"1 + 1 = 1" Der Künstler und sein Werk, der Schöpfer und seine Schöpfung sind nicht zwei verschiedene Dinge, sie bilden eine Einheit. Das ist auch, als Prinzip, ein Aspekt der Weltanschauung Joachim Ickraths. Biographische Streiflichter: geboren 1940 in Berlin; zwischen 1959 und 1970 Studium in Basel, Saarbrücken und Berlin, 1966 Mitherausgeber der Zeitschrift ZAAZ in Berlin, die sich in Theorie und Praxis mit konstruktivistischer Kunst beschäftigte, 1970 bis 1981 Reisen in Europa, Asien und Amerika, darunter ein zweijähriger Aufenthalt in Indien
"Die künstlerische Tätigkeit ist das Ganz-Andere. Letztlich geht es in der Kunst um die Suche nach dem Unbekannten, um die Erweiterung des Bewußtseins und des Wissens auf verschiedenen Ebenen." (Ickrath im Interview, Saarbrücker Zeitung, 1997) Diesem Anspruch und Leitmotiv seines künstlerischen Tuns sind natürlich auch die Arbeiten der Werkreihe(n) unterworfen, die sich in dieser Ausstellung präsentieren. Die Arbeiten an den Wänden zeigen in stets gleichen Abmessungen (90 x 30 cm) je einen sehr reduzierten Formenapparat, dessen Komposition sich nie wiederholt, aber immer zurückhaltend und streng bleibt.
Auf die Frage nach dem "Unbekannten", dem Fundort, der diese Formen zu Tage brachte, antwortet Ickrath mit einem Hinweis auf ganz Profanes: die Dehnungs- und Verbindungsfugen auf Autobahnbrücken, die, mit Stahlmontierungen armiert, lange schmale Strukturen bilden, haben diese Bildfindungen ausgelöst. Es handelt sich aber keineswegs um die Abbildungen gesehener Sachverhalte oder um deren Abstrahierung. Ickrath steht vielmehr in der Tradition der Konstruktivisten - der Hinweis auf die Dehnungsfugen bezeichnet nur den auslösenden visuellen Impuls, der "die Suche nach dem Unbekannten, (...) die Erweiterung des Bewußtseins auf verschiedenen Ebenen" auslöst.
Zweierlei kommt nun zusammen: zunächst die Arbeit des Konstruktivistischen Künstlers. Ickrath arbeitet hier mit Modulen. Seine Bildfläche ist je 90 x 30 cm groß - hier ist schon das Metrum "3" zu erkennen. Die Bildfläche ist virtuell in Quadrate mit einer Kantenlänge von je 3,333 cm geteilt. Das ergibt 9 Quadrate in der Breite und 3 x 9 Quadrate in der Länge/Höhe, d. h. insgesamt 243 (das sind 3 hoch 5) Quadrate - weitere Bezüge, die sich in diesem System ergeben, müssen hier außer Acht gelassen werden. Die 243 Quadrate, die eine virtuell geschlossene Fläche bilden, reduziert der Künstler so weit, dass nur noch eine geringe Zahl von Quadraten übrig bleibt und sichtbar wird, eine geschlossene Struktur oder eine Reihe von Einzelquadraten bildet - diese Festlegung ist der finale künstlerische Akt. Damit ist nun die - sagen wir - technische Seite der Vorgehensweise von Joachim Ickrath beschrieben.
Der technische Vorgang steht vor einem Hintergrund, der etwas näher zu betrachten ist, um seine Sinnhaftigkeit mehr zu beleuchten. Die Ergebnisse dieser "Operationen" mit geometrischen Basiselementen sind keineswegs trocken und langweilig, sondern voller Lebendigkeit und Variationsvielfalt. Inspiration einerseits und das Wissen um Bildfindungen, die durch geometrisches Konstruieren von der "magisch-symbolischen Ornamentik bis zu den konkret-konstruktivistischen Kunstbewegungen" (Christina Weiß) geschaffen wurden, prägen die Arbeit Ickraths. Die Werke beziehen ihre ästhetische Qualität und ihre lebendige Wirkung aus der Spannung zwischen kompromißloser Gesetzmäßigkeit des Aufbaus und der Suggestivkraft einer schwebenden Harmonie und Ausgeglichenheit des entstehenden Bildes. Die Beziehungen der Teile untereinander und zum Bildganzen, die emotionale Wirkung der Farbe (in den "Bildsäulen") schaffen eine Art Magie des Bildes ohne illusionistische Vorspiegelungen.
Ein Blick auf die Arbeit konstruktivistischer Künstler, deren Arbeiten Ickrath während seiner Studienzeit in der Schweiz kennenlernte, gibt hier Hinweise. Camille Graeser (1892-1980) arbeitete mit kompositorischen Ordnungsprinzipien, die oft nicht unmittelbar ablesbar, aber von nachvollziehbarer Logik geprägt sind und auf einer horizontalen oder vertikalen Teilung der Gesamtfläche beruhen; die Beziehungen bestehen in den Ausmaßen der Teilflächen, wie in den sie definierenden Farben. Auch Ickrath gewinnt aus einem sehr disziplinierten und sparsamen, man möchte (in Hinblick auf seine Lebensführung) sagen einfachen Umgang mit den bildnerischen Mitteln ein hohes Maß an formalem Reichtum.
