Vielfältigkeit und Vielgestaltigkeit prägen das künstlerische Œuvre Katharina Krenkels, welches auch wiederkehrende Themen herauskristallisiert: Alltag und Heim; Körperlichkeit und Weiblichkeit; Natur, Landschaften und Elemente; Religion und Transzendenz sowie die Verschränkung von Mikro- und Makrokosmos. 1987 kam Katharina Krenkel nach Saarbrücken, um an der neu gegründeten HBKsaar Kunst und Design zu studieren. Die interdisziplinäre Ausrichtung des Studiums und die Schule des Sehens von Oskar Holweck beeinflussten ihre künstlerische Laufbahn und führten Krenkel zur freien Kunst. Schon in ihrer Kindheit wählte sie die Kunst – immer auch als Möglichkeit zur Abgrenzung. Sie wuchs in einem streng protestantischen Elternhaus auf, in dem Tüchtigkeit und Arbeitssinn tief verankert waren und ihre Herangehensweise an Kunst, ihren Umgang mit Material und Technik bis heute prägen. Insbesondere die Überzeugung fleißig sein zu müssen sitze sehr tief und gründe neben dem familiären auch auf einem beruflichen Hintergrund, so Krenkel: Sie fühle sich angetrieben, die eigene kreativ-geistige Arbeit und das Künstlerin-Sein rechtfertigen zu müssen gegenüber einer wirtschaftlich ausgerichteten Gesellschaft.
Katharina Krenkel ist Grafikerin und Performance-Künstlerin, vor allem aber Bildhauerin. Sie arbeitet mit Nadel und Faden – häkelt ihre Plastiken. Textile Werke stehen im Zentrum ihrer Performances – Grafiken und Zeichnungen werden oftmals gestickt und Druckvorlagen gehäkelt. Masche für Masche entstehen in additiver Technik teils sehr kleinteilige, sich unablässig wiederholende Strukturen mit nahezu atomar-cellulosem Charakter; die Maschen müssen Reihe um Reihe und Runde um Runde gezählt und errechnet werden; die Häkelpraxis orientiert sich an der Linie, weist also eine Nähe zum Grafischen und Linearen auf. Kunst und Mathematik gehen eine Verbindung ein. Dadurch entsteht etwas sehr Akkurates, Dreidimensionales und zugleich organisch Wachsendes. Die gehäkelten Werke erscheinen als persönlich visualisierte Denkprozesse und offenbaren die tiefe Sehnsucht Katharina Krenkels nach Ordnung und Struktur. Alles Häkelbare avanciert in diesem Prozess zur Urmaterie – die Künstlerin zur gestaltenden Schöpferin.
Ein Fokus liegt auf Widersprüchen und Spannungen sowie deren Überwindung, wenn die Künstlerin z.B. in ihren Plastiken harte und weiche Materialien verbindet. Neben Wolle nutzt die Bildhauerin auch feste, unkonventionelle Materialien wie Video- und Absperrbänder, Drähte, Pressengarn, Müllsäcke oder Gummistreifen. Dabei arbeitet sie vorwiegend mit Resten und schützt Ressourcen. Das Ausgangsmaterial muss lediglich fadenartig sein, um Masse entstehen zu lassen und dreidimensionale Körper zu formen. Aus Plastikstreifen alter Müllsäcke entsteht ihre Interpretation des zart-fließenden, blubbernden Elementes „Wasser“ (2016) und aus Absperrbändern häkelt sie ein Meer züngelnder Flammen, die das Element „Feuer“ (2016) darstellen. Im Rahmen des Skulpturenprojektes „Donaugalerie” wurden die Feuerzungen auf einem in der Donau schwimmenden Boot installiert und die Wasserblasen tröpfelten von einem Jugendstilbalkon am Flussufer. Auf der Metaebene kombiniert Krenkel Gegensätze miteinander: Wasser und Feuer sind Lebensgrundlage und Lebensbedrohung zugleich. Sie sind unkontrollierbar. Ihre Darstellung mithilfe des schnelllebigen Abfallprodukts Kunststoff stellt einen Bezug zur globalen Umweltzerstörung her und transportiert gesellschafts- und systemkritische Inhalte.
Die zeitliche Dimension ist in Krenkels Schaffen zudem relevant: Häkeln erfordert Zeit, Fleiß und Ruhe – es ist ein langwieriger Prozess, der sich beispielhaft an dem Projekt „Wasser, ein wanderndes und wachsendes Altartuch“ ablesen lässt: Seit 2011 wandert das Kunstwerk von Kirche zu Kirche und wird nach jeder Ausstellung von Katharina Krenkel weitergehäkelt. Getreu der heraklitischen Vorstellung, niemand könne zweimal in denselben Fluss steigen, ist das Altartuch in ständiger Bewegung. 2021 maß das Werk eine Länge von 8 Metern und hatte bereits 37 Stationen besucht. Die Bildhauerin stellt das Wasser in all seiner Mannigfaltigkeit dar: mal tosend, strömend, tiefblau bis erdfarben, mal wild, zerstörerisch, dunkelviolett, mal seicht, fließend, türkis, mal schäumend, blubbernd, weiß.
Katharina Krenkels Soft Sculptures – weiche Skulpturen – kehren traditionelle Vorstellungen von Bildhauerei als einer aus harten Materialien geschaffenen Kunst um. Sie bewegt sich mit ihren Arbeiten jenseits herkömmlicher Kategorien im erweiterten Feld. Gegensätze wie hart/weich oder leicht/schwer, die auf den ersten Blick unvereinbar sind, werden permanent dekonstruiert, überwunden und neu miteinander verbunden.
Die Entscheidung für die Häkeltechnik ergab sich aus mehreren Faktoren: Die Bildhauerin hatte nach dem Studium kein Atelier, dafür jedoch Wollreste; während einer Reise in die USA lernte sie ein Performance-Kollektiv kennen, dem auch Bob Wittinghill angehörte. Der Chicagoer Künstler häkelte in einem freiheitlich-collageartigen Stil und brachte ihr den kulturhistorischen Background der Handcraft-Bewegung näher. Die eigene Lebensrealität ist zu Beginn der künstlerischen Entwicklung Inspirationsquelle und bestimmende Thematik. Sie spiegelt die familiäre Lebenssituation mit vier kleinen Kindern und eine Prioritätsverlagerung auf das Häusliche wider. Katharina Krenkel machte Ihren Alltag kurzerhand zum Recherchefeld und entschied sich mit der Häkelpraxis für die Verbindung von Alltag und Kunst. Dabei steht der Künstlerin ihr Lebens- und Arbeitspartner Markus Himmel alias O.W. Himmel immer zur Seite. Gemeinsam leben sie von und mit der Kunst. Durch „KunstZuhauseAbende“, gemeinsame Ausstellungen und bezahlbare Editionsarbeiten machen sie Kunst erfahrbar und gehen einen Schritt auf Kunstinteressierte zu.
Durch die Verbindung von Beruf und Alltag ist Krenkels Schaffen auch im Kontext der Frauenbewegung der 1960er Jahre angesiedelt, die einen tiefgreifenden gesellschaftspolitischen Wandel ankündigte. Und Einfluss auf die Bildenden Künste nahm: Eine Abkehr von der traditionellen Trennung zwischen Leben und Beruf zeichnete sich ab. Die Textilkunst erfuhr durch Künstlerinnen und die Hippie-Bewegung eine neuartige Wertschätzung und Umdeutung. Die veränderte Bildsprache rebellierte still gegen die bis dahin androzentrisch geprägte Beurteilung von Themen, Materialien und Techniken, die als darstellungs- bzw. gebrauchswürdig oder eben unwürdig gedeutet wurden. Künstlerinnen setzten sich fortan verstärkt mit tabuisierten Inhalten wie Körperlichkeit, Menstruation, Schwangerschaft und weiblicher Sexualität auseinander.
Mit dem Häkeln und Sticken nutzt die Künstlerin zudem Techniken, die kulturell bis weit ins 20. Jahrhundert als dezidiert weiblich gelesen wurden. Dieses Geschlechterkonzept koppelte Weiblichkeit an Haushalt, Eheleben und Kinderbetreuung – zum Ausgleich und als Gegenmodell für ein über Öffentlichkeit, Politik, Wirtschaft und Handlungsmacht definiertes Männlichkeitsideal. Die Vorstellung polarer Geschlechtscharaktere (nach Karin Hausen) etablierte die Frau als Repräsentantin einer inneren Sphäre und weitete sich auf das Kunstverständnis aus. Im Biedermeier wurden bürgerliche Frauen meist mit Häkelnadel oder Strickstrumpf in häuslicher Atmosphäre dargestellt und ihre Handarbeiten, aber auch Bilder und Zeichnungen als unbedeutend abgetan. Im Gegensatz dazu waren Architektur, Bildhauerei und Malerei fast ausschließlich Männern vorbehalten und wurden als bedeutsame Kunst gewertet. Dieses Bild verankerte sich in der gesellschaftlichen Wahrnehmung, wodurch bedeutsame Kunst ein Synonym für männliche Kunst wurde.
Vor diesem Hintergrund überwindet Katharina Krenkel in ihren Werken geschlechtsspezifisch getrennte Sphären und hinterfragt die kulturelle Konstruktion von Geschlecht. Stereotype Geschlechterrollen werden durch die Verfremdung der Häkelobjekte kritisch reflektiert. Sie sind weder für Alltag noch Kleiderschrank nutzbar, stattdessen stellen sie Krenkels Blick auf Welt, Heim und Geschlecht dar, ihre Interpretation kultureller Konzepte.
Die Irritation, die die Künstlerin bereits als junge Erwachsene durch das Nebeneinander zweier Welten (Haushaltswelt und tabuisierte Sexualität) verspürte, kommt in ihrer Kunst beispiellos zum Ausdruck. So inspirierten sie die quadratischen Topflappen ihrer Großmutter und die gesellschaftliche Doppelmoral im Umgang mit Geschlecht zu einem ihrer frühesten Werke: den „Busen der Natur“ (1994). Die Soft Sculpture in Form einer Patchwork-Decke reflektiert den traditionellen Bettüberwurf und ist in Granny Squares gehäkelt. Von innen nach außen arbeitend hat Katharina Krenkel selbst kreierte spitzenförmige Busenquadrate zu einer großen Arbeit verbunden. Das Häkel-Œuvre präsentiert zahlreiche Variationen der weiblichen Brust: Jedes Quadrat ist einzigartig und unterscheidet sich in Form, Haptik und Farbe(n). Die Künstlerin unterstreicht mit dieser Arbeit körperliche Diversität: Sie präsentiert Weiblichkeit als Spektrum und kritisiert ein unrealistisches und eindimensionales Frauenbild sowie die gleichzeitige Omnipräsenz, Sexualisierung und Tabuisierung weiblicher Brüste. Genderklischees werden humorvoll ad absurdum geführt. Aus dem Kunstwerk ist ein Auflagenprojekt entstanden, bei dem die Künstlerin auf Anfrage exklusiv ein Paar Busentopflappen fertigt. Dabei darf zwischen vielen Konfigurationsmöglichkeiten gewählt werden (Brustwarzengröße, Hautfarbe, Busengröße, Form etc.)
Aus der Anfangszeit, die die Künstlerin als rosa Periode bezeichnet, stammen auch die „Mösenhöschen“ (1993) und die „NacktKörperAnzüge“ zur Geschlechtsumwandlung (1996): Soft Sculptures zum Überziehen. Die rosafarbenen NacktKörperAnzüge sind durchaus queer zu lesen und verweisen auf den performativen Charakter menschlicher Körper. Die Kunstwerke irritieren die Betrachtenden und durchbrechen traditionelle Sehgewohnheiten, indem dahinterliegende gesellschaftliche Konzepte parodiert, hinterfragt und als kulturell konstruiert enttarnt werden. Krenkels Häkelobjekte oszillieren zwischen Wirklichkeit und Täuschung, kultureller Tradition und grotesker Verfremdung.
Ebenfalls aus der frühen Phase stammt „Die Mama“ (1998): eine nackte, puppenartige, ausgemergelte Figur mit zusammen gefallenem Bauch und auffallend roten Brustwarzen, die auf einem hölzernen Hackblock ruht. Sie ist als Behältnis gedacht: An der Stelle des Bauchnabels sitzt ein metallener Ring, dessen Kette in einem Badewannenstöpsel endet, wo sich die Vulva einer Frau befindet. Der Unterleib wird von einem quer verlaufenden Reißverschluss unterbrochen. „Die Mama“ erscheint als kraftloses Wesen, geschwächt von einem Kreislauf aus Empfangen, Ausdehnen, Austragen, Gebären und Nähren. Dieses Motiv weiblicher Aufopferung äußert explizit die Kritik der Künstlerin.
Katharina Krenkels Themen sind an ihre Lebensphasen gebunden. In ihren 20ern und 30ern sind es vor allem Körperlichkeit, Reproduktion und Weiblichkeit, später folgt eine wissenschaftliche Phase, in der physikalische Grundfragen und geologische Beschaffenheiten das Œuvre bestimmten. „Kernspaltung“ und „Kernforschung“ (2005), das Landschaftsrelief „Die Erde ist eine Tischdecke“ (2003) oder die blockartigen Querschnitte „Wollbiotope – aussterbende Häkelarten“ (2007) vereinen Häkelkunst mit Naturwissenschaft. Sukzessive kommen Naturphänomene, Saarlandbezüge und Landschaften hinzu, wie seit 2014 Stickzeichnungen, Holzschnitte und Linoldrucke von Steinbrüchen und Höhlen. Vor Ort zeichnet die Grafikerin schroffe Steinbrüche und dunkle Höhlen mit Bleistift und Tusche, um sie mit weichem Faden auf das Papier zu sticken. Gegensatzpaare wie hart/weich, hell/dunkel, innen/außen werden miteinander verbunden.
Über ihrem künstlerischen Schaffen thront permanent das Schöpfungsthema: Erde und Mensch, Geburt und Tod, Werden und Vergehen. Arbeiten wie „Fötus“ (2004), „Die Mama“ (1998) und „Totenkopf“ (2007) sind diesen Lebenszyklen gewidmet und verknüpfen das Grundthema des menschlichen Alltags mit Konzepten von Natur und Transzendenz. Dies zeigt sich an Projekten wie „Feuer & Wasser“ (2016), „Wanderskizzen Saarland, 25 Tage – 25 Bilder“ (2018), „Turmwoche“ (2020) oder „Spitze unterwegs – Die Welt als mein Wohnzimmer“ (2020/21). Performances wie „Knochenarbeit – eine Waschperformance“ (2007/2010) oder „Rapunzel, lass Deinen Schal herunter!“ (seit 2000) bezeichnet die Künstlerin als „Living Sculptures”. Die Performances sind vorbereitungsintensiv und werden in vollkommener Stille verrichtet. Der Naturbezug spricht beispielsweise aus den „Wanderskizzen Saarland”, die einen idyllischen Blick auf die Region werfen, in der sich Fuchs und Hase sprichwörtlich gute Nacht sagen. 25 Tage umwanderte Katharina Krenkel das Saarland und hielt ihre Eindrücke von Landschaft, Natur und Bebauung in gezeichneten und gestickten Bildern fest. Abends sichtete und vervollständigte sie ihre Arbeiten und sendete je eine Postkarte an die Tourismuszentrale des Saarlandes und an das Weltkulturerbe Völklinger Hütte, wo das Projekt ausgestellt wurde: Die Karten und Briefumschläge vereinen Skizzen, Stickzeichnungen, Collagen und Stempeldrucke mit Informationen über Aussicht, Gaststätten und Pausen.
Die Installation „SOS, Save Our Souls – gehäkelte Rettungsringe im Kirchenschiff“ (2010) ist dem Thema Transzendenz gewidmet: In der Auseinandersetzung mit Konzepten von Seele, Religion und Überirdischem konfrontiert Krenkel uns mit fundamentalen Fragen menschlichen Seins. 49 filigran gehäkelte, spitzenartige Ringe in Weiß schweben als Rettungsringe in unterschiedlicher Höhe von der Decke. Gemeinsam wachsen sie zu einem Meer aus Seelen an. Jeder Ring ist einzigartig und durchbrochen. Die Ringe umgeben das Unsichtbare und werden davon umgeben.
Die Künstlerin befasst sich auch mit selbsternannten Lustprojekten. Mit „It’s a Fuzzy World“ (seit 2020) hat sie ein Kunsttagebuch als kreatives Langzeitprojekt begonnen: Menschen, denen Katharina Krenkel begegnet und die ihr im Gedächtnis bleiben, werden humorvoll als Häkelfigur dargestellt. Jede Woche ergänzt die Künstlerin ihren subjektiven Häkelkosmos um eine neue Figur. Mittlerweile bevölkern weit über 400 Charaktere, Objekte und Bäume die „Fuzzy World”.
Seit 2021 ist die Kunstschaffende gelegentlich gemeinsam mit ihrem Bruder, dem Bildhauer Rüdiger Krenkel, im sogenannten „Pfannoptikum – Rollenden Museum“ unterwegs, das mit immer neuen Exponaten bestückt wird. Das Museum auf vier Rädern ist eine zeit- und ortsunabhängige Interpretation frühneuzeitlicher Kuriositätenkabinette (Panoptika), mit der das Geschwisterpaar offensiv und humorvoll auf die pandemische Lage reagiert, die auch von der Kunstbranche ihren Tribut forderte.
Originalität, Eigensinn, Mannigfaltigkeit und Nahbarkeit sind Eigenschaften, die die Bildhauerin Katharina Krenkel auszeichnen und deren Schaffen bestimmen. Am Anfang ihrer Kunstkarriere stand ihr Schöpfungswille, der ihren Alltag zum Recherchefeld und die Welt zum Häkelkosmos avancieren ließ.
Selina Fuchs
Redaktion: Selina Fuchs, Sandra Kraemer
Alle Abbildungen: VG Bild-Kunst, Bonn
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je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: