Den Bildwert des Materials ermitteln oder wie viel Geschichte kann ein Mantel tragen - die Textilkünstlerin Margarete Palz
"Dann musste ich das, was ich bis dahin gelernt und erfahren hatte, nutzen und weiterentwickeln", beschreibt Margarete Palz den Moment, an dem sie beschloss ihren eigenen künstlerischen Weg zu gehen, dessen vorläufiger Höhepunkt ihre Auszeichnungen bei der "Montana World of Wearable Art" der Jahre 2007 und 2008 im neuseeländischen Wellington ist. Es war das Jahr 1966, hinter ihr lag das Studium in Berlin und am Institut für Kunst und Werkerziehung an der ehemaligen Stattlichen Werkkunstschule Saarbrücken. Die Kunsterzieherin trat in den Schuldienst ein, unterrichtete an einem Zweibrücker Gymnasium bis sie im Jahr 2000 aus der Lehre ausschied. Doch es wäre voreilig, nun ihr Schaffen in ein vor und nach der Schulzeit einzuteilen. Es gab kein Davor und kein Danach, sondern Margarete Palz hatte Wort gehalten und ihre Kunst konsequent weiterentwickelt. Sie hatte verstanden, dass Tradition nicht in der Asche, sondern im Feuer lebt. Tradition, das war die von Oskar Holweck vermittelte Grundlehre. Einfache Materialien, wie Papier, Pappe, Stoff auf Kontraste prüfen, Übergänge schaffen, Zerreißen, Aufspalten, um zu entdecken, welche Formen und Strukturen darin lagen. Wer diese Lehrzeit durchlief, verstand sich fortan aufs Arbeiten mit einfachsten Dingen und das Zeigen von Unvorhergesehenem.
Der Psychologe und Maler Boris Kleint war in den Nachkriegsjahren in Deutschland eine zentrale Figur zwischen Moderner Abstraktion und Konkreter Kunst. Malerei war für ihn ungegenständlich, abstrakt, ganz auf die Komposition aus Farben und Formen bezogen. "Nehmt, was ihr entdeckt habt und entwickelt es fort" gab er an seine Schüler weiter. Es wurde zur Basis für Margarete Palz. Arbeiten aus ihren Studienjahre trugen bereits in sich, wofür sie mit ihren Fotopapierkleidern internationale Anerkennung erhalten sollte. Sie zerschnitt Illustriertenfotos in schmale Bänder, legte sie neu zusammen und gewann daraus eine neue Farbräumlichkeit. Frühe Tropfbilder fingen die Bewegung ein. Ihre Titel "Im Tanz" oder "Das Paar" nahmen vorweg, wohin sie die Suche nach neuen Formen führte: In die Performance, den Tanz, das Musiktheater, für das sie ihre Kunstkleider schuf. Mit ihren Studienkollegen war sie in der Künstlervereinigung "neue gruppe saar" in den neunzehnhundertsechziger Jahren ins Zentrum der Kunst der Zeit vorgerückt.
Doch den Weg in die Konkrete Kunst wollte sie nicht mitgehen. Konkret, sachlich, streng zu sein, war nie der Impuls, der Margarete Palz antrieb. Sie hatte verstanden, dass die Lehre umsonst war, und man ihr keinen Respekt erwies, wenn die Leistung sich nur auf das Wiederholen beschränkt. Sie spürte, was daraus folgen sollte: Der Stillstand und die große Leere. Sie musste ihr vielmehr Rüstzeug und wie ein Werkzeugkoffer zur Hand sein, um mit den ihr gebotenen Mitteln und Methoden selbstbewusst etwas Eigenes zu schaffen. Dazu wählte sie ein Abfallprodukt. Sie übernahm die Fehl- und Andrucke großformatiger Fotografien aus dem Studio ihres Bruders Gerhard Heisler, zerschnitt sie in kleine Quadrate oder lange Streifen und setzte sie wieder neu zusammen. In ihrem Bruder hatte sie einen idealen Partner gefunden. Wie sie hatte er die Grundlehre bei Oskar Holweck durchlaufen. Auch er war darauf versessen, aus den Erscheinungen des Alltags und seinen vermeintlichen Abbildern etwas Ungeahntes herauszufiltern. Längst überlässt er ihr dafür nicht mehr Makulatur, sondern liefert dafür eigens für ein Objekt geschaffene Fotografien. Denn oft entstehen ihre ausladenden Kunstkleider im Auftrag von Firmen oder Städten. Aber das schmälert nicht ihren Wert, sondern ist eine Selbstverständlichkeit, weil es zum Leben gehört, auf das sich ihre Kleider beziehen. Mögen ihre Kunstkleider wie Träume aus der tausend und zweiten Nacht wie Boten aus fantastischen Welten daher kommen, ins Reich von Oper und Ballet führen, doch waren sie nie Dekoration. Sie erdet und hält die profunde Kenntnis vom Material, seinen Möglichkeiten sowie der Bezug auf einen gegebenen Anlass.
Margarete Palz lenkt den Blick auf das Leben und auf die darin vorkommenden Ereignisse der Geschichte, Technik und Kultur. Dazu hatte sie Anfang der neunzehnhundertneunziger Jahren das Gelernte und Vertraute in eine neue Richtung geschoben. Ihre Kleider betraten die Bühne zu Tanz und Spiel. Von ihrem seit je gehaltenen Standort Zweibrücken aus, machte sie sich mit ihren Kostümen und lebendigen Textilskulpturen in die ganze Welt auf und fand dafür mit Preisen gekrönte Anerkennung. Mit ihrem jüngsten Projekt dem "Mantel der Geschichte" bleibt sie ihrer Stadt verbunden. Bereits 2008 hatte sie aus Anlass des Jubiläums des Winzerortes Oppenheim ein solches Gewand gefertigt. Reprofotografien alter Stiche, Gemälde und Urkunden zerlegte sie und setzte sie zu einer bildgewaltigen Robe zusammen. Geschichte war in Bewegung. Was darin als Dokument in Archiven und Museen verwahrt und oftmals dem Blick des Betrachters gleichgültig geworden war, fand eine neue, die Wahrnehmung herausfordernde Form.
Ihr aktueller "Mantel der Geschichte" nimmt die Geschichte des einstigen Herzogtums Pfalz-Zweibrücken auf, das vor 600 Jahren gegründet wurde. Hierin wird Geschichte plastisch und anschaulich als Gewebe, das durch die Präsentation mit jedem Schritt des Tänzers wie ein unaufhörlich neue Kombinationen freigebendes Kaleidoskop den Raum durchzieht. Bilder werden verschoben und neu zusammengesetzt. Wieder erscheint das Vertraute neu, gefiltert, geformt und interpretiert durch die Hand der Künstlerin. Margarete Palz hat sich im Studium mit der "Linie" intensiv beschäftigt, später hat sie sie zerschnitten, dann zusammengesetzt und zu ausladenden Gewändern gefügt.
Sie hat das einst Erlernte gemehrt und weiter entwickelt. Sie hat sich verändert und blieb sich doch darin gerade treu.
Sabine Graf
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Quelle
Institut für aktuelle Kunst im Saarland, Archiv, Bestand: Palz, Margarete (Dossier 1928)
Redaktion: Ursula Kallenborn-Debus, Claudia Maas
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