Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung August Clüsserath im Kunstverein Dillingen im Alten Schloss am 24. Juni 2006
Das Oeuvre Clüsseraths geht vielen Richtungen und Stilen nach. Das ständige Suchen, Aufgreifen und Verwerten von Impulsen war für Clüsseraths künstlerisches Programm: "niemand hat seinen stil gefunden: wenn jemand mit einem werk bei sich oder anderen erfolg hat, so plagiiert er sich selbst: er geht vom stil aus und folglich einem äußerlichen, und er muss schlechter werden" und "Erstrebenswertes, selten erreichtes ziel für jeden künstler: nicht in anderen ein vorbild (im äußerlichen) zu sehen oder an seiner methode weiterzuarbeiten, sondern in allem alles von grund auf neu zu ergründen und anzufassen".
Die 1950er Jahre, mit denen die Präsentation des Kunstvereins Dillingen einsetzt, waren für August Clüsserath Jahre der Orientierung. Er setzte sich intensiv mit der Klassischen Moderne, vor allem Picasso und Matisse, als auch mit der Abstraktion auseinander. In jener Zeit entstanden Kompositionen mit einem fließenden Übergang zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Kennzeichnend für diese Arbeiten ist ein flächiger Bildbau mit klaren, geschlossenen linearen Formen. Die Farben erscheinen in einem gleichmäßigen Licht und sind in die Ebene gebunden. Im Wechselverhältnis zu den monochromen Vollformen stehen rhythmische, lineare Strukturenordnungen. Die Komposition ist tektonisch in der Bildfläche verankert.
Clüsserath verarbeitet zu Beginn der 1950er Jahre auf der Suche nach einem individuellen Weg in die Abstraktion Gestaltungsprinzipien die er zwischen 1926 und 1932 in der Vorklasse Adolf Bauers an der staatlichen Kunst- und Kunstgewerbeschule in Saarbrücken kennen lernte. Bauers Formschulung war an der Bauhauslehre orientiert und vor allem auf die textile Gestaltung, Bauers eigentliches Fachgebiet, ausgerichtet. Ziel der Unterrichtseinheiten der Formschulung war die Gestaltung eines ausgewogenen Gesamtornaments in der Fläche, ohne zufällig entstandene Formen oder Randzonen. Folgende Äußerung Clüsseraths lässt den Einfluss der Formschulung deutlich werden "picasso malt sein motiv in die mitte des bildes uns setzt dann einen rand herum. Dann hat er in seinen bildern immer ‚randfiguren’ etwas nebensächlich behandeltet flächen am rande. Ich versuche, die elemente meines motivs gleichmäßig über die gesamte bildfläche zu verteilen, so dass randfiguren vermieden werden".
Neben den rein abstrakten Kompositionen steht zu Beginn der 1950er Jahre die Auseinandersetzung mit der menschlichen Gestalt im Vordergrund, die schrittweise vereinfacht und abstrahiert wird.
1957 lösen Kompositionen spontan gesetzter Farbflecken die geometrischen Bildgefüge ab und erhalten Entfaltungsraum. Die geometrischen Formen werden weicher und öffnen sich, werden zu informellen Farbbezirken. In stärkerem Maße als zuvor bedient sich Clüsserath leuchtender Farben, die er vor weißen Grund setzt. Malerische Bildmittel stehen neben gestisch-skripturalen Bildzeichen. Die Strukturen verselbständigen sich, werden aus dem Gefüge des 'Gesamtornamentes' befreit. Bewegung und Rhythmus werden Thema. Innerhalb dieser Werkgruppen lassen sich Serien zusammenstellen, bei denen die Beschäftigung mit bestimmten strukturellen oder formalen Motiven deutlich wird, oder die eine bestimmte Farb-Formverteilung variieren.
Immer wieder lösen die abstrakten Kompositionen Clüsseraths Assoziationen an Organisches oder an Landschaften aus. Im Spannungsfeld zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion sah Clüsserath seine Arbeiten nicht völlig losgelöst von der Natur sondern als eine Parallele zur Natur und schließt sich mit seinen Überlegungen Künstlertheorien Paul Klees und Hans Arps an.
"... es kommt also beim malen einer landschaft nicht darauf an, die landschaft natürlich zu geben, sondern ein 'bild' der landschaft zu malen. alle (...) eigenschaften, (...), strahlen, kräfte und sonstige einzelheiten werden durch die phantasie ersetzt, die alles dieses in seiner gesamtheit in sich fühlt. in den einzelheiten an alles dies zu denken, ist eine unmöglichkeit für den menschengeist. der künstler 'schaut' die landschaft, er sieht in seiner weltallverbundenheit alle diese zusammenhänge und kann so die landschaft aus ihrem zusammenhang herausreißen und ein neues bild malen, das alle diese einzelheiten nicht enthält, sondern nur die sicht dieser einzelheiten enthält. das vollkommene bild stellt eine neue welt dar, die begrenzt ist durch den rahmen. diese welt enthält auch alles, was die uns umgebende welt enthält, wenn auch nicht in der wirklichkeit, sondern in der sicht, in der phantasie (...) die so entstehende landschaft ist ein symbol der landschaft, und die einzelnen teile sind symbole der teile."
"kunst ist eben kunst und nicht natur: sie sollte so dicht, so gespannt, so selbstverständlich und so scheinbar unbeabsichtigt werden wie die natur." Interessant mag für Sie in diesem Zusammenhang sein, dass Clüsserath zuweilen seine großformatigen abstrakten Arbeiten aus der Werkstatt in den umgebenden Garten trug und diese im Grünen fotografieren lies.
Wichtige Impulse für sein Schaffen erhält Clüsserath in jener Zeit von der neuen gruppe saar um Boris Kleint, einer Künstlergruppe die der gemeinsame Wille zusammengebracht hatte, der aktuellen nicht-figurativen Kunst im Saarland ein Forum zu schaffen.
Das Jahr 1958 stellt einen Höhepunkt im Schaffen Clüsseraths dar. Clüsserath setzt sich mit den aktuellen künstlerischen Tendenzen auseinander. Es entstehen seine schwarz weißen Bilder. Es sind Arbeiten von machtvoller Einheit, geometrisch strukturiert oder Kurven und Gerade komplex kombinierend. Eine Gruppe von schwarz-weißen Kompositionen arbeitet mit Systemen spontan gesetzter, gestischer Linien, sie sich zu strukturalen Rhythmen zusammenschließen, Gitterstrukturen oder Parallelstrukturen konstituieren, oder sich zu schwarzen Knäueln verdichten um sich teilend, nach verschiedenen Richtungen auseinander zustieben um sich erneut zu sammeln. Zuweilen sind Rechteckflächen oder "taches", Flecken, als eigene Rhythmen und Verdichtungszonen des Schwarz, in die Strukturen eingefügt. Den rhythmischen gesetzten Zeichen, die schwarz auf weißem Grund sich deutlich abzeichnen, kommt eine wichtige Bedeutung als Bewegungs- und Zeit-Ausdrucksträger zu. Sie stehen für die dynamische Abfolge ähnlicher Impulse, die im Malakt festgehalten werden. Die Kompositionen stehen für Bewegung schlechthin, sind Protokolle der Malaktion. Die spontanen Gesten fügen sich zu regelmäßigen Strukturen. Die Kompositionen sind stets in die Bildfläche verklammert, nehmen Kontakt zu den Grenzen der Bildfläche auf, schweben nie frei, haltlos im Bildraum.
Die Kompositionen sind in die Bildfläche verklammert, scheinen sich aber kraft ihrer Dynamik gegen die Verspannung aufzulehnen. Sie biegen sich, wollen ausbrechen. Der Eindruck von Raum stellt sich ein, wo sich die Strukturen überlagern und an Stellen der Unschärfe des Konturs, wo ein Grau zwischen weißem Grund und schwarzem Bildzeichen vermittelt und so Tiefe schafft.
Formen werden als Bewegungsprinzip, als prozessual Entstandenes gesehen. Die Bildelemente nähern sich in ihrem Aussehen tachistischen und informellen Strukturen. Nicht zuletzt verwies Clüsserath selbst auf eine Arbeitsweise, die mit Automatismen arbeitet: "ich mache 6 zeichnungen hintereinander. die erste wird die gelenkteste, die, deren bestandteile am beabsichtigsten sind, sein. sie wird mich vielleicht am meisten befriedigen, weil ich alles 'voraussah', weil sie meiner schablone, meinem bild von 'kunst' am meisten entspricht. angenommen: denn es kann sein, daß ich mich auch erst in der zweiten und dritten zeichnung dazu steigere. die zweite wird lässiger sein, ich bin schon etwas müder geworden - ich werde mein geträumtes bild nicht so streng mehr ausführen können. da tritt etwas hinzu, was vorher nicht war, die intuition, die freiheit, die gnade. etwas wird mir die hand führen, was vorher mein eigensinn, mein stolz, mein falsches selbstbewußtsein zurückgehalten hat. ich werde im ersten ansturm auch diese zweite, dritte oder vierte zeichnung noch anerkennen. dieses steigert sich immer mehr. ich werde infolge 'müdigkeit' allmählich nicht mehr das erreichen, was ich erwarte. es wird immer mehr etwas so freies, so großes und so neues in der arbeit vorhanden sein, daß ich geneigt bin, dies nicht mehr, dem gesetz der trägheit gehorchend, als gut anzuerkennen. eine dieser, die 4. oder 5. zeichnung, wird die beste sein - nach jahren erst werde ich das erkennen. die sechse wird aber so müde sein, daß sie nicht mehr als gut zu beachten ist, dort hat die müdigkeit so überhand genommen, so daß keine arbeit mehr bewußte oder unbewußte in sie hineinströmen kann." und: "ein bild ist umso besser, je mehr zufälligkeiten - ins bewußtsein gelangtes erleben - es enthält."
"Das zufällige ist das einmalige, das nie wieder zu erlebende. Ein Bild ist um so besser, je mehr ‚zufälligkeiten’ – ins bewußtsein gelangtes erleben – es enthält". In der Ablehnung ästhetischer Wirkungen erscheint die Malweise dieser Arbeiten oft rüde. August Clüsserath war ein Künstler, der sich durch die kompromisslose Ablehnung konventioneller Gestaltungsprinzipien auszeichnete, für den ansprechende Kunstwerke mit ehrlicher Gestaltung und erfüllter Form nicht überein gehen können. "wenn man ein bild malen will, muß man in der konzentration seines geistes alles vergessen, was von der eigentlichen kunst ablenken könnte: die tradition, die technik, sie schönheit des bildes und des gegenstandes, was es eventuell wert ist und was man damit verdienen will, ob es gefällt oder nicht, das handwerkliche - mit einem wort, man muß so arbeiten, als ob noch nie ein kunstwerk geschaffen worden wäre und als ob es das ursprünglichste, beste, für niemand berechnete kunstwerk werden sollte."
"material: wer gute kunst abhängig macht vom material, zeigt meistens dadurch, daß er nichts von kunst versteht (...) das material ist nur ein ausdrucksmittel, materialisationsmittel für die kunst."
"technik: die wichtigkeit der technik bei der kunst wird besonders heute, im zeitalter des materialismus, sehr überschätzt. die technik gibt nie den grad der kunst an, die kunst macht allein der geist aus."
Die Ablehnung materieller, stilistischer und inhaltlicher Gestaltungsprinzipien die in den Selbstzeugnissen immer wieder betont wird, und die auch hinsichtlich der bewusst ungefällig gestalteten Bilder deutlich wird geht überein mit einer ständigen Hinterfragung tradierter Werte und der Suche nach neuen geistigen und künstlerischen Wegen. "mein größtes kapital: die unsicherheit"
Catherine Biasini Alle Zitate beziehen sich auf August Clüsseraths Aufzeichnungen der Notizblöcke
Redaktion: Claudia Maas, Margarete Wagner-Grill
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je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: