"Wenn es das Programm der abstrahierenden Malerei ist, statt des Scheins der Dinge das Wesen der Dinge gestalten zu wollen, das heißt mehr zu geben als Befangenheit im Sinneneindruck, dann heißt das auch, sich nicht im Dekorativen zu verlieren, dem man nur allzu leichtfertig eine (fruchtlose) Sinngültigkeit zu unterschieben versucht" - notiert Wilhelm Weber zu einer Ausstellung der Meisterklasse von Boris Kleint (Staatliche Schule für Kunst und Handwerk) 1952 im Saarlandmuseum Saarbrücken (Saarbrücker Zeitung vom 26.4.1952). Webers Bemerkungen weisen schon zu diesem Zeitpunkt auf das hin, was für Dahlems Arbeiten typisch werden sollte: Farbe und Struktur - das Aufspüren des Wesens der Dinge, dem hinter Dekorativen sich verbergenden Sinnhaften. 1952 scheint in der Tat vieles kaum entwickelt und nur wenige von Dahlems frühen Werken sind heute noch erinnerlich. 1961 schreibt Weber: "Er ist wirklich ein Gourmet der Farbe, der ihre Reize schmeckt, bevor er sie fürs eigene Festmahl zubereitet. Er hat zu ihnen von Grund auf intimste Beziehungen. Wenn er sie ins Bild lockt, sie blühen, glühen, schmelzen, verbrennen und wieder auferstehen läßt (...), wenn er ihr den Befehl gibt, sich zu formieren, sich aufzulösen, dann hat er tatsächlich etwas von einem Zaubermeister." (Saarbrücker Zeitung vom 4.3.1961)
Weber deutet ein weiteres Mal an, was Dahlems Eckpfeiler sind: Farbe und Struktur. Und welchen Weg seine Entwicklung auch nimmt, welche Einflüsse auch auf ihn wirken, diese roten Fäden lassen sich immer aufspüren. Die Wege, die sein Werk nimmt, lassen sich auch in Dahlems Biographie genau ablesen. Lehrer, Freunde, Weggefährten - sie lassen sich in Dahlems Arbeiten erahnen, nicht in dem Sinn als habe Dahlem nachgeahmt, sondern im Sinne von Lernen, Umsetzen, gemeinsamer Suche nach einem Weg. Und immer wieder: Farbe und Struktur, Materialität und Lebendigkeit des Kolorits.
Hans Dahlem gehörte zu den ersten Schülern der "Schule für Kunst und Handwerk", die im November 1946 den Lehrbetrieb in Saarbrücken aufnahm. Er studiert bei Boris Kleint, hat Kontakt mit Karl Kunz, dem Surrealisten, der ebenfalls an der Schule lehrt. Mit Kunz verbindet Dahlem später eine Freundschaft, die auch Spuren in seiner Arbeit hinterlässt. Die recht freie, ungezwungene Atmosphäre an der Schule - mochte sie auch auf der Langsamkeit des Aufbaus, den ungünstigen Versorgungsverhältnissen der Nachkriegszeit und dem damit verbundenen Zwang zur Improvisation beruhen - wird das Suchen, Probieren, das Finden des eigenen Weges bei Hans Dahlem sicher gefördert haben. Der Grundlehre-Unterricht bei Boris Kleint, am Bauhaus orientiert, und die recht strenge Abstraktion der Kleintschen Malerei mögen die Entwicklungsrichtung für Dahlem durchaus mit vorgeprägt haben. Nachhaltiger wirkte noch ein Stipendium für Paris. Beteiligungen an Ausstellungen in der Seine-Metropole waren vorausgegangen: "Salon des Réalités Nouvelles" 1948 und die Ausstellung der Schule für Kunst und Handwerk im Pavillon Marsan des Louvre 1949.
Dahlem studiert bei Picard le Dou und Edouard Goerg an der "Académie de la Grande Chaumière" und bei Brianchon an der "École des Beaux Arts". Mehrere Jahre lebt und arbeitet er in Paris, orientiert sich am Kubismus, der in Paris sehr präsent ist. "Häuserlandschaft", "Paris", "Häuser auf dem Montmartre" zeigen außer kubistischer Zergliederung, die bei Dahlem etwas weichliniges, lyrisches hat, wie der Maler die Materialstruktur sucht, wie die Farbe als formende Materie genauso spricht wie die Gegenstandsbilder, die sie zusammensetzt. Oft wird die Struktur der Leinwand als kräftiger Formakzent miteinbezogen ("Blaue Kathedrale" 1957).
1954 wird Hans Dahlem in den Saarländischen Künstlerbund aufgenommen, hospitiert bei einer Ausstellung der Darmstädter Sezession und stellt zusammen mit Fritz Zolnhofer, Max Mertz, Oskar Holweck, Wolfram Huschens und Jean Schuler ("Sechs Saarländer in Paris") aus. Besonders der Kontakt mit Jean Schuler ist in Dahlems Bildern aus der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zu spüren - Farbwahl, prismatische Felderung, Themen (wie "Clown" von 1955) zeigen das. Zugleich wird die Tendenz zur Abstraktion immer stärker und hat 1960 endgültig die Herrschaft übernommen, etwa in "Komposition" (1960) - und immer wieder die Suche nach der Materialstruktur! Zahlreiche Ausstellungen folgen.
