Der 1932 in Scheidt bei Saarbrücken geborene Fotograf Harald Boockmann studierte von 1951 bis 1954 Fotografie bei Otto Steinert an der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken. Er hatte eigentlich 1947 eine Brauerlehre begonnen, die er jedoch wegen eines schweren Unfalls abbrechen musste. Im letzten Jahr seines Studiums wurde er Assistent von Otto Steinert und zwar in Nachfolge seiner Studienkollegen Joachim Lischke (bis 1951) und Edith Buch (1951-1953).
1954 berief der erste Inhaber des Lehrstuhls für Kunstgeschichte an der neu gegründeten Universität des Saarlandes, Josef Adolf Schmoll gen. Eisenwerth, Harald Boockmann zum Institutsfotografen. Schmoll war bekanntermaßen ein Leben lang auf das Engste mit Otto Steinert und der „subjektiven fotografie“ verbunden. (Schmoll 1989, S. 7) Mehr noch: Er publizierte in vielen der von Steinert herausgegebenen Bildbände und äußerte sich zu theoretischen Fragestellungen der Fotografie (Steinert 1951, S. 61-62; Steinert 1952, S. 8-9; Steinert 1955, S. 25-40; Schmoll 1980; Enzweiler (Hg.) 2003). Harald Boockmann blieb so an der Universität einer wichtigen Persönlichkeit der „subjektiven fotografie“ verbunden, selbst wenn Letztere Ende der 1950er Jahre ihren Zenit schon überschritten haben mochte. Er bildete in seinem Werk eine sehr persönliche Handschrift aus, die in einer Kritik der Exponate der beiden Steinert-Schüler Harald Boockmann und Monika von Boch in der Ausstellung "Neue Gruppe Saar" 1965 der Autor Jochen Lengsfeld wie folgt zusammenfasste: „Die Mettlacherin Monika von Boch stellt anlässlich ihres fünfzigsten Geburtstages vierzehn Fotographien aus, die allesamt den Einfluss Otto Steinerts verraten (…). Gleiches wäre zu den Fotoarbeiten Harald Boockmanns zu sagen. Wie sich bei beiden der Einfluss eines Lehrers auswirkt, läßt sich deutlich ablesen, ohne daß damit der individuellen Gegebenheit Abbruch getan wäre.“ (Saarländische Landeszeitung 1.12.1965)
Als Institutsfotograf sorgte er für didaktisches Abbildungsmaterial. Ebenso begleitete er die Exkursionen des Instituts und schuf beeindruckende fotografische Dokumentationen zu den untersuchten Kunstwerken, die sich in der Photothek der Kunstgeschichte an der Universität des Saarlandes erhalten haben. Heute ist die Photothek im ehemaligen Raum des Fotolabors untergebracht, in dem Harald Boockmann einst wirkte.
Von 1963 bis 1965 war Harald Boockmann Lehrbeauftragter für die Fotografik an der Staatlichen Werkkunstschule Saarbrücken. Den Lehrauftrag übernahm er wiederum von Otto Steinerts erstem Meisterschüler Joachim Lischke, der ihn von 1961 bis 1963 ausgeübt hatte. 1965 folgte die Aufnahme in den Deutschen Werkbund.
Harald Boockmann nahm 1959 an der dritten und letzten der legendären, von Otto Steinert durchgeführten Ausstellungen mit dem Titel „subjektive fotografie“ teil. Auch die Ausstellungen „Otto Steinert und Schüler“ verzeichnen die Teilnahme Harald Boockmanns, etwa jene, die 1958 in der „göppinger galerie“ in Frankfurt am Main stattfand und zu der Boockmann die überraschend große Zahl von sechs Arbeiten beisteuerte, während die meisten der anderen Steinert-Schüler nicht mehr als vier zeigten. 1961, 1964 und 1965 nahm er an den Ausstellungen der Neuen Gruppe Saar teil. Seine Arbeiten wurden daraufhin in Publikationen und Mappenwerken der Gruppe abgebildet. In der Mappe „jo enzweiler duroy rolf harald boockmann, sammlung grafischer und fotografischer blätter“ wurden 1964 in einer Auflage von fünfzig Exemplaren drei Arbeiten von Harald Boockmann herausgegeben, darunter „Aufgespannte Felle“ von 1957 neben zwei nicht datierten und betitelten Arbeiten. 1979 ist die Mappe „Künstler fotografieren - Hommage à Harald Boockmann“ von der Neuen Gruppe Saar ausgegeben worden, an der sich Monika von Boch, Jo Enzweiler, Harald Mante, Hermann Richter, Rolf Glasmeier, Klaus Küster, Sigurd Rompza, Ed Sommer, Yong Sa Sommer, Hans-Willi Scherf, Klaus Staudt und Gerd-Alois Zwing beteiligten.
Die von Steinert ins Leben gerufene „subjektive fotografie“ prägte das Schaffen von Harald Boockmann tief. Ihr Ziel war die Besinnung auf die gestaltenden Kompetenzen des Fotografen, der sich in virtuosem Umgang mit der Technik - den Künstlern gleich - die Fotografie als Gestaltungsmittel aneignen solle. Wie Otto Steinert im Vorwort zum Katalog der ersten Ausstellung „subjektive fotografie“ 1951 schrieb: „Die Ausstellung steht unter dem Motto ‚Subjektive Fotografie’, da dieser Begriff formelhaft das persönliche Gestaltungsmoment des Lichtbildners (im Gegensatz zur ‚angewandten’ Gebrauchs- und Dokumentarfotografie) akzentuiert ausdrückt.“ (Steinert 1951, S. 5)
Die von Harald Boockmann bekannten fotografischen Arbeiten wendeten ganz in diesem Sinne eine Reihe von gestalterischen und experimentellen Techniken an. Boockmann arbeitete in seinen freien künstlerischen Arbeiten intensiv mit fotografischen Verfremdungstechniken wie der Kopier- oder Sandwichmontage („Römische Mauer“, 1963) und dem Negativprint. Er kopierte mehrere Negative versetzt auf ein und dasselbe Fotopapier oder er legte mehrere Filme übereinander und belichtete dann auf das Fotopapier. Beim Negativdruck wird kein Negativ sondern eine Diapositiv auf das Papier projiziert, und so erscheinen im Papierbild die Tonwerte verkehrt, wie man es von Negativfilmen erwartet. Denn bei jedem analogen fotografischen Belichtungsvorgang erfolgt diese Tonwertverkehrung, da das Licht die in den lichtempfindlichen Substanzen enthaltenen Silberionen schwärzt. Es entstanden darüber hinaus auch bizarre Landschaftsfotografien, die eine fremde Sicht des Vertrauten eröffnen. Dass Boockmann sich intensiv mit der Fotografiegeschichte der Moderne auseinandersetzte, zeigt etwa die Arbeit mit dem Titel „Aufgespannte Felle“ aus dem Jahr 1957, ein Motiv, das er in Spanien aufnahm. Die Felle zeigt der Fotograf von ihrer ledrigen Rückseite. Lediglich die Ränder werden von den langen Schatten der Tierhaare hervorgehoben. Die hellen Lederflächen sind mit Nähten versehen, die wie Zeichnungen oder Pläne (nicht existierender Sternbilder) erscheinen, in denen sich der Blick des Betrachters verliert und der eigentlich dargestellte Gegenstand seine Bedeutung zugunsten freier Formen einbüßt. Boockmann bezieht sich hier auf ein ähnliches Thema von Brassaï, der im Jahr 1933 „Lederflanken“ fotografierte – ein Bild, das auch in der Ausstellung „subjektive fotografie“ 1951 gezeigt wurde. Auch sie sind an einer Wand zum Trocknen befestigt. Sie erinnern an rituelle Masken, da die Zeichnungen für den Zuschnitt von Schuhsohlen einen eigenständigen Bildcharakter annehmen. Diese bildliche Selbständigkeit adaptiert Harald Boockmann in seinen Fellen. Er entfernt sich in seiner Fotografie weit vom dargestellten Gegenstand. In seinen Arbeiten fördert er Strukturen zutage, die dem entsprechen, was an der Saarbrücker Kunstschule unter dem Begriff „Fotografik“ verstanden wurde. Die Absicht, freie grafische und fotografische Gestaltung zu verbinden, wird in der Wortschöpfung deutlich. Ursprünglich leiteten Hannes Neuner und Kilian Breier dieses kleine Spezialfach, später folgte Joachim Lischke und schließlich Harald Boockmann. Dabei ist es beachtlich, dass die Fotografik im Unterschied zur viel bekannteren Fotografieklasse an der Saarbrücker Kunstschule den Weggang Steinerts überdauerte. Sogar nach Auflösung der Fotografieklasse, der Schule und der anschließenden Neugründung einer Werkkunstschule, in der engagierte Steinert-Schüler wie Boockmann den Geist der gestaltenden Fotografie weitertradierten, blieb sie erhalten. In den Saarbrücker Fotografik-Kursen wurde - in vieler Hinsicht radikaler als in der „subjektiven fotografie“ - an einem elementaren Gestaltungsansatz gearbeitet, wie er ähnlich in der Wiederaufnahme einer konkreten Kunstauffassung in der Gruppe „Zero“ praktiziert wurde. Kilian Breier stand ihr besonders nahe. (Koenig 1991, S. 10, 12,17) Aber auch die „neue gruppe saar“ steht für diese Neuorientierung allen Gestaltens an elementaren Ausgangspunkten. Dazu gehörte die methodische Erforschung der künstlerischen Material- und Formgebung. Die „neue gruppe saar“ wurde auch für die Steinert-Schüler Monika von Boch, Dieter Lott, Kilian Breier und schließlich für Harald Boockmann zur künstlerischen Heimstatt. Er beteiligte sich an drei Ausstellungen dieser Künstlergruppe. (Maas, Jähne 2003, S. 143, 150, 158) In Boockmanns Formenwelt sind Rhythmus und Licht wesentliche Faktoren. Das Licht wird von ihm immer als Material seiner Gestaltung thematisiert. Oftmals arbeitet er mit teiltransparenten Stoffen, mit verschiedenen Glasqualitäten, z. B. mit drahtdurchzogenem Sicherheitsglas („Komposition 1“, 1965), das mit seiner strukturierten Oberfläche zwar Licht durchlässt, es aber hierbei auf materialspezifische Weise bricht. Das Licht wird anders als bei glattem Glas durch das Material geleitet und bringt eine neue Realität zum Vorschein. Ähnlich verhält es sich, wenn Boockmann mit anderen lichtbrechenden Materialien arbeitet. Geknitterte oder übereinander gelagerte Folien oder Glasplatten kommen zum Einsatz. Letztendlich setzt er auch fotografisch belichtete Negative und Diapositive in der Sandwichmontage mit der derselben Absicht ein, nämlich als Lichtbrecher, welche Strukturen im Sinne einer neuen sichtbaren Welt hervorbringen und die ohne den Zugriff des gestaltenden Fotografen verborgen blieben. Boockmann versteht es, in starken Schwarzweiß-Kontrasten einen ganz eigenen Weg zu beschreiten. Dies gilt es zu betonen, weil es vor ihm bereits einige Fotografen gab, die in so genannten Fotogrammen Dinge - seien es transparente oder intransparente - als oder statt Negativ für ihre Abzüge nutzten. So wird auch verständlich, dass es in seinen Arbeiten nicht unbedingt darum geht, eine gegenstandslose Abstraktion in größtmöglicher Reinheit zu erzielen. Es geht um das Verhalten und die Wirkung des Lichts als Material. Oftmals bleiben Hinweise auf die Realität erhalten. In der Montage „Komposition II, Paris“ von 1958 entdeckt man im Negativabzug die Rückenansicht eines Passanten, und in Boockmanns „Spanische Landschaft 2“ von 1961 bleiben trotz aller Überlagerungen schwarzweißer Kuben Gebäude mit Fenstern und Türen erkennbar. In „Komposition III“ und „Komposition IV“ von 1963 sind diese Verweise auf die gegenständliche Welt dagegen nahezu ausgeblieben.
In saarländischem Privatbesitz befindet sich heute ein einzigartiges Zeugnis des Schaffens von Harald Boockmann. Es handelt sich um ein Album, das der Fotograf selbst zusammengestellt hat. Er montierte einige Dutzend seiner Fotografien im Format 24 x 18 in der Regel ganzseitig auf die Kartons des wohl aus dem Handel erworbenen und vorgefertigten Albums. Zu Anfang und Ende wird je ein Selbstporträt gezeigt. Auf ihnen gegenüber liegenden Seiten finden sich Aufnahmen vom Universitätsgelände in Saarbrücken - Boockmanns professioneller Wirkungsstätte. Beide Bilder sind in unmittelbarer Nähe der Philosophischen Fakultät aufgenommen worden, in der sich - bis heute - das Kunstgeschichtliche Institut befindet. Das Bild am Anfang des Albums zeigt das Gebäude der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek - allerdings um 90 Grad gedreht. Links bildet die Decke eines Vordachs einen einfarbig schwarzen dreieckigen Keil, der wahrscheinlich durch Eingriffe in der Dunkelkammer im Kontrast betont wurde. Er nimmt ein Drittel des Bildfeldes ein. Das Bild am Ende zeigt einen Blick auf ein weiteres Universitätsgebäude, auf das 1951 gegründete Europa-Institut. Zwischen Anfangs- und Schlussbild komponiert Harald Boockmann sorgfältig jede Doppelseite mit seinen freien Lichtkompositionen. Darunter sind einige Motive, die er in Ausstellungen zeigte - andere nicht. Es ist die Definition seines Werkes mit seinen Mitteln: denen der Fotografie. Man findet keine Titel, keine Zeitangaben, keine Texte, nur Fotografie. Die in dem Album versammelten Arbeiten vermitteln eine starke Geschlossenheit. Harald Boockmann markiert Anfang und Ende mit seinem Gesicht - eingangs rechts, am Ende links verschattet - und kombiniert seine Selbstportraits mit seinen künstlerischen Arbeiten einerseits und seiner professionellen Wirkungsstätte an der Universität andererseits. 1967 schied Harald Boockmann aus dem Leben und hinterlässt ein beeindruckendes, in weiten Teilen unpubliziertes Werk.
Heute ist der fotografische Nachlass Harald Boockmanns Teil einer der bedeutendsten Privatsammlungen der Fotografie: der Sammlung Ann und Jürgen Wilde, die mit dem Erwerb sein Werk für die Nachwelt in seiner Gänze erhalten haben. Die Artothek Saar in Saarlouis besitzt 22 Werke Boockmanns. In der Fotografischen Sammlung des Saarlandmuseums in Saarbrücken sind 24 seiner Arbeiten verzeichnet, mit zwei Ausnahmen handelt es sich um experimentelle Fotografie.
Roland Augustin
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Redaktion: Oranna Dimmig
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