Oskar Holweck war einer der wichtigsten Vertreter der Konkreten Kunst in Deutschland. Über seine eigene künstlerische Tätigkeit hinaus hat er als Lehrer an der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk, am Fachbereich Design der Fachhochschule des Saarlandes und an der Hochschule der Bildenden Künste Saar Generationen von Studierenden prägend beeinflusst.
Um sein künstlerisches Schaffen zu umreißen, seien noch einmal zwei der "Kardinaldefinitionen" der Konkreten Kunst zitiert: 1930 schreibt Theo van Doesburg: "Das Bild soll mit rein bildnerischen Mitteln gestaltet werden, das heißt mit Flächen und Farben. Ein bildnerisches Element bedeutet nur sich selbst; folglich bedeutet das Bild ebenfalls nur sich selbst." (In: AC - Numéro d´Introduction du Groupe et de la Revue Art Concret; Die Grundlagen der Konkreten Malerei, Punkt 3). 1936 formuliert Max Bill: "Konkrete Kunst nennen wir jene Kunstwerke, die aufgrund ihrer ureigenen Mittel und Gesetzmäßigkeiten - ohne äußerliche Anlehnung an Naturerscheinungen oder deren Transformierung, also nicht durch Abstraktion entstanden sind." (In: Eduard Hüttinger, Max Bill. Zürich 1977, S. 61)
Auch Holweck geht es nicht um die Schaffung von Bildern, die für etwas anderes stehen, sondern um die Erforschung des Sichtbaren und um die Sichtbarmachung vorhandener Seinsbefindlichkeiten - um Sehen und Sehen können. Damit definiert sich sein Lebenswerk, in dessen "schaffendem" Teil er unermüdlich, akribisch, sich auf ein umgrenztes Gebiet bzw. Material - Papier - konzentrierend, nach möglichst vollständiger Erforschung strebte. Ob bei Tuschearbeiten (in denen er schwarze Tusche auf weißes Papier spritzen, tropfen oder darüber rinnen läßt), Reißobjekten, Buchobjekten, Papierkaskaden oder mehrschichtigen Klebecollagen, es ist immer erhellend und faszinierend das Entstehen dieser Arbeiten mitzuerleben oder gedanklich nachzuvollziehen.
Die letztgenannte Werkgruppe ist hierfür exemplarisch. Holweck klebt hierbei zwei Kartons unterschiedlicher Stärke (Gewicht) mit gleichmäßigen Klebestrichen, in immer gleichem Abstand aufeinander und reißt die beiden Kartons nach dem Trocknen in gleichmäßig sich wiederholender Bewegung wieder auseinander. Faszinierend ist der Entstehungsprozess aber erst vom Ergebnis her. Die Beschreibung des Arbeitsvorganges sagt zum Ergebnis zunächst nur wenig. Bei Holwecks Arbeitsablauf ereignet sich viel mehr als die Verformung von Papier. Das schweigende Papier beginnt sich zu äußern, gibt Geheimnisse preis, läßt Blicke in den vielfältigen Kosmos der möglichen, d. h. potentiell vorhandenen Strukturen, der Formen, die im Material angelegt sind und durch die Intuition des künstlerischen Eingriffs offen gelegt werden. "Holweck (bringt) sein weißes Material zum Sprechen" (Ursula Giessler in der Saarbrücker Zeitung vom 11. 11. 1988). Aber er bringt sein Material eben zum "Sprechen" - diesem "Sprechen" muß man "zuhören", eine nicht eben leichte Aufgabe für den Betrachter. Es ist ein "Sprechen", dem Licht und Schatten zusätzliche Modulation geben: Antworten auf die Fragen nach den Geheimnissen der Form, die der Künstler dem Material stellt. Diese Antworten sind mitunter sehr leise: schmale Streifen der oberen Papierschicht lösen sich aus der schweigenden weißen Fläche, zart zerfasernde, gerissene Ränder sprechen von der neuen Freiheit eines Materialstreifens, dem verlorenen und wiedergefundenen Zusammenhang mit der vorherigen Ganzheit der Form. Allemal besitzen die Objekte ästhetischen Reiz - dieser aber ist nicht ihre wesentliche Aufgabe. Ihre wesentliche Aufgabe ist das Entbergen der inneren Befindlichkeiten von Materie, von verborgenen Strukturen, die Oskar Holweck ans Licht holt und durch das Licht formen läßt. Ohne dies kämen seine Objekte nicht über Dekoratives hinaus. Im Vergleich mit früheren Arbeiten läßt sich auch eine lyrischere Gestimmheit feststellen, weniger offensichtliche Dynamik, wie sie ältere Objekte zeigen. Leise und weniger Raum einschließend, wie Buchobjekte und Papierkaskaden, geben die beschriebenen mehrschichtigen Reißobjekte Auskunft über die Veränderung von Strukturen, beim Sichlösen, Sichbefreien und der Rückkehr in die Bindungen des Materials.
Auch die anderen Werkgruppen folgen im Grunde dem gleichen Prinzip: Beschränkung auf ein oder zwei Materialien (etwa bei Hinzunahme von schwarzer Tusche), die mit immer gleichartiger, sich wiederholender Bewegung erfolgende Einflussnahme des Künstlers auf seine Materialien (Auftropfen der Tusche, Kippen des Papiers, um die Tropfen fließen zu lassen; Abreißen der schichtig geklebten Bögen; das Ziehen eines Reissgitters aus Holzlatten und Nägeln über einen Papierbogen); die von Objekt zu Objekt einer Gruppe immer wieder gleichen Abläufe. Dabei bearbeitet Holweck sein Material nicht, um mit diesem etwas anderes außerhalb des Materials liegendes zu zeigen, sondern etwas im Material liegendes sichtbar werden zu lassen, "mit dem Ziel, ausschließlich das an Eigenschaften an einem Material zu zeigen, was es selber hergibt" - wie es der Saarbrücker Philosoph Dietfried Gerhardus beschreibt - und weiter: "In exemplifizierender Kunst, wie ich die künstlerische Arbeitsweise von Holweck (...) jetzt nennen möchte, wird an einem medienspezifisch bearbeiteten Material das gezeigt, was dann das Medium selbst ist, im besten Fall seine bezeichnenden Teile." (Dietfried Gerhardus, Erneuerung der Sprachlichkeit. Papier als künstlerisches Medium. In: Oskar Holweck. Arbeiten von 1956-1980. Galerie St. Johann. Saarbrücken 1980, o. S.)
Bei Holweck fasziniert nicht nur immer wieder die Konsequenz des Suchers und Finders bei der Erforschung des Vorhandenen und seiner Sichtbarmachung, hinzu tritt der immer wieder neue ästhetische Reiz der Arbeiten. "Kompromißlos besteht deshalb Oskar Holweck mit seinen Arbeiten in Papier darauf, uns unserer elementaren Orientierungen sinnlich gewiss zu werden. Seine künstlerischen Papiere pochen auf Handlungen des sinnlichen Erkennens und geben sich nicht damit zufrieden, daß ein Ei ohnehin wie das andere aussieht." (Dietfried Gerhardus, ebda.)
Michael Jähne
"Formen dem Papier entreißen." Beharrliche Arbeiten am Material: Oskar Holweck wird siebzig.
Gerissen, gestaucht, gefaltet, geknüllt - Worte, die einem einfallen, wenn von Oskar Holweck die Rede ist, der heute siebzig Jahre alt wird. Er gehört zu jenen raren Künstlern, die nicht darauf angewiesen sind, auf den Kunstmärkten in möglichst vielen Galerien präsent zu sein, um ihre Bedeutung nachzuweisen. Holwecks Arbeiten gehören seit den frühen sechziger Jahren, als er im Umfeld von ZERO auftauchte, zum festen Bestandteil der deutschen Kunst. Trotzdem ist er als Künstler ebenso leise, ja fast unauffällig geblieben, obgleich sich seine Arbeiten konsequent und beharrlich entwickelten. Bei wenigen Künstlern dieser Generation drängt sich der Eindruck der Kontinuität in einem Werk auf wie bei Holweck. Dabei ist es keineswegs so, daß er ein einziges Thema, eine Methode endlos variiert, wie das heute so gerne geschieht, im Interesse der "Wiedererkennbarkeit", die gleichsam zum Markenzeichen stilisiert wird.
Holwecks Werk weist einen großen Reichtum an Formen und Themen auf. Es fasziniert durch die Vielfalt der formalen Findungen, die aus einer bewußt eingeschränkten und kontrollierten Basis gewonnen werden. Die Arbeiten wurzeln im "Informel". Vor allem die frühen Tuschen mit konditionierten aber nicht kontrollierten Farbverläufen ordnen sich historisch in diesen Zusammenhang ein. Aber schon früh tritt das Interesse an nur einem Material, dem Papier, und weitergehend einer Farbe, Weiß, in den Vordergrund. Das Papier unterwirft Holweck einem Destruktionsprozeß, den er so bestimmt, daß Strukturen gewonnen werden, die nie mechanisch und damit wiederholbar werden. Holweck bringt damit einerseits die Materialität des Werkstoffes Papier gewissermaßen zu sich selbst, andererseits schöpft er das künstlerische Repertoire des Seriellen voll aus.
Bemerkenswert dabei ist, daß er zwar von den Erkenntnissen der rationalen und konstruktiven Kunst profitiert, seine Methoden aber stets so wählt, daß ein großer Spielraum für das Gestische wie für das maßvoll Dramatische erhalten bleibt. Trotz der in ihrer Materialwirkung "dramatischen" Eingriffe wirkt das Ergebnis nie theatralisch. Holweck überführt das gestische Moment der Kunst des Informel in einen beherschbaren Bereich der Struktur. Dabei wird immer darauf geachtet, daß ein großer und unmittelbar sich mitteilender sinnlicher Ausdruck erhalten bleibt. So kontemplativ und ruhig viele Arbeiten von Holweck erscheinen, ihnen eignet stets eine manifeste Kraft: Der künstlerische Prozeß ist die Freisetzung dieser Kraft, die in dem ruhenden Material verborgen ist. Das von Holweck bearbeitete Papier zeigt - neben seiner jedem vertrauten Widerspenstigkeit - plötzlich den ihm eigenen Materialcharakter, das der ästhetischen Manipulationen entgegengesetzt wird. In der Auseinandersetzung mit diesem Materialcharakter gewinnt Holwecks Kunst ihre Unverwechselbarkeit.
Aus dem kunsthistorischen Kontext der Gruppe ZERO ist Holweck schon relativ früh herausgewachsen, was auch mit seiner sehr bewußten Entscheidung für die "Provinz" zusammenhängt. Er hat seine saarländische Heimat nie verlassen und in Saarbrücken als Akademielehrer gewirkt. Vielleicht hat diese Zurückgezogenheit zu dem Eindruck der Kontinuität und der Konzentration beigetragen, die sein Werk heute dem Betrachter vermittelt. Jede Anbiederung an den Zeitgeist ist dieser Kunst ebenso fremd wie der Effekt um des Effekts willen. Mag sein, daß den Arbeiten von Oskar Holweck im schnellebigen Kulturbetrieb nicht immer der ihnen zukommende Rang eingeräumt wird. In der Kunstgeschichte ist er ihnen allemal sicher."
Hans-Peter Riese
aus: Oskar Holweck. Arbeiten 1956-1994. Katalog zur Ausstellung. Mittelstadt St. Ingbert (Hg.). St. Ingbert 1995. S. 8 f.
Redaktion: Michael Jähne, Claudia Maas
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