Als Sohn des Künstlers Wolfgang Gross-Mario (1929–2015) ist Gaetano Gross von Kind an mit der Kunst vertraut. Nach dem Abitur am Deutsch-Französischen Gymnasium in Saarbrücken entscheidet er sich für eine künstlerische Ausbildung. 1977 bis 1980 studiert er zunächst Visuelle Kommunikation in Trier und erhält in dieser Zeit eine grundlegende Ausbildung im Zeichnen und in den grafischen Techniken. Er beschäftigt sich intensiv mit Akt- und Sachzeichnen, wobei das Arbeiten mit Linien im Mittelpunkt seiner gestalterischen Tätigkeit steht. Gleichzeitig beginnt er, sich mit den alten Meistern, ihrer Maltechnik und ihren Themen zu beschäftigen. Die Verfremdung bekannter Werke der Kunstgeschichte wird später zu einem wichtigen Thema seines künstlerischen Schaffens.
Während seines Studiums, das er 1988 mit dem Diplom an der Fachhochschule Mainz abschließt, entstehen zahlreiche Bilder, die der surrealistischen und symbolistischen Malweise zuzuordnen sind. Diese frühen Arbeiten aus den1980er Jahren sind gegen den damaligen Zeitgeist gerichtet. Schon bald finden erste Ausstellungen statt, parallel dazu erscheinen erste Publikationen. Durch Studienaufenthalte sowie Kunstreisen mit seinem Vater, die nach Israel, Frankreich und Italien führen, wird er angeregt, die gesehenen Landschaften mit dem jeweiligen Licht bzw. der entsprechenden leuchtenden Farbigkeit darzustellen. Auch entdeckt er dort für sich antike und mythologische Themen, die zukünftig an Bedeutung gewinnen werden.
Gross arbeitet in altmeisterlichen Lazurtechnik, in der bis zu zehn Farbschichten übereinander aufgetragen werden. In der Tradition alter und klassischer Meister beschäftigt er sich mit aktuellen Fragestellungen. Dabei legt er großes Gewicht auf einen spielerischen Umgang mit Raum und Zeit. Der simultane Aufbau mehrerer Bildebenen führt zu Überschneidungen und Verquickungen verschiedener Dimensionen. Literarisch-erzählerische Elemente werden dabei auch immer wieder verarbeitet.
Die Übersättigung der Wohlstandsgesellschaft, ein leidenschaftliches Plädoyer für mehr Toleranz, das Waldsterben oder auch die kulturelle Blüte Spaniens im Mittelalter sind nur einige Beispiele der politischen Themen, mit denen sich der Künstler in seinen Werken auseinandersetzt. „Das Bild ist die Betrachtung einer praktisch stehengebliebenen Zeit – durchaus romantisch und durchaus eine nostalgische Erinnerung an die einmalige kulturelle Blütezeit des maurischen Spaniens. Wieder vermengen sich Vorder- und Hintergrund. Zeitgenössisches und Vergangenes, kubistische mit realen Elementen“ (Gaetano Gross).
Das „Bild im Bild“ ist ein sehr altes Motiv, das Künstler bereits im 15. Jh. verwendeten. Im Mittelpunkt steht dabei die Malerei selbst und wird aus unterschiedlichen Gründen als künstlerisches Medium thematisiert. Die Palette reicht von Virtuosität der handwerklichen Darstellung eines abgebildeten Werkes bis hin zur Selbstbespiegelung der eigenen Tätigkeit als Maler. Man denke etwa an Werke von Velázquez oder Vermeer.
