Werner Rauber – "Vom fotografierten Abbild zum fotografischen Bild" – Serien, Sequenzen, Tableaus
Die Fotografie steht im Zenit ihrer Akzeptanzgeschichte als abbildende Bildkunst. Heute scheint sie in der Lage, sich sogar mit der nichtabbildenden Bildkunst zu verschwistern. Doch was "hält‘ Malerei und Fotografie im innersten zusammen"? Die sich immer wieder neu stellende Frage nach dem Bild! Blicken wir hundert Jahre zurück.
Um 1900 erlebt die europäische Bildende Kunst einen Grundlagenstreit um die Abbildlichkeit des Bildes, ganz entscheidend mitverursacht durch die rasanten technischen Fortschritte der Fotografie in der Abbildlichkeit, schwarzweiß und bald auch in Farbe. Pikturale Repräsentation gerät in die Krise. Gegenüber den sogenannten Traditionalisten behielten damals die sogenannten Abstraktionalisten die Oberhand. Beiden Parteien ging es um die Befreiung des Bildes vom Abbild zum Bild. Dieser Grundlagenstreit spitzte sich in Deutschland zu, z. B. zwischen dem Traditionalisten Max Beckmann und dem Abstraktionalisten Franz Marc, ungeachtet dessen, dass sich beide Künstler einem kritischen Bildbegriff verpflichtet fühlten. Die Wahl zwischen abbildendem, depiktivem oder bildendem, piktivem Bild ist am besten greifbar im Gliederungswechsel von der altehrwürdigen relationalen Bildkomposition, verstanden als hierarchisierendes Ausponderieren, zur computergeeigneten nicht relationalen Bildsyntax, verstanden als symmetrische gleichgewichtende Reihung, die auf das Bild als Eigenschaftsträger verwiesen bleibt.
Aufseiten der Fotografie ist das im Wesentlichen apparative Zustandebringen einer Abbildung heute bereits zu einem sowohl technik- als auch wissenschaftsgeschichtlichen Phänomen geworden. Damit scheint mindestens sichergestellt, dass die drängenden Fragen einer Fotobildsemantik nicht mehr mit den technischen Details apparativer Generierung eines Abbildes verwechselt werden. Nicht erst seit der Computer als digitales Fotolabor genutzt wird, sondern auch dazu, fotografische Bilder mediengerecht zu simulieren, steht in der gegenwärtigen Fotografie als Bildkunst die Abbildfunktion als Bindeglied zwischen Wirklichkeitsausschnitt und fotobildlicher Darstellung praktisch wie theoretisch auf dem Prüfstand. In der fotobildlichen Praxis unter der Überschrift ,,Gestaltung des Fotobildes im Rahmen technisch-apparativer Abbildlichkeit“, in der Theorie des Fotobildes unter dem Titel der begrifflichen Gegenüberstellung von ,,Abbildfunktion und Bildfunktion“.
In der heutigen Bildkunst, stellt sich Werner Rauber dieser fotografischen Aufgabe. Sie bildet den Schwerpunkt in dieser Überblicksausstellung seiner Fotoarbeiten. Werner Rauber geht den Weg ,,Vom fotografierten Abbild zum fotografischen Bild“, so der von ihm ausdrücklich gewählte Titel dieser Ausstellung. Im Untertitel, und darauf möchte ich eigens aufmerksam machen, verweist er nicht wie sonst üblich auf abbildend gewonnene Themen seiner ,Fotoarbeiten‘, sondern auf deren präsentative Gliederungstypen: "Serien, Sequenzen, Tableaus". Mediengerechtheit versteht Werner Rauber als gestalterischen Handlungsspielraum, insofern er standardisierte Teile des fotografischen Mediums erkundet und auf ihre Bildmäßigkeit hin erprobt. Sein Metier ist nach wie vor die klassische Schwarzweißfotografie mit Kleinbild und Mittelformat als technischer Basis. Aus einem ganz einfachen Grund. Schon in der Erfindungsphase der Fotografie wurde Schwarzweiß als medieneigenes und obendrein nicht mit Abbildlichkeit im engeren Sinne zu verrechnendes Gestaltungsmittel erkannt und zügig entwickelt. Übrigens: Der ebenfalls sehr frühzeitig angestellte Vergleich der Schwarzweißfotografie mit der Handzeichnung bedarf nach wie vor des sorgfältigen Studiums und der begrifflichen Ausarbeitung.
