Die Bildwelt von Marianne Aatz ist untrennbar mit ihrer Lebenswelt und ihrer Weltauffassung verschmolzen. So ermöglicht ein Blick in das Leben der Künstlerin einen Schlüssel zu ihren Bildern. Sei es die wiederkehrende Motivik der sie umgebenden Landschaft, seien es die vertrauten Gesichter, Menschen, die der Künstlerin nahe stehen und die sie mit Vorliebe portraitiert oder die lieb gewonnenen Haustiere.
Marianne Aatz ist eine feinsinnige, empathische Person. Sie ist naturverbunden und voller Liebe für alles Lebendige. Die Künstlerin, die im Jahr 2019 90 Jahre alt geworden ist, ist Mutter von sechs Kindern und acht Enkelkindern. Sie lebt mit ihrer Familie und zahlreichen Haustieren seit über dreißig Jahren im Waderner Land, in einem Haus inmitten von Feldern mit herrlichem Blick über das Löstertal und auf die bewaldete Hügel. Das Verständnis und Naturempfinden von Marianne Aatz bilden den Zugang zu ihrem künstlerischen Werk. Ihre Gemälde berühren: die Bildinhalte fesseln den Betrachter.
Der vereinfachende Pinselduktus, die präzise Konturgebung und der flächige Farbauftrag verbunden mit einem sensiblen Gespür für feinste Farbnuancierungen bilden die Stilmittel der Gemälde von Marianne Aatz. Ihre Werke sind in zweifachem Sinne tiefgründig: Bedächtig trägt die Künstlerin Pinselstrich für Pinselstrich die Farbe auf die Leinwand auf und erzielt damit in der Fläche eine facettenreiche Farbdichte. Aber auch im übertragenen Sinn besitzen die Gemälde Tiefe. Sie scheinen beseelt durch die innere Ausdruckskraft, die über den vordergründig erfahrbaren Bildinhalt hinausweist. Hinter jedem Werk verbirgt sich eine Geschichte, die Bildinhalte basieren auf dem Erlebten bzw. dem fundierten Wissen der Künstlerin. Sie taucht in Bildwelten ein zwischen Realität und Fantasie, zwischen Alltagserleben und Traum; sie schneidet Themenkreise der Mythologie ebenso an wie sie aus dem Reichtum biblischer Erzählungen schöpft. Sie widmet sich den Genres Landschaftsmalerei, Portrait, sei es als Einzel-, Gruppen oder Selbstportrait, aber auch szenischen Darstellungen und Stillleben.
Studiert hat Marianne Aatz Malerei von 1946 bis 1949 in der Meisterklasse von Boris Kleint an der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken. Sie gehört zu den Schülerinnen des ersten Jahrgangs an der nach dem Zweiten Weltkrieg in Saarbrücken erneut gegründeten Kunstschule. In ihrem Abschlusszeugnis lobt Kleint: "Die Beherrschung der Graustufen (Hell-Dunkel) und eine lyrisch-humorvolle Erfindungsgabe gehören zu ihren hervorstechendsten Eigenschaften." (Kleint, Abschlusszeugnis 14. Juli 1949) Von der Beherrschung der Grauwerte, zeugen insbesondere die Zeichnungen der Künstlerin, die seit den 1950er Jahren das malerische Werk begleiten. Während der Studienzeit widmet sich Marianne Aatz dem Studium der menschlichen Figur; es entstehen Akt- und Portraitzeichnungen in Kohle, Bleistift oder Tusche aber auch Modezeichnungen und Landschaften. Mit den Jahren erweitert die Zeichnerin ihr Repertoire ähnlich dem der Malerei: Marianne Aatz zeichnet ihre Familie, Tiere oder alltägliche Situationen wie den Blick aus dem Fenster während eines Studienaufenthaltes in der Provence (Séguret 1979).
In der Malerei nimmt das Portrait einen bedeutenden Part im Oeuvre von Marianne Aatz ein, insbesondere deshalb, weil nahezu alle portraitierten Personen der Künstlerin nahe stehen. Sie malt ihre Familie, ihre Freunde und Bekannte. So zeigt das Gemälde "Julia" aus dem Jahr 1975 die jüngste Tochte der Künstlerin auf einem Stuhl sitzend, eine Katze zu ihren Füßen. Die Werke "Severine", 2004, und "Kommunionkind Gabriel", 2007, zeigen Enkelkinder der Künstlerin. Die Gesichter der Portraitierten, selbst der Kinder und jungen Erwachsenen, strahlen Ruhe und Gelassenheit aus. Sie entbehren nicht eines wehmütigen Ausdrucks, ein Anflug von Melancholie spricht aus den dunklen, verschatteten Augen; ein wissender Zug um den Mund lässt die Gesichter ernst wirken. Obgleich einzelne Partien der Kompositionen eine flächenhafte Behandlung erfahren, widmet sich Marianne Aatz mit höchster Präzision der Ausgestaltung der feinen Züge der Gesichter und der Zartgliedrigkeit der Hände. Das Märchenhafte, Unreale, das manchem Motiv anhaftet, birgt neben der harmonischen Ruhe auch das Geheimnisvolle, vielleicht auch das Unheilvolle in sich, das nicht selten in der Darstellung einer Katze personifiziert ist.
Neben den zahlreichen Einzel- und Gruppenportaits setzt sich die Künstlerin im Bild auch immer wieder mit der eigenen Person auseinander. Als Beispiel seien die Werke "Selbstportrait" aus dem Jahr 1951 und aus dem Jahr 2003 sowie "Kleines Selbstportrait" aus dem Jahr 2008 genannt. Mandelförmige große Augen prägen die maskenhaft wirkenden Gesichtszüge der Portraitierten auf dem frühen Selbstbildnis. Die damals 23jährige Künstlerin stellt sich in einer das Bildformat füllenden Pose mit angewinckelten Beinen zusammenkauert dar, die rechte Hand in einer abwägenden Geste erhoben. Die gewählte Farbigkeit des Komplementärkontrastes zwischen dem leuchtend roten Hintergrund und der grünen Kleidung der Künstlerin steht in einem spannungsvollen Verhältnis zu der Haltung und dem fast ausdruckslosen Gesicht der jungen Künstlerin. 50 Jahre später wählt Marianne Aatz für das "Kleine Selbstportrait" ein Brustbild, eine Katze auf dem Schoß haltend. Auch fünf Jahre zuvor begleitet die Katze das Selbstbildnis der Künstlerin, die in einem gepolsterten Stuhl sitzend in Gesamtsicht gemalt, den Blick offen auf den Betrachter gerichtet.
Auch die beiden Doppelportraits aus den Jahren 2003 und 2008, welche die Künstlerin und ihren Mann zeigen, weisen darauf hin, wie intensiv sich Marianne Aatz mit der eigenen Person und ihrem unmittelbaren familiären Umfeld auseinandersetzt. Das Gemälde "Jubelpaar", August 2003, zeigt das Paar am Kopfende einer mit Efeuranken geschmückten Festtafel sitzend; die Hände ineinander gelegt, den Blick auf den Betrachter gerichtet. Vor sich hat jeder einen Teller mit einem Apfel. Das Jubelpaar wird gerahmt durch zwei an den Seiten aufgestellte, brennende rote Kerzen und zwei auf Höhe der Köpfe dargestellte Bilder in ovalen Rahmen, die die Tierkreiszeichen der Portraitierten zeigen. Mit Ausnahme des in festliches Schwarz gekleideten Jubelpaares, ist die Farbigkeit der Komposition in warmen Rottönen gehalten. Die Harmonie der Farben sowie der streng spiegelsymmetrische Bildaufbau unterstreichen die ernsthafte Gelassenheit der Gesichtszüge, die die Personen als in sich ruhend charakterisieren, und symbolisieren zudem die innige Verbundenheit des Paares, welche in der Geste der ineinandergelegten Hände zum Ausdruck kommt.
Marianne Aatz schafft im Jahr 2008 das Gemälde "Heimgang". Erneut malt sie sich selbst und ihren Ehemann, in Rückenansicht, in die Weite der Landschaft dem Licht entgegen schreitend. Trotz der hellen Farbigkeit der lichtdurchschienenen Landschaft, vor der sich die Silhouette des Paares dunkel abzeichnet, trägt das Bild zugleich Wehmut und Hoffnung in sich, welche den Bildinhalt transportieren: Das Paar schreitet gemeinsam, Schulter an Schulter, dem Lebensabend entgegen, ohne den Blick zurück zu richten.
Insbesondere in den szenischen Darstellungen gelingt es Marianne Aatz menschliche Personen ins Bild zu bannen. Die Gemälde mit meist kompliziertem Bildaufbau und zahlreichen Einzelmotiven zeigen sowohl Erinnerungen der Künstlerin an Szenen der Realität als auch an Träume. Das Gemälde "Familienfest", 2003, zeigt eine um ein Brautpaar an einer Festtafel versammelte Festgesellschaft und unter dem Titel "Feier", Juli 2003, malt Marianne Aatz ihre Töchter, die anlässlich eines Sommerfestes um einen Tisch versammelt stehen, Gläser in den Händen haltend. Arbeiten wie "Spiel dein Spiel", 2000, hingegen spiegeln im Bild ein Traumerleben der Künstlerin wieder: Zwei Schachspielerinnen, eine hell- und eine dunkelhaarige, sitzen sich am Schachbrett gegenüber, jeweils die Spielfigur der weißen Dame und des schwarzen Königs haltend, die die Gesichtszüge der Künstlerin und ihres Mannes tragen. Marianne Aatz sieht sich in diesem Traum als Spielfigur im Spiel des Schicksaals, welches in zwei Frauenfiguren personifiziert ist.
Ein Großteil der Darstellungen ist der Ikonographie des Alten und des Neuen Testaments sowie der Mythologie gewidmet. Biblischen Szenen stellen beispielsweise die Taufe Jesu Christi im Jordan ("Taufe", 2007), die Flucht Adam und Evas aus dem Paradies oder den Einzug Jesu Christi in Jerusalem am Palmsonntag dar. Auch die Darstellung einer Fronleichnamsprozession weist auf die intensive bildliche Auseinandersetzung der Künstlerin mit christlichen Bräuchen und Traditionen hin. Die Werke "Apokalyptische Reiter", Juli 2003, und "Arche Noah", 2006, belegen, dass sich Marianne Aatz in der Ausführung ihrer Gemälde minuziös an die Bibelworte hält: So sind die Apokalyptischen Reiter in der Offenbarung 6, Vers 2,4,6,8, folgendermaßen beschrieben: "Und ich sah, und siehe, ein weißes Pferd. Und der darauf saß, hatte einen Bogen, und ihm wurde eine Krone gegeben, und er zog aus sieghaft und um zu siegen. (...) Und es kam heraus ein zweites Pferd, das war feuerrot. Und dem, der darauf saß, wurde Macht gegeben, den Frieden von der Erde zu nehmen, dass sie sich untereinander umbrächten, und ihm wurde ein großes Schwert gegeben. (...) Und ich sah, und siehe, ein schwarzes Pferd. Und der darauf saß, hatte eine Waage in seiner Hand. (...) Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name war: Der Tod, und die Hölle folgte ihm nach." Marianne Aatz stellt die Rosse und die Reiter exakt in den beschriebenen Farben und mit den genannten Atributen dar.
Fast portraithafte Züge verleiht die Malerin ihren Tierdarstellungen, so z. B. dem Bild ihres Hundes "Artus", 2006, sowie der Hausziege "Meckes", 2005, oder der Darstellung eines Kälbchens aus dem Jahr 2008. Neben diesen Einzeldarstellungen schafft Marianne Aatz immer wieder auch Gemälde von Tieren, z. B. Pferde oder Kühe auf der Weide, welche sie in die Kulisse des Waderner Landes einbettet, die in spannungsvollem Kontrast zu der Farbintensität und Lebendigkeit der Tierdarstellungen steht.
So schwingt in den reinen Landschaftsdarstellungen z. B. in "Herbstlandschaft" oder "Winterlandschaft", beide 1986, und "Nebelwald", 2007, Melancholie mit; die Gemälde tragen eine Schwere, die die hügelige Landschaft des Waderner Landes birgt, und die, so sagt die Künstlerin, nicht immer leicht zu ertragen ist. Im Gegensatz dazu wirkt die Allee im "Park von Montpellier", auf der im April 1985 zwei Personen dahin schreiten, Licht beschienen und freundlich, auch wenn die ausladenden Baumkronen einen dunklen Schatten auf den sich dahinwindenden Weg werfen. Neben den Landschaften zählen auch die Stillleben zu den von Marianne Aatz gewählten Genres: Sie malt Arrangements aus ihrer alltäglichen Umgebung, z. B. einen Blumenstrauß, einen Korb Äpfel oder auch fünf Stühle, die in einer Reihe aufgestellt sind. In die Einfachheit der Motive, die wie zufällig eine Momentaufnahme aus der Lebenswelt der Malerin wiedergeben, legt Marianne Aatz die höchste Präzision und Detailfreude.
Parallel zur figürlichen Malerei in den unterschiedlichen Genres setzt sich die Künstlerin immer wieder auch mit der abstrakten Malerei auseinander. Es entstehen farbintensive Kompositionen, basierend auf geometrischen Grundformen, wie die Ölwachskreide-Zeichnung auf Papier mit dem Titel "Angriff" aus dem Jahr 1973, oder die Ölgemälde "Organisch", "Rote Spinne" sowie "1001 Nacht" aus dem Jahr 2003.
Die abstrakten Gemälde zeugen von der künstlerischen Auseinandersetzung von Marianne Aatz mit der Kunst der so genannten Klassischen Moderne, beispielsweise mit Werken von Wassily Kandinsky, die sie auch durch ihre Lehrmeister an der Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken, insbesondere den Maler Boris Kleint kennengelernt hat. Aber auch während ihres einjährigen Stipendium in Paris bei Ossip Zadkin und anderen Künstlern wurde bei Marianne Aatz das Interesse für die Abstraktion geweckt. Als Ausdrucksmittel zur Darstellung der realen Welt durch Verfremdung und Reduktion auf Farbflächen und einfache geometrische Formen wählt die Künstlerin die Mittel der Abstraktion allerdings nicht nur in der Malerei.
Auch durch die Gestaltung von Glasfenstern ist sie mit der Abstraktion eng vertraut. Nach der Rückkehr aus Paris bildet sich die Malerin 1952 zur Glaskünstlerin weiter und realisiert zahlreiche Fenster für Sakral- und Profanbauten im gesamten Saarland. Damit gelingt Marianne Aatz die Übertragung ihrer Kunst in den öffentlichen Raum und auf Bereiche des täglichen Lebens.
Weitere Beispiele für die angewandte Kunst schafft Marianne Aatz in den 1990er Jahren durch Arbeiten im innenarchitektonischen, gestalterischen Bereich. Ihr Interesse gilt den schönen Dingen, dem Erhaltenswerten, das nicht in Vergessenheit geraten darf. So bewahrten sie und ihre Familie in der Waderner Innenstadt das historische Gebäude einer Backstube aus dem Jahr 1843 vor dem Verfall, um es in liebevoller Kleinarbeit zu sanieren, zu restaurieren und wieder nutzbar zu machen.
Sandra Kraemer
(überarbeitete Abschrift der Eröffnungsrede anlässlich der Ausstellung "Marianne Aatz. Eine Welt in Bildern", Schloss Münchweiler, November 2008)
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Redaktion: Sandra Kraemer, Oranna Dimmig
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