Joachim Lischke gehörte zu den allerersten Studenten, nachdem Otto Steinert den Lehrbetrieb seiner Fotografieklasse in der 1948 neu gegründeten staatlichen Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken aufgenommen hatte. Schon im ersten Studienjahr machte ihn Steinert zu seinem Assistenten, eine Stellung, die Lischke bis 1951 innehatte. Danach weilte er noch ein Jahr an der Schule, nun aber als erster Meisterschüler. In dieser Zeit prägte sich nicht nur Lischkes fotografischer Stil, der Fotograf war zudem ein wichtiger Mittler zwischen Steinert und den Studierenden, indem er ihnen bei der Dunkelkammerarbeit und allen anderen technischen und künstlerischen Fragen in der Fotografieklasse zur Seite stand. Joachim Lischke wuchs so in eine bedeutende Phase der Fotografiegeschichte nach 1945 hinein. Denn Otto Steinert war eine der Persönlichkeiten, die – zunächst im Kreis der Gruppe „fotoform“ – den künstlerischen Anschluss an die Avantgardefotografie der Vorkriegsära suchte und schließlich als Leitfigur einer neuen fotografischen Bewegung, der „subjektiven fotografie“, den Neubeginn einer künstlerisch-experimentell ausgerichteten Fotografie wagte. Ein wesentlicher Meilenstein dieses Neubeginns war die erste Ausstellung „subjektive fotografie“ 1951 in Saarbrücken, zwei weitere Ausstellungen folgten. „subjektive fotografie“ beanspruchte für sich Internationalität, und dies spiegelte sich auch in der Liste großer Namen der teilnehmenden Fotografen wider: Man Ray, Herbert Bayer, Robert Doisneau und Werner Bischof stellten hier aus, und schließlich definierten die erstmals nach der Nazi-Herrschaft wieder in einem deutschsprachigen Land – das Saarland gehörte damals nicht zur Bundesrepublik Deutschland – gezeigten Arbeiten von László Moholy-Nagy den modernen Anspruch „subjektiver fotografie“. Ebenso wichtig war das Interesse an der Abstraktion, das von dem Werk Man Rays ebenso wie von dem Moholy-Nagys abgeleitet werden konnte. Vertreter der Neuen Sachlichkeit, etwa Albert Renger-Patzsch, sucht man in der Liste der teilnehmenden Fotografen vergeblich. Zwar waren die Züricher Fotoklasse von Hans Finsler, der zwischen Neuer Sachlichkeit und abstrakter Fotografie vermittelte, und auch dessen eigene Arbeiten dort vertreten, in den Buchpublikationen zur "subjektiven fotografie" findet man seine Bilder aber nicht.
In der Ausstellung „subjektive fotografie“ stellte Joachim Lischke 1951 fünf Arbeiten aus. Ein Jahr später erschien ein aufwendig gedruckter Bildband gleichen Namens als Auslese dieser Ausstellung im Bonner Auer-Verlag. Und auch in dieser prominenten Publikation war Joachim Lischke vertreten mit einem Luminogramm aus dem Jahr 1951. (Steinert 1952, Nr. 112) Im Buch trägt es den weniger technisch klingenden Titel „Lichtkomposition“. Dahinter steckt ein von Lischke eigens erfundenes Verfahren. Auch wenn andere Luminogramme, z. B. Lichtpendelzeichnungen von Peter Keetman und Heinrich Heidersberger, bekannter sind, scheinen doch Lischkes gleichnamige Bilder erstens früher entstanden zu sein und zweitens weicht sein Verfahren von dem der anderen ab. Lischke hat eigens eine Kamera umgebaut und ihren Balgen mit Glasscherben gefüllt. Die Glasplattennegative, mit denen er in dieser Zeit arbeitete, haben dann die durch die Scherben gebrochenen Lichtreflexe aufgefangen. Durch das Schütteln der Kamera entstand jedes Mal ein neues, vom Zufall generiertes Motiv. Die Lichtbrechungen lassen ein von jeglichen Darstellungszwecken befreites, autonomes Lichtbild entstehen, das die Fotografie auf ihren elementaren Ursprung zurückführt, indem nichts anderes zu sehen ist, als fixierte Spuren des Lichts, nicht einmal die Glasscherben, sondern nur das Licht, das durch sie gebündelt oder gestreut wird. Damit ist eine Forderung Moholy-Nagys nach einer Fotografie als Lichtgestaltung nicht nur eingelöst, sondern technisch neu definiert worden. Man sei erinnert an Moholy-Nagys Konzept vom Licht-Raum-Modulator, eine Apparatur, die sich bewegte und mit spiegelnden Metallelementen Licht reflektierte und in den Raum projizierte. Lischke bannt mit seinem Verfahren Moholys Modulator in den dunklen Raum seiner Kamera. Und auch der Autor des Textes „Objektive und subjektive Fotografie“, J. A. Schmoll gen. Eisenwerth, widmet sich dem engen Verhältnis von Foto- und Luminogramm und verweist dabei auch auf das angesprochene Bild Lischkes: „Dem Fotogramm als Bildtechnik ohne Kamera ähneln eine Reihe von Verfahren, die aus Lichtzeichen abstrakte Kompositionen von großem luminaristischem Reiz bilden. Man könnte hier vielleicht von Luminogrammen, Luminoskripten oder dergleichen sprechen. Die Kompositionen werden von Reflexträgern oder Lichtquellen mit Zeitbelichtung im dunklen Raum aufgenommen, wobei die Objekte oder die Kamera bewegt werden.“ (Schmoll in: Steinert 1952, S. 9)
Auch wenn die technische Beschreibung Schmolls auf Lischkes Verfahren nicht genau zutrifft, so zollt er doch dem Bemühen um die Elementarisierung des Lichtes als Gestaltungsmaterial Beachtung und würdigt in diesem Zusammenhang Joachim Lischkes experimentelles Vorgehen. Denn diese technischen Verfahren gewähren eine „Ausnützung aller Toleranzen und aller Variationsverfahren mit dem Ziel der gestalterischen Objektivation, d. h. der ausdruckserfüllten und formeinheitlichen Bildprägung. (…) Nicht die Beherrschung des technischen Prozesses macht den großen Fotografen aus, sondern seine Sehbegabung, sein geistiges Sehenkönnen im Sinne Goethes. Die technische Prozedur ist nur Mittel zur Bildformung.“ (Schmoll in: Steinert 1952, S. 9) Otto Steinert selbst äußert sich erst im Bildband zur zweiten Ausstellung „subjektive fotografie“ zum Luminogramm, und man beachte, dass Steinert in diesem Band dann auch mit eigenen, technisch sich von Lischkes zu unterscheidenden Luminogrammen vertreten war. Hier führt er das Luminogramm als Beispiel für die „absolute fotografische Gestaltung“ an. Sie ist nach Steinert gleichbedeutend mit der vierten und höchsten aller „Vollendungsstufen fotografischen Schaffens“. Otto Steinert schreibt hierzu Folgendes: „Während die darstellende Gestaltung die Naturform je nach den bildnerischen Belangen fotografisch umsetzt, die Gestalt aber erhalten bleibt, verzichtet die absolute fotografische Gestaltung, in ihrer freiesten Form, auf jede objekthafte Wiedergabe oder sie entmaterialisiert durch die fotografischen Variationsverfahren den Gegenstand bzw. abstrahiert ihn in der Sicht so weit, daß er nur noch Formelement, Baustein der Komposition wird. Im Fotogramm und Luminogramm läßt das Licht, als souverän gewordenes freies Bildmittel, optisch Sinngebilde entstehen, die in ihrem dynamischen Hell-Dunkel, ihren Rhythmen und Durchdringungen schlechthin unerschöpfliche Möglichkeiten bieten.“ (Steinert 1955, S. 10-11) In dem Bemühen Schmolls und Steinerts um einen gestaltenden, d. h. künstlerischen Fotografiebegriff siedelt das Luminogramm an oberster Stelle, indem es eine ungegenständliche Fotografie ermöglicht. Man dachte damals, so sei endgültig die schmerzhafte Trennung von den bildenden Künsten überwunden, wenn in der Fotografie nun auch Techniken gefunden sind, die gegenstandsfreie Bilder mit fotografischen Mitteln ermöglichen. (Nota bene: Es zählt zu den interessanteren Paradoxien in der Kunstgeschichte, dass die Fotografie ihre bislang bedeutendste Rolle in der Gegenwartskunst und auf dem Kunstmarkt seit dem Moment spielt, in dem sie auf künstlerische Mittel verzichtete.) Während Schmoll in seinem ersten Text zur Fotografie noch im Kontext der Luminogramme von den („darstellenden“) Lichtzeichnungen Picassos berichtete, die er mittels Langzeitbelichtungen während einer Fotositzung mit Gijon Mili darstellte und die 1949 in der Zeitschrift LIFE veröffentlicht wurden (Schmoll, in: Steinert 1952, S. 9), würde die Erwähnung dieser Bilder, die den mit Licht zeichnenden Picasso zeigen, in Steinerts Gedankengebäude zur Erlangung ungegenständlicher Bilder zwei Jahre später stören. Joachim Lischkes Luminogramme spielen also für die Entwicklung eines Konzeptes fotografischer Subjektivität eine große und wichtige Rolle – und zwar noch bevor Otto Steinert sich mit dieser Technik intensiv auseinandersetzte.