Durch Belichtung und Entwicklung liefert das heute handelsübliche Material des Rollfilms einen Bild an Bild reihenden Negativstreifen, der gern zum Zweck der Einzelbildbeurteilung durch Kontaktstreifen bzw. Kontaktbögen als Positiv schon vor der Vergrößerung lesbar gemacht wird. Das Gitterwerk des Kontaktbogens zeigt in jeweils gleicher Größe wie das Negativ, schwarz gerahmt, die Einzelbilder. Diese durch Belichtung, Entwicklung und Kontaktbogen erschlossene Gitterstruktur verwendet Werner Rauber als Modell für die Gliederung seiner Fotoarbeiten, die Serie als Folge variierender Einzelbilder, die Sequenz als eigens geregelte Abfolge von Einzelbildern, etwa in der Ordnung des Nacheinanders von Aufnahmen des gleichen Motivs. In seinen Tableaus schließlich werden beide Gliederungstypen im horizontal-vertikalen Wechsel miteinander verschränkt. Strikt vertikal von unten nach oben oder strikt frontal ein Motiv aufzunehmen sind für Werner Rauber geeignete gestalterische Maßnahmen, insbesondere zentralperspektivische Vorgaben des technisch-apparativen Systems zu unterlaufen, das einzelne Fotobild in der Fläche zu halten und von temporalen (z. B. Tageszeiten, Jahreszeiten) bzw. topografischen Konnotationen (z. B. an diesem oder jenem Bauwerk aufgenommen) zu entblößen. Diese schon mit der Aufnahme eingeleiteten Maßnahmen werden in der seriellen oder sequenziellen Präsentation eigens unterstrichen. Als Beispiele dazu ,,Architekturen 1997“ oder "Treppe 1992". Angesichts solcher Fotoarbeiten entpuppt sich eine der an Fotografen am häufigsten gestellten Frage: "Wo oder wann haben Sie das Bild gemacht?" als Scheinfrage.
Eine Bemerkung zu den gegenständlichen Aspekten in den Fotoarbeiten von Werner Rauber. Zum einen geht es um Natur, weniger als von selbst entstandene, vielmehr als durchkultivierte Landschaft, zum andern um selbstgemachte, hauptsächlich urbane Umwelt, als Architektur vor allem. Doch Werner Rauber behandelt keine natürlichen oder kultürlichen Gegenstände im Ganzen. Meistens verwendet er nur ausgesuchte Details als gestalterische Mittel. Im komplexen Vorgang des Fotografierens von der Motivsuche bis zum fertigen Fotobild verwandelt er diese in geeignete Bildmittel, um Sichtweisen als visuelle "Weisen der Welterzeugung" (Goodman) zu vermitteln mit der Pointe, dass Unmittelbarkeit auch fotografisch nicht zu vermitteln ist.
Die zur fotografischen Gestaltung der Mittelbarkeit ingang gesetzten syntakto-semantischen Prozesse sind bei Werner Rauber durchgehend im Handeln fundiert. Er arbeitet daran, Entstehung von Sichtweisen durchschaubar zu machen. Beim Erzeugen fotografierter Abbilder geht es zunächst darum, aus der unser alltägliches Handeln begleitenden Wahrnehmung Sehweisen zu isolieren. Anhand dieser in Serien oder Sequenzen präsentierten Abbilder werden im fotografischen Bild Sichtweisen als selbständige visuelle Wahrnehmungsweisen emanzipiert mit dem Ziel, die fotografische Weltsicht kenntlich und somit kritisierbar zu machen. Dazu verwendet Werner Rauber etwa in "Landschaft mit 2 Bäumen" von 1993 das situative Nicht-sehen-Können als standortgebundenes Nicht-fotografieren-Können: ein motivisches Anfangsstück, paradigmatisch eingesetzt, um ,,Familienähnlichkeiten“ Wittgensteinscher Prägung in fotobildlich provozierten Sichtweisen aufzudecken. Ludwig Wittgenstein erläutert in § 66 seiner "Philosophischen Untersuchungen": ,,(...) wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam wäre, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, sehen, und zwar eine ganze Reihe. (...) denk nicht, sondern schau!“
Dietfried Gerhardus
(Rede zur Eröffnung der Ausstellung "Werner Rauber – Vom fotografierten Abbild zum fotografischen Bild", Mai 2000)
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