Aufgewachsen in einem protestantisch humanistisch gebildeten Elternhaus als ältestes von fünf Geschwistern, war die Kindheit geprägt von kriegs- und nachkriegsbedingten Fluchten aus Pommern über Berlin aufs bombenfreiere Mecklenburger Land, schließlich bis nach Emden in Ostfriesland. Dabei lernte Johann Peter Lüth schon früh, sich in Gruppen einzufügen und Verantwortung für andere Personen wie Sachen zu übernehmen. Diese Erfahrung – so scheint mir – bestimmt sein gesamtes weiteres Leben und paart sich mit vielseitigen Interessen und Kontaktfreude, auch einer gewissen mecklenburgischen Dickschädeligkeit. Vielleicht ist es nicht verwunderlich, dass er den Architektenberuf wählte, der den sensiblen Umgang mit Dingen, die Zusammenarbeit mit Partnern und die Rücksicht auf die Wünsche von Bauherren und Nutzern benötigt. Möglicherweise war es eine glückliche Fügung, dass der Vater ein Studium in Ulm mit seiner einseitigen Ausrichtung nicht erlaubte und Lüth stattdessen in Berlin studierte, wo es keine „Schule“ gab, aber Teamgeist und selbstbestimmtes Arbeiten gefordert, dabei die Neigungen jedes einzelnen Studenten gefördert wurden.
Prägend und bis heute verehrt, war für Lüth der Städtebauer Prof. Fritz Eggeling, in dessen Privatbüro er praktische städtebauliche Erfahrungen sammeln durfte. Nach dem mit „sehr gut“ bestandenen und mit einer Silbermedaille ausgezeichneten Diplom wäre er wohl gerne in Berlin geblieben, doch zog er mit seiner Studienkollegin, Freundin und Ehefrau Lieselotte aus familiären Gründen in deren Heimatstadt St. Ingbert. Während des Studiums hatte er bereits ein Familienhaus für die Eltern in Bad Nenndorf gebaut, in St. Ingbert musste er sich zunächst gedulden, bis der erste Bauauftrag kam und Jahre -intensivster freiberuflicher Bautätigkeit begannen. Das Haus Hellenthal in St. Ingbert-Heckendalheim, 1966/67 erbaut, steht noch heute wie damals – der schalungsraue Beton ein wenig gealtert, aber ohne Schäden – als Betonfelsen im ausgebeuteten Sandsteinbruch. Den scharfkantigen viergeschossigen Block schneidet eine breite Betonfuge auf, schließt eine Dachterrasse ab, wie bei Le Corbusier-Häusern in Teilen von einer geschwungenen Betonscheibe überdacht. Das Innere prägt der zwei Geschosse einnehmende große Wohnraum, in den Tageslicht durch eine raumhohe Fensterwand fällt und in dessen Luftraum eine leicht geschwungene Empore ragt. Eine Wendeltreppe führt hinab. Dieses Haus wurde mit dem BDA-Preis ausgezeichnet.
Der zweigeschossige Wohnraum findet sich nicht nur als Hommage an Le Corbusier in mehreren seiner Häuser, - dem Haus Heisler in Saarbrücken 1975/76 oder der gleichzeitigen Reihenhausanlage in der Charlottenstraße in Saarbrücken –, sondern als das bewusst in den Mittelpunkt gerückte, zentrale Hauselement, auf das sich alles andere ausrichtet. Immer wieder gelang es Lüth, die topografischen Herausforderungen eines Hanggrundstückes in den architektonischen Aufbau zu übersetzen und trotz aller geometrischen Strenge ein plastisches Gebilde zu schaffen. Farbig behandelte einzelne Elemente unterstreichen es und tragen bei allen Häusern zum Gesamtcharakter bei. Insbesondere das Haus Heisler staffelt sich mit Terrassen den Hang hinauf, schmiegt sich ihm an. Mit einem quadratischen Grundrissraster, das sich um die offene Treppe dreht, kann man in diesem Haus eine moderne -Variante der Villa Obenauer von Peter Behrens sehen, die nicht weit entfernt steht.
Ein reiner Betonbau bleibt in Lüths Werk die Ausnahme, typischer ist für ihn die Verbindung von Mauerwerk und Betonfertigteilen, exzellent ausgeführt 1969/70 im Haus Veit, Sulzbach-Neuweiler, an dem ein weiteres Merkmal abzulesen ist: die Schottenbauweise. Gegeneinander verschobene Hausabschnitte, vorgelagerte Terrassen und Balkone, in die Tiefe gezogene Eingänge und eingeschnittene Fenster verbinden sich mit dem umgebenden Garten zu einem untrennbaren Gesamtgefüge. Gäbe es nicht die zeittypischen Details, das Haus könnte gerade erst errichtet worden sein. Auch Innenausbau, Schrankwände und Möblierung wurden von Lüth entworfen. Wie das Haus Hellenthal steht auch dieses Haus unter Denkmalschutz.
Lüths Bauten sind maßgeschneidert für einen bestimmten Benutzer, dennoch jederzeit von anderen Bewohnern oder für neue Aufgaben zu gebrauchen, wie etwa das innerstädtische Lagergebäude eines Metzgereibedarfs. Es beherbergt heute eine Bank, Büros und Praxen, eine mögliche Umwidmung, die von Lüth bereits bei der Bauplanung berücksichtigt worden war. Maßschneiderei und Detailversessenheit verlangen eine immer währende Auseinandersetzung, Lüth wollte ruhigere Fahrwasser erreichen, auch war ihm sein Tätigkeitsbereich als Architekt zu eng geworden. So lockte ihn 1975 das Angebot des neu gegründeten Stadtverbandes Saarbrücken, ein Bauplanungsamt aufzubauen und die Leitung zu übernehmen. Ruhiger wurde es wohl kaum, denn es warteten u.a. der Bau von Schulen und die Mammutaufgabe „Saarbrücker Schloss“. Lüth hatte Bauherrenfunktion zu vertreten. Jetzt wurde interdisziplinäre Teamarbeit zum Markenzeichen, beispielsweise bei der kaufmännischen Berufsschule in Brebach-Fechingen. Aus der Zusammenarbeit von Architekt Bernhard Focht, den Künstlern Lukas Kramer und Leo Kornbrust, der Schulleitung und dem Kollegium entstand eine Schule, die für alle Nutzer Heimat wurde. Das heutige Saarbrücker Schloss ist weitgehend auch Lüth zu verdanken durch sein um die Aufgabe kreisendes fortwährendes Nachdenken, das schnelle Entscheidungen ausschloss und häufig als unbequem angesehen wurde, die Suche nach überzeugenden Mitstreitern, die Bereitschaft zu zahlreichen Streitgesprächen und Diskussionsveranstaltungen mit Bürgern und Politikern. So entwarf Gottfried Böhm schließlich einen Mittelpavillon, der auch nach fünfundzwanzig Jahren noch als wegweisend für den Umgang mit Alt und Neu gilt. Für die notwendige Finanzierung gründete sich die Aufbaugesellschaft Saarbrücker Schloss, deren Geschäftsführer Lüth wurde. Lüth hat den Entwicklungsprozess eindringlich in einem lesenswerten Aufsatz beschrieben.
1985 wurde Lüth als Nachfolger von Johannes Habich von Kultusminister Diether Breitenbach als Landeskonservator berufen. Damit bekleidete dieses Amt erstmals ein Architekt. Standen bisher, wie in allen anderen Bundesländern auch, die klassischen Denkmale im Fokus des Interesses – Kirchen, Schlösser, Profanbauten – von denen es im Saarland aber nur eine beschränkte Anzahl gibt, rückten jetzt aus der Nutzung gefallene Industrieanlagen und die zugehörigen Arbeitersiedlungen in den Mittelpunkt, mussten inventarisiert, ihre Unterhaltung überprüft und für eventuelle weitere und neue Nutzungen vorbereitet werden. Die „Denkmäler saarländischer Industriekultur“ wurden 1989 als Buch veröffentlicht. Die länderübergreifende Route der Industriekultur Saar-Lor-Lux kam über das Entwurfsstadium leider nicht hinaus, ließe sich aber immer noch umsetzen. Lüths Konzeption ist hier als Anhang nachzulesen. Nachdem der Vorgänger im Amt, Johannes Habich, die Neunkircher Hütte nicht retten konnte, die weitgehend einem Einkaufszentrum geopfert wurde, stellte der Umgang mit der Völklinger Hütte eine neue Herausforderung dar. Sollte man sie dem Verfall preisgeben oder sie so sichern, dass die Anlage auch für nachfolgende Generationen die Eisenverhüttung nachvollziehbar macht? Man entschied sich für die Sicherung, begann mit der Instandsetzung des Daches über der eindrucksvollen Gebläsehalle und öffnete die Hütte für Besucher, die durch Theateraufführungen, Konzerte und Führungen angelockt wurden. Und Lüth musste sich um finanzielle Unterstützung bei der Europäischen Gemeinschaft, beim Bund usw. kümmern. Die Aufnahme in die Welterbeliste 1994 dürfte für die Regierung wie für den Landeskonservator und sein Team eine großartige Bestätigung der geleisteten Arbeit gewesen sein, gleichzeitig aber auch die Verpflichtung, im Kampf um den Erhalt nicht nachzulassen. Und so galt seine ständige Sorge bis zur Pensionierung 2002 der Völklinger Hütte, ohne dabei die anderen Denkmäler zu vernachlässigen. Herausragend ist die Arbeitersiedlung Alte Schmelz in St. Ingbert, für die 1995 eine Wohnungsbaugenossenschaft gegründet wurde, mit deren Hilfe die Bewohner Haus für Haus in Eigenarbeit sanieren konnten.
Die Eintragungen in die Denkmalliste geschahen immer im Einvernehmen mit dem Landesdenkmalrat, der von Lüth vorbildlich bereits im Vorfeld informiert wurde und sich so ein eigenes Bild machen konnte. Und umgekehrt wurde er bei strittigen Projekten vom Landesdenkmalrat unterstützt, bei den Angel-Häusern in St. Wendel oder dem Landeskrankenhaus in Merzig. Im Landesdenkmalrat sah Lüth das die Öffentlichkeit vertretende Gremium und so war ihm eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sehr wichtig. Indem er auf der optimalen Lösung für ein Denkmal beharrte, war er sicherlich manchem Denkmalbesitzer unbequem. Doch für ihn stand immer das Denkmal im Vordergrund seines Interesses.
2002 wurde Johann Peter Lüth pensioniert, sein Leben wurde nicht ruhiger, sondern er blieb der „Unruhestifter“, gemeinsam mit Mitgliedern des Werkbundes kämpfte er, leider vergebens, gegen die Zerstörung der Bergwerksdirektion in Saarbrücken zugunsten eines Einkaufszentrums. Auch gelang es ihm nicht, die Erweiterung der Modernen Galerie mit einem überdimensionierten und städtebaulich schädlichen Bau zu verhindern. Die dabei erlittene Häme hat ihn nicht beirrt. Indem er fast pedantisch genau öffentliche Projekte analysiert, ihre wirtschaftliche, architektonische oder städtebauliche Wirkung untersucht, findet er immer wieder Mitstreiter für oder gegen eine Sache. Freundschaften und ein Netzwerk an Beziehungen, das er seit dem Studium aufgebaut und gepflegt hat, helfen ihm dabei. Dazu gehört auch der Deutsche Werkbund Saarland, dessen Vorsitz er für für viele Jahre bis 1998 innehatte.
Marlen Dittmann
AIV-Saar Architekten- und Ingenieurverein Saar, Arbeitskreis für Baufragen der evangelischen Kirche im Rheinland,BDA Saarland Bund Deutscher Architekten Landesverband Saarland e.V., DWB Saarland Deutscher Werkbund Saarland, ICOMOS International Council on Monuments and Sites, IFLIS Institut für Landeskunde im Saarland e.V., IFS Institut für Steinkonservierung e.V. der Länder Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Thüringen, Freundeskreis zur Rettung Jüdischen Kulturgutes im Saarland e.V., Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung e.V., Wohnungsbaugenossenschaft Albrecht Herold – Alte Schmelz e.G.
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Abkürzungen: (A) Architekten, (K) Künstler, (MA) Mitarbeiter Staatliches Konservatoramt
Redaktion: Claudia Maas
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