Bereits seit Kasseler Studientagen war Gudrun Emmert als Galeristin tätig, zuerst in der Produzentengalerie Kassel, später als Mitarbeiterin in einer kommerziellen Galerie. Sie hat sich somit neben der eigenen Kunst immer auch mit der Präsentation anderer Künstler auseinandergesetzt. Wie wichtig und förderlich ihr diese Tätigkeit war, lässt sich heute in den Ausstellungen ihrer eigenen Werke erkennen. Separat entstandene Gemälde ordnet sie dort, so sensibel wie entschieden, nicht nur dem Raum ein, sondern fügt sie zu lückenlosen Bildfolgen, zu raumumspannenden Friesen zusammen. Dabei setzt sie sich zum Ziel, das einzelne Bild durch seine Nachbarschaften nicht zu schwächen, sondern es im Gegenteil an Kraft noch gewinnen zu lassen – und darüber hinaus ein gesteigertes, spannungsreicheres Erleben der Kunst im Miteinander der Werke zu ermöglichen. Diesen Weg verfolgt sie seit Jahrzehnten konsequent.
Ihr Schaffen lässt sich nach drei Werkgruppen unterscheiden in Malerei, Chemogramme und Collagen. Ihre Malerei bezeichnet die Künstlerin in einem bislang unveröffentlichten Text als „eine malerische Forschungsreise in die Grenzregion zwischen Abstraktion und Form. Ich will herausfinden, wo die Grenze verläuft. In meiner Malerei sind figurative Elemente zu finden, die sich jedoch einer eindeutigen Definition entziehen. Der eigentliche Bildgegenstand ist das Ungewisse. Dabei gilt mein Hauptinteresse dem Malvorgang selbst: Mich interessiert, was sich mit Farbe machen lässt. Trotzdem brauche ich die Form, sie gibt der Farbe Halt und öffnet dem Betrachter später die Tür zu dem Bild. Wichtig ist es dabei, zu erkennen, wann ein Ding zu einem eindeutigen Gegenstand wird. Diese Linie soll nicht überschritten werden, weil sonst das Bild unzulänglich hinter der Realität herlaufen würde. Ein Bild muss sein Geheimnis bewahren.“ (2022)
Emmert thematisiert das Malen als solches, ihr geht es um Farbe und deren Auftrag. Unbeirrbar untersucht sie, was sich damit machen lässt. Sie verschiebt die Farben so lange, bis sich nur noch an den Rändern Sedimente dieses Prozesses ablagern. Beleuchtungslicht, von vorne oder von der Seite, selbst eine diffuse Lichtsituation werden vermieden, das Bildlicht scheint einer räumlich nicht bestimmbaren Zone hinter der Farbe zu entspringen. Es kommt im Bild nicht zu einer vertrauten Situation, denn das Ungewisse steckt tief in den wabernden Lichträumen. Sind die Werke deswegen abstrakt? Nein, sie erlauben immer wieder die Vorstellung von Gegenständen, wenn auch nicht eindeutig. Die Malerin lässt solche Assoziationen zu, erzeugt damit etwas, das bekannt ist und fremd zugleich. Eine Ausnahme stellen nur die ‚Streifenbilder‘ dar, eine eigene Werkreihe, bei der generell keine Konnotationen intendiert sind und worin horizontale und vertikale, oft kräftig akzentuierte Farbbalken unter sich eine Suche nach dem Gleichgewicht ausmachen.
In manchen Werken der letzten Jahre zeigen sich einzelne Formkomplexe prägnanter als früher, etwa trennen scharfkantige Grate linear Farbzonen voneinander. Ist ein Schleier gelüftet, die Malerei Emmerts damit figurativer geworden? Die Titel, alle Werke sind o. T. benannt, drücken keine Verwandlung aus, ebenso wenig haben sich Technik (Öl auf Nessel) oder die Standardmaße verändert (Rechtecke, oft 50 x 60 cm oder 100 x 120 cm, als Hoch- und Querformate genutzt). Die Grenze zwischen gegenständlich und ungegenständlich verläuft nun aber bisweilen näher am Dinghaften – ohne allerdings das Spannungsfeld zwischen Abstraktion und Realismus zu verlassen, denn das ist der Ort, an dem die Künstlerin nach wie vor ihre Bilder verankert wissen will. Ein Schwebezustand dazwischen, er macht den Reiz aus, wie sie sagt.
Gegenstände bringt sie in ihrer Malerei auf zwei Arten hervor. Entweder sie geschehen einfach, intuitiv, innerhalb eines freien Schaffensprozesses, wo nicht willentlich nach ihnen gesucht wurde: Eine sich gleichsam unbeabsichtigt ergebende Form löst eine Ideenverbindung aus, derer, sich die Malerin nicht enthalten kann – und will. Sie findet eine andere, dazu passende Form. So entsteht etwas, das als Ding eine gegenständliche Bezeichnung erlauben könnte, etwas, das wiedererkennbar wäre in der Realität auch außerhalb des Gemäldes. Dieses somit Bestimmbare soll aber nicht über die freie Malerei triumphieren wie ein Abbild – das ist es ja schließlich auch nicht, es gibt höchstens Wahrnehmungsprozesse nahe dem Unterbewusstsein wieder, wo die Malerin sie aufgespürt hat. Wenn sich nun aber so ein Gegenstand präzise abzuzeichnen beginnt, begegnet ihm Emmert mit Widerstand. Sie scheut seine Dominanz über das Bildganze, sie misstraut ihm, denn gegenüber der Wirklichkeit kann er sich, ihrer Ansicht nach jedenfalls, nicht behaupten. Also verunklärt oder verschleiert sie ihn so lange, bis er mehrdeutig wird oder unerkannt im Bild bleiben kann, denn dann stört er dort nicht mehr. Er macht neugierig, erinnert an etwas, das sich nicht mehr verifizieren lässt, sendet eine Einladung, lange und immer wieder hinzuschauen.
Oder sie geht umgekehrt vor und lässt sich zu Beginn des Malprozesses von einem real existierenden Objekt inspirieren. In der Bildwelt, maßstäblich vergrößert oder verkleinert gegenüber dem Ausgangsding, treibt es sein (Un-)Wesen, begleitet vom Wohlwollen der Künstlerin – und ihrem Misstrauen, was seine Dominanz betrifft. Dieser zweite Weg scheint an Gewicht zu gewinnen für die neuen Arbeiten.
Was macht nun den Gegenstand in der Kunst Emmerts seinem Wesen nach aus, Gegenstand mithin nicht als unwillkommene Imitation, sondern als einer, der im Bild sein Bleiberecht findet? Als solcher wird er bestimmt von seinem Verhältnis zum Bildgrund. Hebt er sich zur Gänze trennscharf von ihm ab, degradiert er ihn leicht zum bloßen Dahinter: Er überwältigt ihn regelrecht mit seiner Präsenz. Dominiert aber der bemalte Bildträger, so erlaubt er keinem Motiv, sich nach vorne abzusetzen, sich selbstständig zu machen. Der Grund bewahrt so sein Geheimnis im gegenständlichen Sinne, denn in ihm bleiben alle möglichen Dingformen potenziell eingeschlossen. Gerade die Suche nach einem immer wieder neuen Gleichgewicht von Figur und Bildfläche kennzeichnet Emmerts Arbeiten. In ihrer Malerei sind Werden und Vergehen, Auftauchen und Verschwinden gleichberechtigt möglich. Wo wir meinen, etwas Identifizierbares zu entdecken, hat es sich noch nicht völlig aus dem Schöpfungsakt gelöst. Wenn wir jedoch in die ungegenständliche Welt der Bilder eintauchen, so ahnen wir ihr flüchtig Vertrautes.
Der raumhaltige Bildgrund bleibt auch im Dunklen hinterlichtet, von einem tief liegenden Leuchten erfüllt. Solches Helldunkel lädt unsere Fantasie dazu ein, Dinge auch jenseits der Realitätserfahrung zu erkennen. Hinzu treten die Buntwerte einzelner dominanter Farben, und deren feinste Abstufungen, die Valeurs. Bringt das Helldunkel eher den Gegenstand hervor, generiert die Farbe mehr die Stimmung, das Überfigürliche also, und die Valeurs wiederum differenzieren die Gefühlsschwankungen. Die Farbpalette bestimmt über die Naturnähe oder -ferne eines Gemäldes: Mondrian verzichtete auf Grün, um zur völligen Autonomie seiner Bilder zu gelangen. Emmerts Kolorit vermittelt indessen keine schroffe Abkehr von der Natur. Ihre moosigen Grün- oder aus Grau aufblühenden Rosatöne demonstrieren beste Wachstumsbedingungen einer lebendigen Fauna. Zur Landschaft fehlen allerdings die Horizonte, es gibt eher Schichtungen, naturgeschichtlich wachsend oder erodierend.
Draufsicht auf die Darstellung ist anzunehmen, aber nicht sicher, denn auch Schwerkraft scheint zu wirken, wenn beispielsweise Büschelformen wie schwere Blütendolden herabhängen. Ähnliche Formkomplexe können auch aufsteigen, eigenmächtig und sich damit gegen die Gravitation durchsetzend, die in diesem Fall mitzudenken wäre. Ein homogener, sich konsequent in die Breite erstreckender und dadurch Weite anzeigender Landschaftsraum existiert jedoch nicht. Wenn etwas „geschieht“, passiv oder aktiv, so betrifft dies vornehmlich die Hochachse der Bilder. Epische Breite wird damit ausgehebelt, der Akteur-Gegenstand hat, wenn er auftritt, keine Optionen zur horizontalen Bewegung, er wird also nicht handeln können wie auf einer Bühne.
Anthropomorphe Formen fehlen ganz, organische, vegetabile, vereinzelt auch zoomorphe Assoziationen können sich einstellen. Gefäße kommen häufig vor, selten auch Windungen, die zugleich agieren und erleiden. Wo sich Formcharaktere bilden und verfestigen, sind sie gleich wieder Metamorphosen unterworfen, vornehmlich nach oben oder unten gerichtet, zeigen Wachstum oder Schwinden an, Werden und Vergehen. Diese Malerei produziert verschwommen vieldeutige, häufig konvexe Formen zuletzt ergänzt von Linie und Lichtgrat. Wie zuvor die plastischen Formen aufeinandertrafen, so ziehen sich auch die Linien in Teilen oder im Ganzen an oder stoßen sich ab, bleiben dabei in der Regel für sich, schwellend oder sich kringelnd. – Generell gilt Dauer als der Wesenszug von Malerei, denn sie erhebt das, was sie darstellt, zu permanenter Präsenz. Gudrun Emmert fügt dieser Dauer in ihren sich offenbar gerade entwickelnden Prozessen den Aspekt der Vergänglichkeit hinzu.
Die Collagen entstanden in drei Phasen 1990, 2012 und 2017. Die Künstlerin selbst äußert sich folgendermaßen dazu: „Im Grunde ist eine Collage nichts anderes als Malerei mit Fertigbauteilen aus eigener Herstellung. Im Gegensatz zum Malen mit Pinseln und Farbe kann man aber beim Collagieren leichter ausprobieren und verwerfen, da man sich dabei der ausgeschnittenen Überbleibsel anderer Arbeiten (Chemogramme, Öl/Nessel, Öl/Folie) bedient und diese einfach hin- und herschieben kann. Das erhöht den Mut zum Risiko, ich wage mich in Bereiche vor, die mit Malerei nicht mehr zu realisieren sind, unterschiedliche Oberflächenstrukturen oder auch transparente Materialien werden verwendet. Diese Mixtur aus ganz unterschiedlichen Werkstoffen ist ein Prinzip meiner Collagen. – Erst wenn das Hin- und Herschieben zu einem überzeugenden Ergebnis geführt hat, wird das Material endgültig fixiert. – Nicht zuletzt dient mir die Arbeitsweise des Collagierens auch dazu, ältere Ideen zu reaktivieren, gleichzeitig neue zu entwickeln und damit das Repertoire meiner Ölbilder zu erweitern.“ (2021) Diese experimentelle Gestaltungsweise wird also gespeist aus unterschiedlichen künstlerischen Techniken. Unter Einbeziehung bereits vorhandener Elemente wird Neues generiert.
Ihre zwischen 1997 und 2000 entstandenen Chemogramme kommentiert Emmert wie folgt: „Ich male Bilder mit Ölfarbe oder mit Fotochemie. Letztere werden als CHEMOGRAMME bezeichnet. Eine gemalte Fotoarbeit oder ein fotochemisch entstandenes Gemälde – beides ist in gewissem Sinne eine richtige Erklärung für diese Technik. Im Gegensatz zu den Ölbildern entstehen hier die Farben durch Lichteinwirkung und chemische Reaktionen automatisch. Das ‚Motiv‘ wurde gemalt, die Bildentstehung funktioniert fotografisch – ein Spagat zwischen Malerei und Fotografie. Die Ölbilder entstehen langsam, Farben und Formen werden auf die Leinwand geschichtet, bis ein Bild fertig entwickelt ist. Formen erscheinen hier als Farbträger. – Beim Chemogramm ist diese Arbeitsweise nicht möglich. Hier zählt der einmalige Versuch: Die Chemie reagiert sofort auf dem Papier und lässt die Farben in kurzer Zeit entstehen. Auf diesen ‚malerischen Polaroids‘ tauchen wie schon auf den Ölbildern Bildelemente auf, die angenehm vertraut erscheinen, ohne konkret einen Gegenstand abzubilden.“ (2020)
Heiner Georgsdorfs Aussagen zu ihren Chemogrammen charakterisieren über diese Werkgruppe hinaus sehr eindrücklich ihr gesamtes Schaffen: „Wenn man unbefangen mit den Bildern von Gudrun Emmert konfrontiert wird, fühlt man sich eher in ein Naturkunde- als ein Kunstmuseum versetzt. [...] Gudrun Emmert malt oder zeichnet, aber keine Kleinstlebewesen, größere Organsimen oder Organe. Sie verstärkt unsere Lust, unser stilles Vergnügen, Unbekanntem oder Ungewohntem Bedeutung zu geben, etwas Undefinierbares auf einen Begriff zu bringen. Sie selbst nennt das ‚Kippen‘, wenn ihre Formen uns etwas Wiedererkennbares versprechen und dieses Versprechen im gleichen Augenblick wieder zurücknehmen. Emmerts Morphologie bezieht ihren Urimpuls aus dem Pinselduktus, welcher nicht abbildet, sondern diesen wunderbaren Bilderkosmos aus sich heraus erfindet. Sie hat dabei immer eine Affinität zu weichen Bögen und Kurven, zu wellenförmigen Linien und nierenförmigen Konturen gehabt, entwickelte ihre Formen aus der schieren Pinselbewegung heraus, somnambul suchend, tastend, vielleicht einem inneren Wegeplan folgend. Die Chemie malt hier mit – und der Zufall. […] Der Entwickler ist für die Schwärzungen, der Fixierer für das Weiße und Helle verantwortlich, einmal in Gang gesetzt lässt sich nichts mehr rückgängig machen. Die Künstlerin ist für die Zeichensetzung, die Chemie für den malerischen Prozess verantwortlich, der Zufall wirkt dabei als ein Instrument, das ihrer künstlerischen Kontrolle unterliegt, und das sie souverän einzuplanen versteht. Es sind feierlich schöne Bilder, wo sich in einem vorgegebenen Karree die Malerei gleichsam einer Ur-Suppe von Finsternis und Licht in immer neuen Versuchsanordnungen ihre Möglichkeiten erforscht. […] Mehr als in allen anderen Bildern wirken diese schmissigen, tachistisch-kontaminierten Action-Bilder wie kosmische Momentaufnahmen von Lichtgeschwindigkeiten. Wie Schnappschüsse von schwarzen Löchern. Gudrun Emmert legt ein geometrisches Geviert an, nicht akkurat, aber immerhin von signifikanter Gestalt – und konterkariert damit ein amorphes Geschehen. Dieses Bemühen, Gegensätze auf unaufdringliche Weise zu versöhnen, ohne sie aufzuheben, durchzieht ihre gesamte Arbeit und kulminiert in der Gratwanderung zwischen gegenständlich und abstrakt.“ (2021)
Bernhard Wehlen
Redaktion: Petra Wilhelmy
Alle Abbildungen: VG Bild-Kunst, Bonn
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