Bei Gaetano Gross ist dieses Thema seit den frühen 1980er Jahren angelegt und spannt sich wie ein roter Faden durch alle seine Schaffensperioden. Inspiriert von René Magrittes Bild Les Promenades d’Euclide (1955) beschränken sich seine Werke nicht auf eine reine Selbstreflektion, sondern werden um die Phänomene Zeit, Raum und tiefenpsychologische Deutungen erweitert. „Neues kann man nur schaffen, wenn man sich einen Fundus angeeignet hat, aus dem man schöpfen kann: Wenn man als junger Kunststudent dort anfängt, wo Picasso aufgehört hat, lässt sich nicht Neues entwickeln. Wenn man aber wie Picasso über einen großen kulturellen Erfahrungsschatz verfügt, kann man ein langes Leben lang Neues finden“, äußert er sich 1994.
In diesem Jahr gründet er zusammen mit Volker Hartmann (geb. 1952 in Saarbrücken) die Künstlergruppe Pyramid. Als lockerer, nicht ortsgebundener Verbund von Künstler*innen, versteht sie sich als Gegengewicht zur „etablierten Avant-Garde“ und ist der gegenständlichen Malerei verpflichtet. „Die Avant-Garde, die einst mutig eine Vorreiterrolle einnahm und tatsächlich Neuland beschritt, ist lahm und larmoyant geworden. Sie ist zur Salonkunst verkommen, die von professionellen, sowie selbsternannten Kunsterziehern und institutionalisierten Kunstfabriken mit Vehemenz und Macht gelehrt wird“ (Gaetano Gross und Volker Hartmann, 1994). Gross' Bildwelt, wozu programmatisch das Triptychon Pyramid steht, ist hinsichtlich der Motive und Techniken äußerst vielseitig: „Gaetano spielt in seiner Malerei mit dem Gegensatz von Ordnung und Chaos, seine Bilder kämpfen gegen die Langeweile an. Er baut gerne Verweise auf Picasso und andere Vorbilder ein, arbeitet mit den verschiedensten Techniken, von der Bleistiftzeichnung bis zum Ölbild“ (Süddeutsche Zeitung, Nov. 1994).
Ein Jahr später schließt er sich der Künstlergruppe Untere Saar e. V. an. Als deren Mitglied führt er im November 1995 seine erste Einzelausstellung in den Atelierräumen des Museums Haus Ludwig für Kunstausstellungen Saarlouis durch. Seit 1998 bis heute fungiert er als 1. Vorsitzender der Künstlergruppe, die 2024 ihr 50-jähriges Bestehen feiern kann.
Gaetano Gross definiert seine Bildwelt als „Meta-Malerei“, wobei er den Wortstamm „meta“, der auch in den Wörtern Metamorphose, Metapher, Metaphysik oder Metasprache zu finden ist, als Verwandlung bzw. Umwandlung verstanden wissen will: „Meta-Malerei ist für mich die Freiheit, zwischen verschiedenen stilistischen Ausdrucksmöglichkeiten (Codes) zu wählen und diese sogar untereinander zu kombinieren und in einen Dialog treten zu lassen … Meta-Malerei ist für mich zudem auch eine transkulturelle Erfahrung, maurische Sehens- und Denkweisen z. B. in einen Dialog mit europäischer Ästhetik treten zu lassen.“ Ein Schlüsselbild ist das Werk Der Ariadne-Faden, in dem Elemente des Surrealismus, Realismus, Kubismus und Konstruktivismus sowie der Neuen Sachlichkeit labyrinthartig mit weiteren Bildelementen wie „Bild im Bild“ oder „Künstler und Modell“ verbunden werden. Gerade das Durchdringen verschiedener Bild- und Realitätsebenen, die miteinander in Dialog treten (Dialog der Stilrichtungen), ist das Wesentliche seiner Malerei. Der „polyfokale Blick“ (Gaetano Gross) schafft neue Bildwirklichkeiten. Wie Theseus von Ariadne den Faden erhielt, um wieder aus dem Labyrinth herauszufinden, genauso möchte Gaetano Gross den Betrachtenden seinen Faden mitgeben, um seine „Meta-Malerei“ zu entdecken und auch zu entschlüsseln. Zur Meta-Malerei tritt die Lust an Illusion und Täuschung hinzu und ermöglicht einen zusätzlichen Perspektivwechsel.
