Die Idee der Kunstsynthese
Christina Kubisch besitzt eine Doppelausbildung als Bildende Künstlerin (Bremen, Stuttgart) und Musikerin (Hamburg, Zürich, Mailand). Die Verbindung von Optischem und Akustischem prägte alle ihre Arbeiten, wie unterschiedlich sie auch sein mögen. Der Schwerpunkt ihres Schaffens lag zunächst im Bereich der Musik. Jedoch spielte bereits bei einer ihrer ersten Kompositionen „Language in Progress“ (1974) der Raum eine größere Rolle. Bei diesem für 16 Stimmen a capella konzipierten Stück hatten sich die Sänger in vier Gruppen um das Publikum herum aufzustellen. In den zahlreichen Performances der 70er Jahre (einige zusammen mit dem Videokünstler Fabrizio Plessi) waren oft räumliche Aspekte oder auch die Bewegung des Publikums im Raum ebenso wichtig wie die ungewöhnlichen Klänge. Christina Kubisch trat in dieser Zeit als Interpretin ihrer eigenen Stücke. In "Emergency Solos" (1975) spielte sie in verschiedenen Variationen die Flöte, unter anderem mit Fingerhüten, Pelzhandschuhen, Gasmaske oder nur mit Mundstück.
In diesen frühe Arbeiten wird vom Zusammenhang zwischen Sichtbarem und Hörbarem ausgegangen. Die Zuordnung zu einer Kunstgattung ist für diese visuelle Musik aufgelöst. Sie entwickelt sich an den Rändern der Instrumentalmusik zum Musiktheater. Zugleich wurde auch von den technischen Neuerungen Besitz ergriffen, um diese künstlerisch zu erforschen. Ein Aufbruch aus dem erstarrten Kunstbetrieb wurde signalisiert. Inhärent ist diesen Arbeiten das Mißtrauen gegen die willkürlich gezogenen Grenzen zwischen Künsten, die sich der klassizistischen Ästhetik verdanken.
An den Arbeiten von Kubisch wird grundsätzlich deutlich, wie sich aus der Performance -Kunst die Gattung der Klanginstallation entwickelt, indem die vieldimensionalen Aktionen in einzelne Themen kondensiert wurden. Um 1980 vollzog sich bei Christina Kubisch der Wandel von der Performance zur Klanginstallation („Ohne Titel“, 1981). Die Künstlerin zog sich als Akteurin zurück und trat diese Rolle gänzlich an das Publikum ab.
…
In diesem „Bericht“ spricht Christina Kubisch wie nebenbei eine grundsätzlich neue ästhetische Idee an, nämlich Kunstäußerungen müßten dem Betrachter und Hörer „Eigenzeit“ gewähren, indem sie ihn zum eigenen Agieren außerhalb eines festgelegten Ablaufs veranlassen. Die Möglichkeit dazu schuf sie mit der Gestaltung neuer Umgebungsräume, die vom Rezipient, der sich darin bewegt, verlangen, ein Bezugssystem zu finden, mit dem nicht nur die Fremdheit des neugestalteten Ortes erfaßt wird, sondern auch der eigene Standpunkt. Der Rezipient i m Hier und Jetzt und doch in einer fiktiven Welt muß auch die Koordination einer eigenen Position bestimmen. Mit den Klanginstallationen wurde das vielgestaltige Thema „Raum“ für Christina Kubisch zentral.
Es entstanden Räume und Landschaften, die mit Kabeln verspannt zu Klangbahnen, Wegen, Zelten, Flächen und Skulpturen wurden. Der Besucher konnte mit zwei würfelförmigen Empfangsgeräten die Klänge in den Kabeln (durch elektromagnetische Induktion) erlauschen und ihnen im Raum nachfolgen.
…
Nicht nur die Idee fiktiver Räume, sondern auch die einer fiktiven Natur spielt fast durchgängig in den Arbeiten Christina Kubische eine größere Rolle. Dies gilt nicht nur für die Installationen in Wäldern, Parks und Gärten, sondern auch für die Wiederholungsstrukturen ihrer akustischen Patterns, die wie natürliche Klänge wirken und in jüngster Zeit zum Teil aus natürlichen Klängen gebildet werden. Die Übergänge zwischen Künstlichem und Natürlichem sind fließend. Die „Konferenz der Bäume“ (1989) zeigt fünf reale Bonsai-Bäume auf einem Tisch, an deren raunender Konferenz man mittels eines Kopfhörers teilnehmen kann, indem an zugleich aus der realen Welt heraustritt. Wie Blüten leuchten aus dem Inneren eines Maische-Kessels im ehemaligen Sudhaus einer Brauerei in Donaueschingen pigmentierte Lautsprecher (Kreisläufe 1993). Sie wurden von außerhalb angebrachten Solarzellen gesteuert. Der Klang veränderte sich mit dem Tages- und Nachtlicht. Wie bei der „Passage“ (1994) bedurften die künstlichen Blumen natürliches Lichts, um ihre Sprache zu entfalten. Über die Passagen bemerkte Christina Kubisch, sie seien ein „Lichtbild“, das zugleich akustisch wahrnehmbar ist und an eine Zeichnung in einem Botanikbuch erinnert. Abbilder der Natur werden geschaffen, als existierten ihre Originale nur in der Phantasie. Für „Passagen III“ (1995) wurden „natürliche“ Klänge verwendet ohne jegliche elektronische Verfremdung. Diese Klänge (auf sechs Spuren) stammen von schwingendem Glas und lassen eine leuchtende Blume zerbrechlich erscheinen. Die fiktive Gestalt der Pflanz erscheint als Symbol der Natur, deren unmittelbare Wahrnehmung nicht (oder nicht mehr) möglich ist. Aber die Natur erscheint durch Kunst immer noch imaginierbar. Viele Arbeiten von Christina Kubisch zeigen, daß das, was Menschen an ihrer Umgebung begreifen können, auch immer die Spuren ihres Eingriffs trägt.
Helga de la Motte-Haber
aus: Christina Kubisch Zwischenräume. Saarbrücken 1996, S. 40-45
Kataloge zu Einzelausstellungen/Monografien
Homepage
Quelle
Redaktion: Michael Jähne
Privatpersonen | Schüler*innen, Studierende | Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen | |
---|---|---|---|
je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: