1974 erhielt Dr. Karl Hanus als erster Architekt den Kunstpreis des Saarlandes. Damit wurde schon damals ein Werk gewürdigt, das auf Funktion und Wirtschaftlichkeit gründet, doch zugleich höchste ästhetische Ansprüche erfüllt. Ja, mit einzelnen Werken schuf Hanus Baukunst. In der Laudatio von Hanns Schönecker hieß es: "Sein Werk ist frei von modischer Effekthascherei, … nimmt dafür aber immer Bezug auf die Umwelt und den Menschen." Und weiter: "Seine Bauten … reflektieren auf ihre Bewohner und Benutzer etwas von dem, was Karl Hanus persönlich ausstrahlt: Freundlichkeit und Sachlichkeit, gepaart mit Heiterkeit und Ausgeglichenheit." Sein Werk ist Ausdruck seines Wesens. Und es zeugt von Karl Hanus’ selbstgewisser Bescheidenheit, wenn er in seiner Dankesrede den Preis stellvertretend für alle Kollegen in Empfang nahm.
1927 als drittes Kind eines Bauunternehmers geboren, wurde Karl Hanus schon früh mit der gebauten Welt vertraut und mit neuartigen architektonischen Lösungen bekannt. Errichtete doch sein Vater eines der ersten saarländischen Gebäude, das ganz aus dem Geist des Neuen Bauens entstand – ein Wohnhaus von Otto Zollinger. So ist es sicher nicht verwunderlich, dass sich der junge Architekturstudent während seines Studiums in Stuttgart mehr zu Richard Döcker als zu Paul Schmitthenner hingezogen fühlte, die sich in ihrem Anspruch an Funktionalität, konstruktiver und formaler Stimmigkeit wenig unterschieden, deren architektonisches Werk dennoch von gegensätzlicher Aussage bestimmt wird. Hanus entschied sich für den Bauhaus-Stil Richard Döckers, der fortan auch seine Arbeiten prägt. Dessen Angebot, an Planung und Bau der Saarbrücker Universitätsbibliothek mitzuwirken, lehnte er allerdings ab, da er sich bereits mit einer Dissertation beschäftigte. Seine 1956 vorgelegte Schrift "Der Einfluss der Raumakustik auf die bauliche Gestaltung" erschien einige Jahre später als Buch. Die dabei in Prof. Zellers Essener Institut für Schall- und Wärmeschutz erworbenen Kenntnisse konnte er vielfach in der Praxis umsetzen, etwa im Wohnhaus für den Pianisten Prof. Alexander Sellier, dem Kulturhaus in Überherrn, dem Erweiterungsbau der Musikhochschule Saarbrücken oder im Vereinshaus in Fraulautern. Gerade diese Bauten zählen zu den bedeutendsten Werken des Architekten. Gelang es ihm doch überzeugend, funktionale und akustische Bedingungen und Notwendigkeiten in die Ästhetik von Baukörpern und Räumen zu überführen, mit lebhaft bewegten Wänden und Decken das Bauwerk selbst zum Klingen zu bringen.
In einem Werk, das sich über fast vier Jahrzehnte erstreckt, lassen sich selbstverständlich auch wechselnde architektonische Einflüsse ablesen. Am Anfang stand die Skelettbauweise des Internationalen Stils. Anklänge finden sich im eigenen Wohnhaus oder der Schule in Herrensohr, einem aus wohlproportionierten kubischen Blöcken unterschiedlicher Höhe gefügten Baukomplex, der durch Wandscheiben und Brüstungen aus Ziegelmauerwerk Lebendigkeit und Plastizität erhält. In der wenige Jahre später errichteten Schule in Heusweiler wurde für die Ausfachungen des Stahlbetongerüstes dagegen Sichtbeton verwendet. Ehemals verhinderten die Schalungsspuren eine sterile Wandwirkung, bei Renovierungen wurde darauf nicht mehr geachtet. Auch der fast quadratisch anmutende Block des Rathauses in Wallerfangen, kürzlich unter Denkmalschutz gestellt, gehört in diese Gruppe. Aus dem streng achsial gegliederten Baukörper schiebt sich als repräsentativer Höhepunkt risalitartig ein leicht überhöhter "Erker" heraus, der Sitzungssaal und Trauzimmer beherbergt. Im Inneren vermittelt eine zentrale Halle, um die sich sämtliche Räume gruppieren, den Eindruck von Großzügigkeit.
Die "brutalistischen" Bauten Le Corbusiers hinterließen ihre Wirkungen. Ohne die Wallfahrtskirche Ronchamp ist die so sakral anmutende Betonskulptur des Kulturhauses in Überherrn nicht denkbar, bei der äußere Hülle und innerer Kern eine Einheit bilden. Doch die Kreativität Karl Hanus’ zeigt sich eben auch darin, dass er Anregungen und Vorbilder aufgreift und sie umsetzt in eine eigenständige Aussage. In Überherrn nimmt diese den Charakter eines Kunstwerkes an. Englische Backsteinarchitektur prägt die mit dem BDA-Preis ausgezeichnete Stadtsparkasse in Saarlouis-Roden, die durch eine Baukörperstaffelung ein kleinteiligeres Maß erhält. Und in den letzten Jahren arbeitet auch Hanus zunehmend mit Steinfassaden, die zwar Geschossgliederung und tragendes Gerüst überspielen jedoch die Fassaden des Verwaltungsgebäudes der AOK Saarlouis oder der Landeszentralbank Homburg mit einem charakteristischen Bild auszeichnen. Immer bleibt Hanus seinen grundsätzlichen Überzeugungen und einmal als richtig erkannten formalen Prinzipien, die sich im Detail durchaus ändern, treu.
Die im Bauhaus gelehrte Übereinstimmung von Funktion, Konstruktion und Erscheinung bildet seine Entwurfsgrundlage. Der rechte Winkel allerdings wurde nie zu seinem Dogma. Die Poesie seiner Architektur ergibt sich nicht aus einer vorgeblendeten "Erzählung", sondern aus plastischen Volumen, aus dem Spiel von Licht und Schatten, aus Rhythmus, Spannung, Harmonie in der Körperfügung und Fassadengestaltung, aus der konstruktiven Genauigkeit bis ins kleinste Detail, aus der werkgerechten Auswahl und der sorgfältigen Bearbeitung der Materialien.
Er verzichtet auf Prunk und Pathos, doch typisierte Fertighäuser und Fließbandarchitekturen sind Hanus ebenfalls ein Graus. Dies schließt allerdings die Verwendung vorgefertigter Elemente – wie in der Wohnstadt Überherrn – nicht aus. Auch baut er keine dekorierten Schuppen oder Hallen für wechselnde Nutzungen. Seine Gebäude sind exakt auf die jeweilige Aufgabe zugeschnitten, die sich, übersetzt in eine ästhetische Form, immer auch in Baustruktur und Fassadengliederung spiegelt. Und so werden seine Bauten zwangsläufig auch dort zu Solitären, wo sie sich in die gebaute Umgebung einordnen, wie seine Geschäftsbauten in Saarlouis - Rollar’s Eck etwa oder der Kopfbau Silberherzstraße, auch das Geschäftshaus in der Kavalleriestraße -, und tragen damit bei zur architektonischen Vielfalt, die "einer Stadt Gesicht, Ausdruck und Atmosphäre gibt", wie Hanus betont. Oder das Finanzamt Merzig: es nimmt durch seine vertikale Gliederung die parzellengebundene Baustruktur der Stadt auf und findet Anschluss an die übliche städtische Höhenentwicklung durch eine Abtreppung der großen Baumasse.
Gerade weil jedes Bauwerk notwendig einer allgemeinen Sprache sich bedient, wird die Betonung der Individualität und die wahrnehmbare Abgrenzung der Privatsphäre zur Herausforderung an die architektonische Gestaltung. So stattet Hanus seine Bauten mit distanzierenden Schwellen aus: Gartenmauern, Vorgärten oder –höfen, Treppenanlagen und Eingangsbrücken, Pergolen, Loggien und Vordächern. Er versteckt Eingänge hinter Gebäudevorsprüngen oder erlaubt das Betreten erst nach einer Änderung der Bewegungsrichtung. Im Inneren findet sich dann immer ein sehr konzentriertes, häufig sparsames Raumangebot, bei dem vielfach auf Flure verzichtet werden konnte. Treppenanlagen, Hallen, Galerien übernehmen die Verbindung, ein fließender Grundriss prägt die Wohnhäuser.
Stets ist Hanus die Bedeutung der Architektur für das Verhalten der Menschen bewusst und so steht in all seinen Werken der Mensch im Vordergrund. In seinen Häusern spiegeln sich die Lebensvorgänge. Für ihn war es immer wichtig, "dass beim Durchschreiten eines Raumes bestimmte Empfindungen ausgelöst werden können, dass man eine Wohnung erleben und lesen kann wie ein Buch, spannend oder aufregend, … dass eine Wohnung auch voller Geheimnisse stecken kann," wie er in einem Vortrag 1979 ausführte. Die sich daraus ergebende Schwierigkeit, mit Siedlungsbauten Wohnungen für unbekannte, anonyme Menschen zu erstellen, mündet nicht in lieblos und langweilig zusammengestellte Häuser und Räume. In Völklingen Sonnenhügel formieren sich versetzt angeordnete schmale Reihenhäuser mit hohen Dächern um einen gemeinsamen großen Gartenhof. Vorgezogene Garagen grenzen jeweils einen individuellen Eingangsbereich aus. Die Wohnstadt Überherrn dagegen beherrscht das flache Dach. Hier entwickelte er zusammen mit Kollegen vielfältig variierbare Haustypen, errichtet aus vorgefertigten, einheitlichen Elementen. Trotz ihrer Kargheit und bescheidener Ausmaße bieten sie den Bewohnern durch konzentrierte Grundrisse und die unmittelbare Verbindung mit privaten Gärten und öffentlichen grünen Außenanlagen einen abwechslungsreichen und großzügig wirkenden Lebensraum. Heute ist die anfängliche ästhetische Einheit durch unbedachte oder rücksichtslose, individuelle Veränderungen leider beeinträchtigt.
Hanus entwickelt seine Bauten aus den städtebaulichen Gegebenheiten und der landschaftlichen Situation. Er baut nie gegen die Landschaft, sondern bindet sie ein. Im besten Fall verwachsen Landschaft und Haus miteinander. Dies zeigt sich in großartiger Weise etwa am Wohnhaus Hans Hanus. Die Ebene scheint überzugehen in die Horizontale des Baus. Beim Doppelwohnhaus Dr. Pabst-Haaspe in Dillingen findet die Geländestruktur ihre Fortsetzung in der Aneinanderfügung und Schichtung von Baukörpern, wiederholen im Inneren Treppen und Galerien deren Bewegung. Hanus sucht die Verbindung, die optische Durchdringung von Innen und Außen. Transparente Wandflächen, raumhohe Fenster, in den Außenraum greifende Deckenkonstruktionen und Bodenbeläge, sich im Inneren fortsetzende Außenwände verklammern sie. Die Höhenstaffelung der Schule in Herrensohr zeichnet die Hangkontur nach. Noch eindeutiger zeigt sich das beim Schulzentrum Bingen. Wie sich Weinberge in strenger Geometrie übereinander schichten und den Berg terrassieren, so staffeln sich auch die Baukörper des Schulzentrums den Hang hinauf, zeichnen seine Steigung nach, nehmen die Geländebewegung auf. Sie geben oben am Hang den Blick frei über die Stadt hinweg in das Rheintal. Auch bei diesem großen Baukomplex lassen versetzte Ebenen, Terrassen, Treppen, Laubengänge, begrünte Freiflächen und gepflasterte Höfe und freie Durchblicke ein spannungsvolles Raumgefüge entstehen.
Folgerichtig wachsen Hanus’ Bauten übergangslos ohne ausgebildete Sockel aus dem Boden. Stattdessen wird das gesamte Erdgeschoss zu einem solchen. Massive Wände, kraftvolle Stützen, verschattete gläserne Zonen geben den Bauten genügend Festigkeit, verankern sie. (Kaufhaus Prisunic, Kulturhaus Überherrn, Stadtwerke Völklingen ) Nur in ganz wenigen Fällen krönt sie ein geneigtes Dach. Seine Bauabschlüsse sind dennoch nicht nur simple Flachdächer, sondern je nach Aufgabe phantasievoll geformte oder vielfach gefaltete Elemente. Wie ein Schmetterling breitet sich das Dach über dem Musiksaal der Bingener Schule aus, mit beschwingten Flügelschlägen steigt es im Fraulauterner Vereinshaus auf, fällt wieder herab. Massige, durchgeformte Brüstungsbänder oder die leichte Pergola-Konstruktion des Kaufhauses Prisunic (heute Peek & Cloppenburg) vermitteln zwischen Gebäude und Himmelszone.
Auch Hanus’ Kompositionsprinzipien ändern sich in dieser langen Zeitspanne kaum. Die Komplexität der Raumzusammenhänge bleibt. Das Gegeneinander von blockhaft streng geschlossenen und luftig leichten gläsernen Bauelementen, die Akzentuierung geschlossener oder offener Wandabschnitte, der spannungsvolle Wechsel zwischen horizontalen und vertikalen Flächen, die leichte Plastizität der Wand charakterisieren alle Bauten. Sie kennzeichnen die massige Betonskulptur in Überherrn ebenso wie den transparenten, eleganten, scheinbar über dem Boden schwebenden, ebenfalls mit einem BDA-Preis ausgezeichneten Stahlkubus der Stadtwerke Völklingen in Gersweiler, einer der ersten Verwaltungsbauten mit Großraumbüros im Saarland. Der Bau steht schändlicherweise seit Jahren leer, die Fassade ist zerstört. Diese Prinzipien prägen Einfamilienhäuser wie Geschäftsbauten, die Saarbrücker Musikhochschule oder schon 1961 das Rathaus in Wallerfangen. Wie eingeknickt erscheinende Brüstungselemente heben die Flächigkeit der Fassade des Verwaltungsbaus "Dillinger Stahlbau DSD" in Saarlouis auf. Das Bild bestimmt jedoch der repräsentative Eingang. Die kühne Konstruktion von Brückensteg und weit herauskragendem Vordach hängt, sich selber im Gleichgewicht haltend, an zwei eleganten Stahlpylonen, sichtbarer Ausdruck konstruktiver Fähigkeiten des Auftraggebers, baukünstlerischer des Architekten. Hanus’ sicheres Gefühl für harmonische Proportionen, für stimmige Maßverhältnisse und plastische Durchbildung schafft ein differenziertes und variantenreiches Architekturbild, individuell und vielgestaltig. Und all die Jahre bleiben Hanus’ Vorlieben für bestimmte Farben und Materialien – Glas, Ziegel und Beton, Holz und Stahl -, die von ihm nicht nur im Außenbau, sondern auch in den Innenräumen verwendet werden. Von Alvar Aalto stammt der Satz: "Architektur ist, den wertlosen Stein zu einem goldenen Stein umzuwandeln." Diesen Versuch unternimmt Karl Hanus ständig. Sorgfältig aufeinander gemauerte poröse Ziegelsteine, präzise zusammengefügte glatte Stahlkonstruktionen, materialgerecht behandeltes Holz, lebendig gemasert, strukturierter harter Beton mit seinen Schalungsspuren tragen zur Schönheit der Bauten bei. Sie ist für Bewohner und Benutzer stets sinnlich erfahrbar und damit bleibt diese Architektur immer auch eine menschliche.
Die Bauten scheinen einfach, die Raffinesse liegt im Detail: beispielsweise den vorbildlichen Ecklösungen – bei der AOK in Saarlouis etwa verleugnen sie das Vorbild Mies van der Rohes nicht, – den verzahnten Dachtraufen (Wohnhaus Prof. Sellier, Wohnhaus Dr. Pabst-Haasper), den reliefartigen Fassadenaufbauten (Rollar’s Eck), mit denen die Wand plastische Tiefe gewinnt.
In fast vierzig Jahren schuf Karl Hanus ein Werk, das Siedlungsbauten und private Wohnhäuser, Schulen und Hochschulen, Sporthallen, Vereins- und Kulturhäuser, Banken und Bürogebäude, Geschäftsbauten, Fabrikhalle und Kaufhaus umfasst. Viele dieser Bauten prägt die enge Zusammenarbeit mit Bildenden Künstlern. Ihre Werke sind keine künstlerische Zugabe, sondern als fester Bestandteil in die Architektur integriert.
Hanus hat nicht nur neu gebaut sondern auch denkmalgeschützte Gebäude revitalisiert. Schon in den sechziger Jahren, als der Denkmalschutz noch keine Rolle spielte, sicherte Hanus die Burg Scharfeneck in Berus und stellte das Burgtor wieder her. Er sanierte die barocke Kaserne I in Saarlouis zu einem heutigen Anforderungen entsprechenden Wohn- und Geschäftshaus, restaurierte das dortige "Ehemalige Laboratorium", in dem das "Institut für aktuelle Kunst" eine Heimstatt fand. Die Grundmühle in Falkenhagen, Niedersachsen, baute er sensibel zu einem Wohnhaus um.
Hanus beteiligte sich an vielen Wettbewerben und stellte sich damit der kritischen Auseinandersetzung. Die große Zahl der ihm verliehenen Ankäufe und Preise zeugt von seiner baumeisterlichen Qualität. Die Auszeichnung seiner Bauten mit BDA-Preisen unterstreicht dies. Leider wurden nicht alle Wettbewerbsgewinne ausgeführt.
Das hohe Ansehen, das Karl Hanus in Kollegenkreisen und darüber hinaus genießt, zeigt sich in den Ehrenämtern, die ihm angetragen wurden und denen er sich selbstverständlich nicht entzog: er war Vorsitzender des BDA, im Vorstand der Architektenkammer des Saarlandes, Mitglied in der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung, im Kuratorium der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz und im Auswahlausschuss der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom.
1995 zog sich Dr. Karl Hanus aus dem aktiven Berufsleben zurück. Das Büro wurde von Marcel Giebel übernommen.
Marlen Dittmann
Mitarbeiter
Redaktion: Sandra Kraemer
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