Aus einem völlig rationalen Grundentwurf können sich durch die gefundenen Formvariationen Anstöße zum Meditieren über die Vielfalt des Ähnlichen oder die Ungleichartigkeit des Gleichartigen ergeben. Dabei realisiert Joachim Ickrath seine bildnerische Ideen in einer überschaubaren Zahl; über das damit verbundene Vergnügen des Schauens stiftet er den Betrachter an, die visuellen Erlebnisse als Denkanstöße aufzunehmen und weiter zu entwickeln. Die Erforschung von gesetzmäßigen Verknüpfungen zwischen Form und Farben, von Einblicken in Ordnungssysteme zwischen Teilen und ihrem Ganzen, die der Künstler in seinen Arbeiten visualisiert, weisen über die Kunst hinaus.
Die Werke des Schweizer Konstruktivisten Richard Paul Lohse (1902-1988) sind solche Forschungs- oder Erkenntnisarbeiten. Lohses Arbeiten waren sicher auch für Ickrath Impulse zur Aufhebung des Dualismus von Bildgrund und geometrischer Figur in der Malerei. Die über die ganze Fläche gelegte "anonyme" Vertikalstruktur ersetzt das individuelle Bildmotiv. Ausgangspunkt sind auch hier wiederum standardisierte Formelemente. Ebenfalls finden wir hier ein einfaches Instrumentarium anonymer Bildmittel, aus denen er Systeme entwickelt, deren Besonderheit ihre Variabilität ist. Auch Form und Farbe heben sich als Gegensatz auf, werden deckungsgleich (Lohse entwickelte hierfür das Prinzip der Farbmengengleichheit). Kennzeichnend für Ickraths Arbeit ist ebenfalls die von den Schweizer Konstruktivisten aufgenommene methodische Konsequenz des Arbeitens in offenen, flexiblen Systemen. Die Struktur-Schemata sind jeweils auf das Bildfeld bezogen, jedoch auf der Grundlage des kombinatorischen Systems über die Bildgrenze hinaus erweiterbar. Die Strukturgesetze sind demnach über das Bildformat hinausgehend unbegrenzt, unerschöpflich. Wie bei Lohse gibt es bei Ickrath keine Haupt- und keine Nebenformen, also kein hieratisches System, keinen Dualismus, keinen Gegensatz. Die Elemente bedingen sich gleichberechtigt im System, stehen in gegenseitiger Abhängigkeit und formen so das Ganze.
Die Kunst erhält damit einen Modellcharakter, der über das visuelle, das ästhetischer Ereignis auf das Weltganze verweist – ja eigentlich ein Teil des Weltganzen ist. Damit ist über den Umweg der Denkweise der Schweizer Konstruktiven der Punkt erreicht nach dem geistigen Hintergrund von Ickraths Arbeit zu fragen. Seine wichtige Komponente ist dabei sicher seine Spiritualität, die vom Krishna – Bewußtsein (Hinduismus) geprägt ist.
"Wer der Wahrheit tiefsten Sinn nicht kennt,
Müht sich ab in vergeblichem Grübeln.
Dein Denken laß schweigen -
Darauf kommt es an!
Bleibe nicht stehen
Bei gegensätzlichen Gedanken;
Ihnen nachzujagen und sie zu suchen,
Davor hüte Dich!
Wer vom Gegensätzlichen
Nur einen Hauch beibehält,
Dessen Geist bleibt verworren." (Stempel des Glaubens vom 3. Patriarchen Szoszan)
Die intensive Auseinandersetzung mit indischer Religion (Krishna - Bewußtsein) strukturierte Ickraths Denken; als Suchender und Lernender hat er sich mit der Sprache, der Mythologie, den umfangreichen Versepen und Spruchsammlungen vertraut gemacht - eine Denkweise, die seitdem sein Leben und seine Arbeit prägt; auf letztere zudem wie ein Katalysator wirkt. Der "westliche" Künstler Ickrath hat in der konstruktiven Kunst den Widerklang seiner Spiritualität finden können; zwei Verse formulieren zu erstrebende Ziele: "Was jenseits der Dualität ist" und "die Einheit hinter allem".
Der Weg ist der Weg der Erkenntnis, der Weg, das Wissen um das Weltganze zu erweitern, Bausteine des Wissens um Schöpfung und Schöpfer zu finden. Schöpfer und Schöpfung sind beide wesensgleich, nur in der Quantität ist der Schöpfer (anders ausgedrückt:Gott) unendlich viel größer. Schöpfung und Schöpfer sind gleichzeitig eins und verschieden: die Ungleichartigkeit des Gleichartigen. Nicht der Gegensatz ist (nach dieser Auffassung) das Weltprinzip, sondern die Einheit der Verschiedenheit. Der Schöpfer (oder Gott) repräsentiert den Aspekt des Absoluten, des Unerschöpflichen, findet sich aber als Element, als Seele im Herzen jedes Lebewesens.
Gar nicht so weit entfernt davon steht das Denken des christlichen Mystikers Meister Eckhart (1260-1329), der sagt: "So hat die Seele von allem, was man von Gott aussagen kann etwas Gleiches" (Traktat "Von der Selbsterkenntnis", S. 20) und "Spricht man aber von der Gottheit, dann spricht man von der Natur" (ebenda).
Auf die Frage nach der Quelle seiner Inspiration antwortet Joachim Ickrath: "In meiner künstlerischen Arbeit versuche ich analog zur Natur Prinzipien zu erkennen und zu formulieren." (Interview Saarbrücker Zeitung 1997)
Der Künstler gibt in seinen Arbeiten keine Rätsel auf, er deckt vielmehr Rätselhaftes auf, verhüllt nicht, sondern macht sichtbar; er enthüllt weitere (kleine) Teile des Weltganzen, macht für den Betrachter sichtbar, was bis dahin nicht sichtbar war.
Michael Jähne
Redaktion: Oranna Dimmig
Privatpersonen | Schüler*innen, Studierende | Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen | |
---|---|---|---|
je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: