Leo Grewenig wurde 1898 in Heusweiler geboren. Ab 1914 absolvierte er eine Lehre für das Malerhandwerk, während der er - seinen Neigungen entsprechend - sich mehr mit kreativen Aufgaben, wie Entwurfsarbeiten, beschäftigte, ehe er zum Studium an die Kunstakademie Kassel (1921-1923) ging. Während seiner Lehrzeit erhielt er künstlerischen Unterricht durch seinen älteren Bruder Fritz, der an der Dresdner Kunstakademie studierte.
Die handwerkliche Ausbildung floss ein in das nachfolgende Studium am Bauhaus in Weimar. Bei Lazlo Moholy-Nagy und Joseph Albers durchlief Grewenig den Vorkurs, lernte schließlich bei Wassily Kandinsky (Wandmalerei), bei Paul Klee und erwarb - ganz im Sinne der für das Bauhaus kennzeichnenden zweibahnigen Ausbildung - im März 1925 den Gesellenbrief des Bauhauses für Wandmalerei und im Juni 1925 den Meisterbrief für das Maler-Handwerk der Handwerkskammer Weimar. Und wohl nicht zuletzt diesem Weg des Studiums und der Lehre entstammt Grewenigs Gefühl für die Farbe, ihre Plazierung und ihre Materialität, das in seinem Werk immer spürbar bleibt. Seine Arbeiten, die zwischen 1916 und den 1960er Jahren entstanden, zeigen deutlich die konsequente Entwicklung und das Ausloten seiner Möglichkeiten und Formensprache. Deutlich ist zu erkennen, mit welcher Beharrlichkeit und Logik sich im Werk Grewenigs eines aus dem anderen entwickelt; wie er im Laufe seines Studiums am Bauhaus vor allem Anregungen aufnimmt und zu Eigenständigem verarbeitet. Eine Porträtzeichnung von 1916 als Autodidakt zeigt im Ansatz schon die akademisch-naturalistische Auffassung, zu der ihn die Kasseler Kunstakademie zunächst hinführte. Die Bilder der ersten Schaffensphase sind geprägt von einer naiven Anmutung. Dabei ist diese "Naivität eine filtrierte Naivität" (Schmoll gen. Eisenwerth), künstlerisches Mittel, um Welterfahrung zum Wesensausdruck zu steigern, mit ,"bewußt bilderbuchhafter Vereinfachung" (Schmoll gen. Eisenwerth) die Quintessenz des Gesehenen zu ziehen und den Gehalt mit - an James Ensor erinnernden - surrealistischen Zügen bloßzulegen (etwa in "Faschingsball" von 1929 und noch in Bildern vom Anfang der dreißiger Jahre). Diese leise Verfremdung ist wohl als der Beginn des Weges zur Abstraktion zu sehen, wie andererseits surrealistische Elemente sich nie ganz verlieren.
Bemerkenswerterweise finden die Berührungen mit den Künstlern des Bauhauses in den zwanziger Jahren nicht direkt ihren Niederschlag in Grewenigs Arbeiten. Langsam und akribisch scheinen die Impulse erst verarbeitet zu werden, bevor sie in Bildfindungen einfließen. Weitere Einflüsse kommen beim Studium an der Kunstschule Berlin Schöneberg (1929-31) hinzu, wo Grewenig sein Staatsexamen als Kunsterzieher ablegt. Hier lernt er bei Georg Tappert, einem expressionistischen Maler, der der "Brücke" nahestand und sich über konstruktivistische Anklänge zu einer "gedämpft sachlichen Ausdrucksweise" (Schmoll gen. Eisenwerth) entwickelte. In einigen Bildern Grewenigs aus dem Jahr 1936 ("Blick auf das Elternhaus", "Mein Heimatort") zeigen sich Anregungen aus dieser Zeit. Nach 1928 hat Grewenig zahlreiche Ausstellungen, bis ihn die Nationalsozialisten 1942 mit Ausstellungsverbot belegten. Zwischen 1932 und 1957 war er als Kunsterzieher an verschiedenen saarländischen Gymnasien tätig.
Nach der Rückkehr aus dem Krieg 1945 setzt ein Neubeginn in der künstlerischen Entwicklung ein, der sich zuvor nur in Nuancen angekündigt hatte: der Weg zur Abstraktion. An dieser entscheidenden Wende in der Entwicklung des Werkes steht das Gemälde "Maskerade" aus dem Jahr 1948. "Mit dem Bild 'Maskerade' (...) schloß er eine künstlerische Phase ab, die noch vorwiegend an die traditionelle, gegenständliche Malerei anknüpfte. Dabei handelt es sich um eine Darstellung, die ein Elternpaar und seine Kinder in einem (...) Innenraum versammelt. (...) Die roboterhafte Strenge der maskierten Figuren, ihre Analogie zu leblosen Marionetten (...) hat jede Art menschenwürdiger Existenz aus dem Bild vertrieben. Diese Erfahrungen von intersubjektivem Wert- und individuellem Identitätsverlust durch Verfremdung und Verdinglichung haben Grewenig dazu bewegt, die figurative Malerei und deren auf allgemeingültiger Gesetzmäßigkeit beruhenden traditionellen Werkbegriff konsequent abzuschütteln. An die Stelle des Bildes als einer in sich geschlossenen Ganzheit, einer durch die Perspektive aufgegliederten Totalität, in der sich das Ganze und die Teile wechselseitig bestimmen, tritt nun das Werk als Experimentierfeld, das die Verselbständigung und die Betonung der Eigenwertigkeit der bildnerischen Mittel ermöglicht." (Anne-Marie Werner, Offenheit für das Unbekannte. Zum Spätwerk Leo Grewenigs. In: Leo Grewenig - Gemälde und Werke auf Papier. Saarbrücken 2006, S. 7) Zahllose Ausstellungen dokumentieren dies seit Anfang der fünfziger Jahre.
Aber auch dies war kein abrupter Sprung, sondern eine langsame, bedächtige, konsequente Entwicklung. Zwei Bilder zeigen das recht deutlich: "Großer Markt in Saarlouis" von 1952 und "Eruption" (1956). Im ersten Bild eine Stadtansicht: Menschen und Gebäude in starken Farben, silhouettenhaft angedeutet, zusammenwachsend zu einer teppichhaften Farbfläche, die nur noch zögernd Tiefe erschließt. Wenn die Farbstrukturen auch etwas verfremden, das Gegenständliche bleibt noch gewahrt. 1956 ist in "Eruption" nur noch entfernt so etwas wie eine Horizontlinle zwischen zwei Farbfeldern in verschiedenen Brauntönen zu erkennen. Das obere Farbfeld zerreißt in einem breiten, scholligen Aufbruch und eine Lawine kristalliner Strukturen, z.T. in hellen Buntfarben, schiebt sich zusammen mit kantigen Farbschuppen nach vorne. Auch hier finden sich immer noch deutliche Ansätze von Räumlichkeit. Im Laufe der 50er Jahre setzt Grewenig immer mehr das Zufallsexperiment ein. "Die durch das Experiment entstehenden Strukturen legen die Fantasie frei, setzen die Inspiration systematisch in Gang und bilden eine Grundlage, die den bildnerischen Prozessen Anstoß gibt. (...) Leo Grewenig schafft (...) Bilder, die getreu der Maxime der Avantgarde als selbständiges Geschehen Assoziationen erzeugen, Erinnerungen wecken, Vorstellungen evozieren. (...) In "Schwimmendes Ungeheuer" aus dem Jahre 1955 wird durch Experiment eine Art Meeresboden suggeriert, der eine aus zellenartigen Elementen montierte, daher präzise Kleinteiligkeit aufweisende Fantasiegestalt trägt. Frei von jeglicher konkreter Bedeutung rücken Grewenigs Werke in die Sphäre des Fantastischen, des Unbekannten." (Anne-Marie Werner, Offenheit für das Unbekannte. Zum Spätwerk Leo Grewenigs. In: Leo Grewenig - Gemälde und Werke auf Papier. Saarbrücken 2006, S. 8 )
Gleichzeitig deutet sich ein Weiteres an, das die Bilder Grewenigs künftig stark bestimmt: eine "abstrakte Strukturkunst" mit einem kultivierten Kolorit, das durchaus energiegeladen sein kann, ohne in zügellose Leidenschaftlichkeit auszubrechen. Stille und Intensität bestimmen die nun fast ausschließlich abstrakten Bildfindungen Grewenigs. Die zunächst noch kräftigen Farben werden gedämpfter, moderater, fast pastellartig. Starke Buntfarbakzente werden eingebunden in feste geometrische Liniengerüste und zarte, fließende Farbschleier. In den sechziger Jahren - auch diese hier exemplarisch dokumentiert - intensiviert Grewenig die gefundenen Möglichkeiten, steigert organoid-ornamentale Strukturen zu komplexen Mikrokosmen. Immer stärker tritt auch die Linie als Gestaltungsmittel neben den Farbflächen auf - in antagonistischem Wettstreit oder im verstärkenden Stützen und Festigen. Oft genug gehen die dynamischen Linien, spiralig schwingend, über ihre Funktion als orthogonales Netz hinaus, entfalten ein Eigenleben, teils spielerisch, leicht, teils straff, energisch. Vordergründig scheinen manche Bilder sich dem Dekorativen zu nähern, bei genauer Betrachtung aber dann die sanfte Irritation, das Ausbrechen aus dem oberflächlich aufgelegten Ordnungsschema. Dies zeigt etwa in "Steingebilde A" (1963), wo Farbstrukturen, Mikroorganismen gleich, aus geometrischen Bindungen (Kreis) ausbrechen, wuchernd hervorquellen. Räumlichkeit erschließt sich oft nur im Kleinen. Das Widerspiel zwischen geometrisierender Bildsyntax und schichtigen Farbräumen bleibt dezent, wird nie gewaltsam, bleibt harmonisch, sanfte Traumwelten, surrealistisch anmutende Kosmen freier Formen. Die Bilder bleiben geheimnisvoll, lyrisch, meditativ. Sie sind "Vermittlung von Einblicken und Ausblicken in geheimnisvolle, unbekannte, aber eben künstlerisch mögliche 'Kleine Welten', um den schönen Titel der Bauhaus-Graphik-Mappe Kandinskys zu zitieren" (J. A. Schmoll gen. Eisenwerth). Zwei Beispiele hierzu sind "Hintergründig" von 1978 und "Rote Mitte" von 1980. Vielerlei Hinweise lassen sich in Grewenigs Werk finden, auf Gesehenes, das ihn anregte, auf Paul Klee, Gustav Klimt, Wols bis hinzu Vasarely. Aber es bleibt beim Impuls; Grewenig deutet das Gesehene immer zum Eigenwertigen, Eigenwilligen um. Andererseits stößt er nie zu revolutionärer Explosivität vor. Sein Werk bewahrt "Gelassenheit, Serenität und weise Begrenzung" (J. A. Schmoll gen. Eisenwerth). Das gilt auch für die späten Arbeiten von 1987 und 1986, in denen die graphischen Elemente wieder stärker werden, Eigengesetzlichkeit entfalten, sich zu dekorativen Mustern zusammenschließen und wieder auflösen, vor pastellenen Farbfeldern, die die Papierstruktur herausarbeiten, schweben, ein pulsierendes Netzwerk bilden wie etwa in "Ornament" (1987). "Kleine Welten" auch hier, abseits von mathematischer Normierung oder abbildbafter Naturannäherung.
Michael Jähne
Redaktion: Michael Jähne, Claudia Maas, Petra Wilhelmy
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