Als Gross 1997 den von der römischen Galeristin Mara Albonetti ausgeschriebenen „Premio Canova di Pittura e Scultura“ für das Bild Souvenir Andalou erhält, lobt ihn die Jury „für die sehr disziplinierte, aber dennoch hochmoderne Ausführung seiner kompositorischen Lösungen, in einer pastosen Farbigkeit ausgeführt, die den Rigorismus der reinen Farbe vermeidet“.
Ende der 1990er Jahre entdeckt Gaetano Gross das serielle Arbeiten für sich – insbesondere die serielle Malerei. Ausgangspunkt bildet hierbei die klassische Tuschezeichnung, die mit Hilfe der Serigrafie auf eine Leinwand gedruckt und anschließend malerisch weiterbearbeitet wird. So entstehen viele Variationen zum selben Thema. Zur 1000-Jahr-Feier von Saarbrücken im Jahr 1999 entsteht der Zyklus Eine Reise durch Zeit und Raum – mit dem Künstler unterwegs durch die Stadt – gestern – jetzt – morgen, der auch in Buchform publiziert wird. Im Zentrum dieser Bilder steht eine mitten in der Stadt vor dem Schloss, vor der Johanniskirche, in der Bahnhofstraße oder am Staden aufgestellte Staffelei mit einem Gemälde, das Aspekte der Stadtgeschichte aufgreift. Manchmal taucht in diesen Bildern auch der Künstler selbst als Rückenfigur auf.
Dieses Projekt fortsetzend widmet er sich 2001 der saarländisch-lothringischen Region. Unter dem Titel sans frontières – grenzenlos visualisiert er die historisch gewachsene, gemeinsame Kultur. In dreizehn Landschaftsgemälden sind Stationen einer Reise entlang der Saar dargestellt – von der Quelle am Donon bis zur Mündung in Saarburg. Landschaft, kulturhistorische Denkmäler von der Antike bis zur Gegenwart und Bauwerke der Industriekultur finden sich in seinen Bildern wieder, die mit Überblendung, Nahaufnahmen oder Panoramablick arbeiten. In seinem Bildzyklus La Méditerranée bekennt sich Gaetano Gross im selben Jahr zur schöpferischen Kraft der Natur und zu den Kulturen rund um das Mittelmeer. Als Künstler mit italienischem Vornamen, deutsch-französischer Ausbildung und saarländischen Wurzeln ist er dem mediterranen Raum sehr eng verbunden, wie sich in diesem Zyklus, in dem sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vermischen, deutlich zeigt. 2002 stellt Gross seine typische Arbeitsweise in Zyklen erneut unter Beweis. Unter dem Titel Eisenzeit, für den er 2007 den Fritz-Zolnhofer-Preis der Stadt Sulzbach erhält, präsentiert er einen Bildzyklus zum Thema Eisen, an dem er mehr als zwei Jahrzehnte gearbeitet hat. Von der Mythologie zur Industrie illustriert er die Geschichte der Eisenverarbeitung in der zentraleuropäischen Region Saar-Lor-Lux. Auch der Entwicklung des Zeitungswesens widmet er 2004 eine Reihe von Arbeiten für das neu gegründete Zeitungsmuseum in Wadgassen.
In all diesen Zyklen werden Perspektiven, Bild- und Zeitebenen überlagert. Der Künstler überwindet in seinen Bildern temporäre und räumliche Distanzen. Innen- und Außenansichten stehen neben Details und der Gesamtansicht. Die Wahrnehmungsfähigkeit der Betrachter*innen ist gefordert, außerdem Zeit und Fantasie, von Gross „Crossover“ genannt. Illusion, Traum und Wirklichkeit liegen bei ihm eng beieinander. Vergangenheit und Veränderung spielen auch in zwei anderen Zyklen eine entscheidende Rolle.
Neben dem „Bild im Bild“ durchzieht ein weiterer Bildtypus das Gesamtwerk von Gaetano Gross: die in zwei Pixeltechniken ausgeführten Porträts berühmter Künstlerpersönlichkeiten. In der einen zeigt er verschiedene Helden aus Kunst und Kultur auf einem quadratischen Leinwandformat in der Größe 100 x 100 cm meist als angeschnittenes Porträt in Frontal- oder Dreiviertelansicht. Über das Bild ist ein Gitternetz gelegt, das die Darstellung in Einzelbilder bzw. Pixel unterteilt und an die Rastertechnik aus dem Druckwesen erinnert. Die porträtierte Person lässt sich in Zusammensicht aller Bildpunkte leicht identifizieren. Betrachtet man jedoch die einzelnen, mittels Rahmenlinien voneinander getrennten Segmente, treten differenziert ausgestaltete Farbfelder in den Fokus der Wahrnehmung. Das können lineare Muster, homogene Farbflächen, individuelle Gesichter oder andere Motive sein. Eine Vielzahl davon kann in Komposition und Farbgestaltung durchaus eigenständig bestehen und als konsequente Fortsetzung des Typus „Bild im Bild“ interpretiert werden. So etwa das Bildnis des spanischen Malers Diego Velázquez, oder auch die Porträts von Alfred Hitchcock, Greta Garbo, Georgia O’Keeffe, Paul Klee oder Vincent van Gogh. Gerade bei den beiden letztgenannten Künstlern veranschaulichen die Segmente charakteristische Gestaltungsweisen ihrer Protagonisten, die für Paul Klee typischen Linien oder das spezifische Kolorit van Goghs.
In den danach entstanden Porträtbildern von Miles Davis, Frédéric Chopin, David Bowie oder Lady Gaga ist das schwarze oder weiße Gitternetz vollständig verschwunden. Die Rahmen der einzelnen Segmente, aus denen das Bild weiterhin besteht, sind jeweils in der Farbigkeit des Umfeldes ausgeführt, so dass das Gitter fast unsichtbar erscheint. Die Ausführung der Porträts ist nun noch detailreicher geworden. Nicht mehr die Pixeltechnik, das heißt der Aufbau des Bildes aus einzelnen Segmenten, steht im Vordergrund, sondern die das ganze Werk strukturierenden, zweidimensionalen Binnenzeichnungen der Felder. Sie unterwerfen sich völlig der Farbigkeit des Gesamtbildes, haben an Plastizität und Volumen eingebüßt. Wie ein Schleier, der gelüftet werden muss, spannt sich ein Netz von Ereignissen, Schriftzügen und Zeichen über die Bildfläche und lässt Szenen aus dem Leben der Porträtierten Revue passieren.
Seit 1989 als selbstständiger Künstler tätig, ist Gaetano Gross über mehr als drei Jahrzehnte in zahlreichen nationalen und internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen vertreten. Werke von ihm befinden sich in öffentlichen und privaten Sammlungen. Als Vorsitzender der Künstlergruppe Untere Saar e. V. kümmert er sich seit langem um deren Belange und konnte sich in diesem Kontext auf vielfältige Weise in der Stadt und im Landkreis Saarlouis sowie auf Landesebene und in der Großregion Saar-Lor-Lux einbringen.
Claudia Wiotte-Franz
Baden-Baden, Sammlung Hubert Burda
Berlin, Bundesministerium des Innern und für Heimat
Saarbrücken, Landeshauptstadt Saarbrücken
Saarbrücken, Ministerium für Bildung und Kultur des Saarlandes
Verne-sur-Seine/FR, Kulturzentrum Le Volume
Wadgassen, Deutsches Zeitungsmuseum / Stiftung Saarländischer Kulturbesitz
Redaktion: Claudia Wiotte, Petra Wilhelmy
Alle Abbildungen: VG Bild-Kunst, Bonn
Privatpersonen | Schüler*innen, Studierende | Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen | |
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je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: