Octavie de Lasalle von Louisenthal
Octavie de Lasalle gehört zu den sehr wenigen Künstlerinnen, die im 19. Jahrhundert an der Saar wirkten. Die Malerei war ihr Lebensinhalt, wenn sie auch als Dame ihres Standes damit nicht ihren Lebensunterhalt verdienen musste, wie etwa ihr Zeitgenosse aus dem benachbarten St. Wendel Anton Riotte (1810-1893), der schließlich angesichts der aufblühenden Fotografie als Portraitist um seine Existenz bangte.
Für das Leben und Werk der Künstlerin prägend ist die Verwurzelung in ihrer Familie. Die aus dem Languedoc im Zuge der Errichtung der Festung Saarlouis im 17. Jahrhundert nach Lothringen eingewanderte, bedeutende französische Familie erlangte Besitzungen in Saarlouis, Metz, Wallerfangen und Merten. Octavies Vater, Wilhelm Albert de Lasalle von Louisenthal, war als Captain in der englischen Armee an der Einnahme der karibischen Insel St. Lucia beteiligt, wo er seine Frau Maria Lucie d’Augier kennen lernte, Tochter des Gouverneurs der Insel St. Vincent. Das Ehepaar Lasalle kehrte nach Europa zurück und im Mai 1807 bezog die Familie das in Folge der Revolution leerstehende Schloss Dagstuhl bei Wadern, das sie im Jahr zuvor samt der Burgruine Dagstuhl aus französischem Staatseigentum erworben hatte.
Octavie de Lasalle von Louisenthal wurde am 16. Dezember 1811 in Metz als neuntes von elf Kindern geboren und am 3. Oktober 1812 in der Pfarrkirche von Lockweiler getauft. In enger, auch verwandtschaftlicher Beziehung standen die Lasalles zu den Familien Villeroy, Galhau und Boch. Regelmäßig fuhr die Familie zu ihren Verwandten nach Metz. Zudem pflegte man enge Kontakte zur Verwandtschaft in Paris. Darüber hinaus reiste die Familie wiederholt nach München, wo die Lasalles regelmäßig bei den Abendgesellschaften des Bayerischen Königshauses zugegen waren. Auch Octavie, die ausgezeichnet Klavier, Harfe und Orgel spielte, wirkte an diesen Soiréen mit. Von Anfang an sowohl von der französischen als auch der deutschen Kultur geprägt, wuchs sie auf in einer polyglotten, weltoffenen Umgebung mit ausgeprägten musischen Interessen.
Über ihren Vater, der selbst über außergewöhnliche malerische Fähigkeiten verfügte, wird Octavie den ersten Zugang zur Kunst erhalten haben. In München, wo bereits ihre Brüder Ernst und Wilhelm studierten, dürfte sie seit ihrem ersten Besuch 1834 die Galerien erkundet haben. Im Jahr 1836 nahm hier die junge Künstlerin Unterricht im Portraitieren bei dem zeitweise in Rom lebenden Bildhauer Franz Woltreck (1800-1847) aus dem Umkreis des Peter von Cornelius. Wohnung nahmen die Lasalles am Karolinenplatz 1, rückwärtig befand sich das Ateliergebäude des Hofbildhauers Joseph Kirchmayer. Innerhalb dieses Umfeldes nahm Octavie sicherlich das rege aktuelle Kunstschaffen Münchens wahr.
Die Matrikelbücher der Königlich Bayerischen Akademie der Bildenden Künste führen ihren Namen nicht, obwohl gerade in jenen Jahren unter den Direktoren Peter von Langer und Peter von Cornelius die künstlerische Ausbildung von Frauen immerhin in Einzelfällen möglich gewesen wäre. Octavie wird außerhalb der Akademie, womöglich bei Karl Joseph Stieler (1781-1858) oder Clemens von Zimmermann (1788-1869), dem Lehrer ihres Bruders Ernst, weiteren Privatunterricht genommen haben.
Wohl in München war Octavies "Selbstbildnis" entstanden, das von Stielers Bildnissen, insbesondere von dessen Damenbildnissen der Schönheitsgalerie Ludwigs I., angeregt ist. In der Betonung des Konturs und der lichten Farbigkeit zeugt es vom Einfluss des Akademieprofessors. Das Aquarell hat sie, wie häufig, mit einem Rotkehlchen signiert.
Octavie besuchte im Jahre 1842 für einige Monate Paris, um sich den Sehenswürdigkeiten der Stadt und den Künsten zu widmen und Mal- und Musikunterricht zu nehmen. In jenem Jahr darf man auch ihre Begegnung mit Chopin vermuten, mit dem sie zusammen am Flügel musizieren durfte. Mit ihren Malereistudien schien sie in Paris nur zögerlich begonnen zu haben. Offenkundig hatte die Malerin aber das künstlerische Leben der Stadt aufmerksam studiert, denn einige Werke aus jenen Jahren weisen darauf hin, dass sie die Kunst Eugène Delacroix’ wahrgenommen hatte.
Octavie hatte sich in München, wo sie von Stieler und von der Kunst der Nazarener starke Impulse empfangen hatte, wie auch in Paris ein breites Spektrum erworben, das vom Portrait über das Genre, die Historie bis zur religiösen Malerei reichte. Neben Ölgemälden, bei denen sie für die kleinen Formate oftmals Weißblech als Bildträger verwendete, schuf sie Aquarelle, arbeitete in der Technik der Gouache, hielt ihre Eindrücke von ihrer Umgebung und ihren Reisen unermüdlich in Skizzenbüchern fest. Sie gestaltete das Messgewand für die Kapelle der Familie von Beulwitz in Mariahütte und bemalte den Betstuhl der Mutter Rosa Flesch.
Ihre Bildwelt speist sich aus ihrer Lebenswelt: Die Familie Lasalle, der sich die Malerin immer eng verbunden fühlte, ihre Liebe zur Musik, ihre Religiosität, ihre Jagdleidenschaft sind ihre Themen. Auch als Portraitistin hat Octavie de Lasalle in der Malerei des 19. Jahrhunderts an der Saar einen besonderen Platz. Arbeiteten Louis Krevel (1801-1876), Joseph Tosetti (1803-1844/49), Anton Riotte (1810-1893), Karl Friedrich Johann von Müller (1813-1881) oder Franziska Riotte (1845-1922) im Auftrag des mittelständischen Bürgertums bis in die höchsten Kreise der Industriellen und Fabrikanten, blieben die Portraits Octavies ganz für ihren privaten Umkreis bestimmt. So portraitierte die Malerin die Menschen ihrer nächsten Umgebung: Kinder aus der Gegend um Dagstuhl, Verwandte und Bekannte der Familie.
Im Stiftungsbild für das Elisabeth-Krankenhaus in Wadern (1863) fließen zentrale Themenkreise der Künstlerin zusammen. Im Jahre 1856 hatte die Familie Lasalle ein Hospiz in Wadern gestiftet. So erscheinen im Bild die Mutter Lasalle in Witwentracht im Zentrum und die Künstlerin selbst mit wachem Blick wie spontan neben ihr in die Bildwelt eindringend, umgeben von Schwestern des franziskanischen Pflegeordens und Waisenkindern vor dem Hospiz und der Burg Dagstuhl. Die Mutter hält ein kleines ovales Bildnis in Händen, das Portrait eines Familienmitgliedes, wohl ihres Sohnes Rudolf. Auf ihn ist der Blick gelenkt, denn er war Repräsentant der Lasalleschen Stiftung. Zum Zeitpunkt der Gründung des Krankenhauses war die Mutter bereits verstorben. Locken auf dem Gedenkstein der Mutter verweisen auf deren früh verstorbene Kinder. Das Stiftungsbild ist zugleich Memorialbildnis.
Auch das große Ölgemälde "Jagd bei der Buttnicher Eiche", 1838, der Bleistiftstudien und Aquarellskizzen vorausgehen, verbindet das Genre Jagdgesellschaft mit dem Familienbildnis. Octavie selbst war leidenschaftliche Jägerin. Für sie bedeuteten Frömmigkeit und Jagdleidenschaft keinen Widerspruch. So schrieb sie in ihrem Tagebuch: "… das Gewehr auf dem Rücken, um die Stationen zu gehen".
Seit etwa 1839 hatte sich Octavie de Lasalle in ihrer Kunst vermehrt religiösen Themen zugewandt. Es liegt nahe, ihre Wendung hin zur religiösen Malerei mit der Geburt eines unehelichen Kindes in Verbindung zu bringen, das einer Amme in Obhut gegeben wurde. Octavie begann am 15. August des Jahres mit der Ausmalung der Schlosskapelle von Dagstuhl, an der sie über 40 Jahre lang arbeitete. 1880 kam die Ausmalung durch ihre Schülerin Klara von Beulwitz zum Abschluss.
Octavie war eine außerordentlich karitativ eingestellte Frau, bemüht, die Not der armen Bevölkerung des Hochwalds zu lindern. Für die Tombola des unter ihrer Leitung in Dagstuhl gegründeten Elisabethen-Vereins schuf und stiftete die Künstlerin Gemälde. Auf ihrer Reise nach Italien zum Studium der italienischen Malerei der Gotik und Frührenaissance im Jahre 1854 erhielt sie eine Privataudienz bei Papst Pius IX. Eng befreundet war die Künstlerin über mehrere Jahre mit der sel. Mutter Margaretha Rosa Flesch. Die Ordensgründerin vertraute ihr ihre Visionen vom bevorstehenden Kulturkampf an, die Octavie de Lasalle 1873 in einem Gemälde darstellte.
Seit 1863 entstand eine Anzahl von Kreuzwegen: Elf Kreuzwegzyklen nennen ihre Tagebücher, darunter die Kreuzwege von Kastel (1863) und Konfeld (1880/81), die sich insbesondere an den Kupferstichen nach Joseph von Führichs Kreuzwegzyklus für St. Johann Nepomuk in Wien orientieren. Im Kreuzwegzyklus für die Pfarrkirche von Lockweiler (1863-68), heute in der Schlosskapelle Dagstuhl, kommt in Farbgebung, Komposition und motivischen Details insbesondere das Vorbild Friedrich Overbecks deutlich zum Tragen. Octavie orientiert sich an dessen zwischen 1836 und 1839 entstandenen "Illustrationen zu den Heures Nouvelles" in der Stahlstichausgabe von 1840. Mit dem Kreuzwegzyklus von Osburg mit seiner lebendigen und bewegten Farbigkeit, voll frappierender malerischer Delikatesse hat Octavie ihr vielleicht fulminantestes Werk geschaffen.
Thomas Wiercinski
Redaktion: Claudia Maas, Christine Koch
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