Gerhard Freese zählte über vier Jahrzehnte zu den einflussreichsten Architekten im Saarland, bekannt für außerordentlichen Industriebau
Gerhard Freese wurde 1923 in Hamburg geboren und seine Liebe zu dieser seiner Vaterstadt ging auch in der "Fremde" nie verloren. Im 2. Weltkrieg mehrfach verwundet, begann er 1948 ein Architektur-Studium in Karlsruhe und schloss es vier Jahre später mit dem Diplom bei Egon Eiermann ab. Dessen strenge Architekturauffassung hat ihn zeitlebens begleitet und charakterisiert Freeses Bauten. Nach dem Diplom begann er zunächst bei BP und entwarf Typentankstellen mit freikragendem geschwungenem Dach, die in vielen Städten errichtet wurden. Die Stadt Wiesbaden zeichnete diese Tankstelle mit einer Plakette aus.
1953 übersiedelte Gerhard Freese mit seiner Familie nach Saarbrücken, um zunächst im Büro Weber, dann ab 1958 im eigenen Büro stadtbildprägende Bauten zu entwerfen und auszuführen. Das "Haus der Gesundheit" entstand unter seiner Projektleitung 1956 noch im Büro Weber. Es war zunächst als "Haus der europäischen Arbeit" geplant und erhielt noch während der Bauzeit den geänderten Verwendungszweck. Eine Vorhangfassade zeichnet den Bau des Staatlichen Gesundheitsamtes in Saarbrücken aus, der heute für diese Aufgabe nicht mehr benötigt wird. Das 60 m lange und 40 m hohe, vom Abriss bedrohte Gebäude steht weithin sichtbar an der Malstatter Brücke. Aus städtebaulichen Gründen, um die Durchsicht auf die Saar nicht zu stören, wurde es mit seiner Schmalseite zur Saar gestellt. Wegen der Nähe zum Fluss erhielt der Bau eine Pfahlgründung, eine vorgehängte Stahlfassade bildet die Außenhaut. Ein wie untergeschoben wirkendes Erdgeschoss und ein zurückgesetztes Dachgeschoss reduzieren optisch die Baumasse. Während die weit vorkragende Eingangs-Überdachung sowie eine Reihe prismatisch vortretender Fenstererker, die die strenge Rasterstruktur durchbrechen, die Fassaden beleben. Bei einer Sanierung wurde die leicht und zart wirkende Fassadengliederung in Form und Proportionen leider verändert. Bauphysikalische Probleme und eine für heutige Bedürfnisse zu niedrige Deckenhöhe erschweren eine Umnutzung. In den 1960er und 1970er Jahren plante er den Zollbahnhof Goldene Bremm, baute mehrere Wohnhäuser und das Gymnasium am Rotenbühl aus Betonfertigteilen, die man in einer eigens errichteten Produktionsstätte vor Ort herstellte. "Die Schule fixiert einen wesentlichen Ort unserer Kultur. Sie schafft den Raum, das Gehäuse, in dem die Grundlagen unserer Bildung gelegt werden. Also sollte sie, auch in der Form ihrer materiellen Existenz als Schulgebäude, diesen Anforderungen genügen, indem sie ein Abbild der schöpferischen Impulse ihrer Zeit gibt. Der Gebrauch des Schulhauses durch Lehrer und Schülerinnen, die Inbesitznahme des Gebäudes durch alle, die als Eltern unmittelbar und als Bürger mittelbar der Schule verbunden sind, wird jeweils erweisen müssen, inwieweit Vorstellung und Realität in Übereinstimmung gebracht worden sind," schrieb Gerhard Freese 1964 im Jahr der Eröffnung des Gymnasiums am Rotenbühl.
Viele Schülergenerationen konnten es inzwischen ermessen. Trotz der Fertigbauweise, an hiesigen Schulbauten erstmals erprobt, besitzt dieser unverwechselbare Bau eine ganz eigenständige Aussagekraft. Symmetrisch gerahmt von flachen Klassentrakten erhebt sich ein hoher Mittelpavillon mit charakteristisch gefaltetem Dach weithin sichtbar aus der angrenzenden kleinteiligen Wohnhausbebauung. Er verleiht dem Bau Unverwechselbarkeit und Prägnanz. Die wohlabgewogenen Proportionen des streng rechtwinkligen Baus werden bestimmt durch das Raster des überall sichtbaren konstruktiven Stahlbetonstützensystems. Die Teilung der vorfabrizierten Fassadenelemente - Fenster mit ihren Brüstungen - die Teilung der Türen und Schrankelemente aus Holz, der Wechsel von geschlossener Wand zu freigelassener Öffnung unterliegen gleichen Proportionsgesetzen. Freese entschied sich für Klassenzimmer auf rechteckigem Grundriss, obgleich in den sechziger Jahren auch andere Raumdispositionen diskutiert und gebaut wurden. Freese war der Meinung, dass einer "sich fortlaufend und rasch veränderten pädagogischen Situation" nicht mit Räumen begegnet werden kann, "deren architektonische Anlage einer zeitlich und in der Aufgabe begrenzten Auffassung ... verbunden ist." Die klare Trennung von Fachräumen und normalen Klassentrakten war im Nachkriegsschulbau Voraussetzung für die Grundrissdisposition. Im Gymnasium am Rotenbühl gruppieren sich die Fachräume um die große Aula, die Klassenräume sowie Verwaltung und Lehrerzimmer um zwei Innenhöfe. Die dreigeschossige Aula mit umlaufenden Galerien, holzverkleideten Wänden und sichtbarer Faltkonstruktion der Decke ist von der Gestaltung her eine ganz unfeierliche, als Lichtraum aber festliche Halle. Durch verglaste Stirnwände flutet das Tageslicht in den hohen großen Raum, sie erlauben einen beneidenswerten Blick auf das Gartengrün und die Umgebung. Leider wurden undichte Stellen im Dach der aufwendigen Faltkonstruktion, die ursprünglich noch eine Kupfereindeckung erhalten sollte, durch das Überstülpen einer hässlichen schwarzen Haube beseitigt.
Auch die in den nächsten Jahren gebauten Einfamilienhäuser entwickelt Freese aus archaisch anmutenden kubischen Formen mit häufig sehr großen Dächern. Indem er Wandscheiben vorstellt, Dächer auskragen lässt, weite Öffnungen und geschlossene Partien in ein spannungsvolles Gleichgewicht bringt, durchbricht er die Strenge.
Von seiner Vorliebe für Stahlbeton und einer Architektur, die sowohl im Grund- als auch im Aufriss auf geometrischer Ordnung gründet, wollte sich Freese nie trennen. Dies machte ihn zu einem gesuchten Architekten für den Industriebau. Vorfertigung von Bauten unter industriellen Bedingungen sollte seine Architektur bestimmen und mehrfach konnte er nachweisen, dass mit Stahlbetonfertigteilen schneller, kostengünstiger und präziser als mit Stahl zu konstruieren war. Firmengebäude in Neunkirchen oder Gersheim legen davon Zeugnis ab. Ab 1962 oblag ihm die städtebauliche Entwicklung eines neuen Industriegebietes in Sulzbach-Neuweiler. Hier konnte er auch mehrere Firmengebäude errichten. Den dort ansässigen Firmen Pebra, Hydac, Loth oder Hermetic errichtete Freese Betriebsgebäude, die nicht nur ökonomisch und konstruktiv zweckmäßig sind, sondern in ihrer Proportionierung, ihrer Maßstäblichkeit, ihrer Materialverarbeitung beweisen, dass auch reine Gewerbebauten ästhetische Aussagekraft besitzen können. Während diese anfänglich aus Konstruktion und Material gewonnen wurde, setzte er ab den 1970er Jahren durch eine kraftvolle Farbigkeit weitere Akzente. Obwohl die Bauherren keine repräsentativen Anforderungen im Sinne einer Corporate Identity gestellt hatten, war es Freeses Anliegen, die Zusammenhänge zwischen der Qualität der Produktion und der dafür entworfenen Industrie-Architektur deutlich zu machen. Auch diese Bauten plante er unter Verwendung eines Entwurfsrasters. Die optimale horizontale wie vertikale Maßeinheit musste alle augenblicklichen Anforderungen und künftige Entwicklungen abdecken. Möglichst viele Bauteile wurden dabei in Serie gefertigt, um, ohne die Substanz des Gebäudes anzutasten, "in kurzer Zeit austauschbar, addierbar und ohne maschinellen oder personellen Aufwand an jedem gewünschten Ort des jeweiligen Bauabschnitts verfügbar" zu sein. Freese betonte immer wieder die Überlegenheit dieser Serienanfertigung gegenüber vorgefertigten Raumkonzeptionen, wie sie in den 1960er Jahren vielfach erprobt wurden. Das Arbeitsamt in Neunkirchen erhält seine lebendige Struktur aus sichtbaren, da außen stehenden, vorfabrizierten Stahlbetonstützen. Bei einer 1992 durchgeführten Sanierung wurde die Fassade mit farbig beschichteten Aluminiumplatten verkleidet.
