sein Handwerkszeug nach oben gerichtet, wegstrebend vom festen Grund der Konventionen.
E. W. Uthemann
Sicher gibt es keine größeren Gegensätze als den biegsamen menschlichen Köper und das umgrenzte, ausweglose Quadrat, und auch keine feindlicheren Objekte als die Wärme blutdurchpulster Haut und die Kühle einer harten Glasscheibe, auf der sie sich arrangieren muss. (…) Dabei bezeichnet das Wort »Quetschung« normalerweise einen Vorgang oder einen Zustand geradezu schmerzlicher Art. Pietrzok formt es zu ästhetisch kreativer Aussage. Die Reduzierung auf das Gelbbräunliche der Gliedmaßen und das Wasserbläuliche des sie Umfließenden verleiht den fotografischen Arbeiten ein reizvolles Zusammenspiel mit immer neuen Variationen.
So hat Wolfgang Pietrzok ein Universum künstlerischer Gestaltung geschaffen, das allein durch ein kongeniales Zusammenwirken von Macher und Modell zustande kommen konnte. Aber der Mensch ist nur das Material für das, was Pietrzok erzielen will und erfolgreich erzielt hat: Bilder höchst eigenwilliger Faszination.
Prof. L. Fritz Gruber
Das Bild des Menschen in unserer Zeit
Wolfgang Pietrzoks Arbeit ist keine einfache Fotografie. Sie beinhaltet Elemente der Abbildung, eine ureigene Möglichkeit der Fotografie. Sie beinhaltet aber auch Konzeptarbeit, die hinter dieser Art der Realitätsdarstellung steht. Sie enthält darüber hinaus auch Elemente, die gerade die modernste Kunst uns vorführt, nämlich dass aus Fragmenten der Realität, die für sich einen Erkennungswert besitzen, eine neue Realität geformt wird. Wenn Sie heute gefragt würden, wie schaut das Bild des Menschen in einer Zeit aus, die von technischen Problemen, von wirtschaftlichen Umbrüchen, von Übertragung im Bereich der Medien gekennzeichnet ist, dann würde ich darauf antworten, dass es gerade die Fotoarbeiten von Wolfgang Pietrzok sind, die dieses Bild des Menschen in unserer Zeit nahezu authentisch und ideal vorstellen.
Dr. Meinhard Maria Grewenig, 1994
Zur Werkreihe der CUBES
Die Arbeit „Ménerbes - Triptychon“ assoziiert eine archaische Architektur. Die Pyramide von Sakkara, die Bauten der Inka oder sonstige Städte. Ich denke, das ist sofort präsent, obwohl es im Grunde nur eine Lagerhalde für die Steine ist, die dort im Kalksteinbruch abgebaut werden und vermutlich zum Aushärten lagern. Andere von den Fotos wirken auf mich wie Blicke in Grabkammern von Pyramiden.
Die Halden von Saarstahl in Völklingen bestehen aus Stahlabfällen der Autoindustrie, die zu Kuben gepresst wurden, um sie wieder einzuschmelzen. Was Wolfgang Pietrzok daraus gemacht hat, ist eine Art von Redaktion. Er hat große Serien von diesen Fotos produziert und ausgewählt, welche für seine Zwecke in Frage kommen, nämlich nach dem Gesichtspunkt, welche von diesen Fotos sich durch Schieben und Verschieben auf der Arbeitsplatte zu kohärenten Formen zusammenfügen lassen. Hier wie in Ménerbes denkt und arbeitet Pietrzok wie ein Bildhauer. Erstens dadurch, dass er - was der Bildhauer zunächst macht - aus dem vorgefundenen Material herausschneidet und das nimmt, was er gebrauchen kann, um es wie ein Plastiker wieder zusammenzufügen. Und es kommt ein zweiter Aspekt hinzu: Er wählt die Fotos in ihrer Konstellation auch danach aus, wie sie in ihrer konvexen und konkaven Wirkung miteinander korrespondieren. In den großen Tableaus werden Sie sehen, dass sie eine ungeheure räumliche Wirkung haben, die von der ursprünglichen Raumwirkung der Halde entfernt ist und die durch Zurückspringen und Hervortreten von Partien, einfach dadurch, welche von diesen Kuben größer oder kleiner sind, eine ungeheure plastische Wirkung bekommen.
Ernest W. Uthemann zur Vernissage „cubes“ (11.1.05)
Zur Werkreihe unterwegs/en route.
Wolfgang Pietrzok unterwegs Na das ist doch ... die Ludwigskirche. Und doch sieht sie anders aus: eigenartiger Putz, die Fenster in der Größe etwas verrutscht, und vor allem: das Laub davor ist riesengroß. Die Farbe stimmt nicht, die Größe stimmt nicht, und insgesamt ist alles – auch auf den anderen Bildern der Serie – ein wenig heruntergekommen. Für seine Bildserie „unterwegs“ hat Wolfgang Pietrzok die Reste der „Gulliver Welt“ im Deutsch-Französischen Garten von Saarbrücken aufgenommen, kurz bevor die ganze Anlage zugunsten eines Kinderspielplatzes abgeräumt wurde.
Kleine Welten waren in den 1950er und 1960er Jahren ganz groß: Überall gab es Parks mit allen Bauten dessen, was später Weltkulturerbe hieß, und man konnte an einem Nachmittag durch alles, was auf der Welt bedeutend war, hindurchgegangen sein – ein verkleinertes Unterwegs. Der Zerfall dieser Welten zu Ruinen ist für Wolfgang Pietrzok jedoch mehr als wohlfeile Ruinenromantik, obwohl er mit deren Mitteln arbeitet: Ihn erinnert dieser Zerfall an die Verantwortung des Menschen für alles, was er einmal geschaffen hat, und für das, was er einmal daraus machen wird. Mit seiner Bildserie ist ihm dafür eine hervorragende symbolische Darstellung gelungen.
Prof. Dr. Rolf Sachsse
Fotografien in Zeitschriften
Fotokalender
Filme und Rundfunkbeiträge
Redaktion: Sandra Kraemer
Privatpersonen | Schüler*innen, Studierende | Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen | |
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je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: