Institut für aktuelle Kunst

Sparda-Bank-Preis: 1997/98

Festrede

Paul Schneider erhält heute den Sparda-Bank Preis für besondere Leistungen der Kunst im öffentlichen Raum. Wir ehren damit einen Steinbildhauer, aber auch einen Künstler, dessen Arbeiten für den öffentlichen Raum prädestiniert scheinen. Dies ist die notwendige Konsequenz seines Werkes. So behutsam und fürsorglich er mit dem Stein umgeht, so genau respektiert er auch die Gegebenheiten des öffentlichen Raumes.

Wird der Begriff Kunst im öffentlichen Raum häufig mit einem negativen Beiklang verstanden, als Broterwerb und Auftragskunst, die eine Entfaltung der künstlerischen Autonomie beeinträchtigt, als eine Kunst, die im Zusammenhang mit gebauten Räumen eine dienende Funktion einzunehmen habe, so beweist sein Werk gerade das Gegenteil. Schneiders Arbeiten zerstören den gebauten Zusammenhang nicht, sie achten ihn, indem sie ihn umhüllen, einspinnen in ein dichtes Beziehungsnetz, das die Architektur, das stadt- oder landschaftsräumliche Ensemble gerade durch die künstlerische Gestaltung des Außenraumes in die allumfassende Dimension des Natürlichen öffnet, in das Grundthema seines Werkes: die Begegnung von Kunst und Natur.

Von den mehr als 70 Arbeiten, die Paul Schneider für den öffentlichen Raum konzipierte, möchte ich hier nur auf ein einziges eingehen. Mein Weg führt mich häufig am Deutsch-Französischen Gymnasium vorbei und so vertraut mir in den letzten Jahren Paul Schneiders fünfzehn Stelen dort wurden, so überraschend neu und jedesmal anders wirken sie dennoch auf mich. Allzu gut erinnere ich mich an das optische Loch dort im Straßenraum und wie plötzlich nach dem Aufrichten der Stelen ein Raum entstand, d. h. es entstanden eigentlich zwei Räume, ein gefasster Straßenzug und ein intimer Schulhof.

15 hochaufragende Steinstelen bilden eine streng ausgerichtete, genau gefasste und gleichwohl durchlässige Grenze. Sie nehmen jeweils als einzelne eine Beziehung auf zum tragenden Lisenengerüst der Gebäudefassade. Doch der Rationalität der Lisenengliederung am Bau antwortet Paul Schneider mit den wie gewachsen wirkenden Steinen. Die Unregelmäßigkeit ihrer Gestalt, ihre unterschiedlichen Höhen, nehmen der geometrischen Linie das Starre, versetzen das geometrische Gerüst in schwingende Bewegung. Und unabhängig vom Bezug zur Architektur sagen die Stelen noch sehr viel mehr aus. Im Winter wirken sie schroffkantig und hart, bei bedecktem Himmel stehen sie als dunkle kompakte Blöcke im Raum, bei tiefstehendem Sonnenlicht werfen sie die bizarren Schatten der Baumäste zurück. Das Frühlingslicht modelliert sie sanft; die Regennässe bringt den Glanz ihrer Farbe zum Leuchten und jetzt scheinen sie dem Blätterdach der Bäume entgegenzuwachsen, mit diesen eine Stein-Baum-Allee zu bilden. Diese Stelen sind als Steine eine Grenze der organischen Erfahrung, sie markieren eine Grenze und überwinden eine Grenze, indem sie sich anschaulich sowohl mit der Architektur als auch mit dem Straßenraum und vor allem mit dem natürlichen Licht verbinden.
Die Wirkung der Stelen ist abhängig vom Licht und damit offen für einen kosmischen Zusammenhang. Auf diesen verweist auch ein Rohling im Hof, der, im Gegensatz zu den bearbeiteten Stelen, die Schönheit und Besonderheit des unbearbeiteten Steines zeigt. In einer tiefen natürlichen Mulde, einer Brunnenschale gleich, fängt sich das Regenwasser. Dass sich damit dann am Nachmittag die Kinder der Nachbarschaft vergnügen, wird Paul Schneider nur erfreuen.
Denn zu seinen Steinen gehört ja auch ihre Funktion als Bestandteil des Alltagslebens. Viele sind dem menschlichen Körper angepasst, sind zum Draufsitzen, zum Sichausruhen, zum Spielen gedacht.
Und noch ein weiteres grundlegendes Gestaltungsthema des Schneiderschen Werkes kommt in der Komposition am Deutsch-Französischen-Gymnasium zum Tragen: die Unterscheidung von bearbeiteten und unbearbeiteten Teilen. Hier stellen es die verschiedenen Steine dar, verdeutlichen damit aber auch, dass Stelenwand und Rohling eine künstlerische Einheit bilden und umgekehrt, daß hier eine künstlerische Einheit aus unterschiedlichen Elementen besteht.

Immer sind Paul Schneiders Arbeiten ja zusammengesetzt aus Einzelelementen, aus bearbeiteten und unbearbeiteten Steinen unterschiedlichen Formats, sich auf dem Boden ausbreitend, oder hoch in den Himmel hinaufragend. Jeweils andere Aufgaben und Aussagen sind ihnen im Gesamtzusammenhang zugewiesen. Die Umgestaltung des Bodens und die sorgfältige Auswahl der unterschiedlichen Steine und ihrer Farben gehören dazu.
Und immer sind die Arbeiten betretbar, fordern den Betrachter auf, sich in den kompositionellen Zusammenhang einzustellen. So fügt Schneider die Bauten und die Menschen ein in ein Netz von räumlichen und zeitlichen, geistigen und natürlichen, ja kosmischen Beziehungen. Sich in den Umraum der Architektur zu begeben, wird damit zum Beginn einer sinnlichen Wahrnehmung, die über das bloß ästhetische Erfahren weit hinausgeht.
 
Auf biographische Notizen verzichte ich, sie standen in der Einladung. Nicht darin verzeichnet war die wichtige Rolle, die Li Schneider im Leben ihres Mannes spielt. Ohne ihre ständige Unterstützung wäre dieses Werk nicht zustande gekommen.
Begonnen hat Paul Schneider in den fünfziger Jahren mit Holzskulpturen, dann folgte eine Phase der Metall-Plastik. Damals erprobte er die der Stahlplastik eigentümlichen Möglichkeiten, die Synthese von Transparenz und Beweglichkeit, sei es der realen, sei es der virtuellen Bewegung. In den Verthori-Stahlplastiken, einem Kunstwort aus den beiden ersten Silben von vertikal und horizontal, laufen reale Bewegungsmöglichkeit und virtuelle Bewegung nebeneinander her. Auf dem Stahlsymposion in Kosice in der Tschechoslowakei 1969 schafft er die 7,20 m hohe Turmverthori. Die Verthoris sind transparente, zartgliedrige Plastiken, deren labiles Gleichgewicht durch ein komplexes Spannungsgefüge austariert wird. Die letzte Stahlarbeit aber ist die 19 m breite und 4m hohe Wandgestaltung im Foyer der Saarbergwerke.

Spätestens ab 1971 wird der Stein zum Träger seiner Kunst, – der Stein wird ihn nicht mehr loslassen. Paul Schneider spricht mit den Steinen und entlockt ihnen ihre Geheimnisse. Auf dem internationalen Steinbildhauer-Symposion in St. Wendel 1971 entsteht das erste große Steinbildwerk, der Verthori-Stein für St. Wendel. Hier lernt er den österreichischen Bildhauer Karl Prantl, den Vater des Symposion-Gedankens, kennen; Verehrung und Freundschaft verbindet sie seitdem. In den nächsten Jahren nimmt Paul Schneider an allen Steinbildhauersymposien teil; die Arbeit in der Gemeinschaft, das Dialogische, der wortlose Austausch faszinieren ihn noch heute, so dass er gerade in Iserlohn ein weiteres Symposion initiierte. 1972 schafft er in Tivoli bei Rom den ersten Sonnenstein, 1974 in Neumarkt in der Oberpfalz und 1976 in Perchtoldsdorf bei Wien weitere. 1980 beteiligt er sich an einem Symposion in Indien, in Lahr im Schwarzwald arbeitet er im gleichen Jahr an einer 21 Steine umfassenden Gruppe für den Marktplatz. 1983 hinterlässt er als Geschenk des Saarlandes in Leicester eine dreiteilige Steingruppe. Davor, bereits 1978, konnte er eine Gruppe von Kollegen für das Symposion Fußgängerzone St. Johanner Markt gewinnen. Auch hier entsteht eine Komposition aus Einzelelementen: eine Gruppe von Steinen, Granitkuben verschiedener Größe, ordnet sich auf ovalem Grundriss um ein mittleres Quadrat. Jeder einzelne Stein ist eingespannt in genau bedachte städtebauliche Richtungen, zur Basilika St. Johann und zur Mainzer Straße. Der höchste pfeilerartige Stein markiert genau den Punkt, wo früher die Faßstraße in die Obertorstraße mündete. Paul Schneider versteht ihn als eine Hommage an Friedrich Joachim Stengel, den Barockbaumeister. Heute, zwanzig Jahre später, ist das Konzept leider verwässert. Der Unverstand vieler Menschen und ihre Unempfindlichkeit gegenüber Kunstwerken machte zusätzliche Straßenpoller und Abgrenzungen nötig.

Viele Jahre hintereinander trifft er sich mit Bildhauerkollegen in der Grenzlandschaft um Büdingen-Wellingen. Im Dreiländereck Deutschland, Frankreich, Luxemburg entstehen die Steine an der Grenze.

1984 schenkt Paul Schneider seiner Heimatgemeinde Bietzen den Sonnen-Lerchen-Hexenstein, der auf der Höhe des Bietzerberges wie ein Segel im Wind schaukelt und sich dem Lichte preisgibt. Inzwischen haben dort weitere Steine eine Heimat gefunden. In die kultische Dimension führen Schneiders Stufensteine. Der Aufstieg zur Höhe ist durch die Dunkelheit des Steines hindurch der Aufstieg zum Licht. So arbeitete Paul Schneider bereits lange mit dem Stein, als er in den 80er Jahren den Stein als Stein entdeckte, 'als diese vielgestaltige Materie, als die Materie, in der sich die Geschichte der Erde, diese Hunderte von Millionen Jahren verdichten.' Er entdeckte den Stein 'in seiner Würde und Schönheit, in seinem Eigenwert, den es behutsam zu bewahren gilt". Nun öffnet er den Stein auf das Licht der Sonne und höhlt ihn aus, um das Geheimnis seines Inneren zu offenbaren.
Sieben Steine sind hier zu sehen, nur ein verschwindender Bruchteil seines Werkes, doch sie geben Einblick in seine Gestaltungsweise. Das Grundthema der Schneiderschen Kunst ist die Begegnung von Kunst und Natur. Dies drückt sich in unterschiedlichen Dimensionen aus. Auf die Unterscheidung von bearbeiteten und unbearbeiteten Teilen wies ich bereits hin. Aber er unterscheidet auch das Äußere und das Innere im Stein. Das Innere wird durch die Bearbeitung zum Ausdruck gebracht. Wenn er den Stein glättet oder poliert, kommt eine andere, die innere, oft edelsteinhaft aufglänzende Farbe zur Erscheinung. Wenn er dem Stein eine stereometrische Form gibt, sei es als Kubus, Zylinder, Viertelkugel, nimmt das Innere Gestalt an. Es bezeugt sich hierin eine Einsicht in das Wesen der Natur, die sich nach der von Pythagoras formulierten Theorie in Zahlen ausdrückt. Doch mit der mathematischen Erfassung der Natur geht heute, vor allem durch die moderne Technik, auch die Gefahr des Naturmißbrauchs einher. In Paul Schneiders Kunst aber entstehen 'Bilder der in sich ruhenden, zu einem Kosmos geschlossenen Natur."
Zahlen sind für Paul Schneider nicht bloß Instrumente der Berechnung, "sondern, anknüpfend an die heiligen Zahlen mythischer Weltauffassung, im Vierer-, Siebener-, Neuner-Rhythmus, im Verhältnis des Goldenen Schnittes, Wesenheiten eigenen Charakters". Sie sind nie spekulativ aufgesetzt, sondern die Garanten der sichtbaren Schönheit und Symmetrie und Rhythmik seiner Gebilde. Und Schneider lässt nie das Mathematische allein zur Geltung kommen, sondern bringt die stereometrische Struktur durch kaum merkbare Kurvaturen und Irregularitäten in lebendige Spannung, lässt so die anorganische Natur wie von der organischen durchdrungen erscheinen. Darin gründet der Eindruck von Gewaltlosigkeit, den das Mathematische in Schneiders Skulpturen ausstrahlt.
Und schließlich orientiert der Künstler den Stein auf das Licht der Sonne, greift auf naturreligiöse Erfahrungen zurück, weiß um die Sonnenkulte alter Kulturen. Er liebt das Licht der Sonne. "Einzigartig ist die Konsequenz und Selbstverständlichkeit, mit der Paul Schneider seine Verehrung des Lichts, gespeist von den Erfahrungen einer weit zurückreichenden, mit den Mächten der Natur vertrauten Vergangenheit einbringt in die Formensprache gegenwärtiger Kunst."
'Mit der Öffnung und Zuwendung des Steines auf das Licht der Sonne werden die extremen Pole von dichter in sich verschlossener Materie und Materielosigkeit, von Bewegung und Beharrung, von irdischer und von kosmischer Natur in einen Bezug gebracht.' Licht aber bedarf des Gegenpols, – der Dunkelheit. So ist es nur konsequent, dass Paul Schneider in den letzten –Jahren eine Reihe von Steinen schuf, die er der Dunkelheit widmete. Der Mensch kann über seine Einbindung in den Kosmos nicht verfügen, er ist nur ein Glied in diesem Beziehungsgeflecht. Die künstlerische Umsetzung macht es uns bewusst.

Paul Schneider gibt sich nicht mit Kunst um ihrer selbst willen zufrieden. Er lässt den Stein Stein sein; er verdichtet in der künstlerischen Gestalt umspannende, welt- und lebensorientierende Ideen und tritt dabei selber ganz bescheiden in den Hintergrund. Für dieses Werk und für seine Person danken wir ihm von Herzen.

Marlen Dittmann

Leihgebühren pro Halbjahr

Privatpersonen Schüler*innen, Studierende Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen
je Kunstwerk 50 € 30 € 80 €

Für alle Entleiher gilt:

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