Antoni Tàpies hat seine Malerei einmal als „Meditation über die Natur des Menschen“ bezeichnet und damit eine sehr treffende Charakterisierung der Arbeiten von Doris Hinzen-Röhrig formuliert.
Die 1951 in Saarbrücken geborene, seit 1976 (mit Unterbrechungen) in Berlin ansässige Künstlerin ist eine leidenschaftliche, passionierte Reisende, die alle Kontinente bereist und längere Zeit in Brasilien (1982-83) und Thailand (1988-98) gelebt hat.
Es ist weniger die sprichwörtliche Sehnsucht nach der Ferne, als vielmehr eine ausgeprägte Entdeckungslust am Neuen und Unbekannten, die sie antreibt, getragen von der Auseinandersetzung mit dem Eigenen und dem Fremden im menschlichen Streben nach Selbsterkenntnis. In der Sprache ihrer Malerei bewegt sich Doris Hinzen-Röhrig dabei zwischen abstrakten und konkreten Bildwelten und setzt sinnliche Eindrücke und rationale Überlegungen in einer farbbetonten, atmosphärisch verdichtenden Arbeitstechnik um.
Insbesondere die intensiven Begegnungen mit lateinamerikanischer und fernöstlicher Kultur, Philosophie und auch alltäglicher Lebensweise haben die Denk- und Arbeitsweise von Doris Hinzen-Röhrig maßgeblich geprägt. Ihre künstlerische Aufmerksamkeit richtet sich gleichermaßen (oder auch ganzheitlich) auf äußere Erscheinungen und Gegebenheiten wie auch auf die innere Sphäre des Menschen. Ereignisse der aktuellen Tages- und Weltpolitik, Natur- oder Umweltkatastrophen aber auch philosophische Überlegungen zur conditio humana sowie Erinnerungen, Gefühle, Gedanken, Träume oder Visionen können in ihre Werke einfließen. Dabei durchlaufen sie einen Prozess der Transformation, denn Doris Hinzen-Röhrig bedient sich – vom Gegenständlichen kommend - überwiegend einer farbintensiven, abstrakten Bildsprache. Zentrale Aspekte ihrer Malerei sind das Prinzip der Collage und die Verwendung von Farben als Ausdrucks- und Stimmungsträger.
Es gibt wiederkehrende Themen im Gesamtwerk wie beispielsweise ausschnittartige Natur- und Stadtlandschaften, Mensch und Umwelt oder die vielfältigen Erscheinungsformen der Grundelemente Feuer, Wasser, Erde und Luft. Die Grundannahme, dass die äußere und innere Welt einander spiegeln und sich wechselseitig beeinflussen, ist wesentlich für das Verständnis der Bilder von Doris Hinzen-Röhrig. Die Künstlerin erhebt gewissermaßen die subjektive, interpretierende Wahrnehmung - als unsicheres Fundament unserer Handlungen und Überzeugungen – zum zentralen Bildgegenstand.("Wahrnehmung bezeichnet allgemein den Vorgang der Empfindung einer subjektiven Gesamtheit von Sinneseindrücken aus Reizen (Stimuli) der Umwelt und inneren Zuständen eines Lebewesens." Quelle:http://de.wikipedia.org/wiki/Wahrnehmung)
Dabei gelingt es ihr, die Parallelität dualer Erscheinungen bildnerisch umzusetzen: Stille und Lärm, Bewegung und Stillstand, Licht und Dunkelheit, Abstraktion (immaterielle Existenz) und Figürlichkeit (materielle Existenz), Linie und Fläche, Ordnung und Unordnung, Farbe und Form, Figur und Symbol wechseln einander ab, verschmelzen miteinander oder ergänzen sich und treten als ausbalancierte Gegengewichte in den Bildern auf.
Der Einstieg in die Malerei erfolgte während des Studiums der Kunstgeschichte und Soziologie (1974-76). Zuvor absolvierte Doris Hinzen-Röhrig ein Grundstudium an der damaligen Werkkunstschule Saarbrücken bei Prof. Oskar Holweck. Er vermittelte der Künstlerin vor allem ein "anhaltendes Streben nach handwerklicher Perfektion und die Erkenntnis der engen Verbindung eines ganzheitlichen Seherlebnisses und einer dem entsprechenden handwerklichen Umsetzung." (Doris Hinzen-Röhrig)
Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde sie in der Theorie an fernöstliches Gedankengut herangeführt, das - anstelle des westlich geprägten Denkens in Gegensätzen - die Gleichzeitigkeit zweier Pole beinhaltet.
Das nachfolgende Grafik-Design-Studium bei Prof. Robert Sessler war an den Lehren des „Bauhaus“ orientiert und vermittelte vorrangig die Bedeutung und Wichtigkeit des Ausbalancierens von Kräften im Bild.
Des Weiteren waren Kurse im experimentellen Zeichnen bei Dorothee Rocke (1997/98) maßgeblich für die künstlerische Entwicklung von Doris Hinzen-Röhrig. Sie markieren eine künstlerische Wende, den Beginn des Zugangs zu einer "neuen Welt der Nichtfarben", zu den freien, ungegenständlichen Zeichnungen sowie Collagen, in die verschiedene Materialien und Fundstücke eingearbeitet und zum Teil übermalt werden.
Seit 2002 arbeitet Doris Hinzen-Röhrig zunehmend raumbezogen, dabei entstehen großdimensionierte, komplexe Werke in Kombination verschiedener Materialien und Medien, die teilweise zu multimedialen Bildinstallationen und Inszenierungen angeordnet werden.
Zeichnung
Handzeichnungen/Studien
Bei den Zeichnungen im Œuvre Doris Hinzen-Röhrigs handelt es sich um zumeist klein- bis mittelformatige, klassisch-figürliche oder experimentelle Handzeichnungen mit Studiencharakter in Bleistift/Graphit, Japanfeder oder auch Kugelschreiber. Die prägnantesten Merkmale sind dabei eine Reduktion auf Bildausschnitte oder wechselnde Ansichten von Einzelfiguren. Eine Folge von Katzenporträts aus den frühen 1990er Jahren entstand als Hell-Dunkel-Studie, der Körpermodulation durch Licht und Schatten. Während der Aufenthalte in Brasilien und Thailand entstanden viele Zeichnungen unmittelbar in der Landschaft oder im Raum, in denen sich Zeit und Raum verdichten. Auch eine neuere Serie ausschnitthafter Häuserfassaden (2011/12) belegt das technische Können von Doris Hinzen-Röhrig bei der Darstellung verschiedener Materialien und Oberflächentexturen. Die stoffliche Ausarbeitung des Wechselspiels von Berlin-typischen Brandmauern mit landkartenähnlich verbliebenen Putzresten oder rhythmisierender Fensteröffnungen in Fassaden besticht nicht nur durch die wirklichkeitsgetreue Wiedergabe sondern auch durch die eingefangene Stimmung und Atmosphäre in diesen ungewöhnlichen Stadtbildern.
Experimentelle Zeichnungen
Seit Ende der 1990er Jahre, nachdem die Künstlerin die Kurse im experimentellen Zeichnen bei Dorothee Rocke absolviert hat, entstehen sowohl klein- als auch großformatige rein abstrakte Zeichnungen. In diesen Arbeiten gesellen sich zu den befreiten Linien und Schraffuren chiffrenartige Gebilde, Art Brut-verwandte, an Kinderzeichnungen erinnernde Formenspiele oder wie unleserliche Schreibschrift wirkende dynamische, skripturale Linienformationen. Auch Farben halten hin und wieder Einzug in diese Zeichnungen. (Beispielsweise die Serie „Belebte Stille“, 1999, Bleistift, Graphit, Pigmente auf Papier, je 29 x 29 cm, abgebildet in: Doris Hinzen-Röhrig - „Belebte Stille“, Malerei/Zeichnungen 1998/1999. Hg. Marlies Hanstein und Doris Hinzen-Röhrig, Saarbrücken 1999, S. 6-7.) Die assoziative Erweiterung in den abstrakten Zeichnungen ist groß und schafft auch für den Betrachter größeren Spielraum für individuelle Interpretationen.
Malerei
Abstraktion und Figürlichkeit stellen für die Malerin Doris Hinzen-Röhrig keine formalen Gegensätze dar, sondern werden als gleichberechtige Ausdrucksmittel eingesetzt, gemäß den multiplen Erscheinungsformen der Wirklichkeit im Spiegel unserer Wahrnehmung. Frühe Arbeiten aus den 1970/80er Jahren sind überwiegend gegenständlich angelegt und weisen einen experimentellen Studiencharakter auf. Tendenzen zur formalen Vereinfachung und zum Einsatz von Farbe als Ausdrucksträger sind bereits prägnant. In den 1980/90er Jahren entstehen monochrome Farbflächenbilder mit rasterartigen Strukturen, rechteckigen Raumfeldern, die an Wand, Fenster- oder Türausschnitte erinnern. Durch eine forcierte Reduktion durch Flächigkeit und harmonisch ausbalancierte Kompositionen sind diese Bilder nahezu abstrakt und weisen eine differenzierte, luzide Binnenstruktur auf, die zur kontemplativen Betrachtung anregt. Das Wissen um Farben und ihre Wirkkraft und der Einsatz von Licht und Dunkelheit als Stimmungsverstärker sind in den Arbeiten sinnlich erfahrbar umgesetzt.
Die seit Ende der 1990er Jahre entstehenden Bilder im Prinzip der Collage und Mischtechnik sind freier im Bildaufbau, vielschichtig angelegt und atmosphärisch verdichtet.
Zeitungsausschnitte, Brieffragmente, Stofffetzen, Postkarten oder eigene Fotografien (die Künstlerin fotografiert systematisch bestimmte Erscheinungen, z. B. Wolken, Asphalt, Häuserfassaden oder Street Art als internationale Form einer Protestkultur in Städten) werden in den Bildgrund eingearbeitet und in einem sich mehrfach wiederholenden Prozess von Übermalungen ausgearbeitet.
Bild-/Rauminstallation und interdisziplinäre Projekte
Aktuelle Tages- und Weltpolitik fließen erklärtermaßen stets in Überlegungen und somit auch auf poetische Art in das künstlerische Schaffen Doris Hinzen-Röhrigs ein. Eine Zäsur stellen jedoch die Ereignisse des 11. September 2001 dar. Sie führten die Künstlerin zu der Frage "Welche Visionen haben wir noch?" als Thema eines Werkzyklus. Es scheint, als ob die Komplexität des Themas auch nach einem größeren Maßstab der Umsetzung verlangt hätte. Erstmals entstanden experimentelle sogenannte Lichtmalerei und -gesänge (2002/03), als multimediales Kunstprojekt in Zusammenarbeit mit Performance-KünstlerInnen (Musik und Tanz). Für Doris Hinzen-Röhrig, die großen Wert legt auf Vernetzung und Austausch mit anderen Künstlern, auch aus den benachbarten Disziplinen Literatur, Musik und darstellende Kunst, scheint der Schritt zur partiellen künstlerischen Zusammenarbeit in Form multimedialer Dialoge nur folgerichtig. Die interdisziplinären Projekte sind für die Künstlerin auch ein Mittel sozialer Verankerung in einer zunehmend komplexer werdenden Welt, die gekennzeichnet ist durch eine stetig anwachsende Informationsflut über scheinbar unlösbare Probleme und Konflikte auf allen Ebenen der menschlichen Existenz bei gleichzeitig zunehmender Vereinzelung der Menschen. Ihr Werk ist somit eine Hommage an das Leben selbst, das in seiner Komplexität zwar erforscht werden kann, aber dennoch voller Geheimnisse bleibt. Doris Hinzen-Röhrig lässt uns als Betrachtende ihrer Kunst teilhaben an der "Meditation über die Natur des Menschen".
Manuela Lintl
Institut für aktuelle Kunst im Saarland, Archiv, Bestand: Hinzen-Röhrig, Doris (Dossier 1920
Redaktion: Doris Kiefer
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je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: