Sigurd Rompza - das Konzeptionelle in sinnlicher Hinsicht
Wohl kaum eine Richtung innerhalb der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts hat derart ausformulierte wissenschaftlich-analytische Forschungsansätze entfaltet wie die Konkrete Kunst.
In ihrer 1930 im Gründungsmanifest der Gruppe "Art concret" definierten programmatischen Orientierung bezeichnet die Konkrete Kunst eine Kunstrichtung, die im Wesentlichen auf mathematisch-geometrischen Grund-lagen beruht. Sie versteht sich nicht als abstrakt, da sie nichts in unserer materiellen Realität Vorhandenes abstrahiert, sondern im Gegenteil Geistiges materialisiert. Die Konkrete Kunst strebt hierbei keinerlei inhaltliche oder symbolische Bedeutung an und grenzt sich in der Moderne von Konstruktivismus und abstrahierenden Tendenzen durch einen wissenschaftlich-analytisch geprägten Ansatz ab. Es ist also ein forschender Ansatz, der seine Schwerpunkte in der Untersuchung geometrischer Gesetzmäßigkeiten, in der Interaktion von Form und Farbe, von Fläche und Raum formuliert.
In diesem Sinne entwickelt die Konkrete Kunst eine ästhetisch-künstlerische Grundlagenforschung, bei der die künstlerische Praxis wesentlicher Bestandteil sowohl des Forschungsprozesses als auch der Forschungsergebnisse darstellt.
Im Gegensatz zu wissenschaftlicher Forschung über Kunst integriert die Konkrete Kunst die künstlerische Handlung als konzeptuelles Forschungsinstrument, geht hiermit über die reine Kunstproduktion hinaus und generiert eine Haltung, bei der zwischen Theorie und Praxis in der Kunst kaum ein wesentlicher Unterschied besteht.
Die Untersuchung und Darstellung von sinnlichen Potenzialen - in Abgrenzung von den an einem mathematisch orientierten Formalismus ausgerichteten Tendenzen der Konkreten Kunst - ist ein zentrales Thema in der künstlerischen Arbeit von Sigurd Rompza. Seine Konzepte und theoretischen Äußerungen, seine Erfahrungen und Auffassungen sind auf das engste mit seiner künstlerischen Praxis verwoben. Innerhalb der künstlertheoretischen Schriften der Konkreten Kunst weisen die Überlegungen von Sigurd Rompza hohe substanzielle Dichte und sprachliche Klarheit auf. Seine künstlerischen Arbeiten können gleichsam als Materialisierung der theoretischen Prozesse verstanden werden. Vorrangig thematisiert er "Abläufe und Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung" (8 x Konkret, 2007, S. 19), insbesondere das Sehen, und untersucht hierbei die Funktionalität sinnlich basierter Erkenntnisvorgänge. Somit ist das Kunst-Machen bei Sigurd Rompza grundsätzlich reflexiv. Neben dem analytischen Aspekt ist immer auch in besonderem Maße die sinnlich-anschauliche Dimension der Arbeiten von Sigurd Rompza zu betonen. Dies wird deutlich wenn er selbst formuliert: "mich interessiert nicht so sehr, dass meine künstlerischen arbeiten als konkret bezeichnet werden, sondern viel wichtiger ist mir an ihnen der aspekt des konzeptionellen in sinnlicher realisierung." (Rompza, 2011, S. 16)
In der Reduktion auf elementare Farbstellungen und minimalistisch anmutende formale Konstellationen entwirft der Künstler eine Art "Fundamentalalgebra" anschaulicher Relationen. Insofern lassen sich die Arbeiten Sigurd Rompzas als ausdifferenzierte künstlerische Experimentalsysteme begreifen, als durchdacht hergestellte Wahrnehmungskonstellationen, die ein nicht statisch verstandenes, polyvalentes Sehen aktivieren. Die künstlerischen Arbeiten als Ergebnis artikulieren hierbei das im theoretischen und praktischen Forschungsprozess erworbene Wissen und fungieren gleichsam als Paradigmen der Wahrnehmung.
1972 entstehen erste weiße Reliefs, 1974 quadratische Reliefs mit Elementen, die nach mathematisch-systematischen Verfahren angelegt sind. Die bereits hier vorgenommene Schattenbildung sowie die Visualisierung von Lichtphänomenen dokumentieren ein Interesse an der Artikulation von Licht, das im Werk immer wieder thematisch wird und sich auch in den gegenwärtigen Arbeitsprozessen erhalten hat. Daneben entwickelt Sigurd Rompza Bildgestaltungen mit Vierkantstäben, die seriell auf Quadratflächen angeordnet sind. 1977 entsteht die Reliefserie "bildentwicklung aus dem quadrat", bei der aus der quadratischen Fläche, orientiert an Einschnittlinien, Umklappungen vorgenommen werden, sodass sich überlagernde Winkelbänder entstehen, die Gerichtetheit und Dynamik in die Reliefsituation einbringen.
Geometrisierende Kompositionsverfahren mit auf der Permutation von Zahlenfolgen basierender Gestaltung bleiben in den Arbeiten der späten 1970er und frühen 1980er Jahre präsent. Die Serie der "Stegreliefs" markiert hierbei einen Wandel, bei dem "die abkehr von den mathematisch-systematischen verfahren zwar noch nicht im aspekt der herstellung, jedoch bereits im aspekt der darstellung vollzogen" wird. Die "Stegreliefs" arbeiten bereits mit jener "multivalenz der beziehungen der bildelemente", die in nachfolgenden Werkgruppen bestimmend wird. (Rompza, 2011, S. 13) Eine Uneindeutigkeit als ästhetische Fragestellung wird hier formuliert, die die Erscheinung des Kunstwerks, abhängig von der Betrachterbewegung und den spezifischen Lichtverhältnissen, zwischen räumlich-reliefhafter Darstellung und bildhaft-malerischer Anmutung changieren lässt.
Mit dem Verzicht auf die Trägerplatte und dem direkten Bezug zur Wand als Grundfläche, auf der sich seine Arbeiten entfalten, entwickelt Sigurd Rompza ab 1985 offene Bildformen, die, obschon sie in engem Zusammenhang mit den Arbeiten der 1970er Jahre zu sehen sind, erweiterte ästhetische Aspekte erschließen. Indem die das Werk in seinen Dimensionen definierende Träger- bzw. Rahmenfläche entfällt, werden Potenziale einer freieren, entgrenzenden Objektartikulation an der Wand eröffnet, bei der die Werke gleichermaßen als raumbildend und raumaktivierend wirksam sind, als räumlich aufzufassende Gebilde wie auch als sich an der Fläche vollziehende Kompositionen.
Zunächst mit Vierkant- später dann mit Rundstäben, in verschiedenen Winkelstellungen zueinander und zur Wand, und unter dem bewusst reflektierten Einsatz von Farbe entwickelt Sigurd Rompza Bildsituationen, in denen das systematisch-forschende Bemühen anschaulich wird, Farbe und Form unabhängig und jenseits allgemeiner gegenstandsgebundener Abbildungsabsicht zu realisieren.
Dabei entstehen integrative Form-Raum-Farbbeziehungen, die in der Durchdringung der bildnerischen Elemente polyvalente Wahrnehmungsprozesse initiieren. Im Rahmen der gestaltenden Handlung werden nichtrationale, künstlerische Fragestellungen thematisch, deren Forschungsanliegen im Bereich der sinnlichen Erkenntnisgewinnung zu verorten ist. Bei dem Raum, den Sigurd Rompza in seinen Arbeiten visualisiert, "handelt es sich nicht um einen physikalischen raum, vielmehr um einen künstlerischen." (Rompza, 2011, S. 13)
Die Farbe ist nicht lediglich physikalische Substanz und ausschließlich an den Gegenstand gebunden. Vielmehr eignet ihr eine gewisse Potenzialität, indem Licht und Beleuchtung sowie die Bewegung des Betrachters ihre Erscheinung variieren lassen und indem auch der Schattenwurf an der Wand farbige Anteile enthalten kann. Die "Öffnung" des Bildformats ab Mitte der 1980er Jahre beinhaltet zudem die von den Objekten hervorgebrachte Schattenlinienzeichnung an der Wand als simultanen Bestandteil der Arbeit. Das Werk erschöpft sich somit nicht in seiner plastisch-materiellen Organisation, sondern geht darüber hinaus und gewinnt zusätzliche räumliche und farbige Aspekte.
Die mit den "Stegreliefs" eingeleitete Entwicklung verdichtet sich zum Ende der 1980er Jahre, indem die sinnliche Analyse in der Arbeit von Sigurd Rompza eine verstärkte Gewichtung erfährt.
Diesen Prozess beschreibt Matthias Bleyl allgemein als Tendenz der Konkreten Kunst, "außer dem Postulat der Faktizität ihrer Phänomene auch deren Optizität zu berücksichtigen und in die Konzeption einzubeziehen. Es reicht demzufolge nicht mehr, das Werk lediglich im Geist vorzukonzipieren (…), sondern gerade die bislang kaum berücksichtigte Sinnlichkeit, also die aktive Rolle des Auges, zu fordern. Der reinen Systematik der früheren konkreten Kunst, die dazu neigte, logische Gesetzmäßigkeiten in der Kunst zu realisieren, wird heute die Analyse entgegengesetzt bzw. hinzugefügt." Eine verstärkte Akzentuierung "auf reflektierter Analyse unter Einschluss sinnlicher Kontrolle" spricht sich auch in den Überlegungen von Sigurd Rompza aus, wenn er formuliert: "aufgrund der erkenntnis, dass das mathematisch richtige und somit logische keineswegs immer in ästhetischer hinsicht befriedigt, d.h. unser sehen gesetzmäßigkeiten folgt, die zum teil in widerspruch zu physikalischer wirklichkeit stehen, erfolgt nun bewusst die unterordnung systematischer gestaltungsmethoden unter gesetzmäßigkeiten des sehens." (Matthias Bleyl: Form und Farbe - Farbe und Form: Konkrete Farbformen heute. In: Form und Farbe - Farbe und Form: Konkrete Farbformen heute, hg. von Bernd Schulz und Matthias Bleyl, Saarbrücken 1988, S. 10, 11).
"sehen meint", so Rompza, "etwas einen sinn zumessen, etwas sinnhaft machen." Um diese Sinnhaftigkeit nun prägnant und treffend künstlerisch zu formulieren, erfolgt in den Arbeiten des Künstlers "die pikturalsprachlich relevante auswahl exemplifizierend in der absicht, sehen zu aktivieren." "beim bildkünstlerischen Arbeiten gilt es, mit der ‚natur des sehens‘ zu arbeiten. ‚natur des sehens‘ bedeutet, wie sehen passiert. der akt des sehens ist nicht statisch, sondern vollzieht sich in bewegung. es entsprechen ihm multivalenz der beziehung von bildelementen, mediale doppeldeutigkeit, sich ändernde räumlichkeiten, farb-form-beziehungen und offene bildformen. auf sehen hin konzipierte künstlerische objekte erlauben ein produktives sehen, d.h. form zu sehen, farb-bewegungen zu sehen, licht, schatten, innen als außen und umgekehrt zu sehen. dies sowohl in kombination als auch selektierend." (Rompza 2011, S. 15)
Unter dieser Zielsetzung entstehen "Sehstücke" - Objekte, die den sinnlichen Prozess des Sehens und die bewusste, gleichermaßen analytische wie auch erkennende Betrachtung thematisieren. (Rompza 2011, S. 80)
In diesem Kontext kommt den "Farb-Licht-Modulierungen", die als zunächst weißgrundige Reliefs mit lichten, pastellhaften Farbelementen ab dem Jahr 2002 entstehen, eine besondere Bedeutung zu. Waren zuvor Verortung und Ausbreitung der Farbe innerhalb des Objekts formal und strukturell jeweils an ein "Glied" der Komposition gebunden, was eine weitest gehende Identität der Farb-Form-Relation beinhaltete, so übergreift nun die homogen gehaltene Farbfläche den Grat des Reliefs und erfährt hierdurch eine Variation in der Erscheinung ihrer Lichtwerte. Der Reliefgrat definiert die Trennlinie von Licht- und Schattenseite des Objekts, in dem "licht und schatten im relief dieselbe farbe je anders zur erscheinung bringen." Indem "die farbe und das weiß sowohl anteil an der licht- als auch an der schattenseite des reliefs" haben, wird "der schatten (…) nicht gemalt, sondern real erzeugt." Phänomenologisch wird so dieselbe Farbe "auf der lichtseite (…) heller als auf der schattenseite wahrgenommen und erscheint auch hinsichtlich farbrichtung und sättigung verändert. zwei farben, das weiß mit berücksichtigt, erscheinen wie vier (…)." (Rompza 2011, S. 25-31)
Um die Variationsmöglichkeiten dieses gestalterischen Verfahrens als bildnerische Aufgabenstellung in ihrer Breite anschaulich zu machen und zu erforschen, arbeitet Sigurd Rompza mit dem Prinzip der Serie. Dabei werden, hinsichtlich der Reliefs, Werkgruppen mit gemeinsamen formalen Konstanten entwickelt, innerhalb derer sich Variationen entfalten, wie z.B. der Einsatz unterschiedlicher Farben oder auch die je verschiedene kompositionelle Orientierung der Farbstellung im Bezug auf den Reliefgrat. So wird das Bezugssystem von Farbe und Licht im Kontext seiner Modulierungspotenziale in sinnlicher Analyse artikuliert und anhand der Reliefs in besonderer Weise forschend visualisiert.
Die "Farb-Licht-Modulierungen" führt Sigurd Rompza in verschiedenen Farb- und Formvariationen fort. Es werden gesättigte Farben eingesetzt, die anfänglich verwendete hochrechteckige Reliefform wird abgelöst von einem dem ästhetischen Anlass jeweils angemessenen Format. Die Kombina-tion von Reliefgrat und dieser über-greifender Farbsituation stiftet beim Rezipienten eine produktive Irritation, die ein reflektiertes Sehen anregt.
In einer Werkgruppe, die seit Anfang 2012 entsteht, gewinnt der Künstler über Versuche mit prozessual in verschiedenen Winkelstufen umbrechenden Reliefgraten auch die Rundung als Instrument der ästhetischen Handlung. Frühere Problemstellungen des polyvalenten Sehens werden dabei aufgegriffen und als "Farb-Licht-Modulierung" auf andere Weise gezeigt.
Zum Teil bilden die objekthaften Arbeiten an der Vorderseite eine Fläche, die an den seitlichen Rändern in einer Rundung nach hinten zur Wand geführt wird. Der Einsatz von Farbe vollzieht sich hier unter Verwendung der je gleichen Farbe in unterschiedlichen Erscheinungsqualitäten. Hochglänzender Lack steht im Wechselverhältnis zu matten Bereichen. Diese Elemente entfalten sich, proportional verschieden dimensioniert, in horizontaler Orientierung an den Objekten. Es sind in materiell-formaler Hinsicht gleichsam "Bänder", die die Objekte umlaufen und diese so strukturieren. In der Konstellation von aufglänzenden und matten Bildbereichen ist ein uneindeutig-changierendes Raumverhältnis latent. Bisweilen tritt in der Betrachtung das Matte nach vorne, bisweilen scheint eine Akzentuierung auf dem glänzenden Element zu liegen. Das Zueinander der Bildkonstituenten ist nicht abschließend zu beschreiben. Es bleibt in der Schwebe. Jenseits des materiell-formalen Moments generieren die Phänomene, die sich in der Betrachtung an diesen Objekten vollziehen, zusätzliche struktive und sinnlich bestimmte Aspekte.
Durch den Einsatz von Glanzlack werden Spiegelungen erzeugt, durch die Bilder aus dem Bereich der Betrachterrealität in die Objekte mit einbezogen sind. In das konkrete Bild wird so der Gegenstand integriert, das konkrete Bild und das abbildende Bild werden exemplifizierend zusammen-gebracht. Bedingt dadurch wird auch die farbige Situation der Objekte durch das Gegenüber beeinflusst.
In anderer Weise als bei früheren "Farb-Licht-Modulierungen" wird nun die Abhängigkeit der Objektrezeption vom Standort des Betrachters und der Betrachterbewegung formuliert.
Im Vergleich zu den zwischen 2002 und 2004 entstandenen Reliefs ist bei den jüngsten Objekten eine ungleich höhere Dynamisierung der Bildsituation festzustellen.
Die Einbeziehung der Spiegelung involviert ein gleichsam interaktives Verfahren, das den Betrachter als Gestaltungselement integriert. Die Rolle des aktiven Rezipienten, die bereits für vorangegangene Werkgruppen formuliert wurde, erfährt keine grundsätzliche Veränderung, sehr wohl aber eine qualitative.
War in den früheren Reliefs die Farbe am Objekt fest verortet und in den Schattenbildungen weitest gehend definiert, so gestaltet sich nun die Farb-Licht-Erscheinung in einer graduell höheren Abhängigkeit von der Bewegung vor dem Objekt. Entscheidenden Anteil daran hat wiederum die hochglänzende Fläche, die an den seitlichen Rundungen Glanzphänomene hervorbringt, die als vertikale weiße Lichtlinien analog der Bewegung des Betrachters vor dem Objekt, dessen Standortveränderung folgen und als variable Gestaltungselemente eine sich permanent ändernde Struktur am Objekt bewirken.
Hier wird u.a. deutlich, dass Sigurd Rompza in der Weise, wie er seine künstlerischen Anliegen durch die Mittel - Form, Farbe, Licht - zum Gegenstand macht, "Malerei mit außermalerischen Mitteln" (Rompza 2011, S. 64) betreibt, sodass seine Objekte auch als "Lichtinstrumente" (Rompza 2011, S. 36-40) gelesen werden können und dass das Kunstwerk im Sinne von Sigurd Rompza "ein speziell für sensuelle Erkenntnis hergestellter Gegenstand" ist. (Rompza 2011, S. 62)
Andreas Bayer
Redaktion: Claudia Maas, Petra Wilhelmy
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