Obwohl Lischke sich in vielfältiger Hinsicht mit abstrakten fotografischen Ansätzen auseinandersetzte und neben seinen Luminogrammen zahlreiche typische „subjektive“ Bildentwürfe formulierte, schließt dies die realistische Fotografie keineswegs aus. Fotografische Subjektivität drückte sich in den 1950er Jahren nämlich nicht nur in der Suche nach Möglichkeiten gegenstandsloser Gestaltung aus, sondern spiegelte sich ebenso in bildjournalistischen und fotoessayistischen Bereichen. Man spricht vom fotografischen Humanismus, der von Robert Doisneau, Brassaï oder den Magnum-Fotografen Robert Capa und Henri Cartier-Bresson vertreten wurde, die sich mit der Gründung ihrer eigenen Bildagentur von den Diktaten der auftraggebenden Presse befreien konnten. Dieser Humanismus gipfelte schließlich in der wohl berühmtesten aller fotografischen Ausstellungen der 1950er Jahre, der „Family of Man“, die Edward Steichen, Leiter der fotografischen Sammlung des Museum of Modern Art in New York, kuratierte und die in einem mehrjährigen Zeitraum als Wanderausstellung auch kaum ein europäisches Land ausgelassen hatte. Zwar hat die humanistische Fotografie nur wenig Spuren in Steinerts eigenem Werk hinterlassen, aber in seinen Schriften thematisierte er sehr wohl den Anspruch, auch die Dokumentarfotografie und den Bildjournalismus „subjektiv“ erneuern zu wollen. Unter Steinerts Schülern findet man einige, die sich an dieser Empfehlung orientierten, wie beispielsweise Wolfgang Haut oder Romain Urhausen. Und diese Übertragung des Topos der Subjektivität auf die erzählende und beschreibende Fotografie wird in vielen Arbeiten Joachim Lischkes deutlich. Seine Aufnahmen, die auf Modenschauen der 1950er Jahre entstanden, zeugen von einem Sinn für Skurrilität, der z. B. von den Fotografien Brassaïs aus dem nächtlichen Paris der 1930er Jahre bekannt gewesen sein dürfte. Bei Lischke findet man auch zahlreiche Aufnahmen, die in der französischen Metropole entstanden: Neben einer Aufnahme des Jazz-Musikers Claude Luter mit Band ist zum Beispiel auch ein Selbstbildnis mit seiner Frau Jolande Lischke-Pfister aus den späten 1960er Jahren zu nennen. Hier und in einem Selbstbildnis aus den 1970er Jahren spielt Joachim Lischke mit dem Spiegelmotiv, das metaphorisch für das Fotografieren selbst steht und an zahlreiche Aufnahmen Eugène Atgets erinnert, der die vom Surrealismus geprägte Fotografie tief beeindruckte. Mit stark grafisch anmutenden Kontrasten und großen schwarzen Flächen interpretiert Joachim Lischke viele seiner Motive, z. B. in der Aufnahme des Architekten Rudi Koch oder des Paares „Franz-Josef Degenhardt und Barbara Baer-Kaupert“ und geht über die Dokumentation weit hinaus, auch indem er Diagonalen im Dienste einer Dynamisierung des Bildes einsetzt und die persönliche Ausdeutung des Sichtbaren betont. In anderen Fällen wie in der Aufnahme, die während des Begräbniszuges des saarländischen Ministerpräsidenten Egon Reinert 1959 entstand, verfremdet Lischke den Bildinhalt, indem er den signifikanten Teil des Zuges, den Wagen mit dem Sarg, aus dem Bild verbannt. Stattdessen nimmt er einen Tross von sieben Nonnen auf und wechselt die sprachliche Ebene, indem er das dargestellte Geschehen mit Hilfe eines geschriebenen Textes bezeichnet: "BESTATTUNGEN" ist über einem Schaufenster der gegenüberliegenden Straßenseite zu lesen. Man erinnert sich wieder an Atget, bei dem die Spiegelungen auf einer Pariser Straße in einem im Bild lesbaren Ladenschild „Dépot de la glace“ erklärt werden. Es äußert sich ein Sinn für die Zufälligkeit des Sichtbaren und das Gespür des Fotografen, der Bilder in der Wirklichkeit findet, sie ihr entnimmt, indem er im entscheidenden Augenblick den Auslöser zu bedienen weiß. An Henri Cartier-Bresson erinnert eine Aufnahme Lischkes, die um 1948 in der Saarbrücker Trierer Straße aufgenommen wurde. Eine Frau überquert eine große Pfütze mit weit ausholendem Schritt und zieht einen Wagen, während ein Möbeltransporter an ihr vorbei fährt. Das Thema erinnert an Cartier-Bressons „Derrière la gare St. Lazare“ aus dem Jahr 1932. Was bei Cartier-Bresson wie eine Metapher der Gegenwärtigkeit, des Momentanen isoliert wird, bekommt bei Joachim Lischke eine empathische Konnotation, wenn zu dieser Darstellung des Momentanen ein erzählender Aspekt hinzu kommt, indem die Beschwerlichkeit, mit der die Frau den Handkarren versucht, einigermaßen trockenen Fußes durch die Pfütze zu manövrieren, dadurch betont wird, dass der vorbeifahrende LKW die bequeme Alternative in den Blick führt. Lischke steht hier dem fotografischen Humanismus sehr nahe und diese Nähe wird noch deutlicher in einigen Fotografien, wie etwa in jenen, die eine vom Alter gezeichnete Frau in Neunkirchen zeigt, die in entspannter Haltung frontal in die Kamera sieht. Ihr wildes Haar umrahmt ihr Gesicht und die angeschwollenen Gelenke lassen ihre Hände nicht nur in enormer Größe erscheinen. Vielmehr bewirkt beides zusammen eine Ausdeutung des dargestellten Menschen als eine von schwerer körperlicher Arbeit gezeichnete und gleichzeitig charaktervolle Persönlichkeit. Die Fotografie eines kahlköpfigen Kolonialwarenhändlers mit rundem Kopf und stattlich gewölbtem Bauch ähnelt auf den ersten Blick dem Konditormeister von August Sander aus dem Jahr 1928. Joachim Lischke nutzt aber eine andere Bildsprache. Während Sander in seiner sozialtypisierenden Bildauffassung eine frontale Bildsicht bevorzugt, die immer etwas Konstruiertes hat und das Posieren bzw. den inszenierten Charakter der Aufnahme bewusst betont, entwickelt Joachim Lischke seinen Bildentwurf aus der vorgefundenen Situation heraus. Die Mimik des Händlers vermittelt Skepsis. Der beobachtende Blick verleiht dem Bild eine reflektierende Dimension, indem der Blick des Dargestellten offenbar die Beziehung zum – im Bild – unsichtbaren Fotografen moduliert und das Subjekt-Objekt-Verhältnis zwischen Fotograf und Bildgegenstand als ein wechselseitiges bezeichnet.
Nachdem Joachim Lischke ein berufspädagogisches Studium an der Universität des Saarlandes seinem Fotografie-Studium angeschlossen und absolviert hatte, begann er 1955 hauptberuflich für die Landesbildstelle des Saarlandes zu fotografieren, seine freie Fotografie betrieb er außerdem. Dort blieb er bis 1985, und entsprechend reich sind die dortigen Lischke-Bestände. In dieser Zeit entstanden Dokumentationen unterschiedlichster Art. Aber anders als im bildjournalistischen Bereich ist die Arbeit für das Bildarchiv nicht unbedingt an den momentanen Charakter von Ereignissen gebunden. Joachim Lischke hat in vielen Arbeiten für die Landesbildstelle bewiesen, dass er die Prinzipien fotografischer Subjektivität auch im dokumentierenden Fach umzusetzen weiß. Er zollt dem Saarland als Industrieregion Respekt, indem er beispielhafte Formulierungen für die Industrielandschaft fand. Aber anders als in seinem freien Werk, orientiert er sich zum Teil auch am Stil der Neuen Sachlichkeit wie in dem Beispiel der Bergehalde in Völklingen. In feinen Graunuancen wird hier die Bildinformation vor den subjektiven Ausdruck gestellt, der sich in harten graphisch wirkenden Kontrasten äußert und vor größeren Schwarzflächen nicht zurückschreckt, wie es die Aufnahme der erneuerten Schlossmauer vor dem Finanzministerium in Saarbrücken deutlich macht. Auch die Aufnahme des Saarbrücker Hauses der Gesundheit vermittelt dokumentierende Ruhe. Der Fotograf widersteht den Verlockungen stürzender Linien oder steilen Close-Ups und gibt das Gebäude im Bild wie ein in sich ruhendes Monument einer modernen Stahl-Glas-Architektur wieder. Für rhythmische Unterbrechungen der glatten Außenhaut sorgt einzig die Architektur selbst mit den kubischen Auskragungen an der Stadt zugewandten Seite des Gebäudes.
Das Konzept der „subjektiven fotografie“, so wie es Otto Steinert entwarf, schloss das Dokumentarische unter bestimmten Gesichtspunkten nicht aus. Denn auf „dem Wege vom Abbilden zum Darstellen schaltet sich bereits der Mensch betont als individueller Vermittler ein. In der darstellenden fotografischen Abbildung erleben wir bereits die persönliche Sicht des Fotografen und seine Auffassung vom Bildvorwurf (…).“ (Steinert 1955, S. 11) Viele Motive, die Lischke im dokumentarischen Bereich entwickelte, tragen diese ganz persönliche Note in sich. Dazu zählen die schräge Untersicht und die nah ans Extrem geführten Schwarz-Weiß-Kontraste im Bild der „Lastenseilbahn der Röchlingschen Werke in Völklingen“. Beide Effekte stellen gestalterische Verfahren dar, die schon in den 1920er und 30er Jahren im „Neuen Sehen“ beliebt waren und die man in der „subjektiven fotografie“ zwar bewusst, aber weniger radikal inszenierte, als es vor dem Krieg beliebt war. Ein anderes Beispiel wäre, wie der Fotograf beim „Blick in die Bahnhofstraße“ den Bildausschnitt so wählt, dass die Kante des freitragenden Arkadenganges eines Geschäftshauses mit seiner charakteristischen Kurvung passgenau an die Traufe der gegenüberliegenden Gebäude anschließt und damit kein Himmel über der Straße mehr zu sehen ist. Der Blick ist derart irritierend, dass man beim Betrachten gar an eine Fotomontage denken möchte. Der Betrachter schwankt zwischen der Wahrnehmung eines Außen- und Innenraums hin und her. Das ist an dieser Stelle keineswegs bloßer Effekt, sondern ein Gestaltungsmittel, das nicht nur die Bildfläche gliedert und den Blick durch dieselbe führt. Vielmehr wirkt sich die Komposition auch auf den Inhalt der Darstellung aus: Da dem freien Himmel kein Platz gelassen wird, rückt die Überdachung ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Angesichts des hervorzuhebenden Komforts für die Einkäufer, für die eine durchgängig überdachte Geschäftsstraße eine große Errungenschaft der wiederaufgebauten Stadt darstellt, ist Lischkes verfremdender Blick auch als sprachliches Mittel zu verstehen, das das Verständnis des Dargestellten lenkt und gleichzeitig der persönlichen Deutung des Fotografen Raum gibt. Hier hallt sehr deutlich Steinerts Unterscheidung von Abbildung und Darstellung nach. Auch in Joachim Lischkes „Nachtaufnahme Wilhelm-Heinrich-Brücke“ aus dem Jahr 1965 lässt sich seine Reflexion der Fotografiegeschichte mit dem Ziel einer eigenen Positionierung nachvollziehen. Der Blick von oben auf ein teilweise schneegeräumtes Wegerund erinnert an Alvin Langdon Coburns Sicht auf den Madison Square in New York oder an László Moholy-Nagys Sturzflugperspektive vom Berliner Funkturm nach unten. Aber gleichzeitig denkt man an eine weniger extreme Adaption dieser Thematik in Lennart Olsons Bild „Slussen“. Dieses hat Lischke gekannt, denn es wurde in Otto Steinerts Ausstellung „subjektive fotografie 2“ gezeigt. Lischke griff diese Tradition zwar auf, senkt den Blick wie schon Olson von der Sturzflug- auf die Vogelflugperspektive herab und erweitert das Motiv um den Zeitaspekt, der hier in Form heller grafisch wirkender Lichtspuren der fahrenden Autos zum Ausdruck gebracht wird. Sie schreiben sich bei Langzeitbelichtung ins Bild und spielen auf den ebenfalls von Moholy geprägten Begriff der Lichtgestaltung an. All dies mag an dieser Stelle als Beleg dafür dienen, dass es Joachim Lischke auch im Bereich der Dokumentarfotografie gelang, diese mit den Thesen Steinerts subjektiver Fotografie zu vereinbaren.
In den 1960er Jahren wandte sich Lischke immer häufiger der Farbfotografie zu. Er fotografierte die Wohnstadt in Überherrn in Farbe und 1967 die neu entstandenen Hochhausbauten auf der Folster Höhe in Saarbrücken. Annähernd gleiche Formen wiederholen sich ein ums andere Mal mit nur minimalen Unterschieden. Einerseits liegt dies im dargestellten Objekt begründet, aber andererseits spürt man auch eine deutliche Zurückhaltung des Fotografen hinsichtlich seines „subjektiven“ Ausdrucksinteresses zugunsten einer gewollten Einfalt, die schließlich überdeutlich zutage tritt in dem Bild „Theley“ aus dem Jahr 1967. Direkt und frontal ohne perspektivische Anschnitte und Verzerrungen tritt Joachim Lischke diesem einfachen, aber gepflegten Siedlungshaus entgegen. Nicht nur im Saarland gibt es zahlreiche Beispiele dieser Wohnkultur mit eigenem Garten ohne direkt anschließendes Nachbarhaus, die insbesondere beim Kleinbürgertum auf große Beliebtheit trifft. Der Strom wird über Außenleitungen geführt, die das Bild im oberen Bereich strukturieren. Die ordnungsbetonte Gestaltung des Vorgartens und die sorgfältig gestrichene Sockelzone mit Marmoranmutung ist Ausdruck einer Lebens- und Glücksvorstellung, die mit diesem Gebäudetyp beinahe in idealisierter Weise zusammenhängt. Der Fotograf belässt es beim zeigenden Charakter der Fotografie, kommentiert selbst nichts und verzichtet auf alle gestaltenden und dramatisierenden Kunstgriffe der subjektiven Fotografie. Er nähert sich hier der Formel des Dokumentarischen, die auch in einer konzeptuell zu verstehenden Fotografie der 1960er und 1970er Jahre das von Steinert geprägte Primat der Subjektivität ablösen sollte. So zeichnet sich im fotografischen Werk Joachim Lischkes weit über die subjektive Fotografie hinaus eine fundierte Reflexion zeitgenössischer Fotografiegeschichte ab und es ist als großes Glück einzustufen, dass sein Werk in seinem großen Umfang nicht nur im Fotoarchiv des Landesinstituts für Pädagogik und Medien im Zentrum für Medienbildung (Landesbildstelle) erhalten geblieben ist, sondern auch das Saarlandmuseum einen beachtlichen Bestand seiner Arbeiten sein Eigen nennen darf. Denn im Jahr 2010 schenkte Joachim Lischke dankenswerter Weise dem Saarlandmuseum für die Fotografische Sammlung über achtzig seiner Werke, die all seine Schaffensphasen repräsentieren.
Roland Augustin
Monografien (Auswahl)
Sammelschriften (Auswahl)
Redaktion: Oranna Dimmig
Privatpersonen | Schüler*innen, Studierende | Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen | |
---|---|---|---|
je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: