Supernatural, Final Home, Posing und Urban Camping sind Beispiele für Ausstellungs- und Werktitel des Künstlers Francis Berrar. Ganz offensichtlich stammen diese Begriffe aus einer realen Alltagswelt, die in Verbindung mit Berrars Kunst eine skurrile und enigmatische visuelle Sprache bilden. Ohne direkten Bezug zur Kunst, isoliert vom Kontext, tragen die Begriffe ein starkes Assoziationspotenzial, nicht nur titelgebend, sondern auch als integrierte Schrift auf den Bildwerken. Der Ausgangspunkt von Berrars künstlerischem Schaffen ist ein Zusammenwirken von Elementen aus "High und Low", aus Hoch- und Trivialkultur, nicht nur in der Sprache, sondern auch in seinem Bilderkosmos. Bilder und Diagramme aus der Wissenschaft und der Medizin, aus der Computer- oder Fernsehwelt und später aus dem World Wide Web finden ebenso Eingang in sein Werk wie Fragen nach der Autonomie von Kunst. Francis Berrar ist hauptsächlich Maler und Zeichner.
In wenigen Ausnahmen beschäftigt er sich auch mit konzeptueller Fotografie und Objektkunst sowie Druckgraphik. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht eine farbige, abstrakte und teilweise gestische Malerei, die insoweit formale Parallelen zu den Papierarbeiten aufweist. Seine Zeichnungen sind in einem Spannungsfeld zwischen Selbstreferentialität und außerkünstlerischen Themen anzusiedeln. Gestische, in Acrylfarben ausgeführte Partien, eincollagierte Fragmente sowie überarbeitete fotokopierte Motive verleihen jeder Zeichnung ihre Einzigartigkeit. Die Themen stammen aus unterschiedlichen Bereichen und kreisen immer wieder um Mensch und Natur. Die Zeichnungen sind zu Konvoluten zusammengefasst, die Berrar über viele Jahre hinweg beschäftigen und jeweils aus mehreren hundert Blättern bestehen. Durch die unübersehbare Fülle von eng zusammengehörigen Arbeiten entsteht der Eindruck tagebuchartiger Aufzeichnungen. In ihrer Gesamtheit wirken sie wie tägliche Niederschriften von Befindlichkeiten.
Unmittelbar nach seinem Studium an der Kunstakademie fertigt Francis Berrar großformatige Radierungen an, deren Lineament auf Strukturen aus der realen Alltagswelt zurückgeht. Zu sehen sind beispielsweise Profile von Autoreifen, die ihren Abdruck als Spur direkt auf der Druckplatte hinterlassen. In anderen Arbeiten ist das Blatt von einer chaotisch anmutenden Struktur überzogen, die durch das Schieben der Druckplatte auf der Straße entstand. Hier collagierte Berrar Motive aus der Werbung auf das Bild. Mit diesen zwei Kunstgriffen, erstens, der bereits in der Alltagswelt vorgefundenen Musterung, die auf die Platte übertragen wird, und zweitens, dem Implantieren realer Objekte auf den Bildträger, zeigen sich Berrars künstlerische Strategien, die konstitutiv für sein Werk sind.
Ein Aufenthalt als Stipendiat in der Casa Baldi 1990 in Olevano Romano spiegelt sich direkt in seinem Werk wieder. Fasziniert von den italienischen Gärten konzentriert er sich auf Naturdarstellungen. Es entstehen abstrakte Kompositionen in verschiedenen Grüntönen. Die Formgebung auf den Bildwerken suggeriert Motive aus der Natur, die entweder makro- oder mikroskopisch gelesen werden können. Viereckige Flächen werden nebeneinander gesetzt und entfernen sich damit weiter vom Abbild. Ein Jahr später, als Stipendiat in der Villa Massimo in Rom, interessiert sich der Künstler weniger für die Natur, als vielmehr für die religiöse Symbolik, die ihn in der Heiligen Stadt allgegenwärtig umgibt. Berrar wählt einen gänzlich neuen Darstellungsmodus, um sich dem Thema Mensch zu nähern. Die künstlerische Handschrift wird durch die Verwendung von Baststickerei neutralisiert. Es entstehen sowohl religiöse Motive in dieser Technik als auch auf Tonpappe aufgestickte Fußspuren von Tanzschritten, wie sie als Lernanleitung bekannt sind. Die Verwendung des Materials geht vermutlich auf das regionale Kunsthandwerk in Italien zurück. Mit der Darstellung der Schritte erkundet Berrar die Bewegung des Körpers im Raum und bannt diese emblematisch auf eine zweidimensionale Fläche.
Seit 1998 arbeitet Francis Berrar an seinem Zyklus "Final Home", der bereits mehrere tausend Zeichnungen umfasst. Die Überschrift "How to use final home" ist der Titel eines japanischen Diagramms für Verhaltensweisen im Katastrophenfall. Das offensichtlich fehlerhafte Englisch lässt sich kaum übersetzen und birgt deswegen ein um so größeres Assoziationspotential. In dem Zyklus entwickelt der Künstler einen ureigenen Bilderkosmos, der sich aus seinem persönlichen Bildarchiv speist. Abbildungen aus naturkundlichen und medizinischen Lehrbüchern bilden einen Fundus an Motiven, die maßstabslos und scheinbar unzusammenhängend auf die Blätter collagiert werden. "Dabei zielen diese außerkünstlerischen Bilder keineswegs auf eine realistisch abbildhafte Verdopplung der Wirklichkeit, sondern bedienen sich auch abstrahierender oder abstrakter Darstellungsmodi, um neue Aspekte der Realität zu erschließen, wie zum Beispiel in medizinischen oder naturkundlichen Veranschaulichungen an sich unsichtbarer Aspekte der Natur." (Wagner, 2000, S. 9) Makroskopische Strukturen stehen gleichwertig neben mikroskopischen Ansichten. Die aufgebrachten Fragmente werden vom Künstler zeichnerisch in eine gegenstandslose Darstellungsweise eingearbeitet. Außer der Collage verwendet Berrar eine große Bandbreite an künstlerischen Techniken: Ein gestischer Duktus in der Zeichnung, breit angelegte Farbflächen und überarbeitete Fotokopien geben den Blättern ihren je unterschiedlichen Charakter. Die verschiedenen Darstellungsmodi veranschaulichen das zentrale Thema Berrars: den menschlichen Körper und die Natur. Die parallel zum Zeichenzyklus entstandenen großformatigen Gemälde führen zurück in die Autonomie der Malerei. Hier entstehen pastellfarbene, großflächige Bildpartien mit weitläufigem Pinselduktus. Mit diaphanen Farbflächen erkundet Berrar den fiktiven Bildraum, der durch Lackapplikationen verstärkt in Erscheinung tritt. "Am Ende einer in den Zeichnungen in der Vervielfältigung der Sichtweisen von Wirklichkeit exzessiv betriebenen künstlerischen Reflexionen der Naturwahrnehmung und der darin wirksamen kulturell überlieferten Bildvorstellung kehrt Berrar in seinen Gemälden zu einer kontemplativen Verinnerlichung und Befriedung der Anschauung zurück, in der die Selbstreferentialität der künstlerischen Mittel wieder stärker in den Vordergrund tritt." (Wagner, 2000, S. 18)
Zu dem Zyklus "Final Home" hat der Künstler auch ein Buch konzipiert. Diese etwa fünfzehn Künstlerbücher stellen eine wichtige Werkgruppe im Œuvre Berrars dar, mit der er sich parallel zu seinen anderen Arbeiten kontinuierlich beschäftigt. In den Büchern, die hochwertig mit Ledereinband und Prägedruck gebunden sind, zeigen die einzelnen Seiten eine ähnliche Gestaltung wie seine Papierarbeiten. Vermehrt finden sich auch Ausschnitte eigener Fotografien, die er gestisch mit Farbe überarbeitet. Dass die Papierarbeiten Berrars, nach Absicht des Künstlers, wenn nicht in ihrer Gesamtheit, dann jedoch in hoher Anzahl und nicht als Einzelwerke rezipiert werden sollen, wird an den Büchern deutlich. Auch hier sind viele Zeichnungen zu einer Arbeit zusammengefasst.
2002 beginnt Berrar seinen Zyklus "Posing". Das Leitmotiv, welches eine gebogene kurvige Form zeigt, deren Enden links und rechts verschiedene Breiten aufweisen, stammt aus einer Werbeanzeige für Frisuren. Die um das Motiv gruppierten Kreise stehen für die einstigen Sprechblasen der originalen Abbildung Auf den Gemälden dieser Serie ist die charakteristische Form mit hellen, pastellfarbenen Farbflächen hinterlegt. Berrars Faszination, alltägliche, aus der Welt der Massenkultur stammende Phänomene mit der hohen Kunst der Malerei zu kombinieren, wird hier deutlich Ausdruck verliehen. Elemente aus Werbung und Comic werden stark abstrahiert in die Kunst überführt.
Im Jahr 2003 widmet die Stadtgalerie in Saarbrücken dem Künstler eine Einzelausstellung, die Francis Berrar mit "Urban Camping" betitelt. Zu sehen sind außer Zeichnungen und Gemälden seiner Zyklen "Final Home" und "Posing" auch Objekte und eine Lichtbildinstallation. Die Objekte bestehen aus mannshohen, pyramidenartig aufgetürmten Spielbällen, die sichtbar mit Paket- bzw. Klebeband fixiert sind. Der Ball einerseits als Freizeitgerät (Urban Camping), andererseits als Objekt, welchem entgegen seiner natürlichen Bestimmung eine eingeschränkte Bewegungsfreiheit aufgezwungen wird, ist das wiederkehrende Symbol. Die Kreisformen der Gemälde finden sich dreidimensional in der Gestalt der Ballskulpturen wieder. Weitere ausgestellte Objekte sind ein Sammelsurium unterschiedlicher Stühle, die vor wechselnden Lichtbildern von Sperrmüllhaufen arrangiert sind. Solche Spermüllhaufen am Straßenrand zeigen für Berrar eine ähnliche kompositionelle Qualität wie die Gattung des Stillebens.
Ab 2007 wendet sich Francis Berrar der Internetästhetik zu, um seine Bildersprache gänzlich zu erneuern. Die Gemälde aus der Serie "Frames" erkunden beides: das neue Verhalten des Menschen im Netz sowie formalästhetische Möglichkeiten der Malerei. Parallel zum digitalen virtuellen Raum entwirft er schwer zu differenzierende Bildräume mit diaphanen Farbflächen und übereinander geschobenen Rahmen, die ein wesentliches Strukturelement bilden. Die Unendlichkeit sowie Unüberschaubarkeit des Informationsflusses im Internet wird mit den unzählbar übereinander geschichteten Rahmen in den Gemälden symbolisiert. Je mehr Fenster im Netz geöffnet werden, desto mehr Informationen sind abrufbar. Oftmals hinterlegt er die Rahmen, die den "Fensterrahmungen" aus der Internetästhetik gleichen, mit Schriftzügen in Druckschrift aus der Werbung oder der Medienwelt. Auch hier benutzt er die in der Werbung und Massenästhetik dominierende englische Sprache, eine Referenz auch an die amerikanische Pop-Art der 1960er Jahre.
Francis Berrars Gemälde von 2010 weisen wiederum eine neue bildnerische Sprache auf. Charakteristisch sind die eng gesetzten, vertikalen oder horizontalen Streifen, die die Leinwände überziehen. Nur bedingt wird der Blick auf den Bildraum hinter den linearen, dunklen Streifen gewährt. Fast wie ein Kettenvorhang oder eine Jalousie bleibt die abstrakte Malerei verborgen. Berrar hat auch mit diesen aktuellen Bildern zu seinem eigenen Thema gefunden, das seine Bildwerke von Beginn an prägte. Ähnlich seinen früher entstandenen Werken experimentiert er mit der Möglichkeit, mehrere Bildräume auf einer zweidimensionalen Fläche darzustellen. An Stelle der einstigen diaphanen Farbflächen, hervorgerufen durch einen lasierenden Farbauftrag, prägt nun das vorhangartige Motiv mit dahinter liegender "Malerei" die Bilder. Die Fläche der Leinwand wird durch die Streifen akzentuiert und lässt in einem dahinterliegenden imaginären Raum die autonome Malerei folgen.
Silke Immenga
Auswahl
Redaktion: Sandra Kraemer
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