Das Jahr 1963 bildet einen Markstein im Künstlerleben Hans Dahlems; es bringt eine von nun an immer wirksame Themensetzung. Dahlem lernt den Gedichtband "Taschenkosmogonie" des surrealistischen, französischen Lyrikers Raymond Queneau (1903-1976) kennen, Worte, die zu metaphorisch-surrealen Vexierspielen werden, entstehen, vergehen, wachsen, im Mikroskopischen kosmische Dimensionen aufschließen. "Kosmogonie" wird zum unendlich variierten Bildthema bei Hans Dahlem, das immer ähnlich klingend sich doch nie wiederholt - wie die "100.000 Milliarden Gedichte" des Raymond Queneau: 10 Sonette buchtechnisch so herausgegeben, dass der Leser selbst 100.000 Milliarden Gedichte formen kann. Ebenso Dahlem, der in seinen Arbeiten kosmogenetische Vorgänge in künstlerische Formulierungen übersetzt: Kleinstes wie Zellstrukturen, Wucherungen, Verästelungen, vergrößert oder Großes, wie Vulkaneruptionen, Erdschichtungen, geologische Formationen, verkleinert. Es dominieren von jetzt an die graphischen Mittel - Linien, Punkte, Strichelungen, die auch in den Gemälden die Farbe auf den zweiten Platz verweisen. Manches Blatt erinnert in seinen Formulierungen an die phantastischen, surrealen Konstruktionen in den Arbeiten des Freundes und Lehrers Karl Kunz.
Wo Farbe von nun an bei Dahlem auftritt, verdeutlicht sie ihre eigene Materialstruktur oder unterstützt die graphischen Elemente, die Materialprozesse aufgreifen und übersetzen, in Zeichensetzungen exemplarisch festhalten. Unendliches Linienspiel, Knospungen, Blattstrukturen, Vegetabiles, Animalisches, Mineralisches ballt sich zusammen, zerplatzt.
Dahlems Kunst - seit den frühen 1960er Jahren von einer bemerkenswerten Kontinuität ohne sich selbst zu kopieren - ist oft als literarisch bezeichnet worden. Die Orientierung an der Literatur ist evident und die langjährige Freundschaft Dahlems mit Ludwig Harig ist sicherlich kein Zufall: Worttüftler und Linientüftler haben eine intensive Verständigungsebene. Vielfach fand die Annäherung an Dahlems Werk auf dem literarischen Weg statt: Harig hat sich oft geäußert, Georges Perec, Eugen Helmlé, Felicitas Frischmuth und Heinz Dieckmann, um nur diese zu nennen. Aber diese literarischen Rezeptionen, besonders die schwelgerischen Tiraden Harigs, die Dahlems Arbeiten fabulierend begleiten, erschweren oft die Annäherung an die Bilder selbst, verführen oft dazu, die Bildwelt Dahlems, die Einfühlungsvermögen und akribisches Nachlesen fordern, oberflächlich zu konsumieren, statt sorgfältig analysierend zu betrachten. In jedem Blatt aus Dahlems Feder, Spachtel, Pinsel erschließen sich Welten, surreale Mikrokosmen, Labyrinthe, in denen sich der Wandernde leicht verirren kann. Die Arbeiten verschließen sich ornamentaler Schönlinigkeit; dekorative Farbschleier zerfetzen zu Brüchigem, Kantigem, zersplittern, lassen sich nicht einfach schlucken. Städte, im Frühwerk in Farb- und Formessenzen zergliedert, bauen sich in den späteren Arbeiten aus Kleinststrukturen komplex auf, fast organisch, wie aus Pilzen, Schwämmen, Korallen, Zellhaufen, verfaulen, brechen zusammen, kariösen Ruinen gleich, voll metaphorischem Hintersinn.
Aber eines sind die Bilder Dahlems nicht: Abschriften. Sie sind keine noch so phantastischen Abschriften der Natur. Dahlems Arbeiten sind Artefakte - in die Hieroglyphenschrift des Künstlers übersetzte Surrogate, Symbole, zum Zeichen komprimierte Kosmogonie, nicht diese selbst. Es sind Kunstwelten, die Teile der Welt widerspiegeln, oft vexierbildhaft verfremdet und damit oft auch entlarvend oder eben das, was Weber 1952 sich erst entwickeln sah: "...statt des Scheins der Dinge, das Wesen der Dinge gestalten zu wollen." Oder besser gesagt: offenlegend ins Bild zu bringen, komprimierend das zu erfassen, was die wirkliche Wirklichkeit ohne die Mikroskoplinse des Künstlers dem Betrachter verschweigen würde.
Michael Jähne
In: Kunstpreis der Stadt Saarbrücken an Hans Dahlem. In: Saarheimat 1988, S. 157
Redaktion: Ursula Kallenborn-Debus, Doris Kiefer
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