Das Stahlwerk in Augustfehn, Ostfriesland konstruierte er allerdings aus Stahl und die Saarbrücker BMW-Niederlassung wegen ihrer geringen Größe in Ortbeton. Bei diesem Bau war das Erkennen der Corporate Identity verlangt. Das Wertesystem der Marke BMW musste auch in der Architektur sicht- und spürbar sein. Dabei veränderte Freese einen Vorentwurf der Bauabteilung von BMW mit ihrem Architekten Boris Rozmarin massiv. Zäsur erhält der Bau durch eine Rotunde, die die Straßenführung aufnimmt. Die vorgehängte transparente Glasfassade unterliegt wieder einem einheitlichen Stützenraster, das sich aus den Stellplatzgrößen ergibt. Die Stützen sind weit hinter die Fassaden zurückgesetzt. Sämtliche aufgelegten oder angehängten Bauteile sind aus Stahl und damit von geringem Gewicht. So konnte Freese das in der Architektur angestrebte schlanke Maß gestalten und die Fassaden fast schwerelos wirken lassen. Inzwischen wurden auch bei diesem Bau durch andere Architekten Veränderungen vorgenommen. Freeses Bauten zeichnen sich alle durch eine ruhige klare Gliederung aus, die immer auf einen funktional begründeten, aber ästhetisch überhöhten Kulminationspunkt zuläuft, wie das gefaltete Dach am Gymnasium am Rotenbühl oder die Rotunde bei BMW. Er strebte eine von allem modischen Zubehör abstrahierende architektonische Gestaltung an, die auch für den Betrachter eindeutig und einsichtig wird. Viele saarländische Architekten finden ihr Tätigkeitsfeld ausschließlich in der Region, nicht so Gerhard Freese. In Saargemünd entstand das Betriebsgebäude der Firma Hazemag, in Luxemburg wurden die Hochbauten des Stauwerks Remich errichtet, in Brasilien war sein Büro an der Flughafenerweiterung Rio de Janeiro und einer Krankenhauserweiterung in Sao Paulo beteiligt. Mit dem Masterplan für das Leisure-Center im Norden Jordaniens fand sein Interesse auch an städtebaulichen Problemen erneut ein Aufgabenfeld. Ab 1980 arbeitete er mit seinem Sohn Henning zusammen, der seit 1991 für Freese Architekten allein verantwortlich zeichnet. Gerhard Freese war 1957 Gründungsmitglied des Deutschen Werkbundes Saar und engagierte sich dort bis zu seinem Tod, auch im BDA erhob er immer wieder seine gleichermaßen kompetente wie verbindliche Stimme. Er war Mitglied im Freundeskreis der Universität und dem der Musikhochschule, alles Zeichen seiner vielfältigen Interessen und seiner sozialen Einstellung.
Er starb 2001 nach langer schwerer Krankheit im Alter von 78 Jahren.
Marlen Dittmann
Mitarbeiter im Büro Gerhard Freese 1959-199
Berthold Alt, 1973-1974; Hans Bubel, 1970-1991; Brana Ckonjevic, 1963-1964; Anita Diehl, 1969-1970; Theodor Eckstein, 1963-1964; Kurt Ehrbächer, 1971-1973; Felix Finkernagel, 1991-1992; Paul Geisbauer, 1975-1977; Martin Groß, 1976-1980; Simeon Groß, 1980-1983; Gerdpeter Hafner, 1964-1966; Karin Hamm, 1968-1970; Karl Heinz Heinemann, 1966-1972; Marion Hemmerling, 1970-1970; Rita Herges, 1980-1990; Edith Herrmann, 1991-1991; Holger Hölscher, 1971-1990; Heinz R. Karl, 1970-1971; Doris Keller, 1969-1969; Heribert Kunzler, 1970-1970; Doris Link, 1968-1971; Christel Meter, 1970-1991; Canisius Michaeli, 1969-1985; Inge Minig, 1972-1976; Wolf Dieter Mühlenberg, 1969-1969; Christine Niemann, 1990-1991; Beate Niesen, 1969-1974; Roland Olejnik, 1976-1979; Irina Pepper, 1987-1991; Inoslav Petrik, 1963-1980; Waltraut Ruppert, 1966-1969; Pia Diana Ruppert, 1981-1985; Werner Salm, 1963-1969; Bernd Schneider, 1973-1973; Jörg-Walter Seitz, 1971-1971; Dieter Schreiner, 1969-1972: Cordula Seebald, 1986-1989; Kurt Speicher, 1973-1988; Erwin Thewes, 1972-1976; Gregor Tymke, 1987-1988; Adjah Warmann, 1975-1976
Institut für aktuelle Kunst im Saarland, Archiv, Bestand: Freese, Gerhard (Dossier 9177)
Landesarchiv des Saarlandes, Bestand: E Nachlässe und Sammlungen von Familien und einzelnen Personen , II Einzelne Personen , 1 Persönlichkeiten, Gerhard Freese
Redaktion: Marlen Dittmann
Privatpersonen | Schüler*innen, Studierende | Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen | |
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je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: