"Liebe Hanne," schreibt Otto Steinert 1973 in einem Gruß, der dem Ausstellungskatalog der Pfalzgalerie Kaiserslautern beigefügt ist, "die Gebrauchsfotografie konnte ich dir kaum beibringen, statt dessen hast du gelernt Bilder zu machen, das schien mir auch das Wichtigere zu sein."
Seine ehemalige Schülerin kann zu diesem Zeitpunkt bereits auf eine erfolgreiche Laufbahn als Porträt- und Theaterfotografin zurückblicken und ist dabei, ihre erste Einzelausstellung vorzubereiten. Von den bekannten Porträts, Landschaften, Theater-, Ballett- und Fernsehfotos, von deren Herstellung sie lebt, wird in dieser Ausstellung allerdings nichts zu sehen sein. Hanne Garthe nimmt, wie es Hans Leyser im Katalogtext ausdrückt, "deutlich Abstand von der professionellen Seite des Metiers". Es zeigt sich hier eine Ambivalenz, die sich durch das gesamte spätere Werk zieht. Einerseits die beachtete Porträtistin, deren Bildnisse Eingang in wichtige Fotografiesammlungen der Nachkriegszeit gefunden haben, andererseits die scheue und zurückhaltende freie Künstlerin. Ihre eigene Fragilität und das Wahrnehmen und zärtliche Betrachten der Fragilität anderer ist nicht etwa eine Schwäche im Werk Hanne Garthes, es ist das, woraus seine Qualität erwächst. Ihre außergewöhnliche Begabung für das Porträt, die Steinert schon früh erkennt und fördert, gründet auf einer ausgeprägten Fähigkeit zur Empathie und einem starken Bewusstsein für die Brüchigkeit der menschlichen Existenz. Ihr eigentliches Thema, von dem das Porträt immerhin ein Stück Weges ist, wird sich erst später herauskristallisieren, es heißt Veränderung, Variation, Metamorphose, Zeit.
"Ich lebe zwischen den Jahren von gestern und den Jahren von morgen - der Raum ist schmal - hier lebe ich also", notiert die 44-jährige und es kann kein Zufall sein, dass die von ihr praktizierte Fotografie gerade diejenige Kunstform ist, die es als einzige vermag, diesen schmalen Raum sichtbar werden zu lassen, diesem einen Moment, der im nächsten schon vorüber ist, Dauer zu verleihen.
Die Kaiserslauterner Ausstellung zeigt "Fotografische Bilder". Bilder, die den Zeitaspekt nicht mehr implizit im Medium sondern nunmehr explizit im Bild ausdrücken. Hanne Garthe komponiert sie aus mehreren Negativen, die sie übereinander schiebt, collagiert oder während der Belichtung bewegt. Menschliche Gestalten werden überlagert mit Felsenformen, Wogenbildern, Erdkrusten, Schneeschichten, pflanzlichem Geblätter. Es entstehen Stein- und Pflanzenmenschen, verzerrte Schemen, mythisch anmutende Gestalten aus einer anderen, einer immer vergangenen und immer gegenwärtigen Zeit. Die Schichten lassen etwas von der Komplexität der Beziehungen aufscheinen, die den Menschen mit der Natur, das Geistige mit dem Stofflichen verbinden. Motivisch variiert sie Themen wie Sexualität und Körperlichkeit mit großer Intensität. Literarische und kunsthistorische Bezüge werden in einigen Bildtiteln deutlich ("Daphnis und Chloe", "Amerika", "Hommage à Max Ernst"). Politisch motivierte Arbeiten, die vor allem während der kurzen Zeit ihrer Mitgliedschaft in der "Gruppe 7" entstehen, wie etwa "Der Mensch, des Menschen Feind", 1977, greifen das erarbeitete Formenvokabular auf.
Auch wenn der Mensch noch im Zentrum des Werks steht, eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielt in diesen Arbeiten der 1970er Jahre die Natur. Zunächst sind es vor allem Steinstrukturen, in denen die Künstlerin "Nervensysteme, Sinnbilder für den Fluss des Lebens" erkennt. Später wächst ihre Begeisterung für alles Pflanzliche, das sie im Schopenhauerschen Sinne als zur ästhetischen Betrachtung aufforderndes, gleichsam perpetuierendes Schauspiel des Lebens begreift.
Hanne Garthe übt ihren Beruf als Porträt- und Theaterfotografin noch bis in die frühen 1990er Jahre aus. Es entstehen während dieser Zeit auch weiterhin interessante Aufnahmen von Schauspielern, Künstlerfreunden und Schriftstellern. Witold Gombrowicz, den sie in den 1960er Jahren mehrmals im südfranzösischen Vence besucht, lässt sich von ihr porträtieren. Die Fotografien, eindrückliche Zeugnisse einer ebenso charismatischen wie zarten und verletzlichen Künstlerpersönlichkeit, finden sich heute in vielen Werkdokumentationen und Biografien des polnischen Schriftstellers.
Mit dem Ende ihrer beruflichen Laufbahn folgt ein Schritt, der überraschend, wenn nicht gar irritierend ist: sie gibt die Fotografie ganz auf und widmet sich von nun an ausschließlich der Malerei. Spätestens jetzt hat sie sich endgültig vom Abbildhaften gelöst. Sie entdeckt die Farbe als Material und Ausdrucksmittel. Aus der Fotografie rettet sie lediglich ihr Gespür für Kompositorisches, ihre Vorliebe für filigrane Strukturen und Hell-Dunkel-Kontraste, sowie das über- und gegeneinander Schichten verschiedener Texturen ins neue Medium herüber. Sie genießt die Freiheit, sich in der Malerei einer eindeutigen Aussage entziehen zu können und trifft ihre Bildentscheidungen aus der Farbe heraus. Als "Bildermacherin" hat Otto Steinert sie in seinem eingangs zitierten Gruß bezeichnet und vielleicht ist es genau diese Offenheit, die die Gratwanderung ihres vielgestaltigen Werks treffend beschreibt.
Nina Jäger
Monografien
Sammelschriften
Veröffentliche Fotografien und Erwähnungen in Werken von und über Witold Gombrowicz (Auswahl)
Theater- und Porträtfotografie in Ausgaben der Monatszeitschrift "Saarheimat"
Nina Jäger
Privatpersonen | Schüler*innen, Studierende | Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen | |
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je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: