Für Thomas Wojciechowicz steht Holz als Material bzw. Werkstoff an zentraler Stelle. Er geht scheinbar grob – und doch sehr sensibel mit seinem Material um. Dabei drängt sich sehr rasch das Attribut "archaisch" auf. Gelegentlich wird dieses Adjektiv für Wojciechowicz´ Arbeit zur Diskussion gestellt, das mag für etliche Konnotationen des Begriffs berechtigt sein – es trifft aber eine wesentliche Eigenschaft der Arbeiten des Künstlers sehr genau.
Für Wojciechowicz´ Arbeiten ist wohl die Wortbedeutung "ursprünglich" (griech.: archè, d. i. Ursprung, Ursache, Veranlassung, von Anfang an, von vornherein, zuerst, von hause aus) sehr treffend. Er steht der Auffassung nahe, die sich in den Artefakten "primitiver" oder "Naturvölker" kundtut, etwa in den grob gehauenen Fetischfiguren des westafrikanischen Volkes der Lobi (auf den ersten Blick denkt man auch Wojciechowicz` figürliche Stelen, die 1983 in einer Ausstellung der Galerie Weinand-Bessoth in Saarbrücken zu sehen waren). Die Lobi-Schnitzer bearbeiten ihr Material – Holz – gerade soviel, wie nötig ist, um die dem Material innewohnende Kraft, sein geistiges Potential in eine dem Betrachter (und Benutzer) visuell rezipierbare Form, eine menschenähnliche Figur, zu bringen.
Archaischer Idolcharakter und Offenlegen von Materialstrukturen fließen auch in Wojciechowicz´ Arbeiten zusammen, den im Material verborgenen geistigen Gehalt freilegend. Archaische Eindringlichkeit ist auch in seinen graphischen und malerischen Arbeiten spürbar: große Farbmaterieflächen, mit flackerndem Gestus aufgetragen, dringen ineinander, schieben sich übereinander, verletzen sich, grenzen sich ab, ziehen sich an. Zwar handelt es sich bei Wojciechowicz´ flächenkünstlerischen Arbeiten durchaus um eine autonome Werkgruppe, die Grenzbereiche zwischen Malerei und Graphik auslotet, sie hat aber nach Bekunden des Künstlers jedoch immer einen Charakterzug des Skizzenhaften, der Vorstufe dessen, was sich in der skulpturalen Arbeit vollendet.
Als Beispiel für das skulpturale Schaffen in Wojciechowicz´ Werk mag hier eine skulpturale Arbeit stehen, die als Teil der Ausstellung der Landesgalerie des Saarlandmuseums bekannt und zugänglich ist. In "Sturz" von 1987 bilden verschieden starke, grob und ungleichmäßig behauene Vierkanthölzer einen stumpfen, auf dem Boden aufruhenden Winkel. Aus dem niedrigeren der beiden Schenkel des Winkels steigt ein etwa trapezförmiger, leicht kurvig laufender Block auf, der sich in einer zweibahnigen Gabel fortsetzt, deren beide "Zinken" spitz zulaufend eine deutlich Kurve beschreiben. Dabei sind zwei "Leserichtungen" zulässig. Von unten nach oben: das rasche Aufsteigen und Gipfeln in den zusätzlich rot eingefärbten Spitzen – und von oben nach unten: aus der zweiläufigen Gabel in einer schnellen Fallkurve nach unten in die massive Bodenform, was den Titel "Sturz" unterstreicht. In beide Richtungen lesbar ist aus der Naturform das ihr innewohnende Signum extrahiert worden; kündet der Bodenwinkel von schwerer erdverbundener Materialität, so weisen die beiden Läufe der Gabel auf Beweglichkeit und Raumdurchdringung und damit auf den Raum selbst hin. Wojciechowicz arbeitet dabei "nur" die Essenz heraus, die in der Vegetationsform, dem Baumstamm, vorhanden ist: Dies wird in anderen Werken noch etwas deutlicher, dort etwa wo Wojciechowicz Stamm- und Astformen oder gar die Baumrinde sichtbar belässt.
Jean Giono formuliert zu Beginn seines Romans "Das Lied der Welt": "Antonio umfaßte die Eiche. In seinen Händen spürte er das Zittern des Baumes. Es war eine alte Eiche, stark wie ein Mann der Berge und sie stand gerade da, wo die Strömung sich fing (..) 'Wie geht´s ?' fragte Antonio den Baum. Der Baum hörte nicht auf zu zittern. 'na', sagte Antonio, 'es scheint nicht so gut zu gehen'. Mit seiner schmalen Hand streichelte er sanft den Baum." (Jean Giono: Das Lied der Welt. Roman. Paris 1934. S. 5) und beschreibt damit ein Einfühlungsvermögen, das auch Wojciechowicz eignet.
Ursula Giessler formuliert es 1991 so: "Überall horcht Wojciechowicz dem Holz nach, erfühltes und gibt ihm dennoch einen unbeirrbaren sicheren Stand" – oder anders ausgedrückt: aus der Naturform, dem ausgewählten Teil der Vegetation stemmt, meißelt und sägt Wojciechowicz in lauschender Sensibilität das Allgemeingültige, die Essenz, die sichtbar gewordene Welterfahrung heraus. Er nimmt in seinen Holzskulpturen Wachstumsformen auf, konzentriert oder erweitert mit seinen Eingriffen die vegetabilischen Gegebenheiten z. T. zu neuen Raumformen bis der Ausgangspunkt, Ast oder Stamm zum Zeichen, zur Geste geworden ist. Wojciechowicz tut dies mit Respekt vor der natürlichen Formgebung, die er aufnimmt, herausarbeitet und in die Ausdruckskraft seiner Skulpturen einfließen läßt. In diesem Ergebnis sind "das Allgemeine und Wesentliche, der Gehalt, die Aussage, das Typische (...) in das Gewand sinnlicher Einzelheiten gehüllt" so das Lexikon der Ästhetik (Henckmann/Lotter: Lexikon der Ästhetik. München 1922. S. 63).
Finden und Erfinden der Form sind für Wojciechowicz die beiden untrennbaren Seiten eines Vorganges; es ist kein Oszillieren zwischen künstlerischer und natürlicher Form – der künstlerische Eingriff macht vielmehr das in der Vielfalt der natürlichen Form angelegte Wesentliche sichtbar. Der Künstler legt die innere Form (Plotins "endon eidos") frei, die – nach Plotin – als Voraussetzung in der Seele des Schaffenden ebenfalls bereits angelegt sein muss.
Vor diesem Hintergrund können etwa die flächenkünstlerischen Arbeiten von Thomas Wojciechowicz betrachtet werden, die im Besitz der Bundesbank, Zweigstelle Saarbrücken (früher: Landeszentralbank in Rheinland-Pfalz und im Saarland) sind. Auch hier ist zunächst ein Aspekt des Handwerklichen, der Technik wichtig – der Bildhauer geht bei seinen flächenkünstlerischen Arbeiten hier über das Bewegen eines Zeichenstiftes auf einer Fläche (Papier) hinaus. Er trägt entweder die Farbe in dicker Schichtung pastos auf oder er bedient sich der alten Technik der Enkaustik. Die Farbe wird in Wachs gebunden und dann verarbeitet, d. h. es steht eine "Masse" zur Verfügung, die – cum grano salis – als Material plastisch formbar ist, sowohl im schichtigen Auftragen, als auch in der Möglichkeit in die Masse kratzend, schneidend, pressend oder schiebend einzugreifen. Die Enkaustik bietet, fast noch stärker als der pastose Auftrag in verschiedenen Schichten, die Möglichkeit des lasierenden oder pastosen Auftrages, des Ineinanderdrückens der Farbe, des Schabens, Ritzens, Punktierens und Linierens im schichtigen Auftrag, d. h. einer fast reliefierenden Bearbeitung, und mehr als jede andere Maltechnik eine elementar bildhauerische Art der Bearbeitung.
In "Chauffage" (Acryl auf Bütten) von 1992 prallen zwei Farbflächen oder besser zwei Farbplatten – rot und schwarz – gegeneinander, eine vertikale Linie energetischer Entladung entsteht; bogige, vibrierende Linien, kurvig, gerade oder gebündelt, rasen wie die Materieeruptionen der Sonnenoberfläche über das Blatt, schaffen räumliche Effekte über die Oberfläche der "Wachsplatte" (virtuell) hinausgehend. Wojciechowicz bindet die Farbe in die Materie, um ihre energetische, räumliche Potenz zu visualisieren oder anders ausgedrückt: er zieht wie im Objekt "Sturz" die Farbe heran, um die Energie, die seinem Material innewohnt, verstärkend sichtbar zu machen.
In der sechsteiligen Arbeit "o. T." im Kassenraum der Landeszentralbank bildet die Wachsmasse eine scheinbar wabernde, grün-graue Fläche über schlummernder verhalten präsenter Energie, die der Künstler in einer mehrläufigen, aus der Tiefe hervordrängenden Spirale in den Raum befreit. Die Energie wird deutlich in der Form (Spirale) selbst, wie auch in der rotbraunen Färbung der Spirale, die Wojciechowicz als Kratzspur in die Wachsfläche eintieft. Wenn im Objekt "Sturz" die aufsteigenden Astläufe mit ihren roten Spitzen den Raum deutlich machen, sichtbar werden lassen, so erzeugt die Spirale in der sechsteiligen Arbeit "o. T." den Raum, visualisiert die raumschaffende Energie.
Man wird bei Thomas Wojciechowicz von einer Transposition des skulpturalen Gestaltens ins Flächenkünstlerische sprechen dürfen, wobei sich die gleiche Syntax nur eines anderen Materials bedient. Bei Thomas Wojciechowicz ist der Inhalt objektiv das, was im Material, in der Natur "gegeben" ist. Die Theorie der Ästhetik unterscheidet zwischen dem Inhalt, der als Sujet oder Fabel "abgelöst" (Adorno) werden kann, und dem Material, womit der Künstler arbeitet. Der Inhalt wird durch das Material bestimmt in der Art, als der Mensch und seine Welt nur durch das Medium der jeweiligen künstlerischen Tat gestaltet und wahrgenommen wird.
So spürt Wojciechowicz im Material die innewohnende Idee auf, arbeitet sie heraus und verstärkt und verdichtet sie zum visuellen Erlebnis und stößt das Weiterdenken im Kopf des Betrachters an.
"Mit ihrer Wahrnehmung stellt sich die Vorstellung des Vorganges ein, wir empfinden ihn mit, indem wir ihn sozusagen innerlich mitagieren und diese Aktion der äußeren Erscheinung als Ursache unterlegen", schreibt Adolf Hildebrand 1910 (Adolf Hildebrand, Das Problem der Form in der Bildenden Kunst. Straßburg 1910. S. 77).
Wojciechowicz` Arbeit lässt die dem Material innewohnende Energie, Beweglichkeit, Kraft im hölzernen Artefakt wahrnehmbar werden, fordert "innerliches" Mitbewegen des Rezipienten heraus.
William Faulkner schreibt 1941 an Warren Beck: "Bis jetzt habe ich noch keinen glücklichen Ausgleich zwischen Methode und Material gefunden. (...) Wie Sie sehen, habe ich noch immer Mühe, Methode und Material in Einklang zu bringen." (William Faulkner: Briefe. Zürich 1980. S. 115)
Es gelingt Thomas Wojciechowicz, in seinen Arbeiten nicht nur Material und Methode in Einklang zu bringen, einen unmittelbaren Zugang zum Rezipienten zu gewinnen und damit sowohl in seinem "Hauptwerk", dem skulpturalen Schaffen, als auch in den nicht minder wichtigen flächenkünstlerischen Arbeiten nicht nur ein sinnliches Erlebnis, sondern auch Erkenntnis zu erzeugen.
Michael Jähne
Redaktion: Michael Jähne
Privatpersonen | Schüler*innen, Studierende | Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen | |
---|---|---|---|
je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: