Institut für aktuelle Kunst

Sparda-Bank-Preis: 1994/95

Laudatio
 
Lieber Leo Kornbrust, Herr Ministerpräsident, meine Damen und Herren,
 
einer der schönsten Orte in Saarbrücken ist – für mich jedenfalls – die Moderne Galerie mit ihrem Umfeld. Die Architektur aus flachen Kuben fügt sich horizontal gelagert in den Landschaftsraum und davor, eigentlich daneben, steht Leo Kornbrusts hochragender Stein. Weithin sichtbar, nur aus bestimmten Perspektiven mit dem Gebäude sich überschneidend, zeigt er die andere Dimension, die Vertikale. Und dennoch kann man ihn übersehen. Man muss ihn wahrnehmen wollen. Denn auf einem Rasenstück zwischen Gebäude und Straße stehend, umgibt ihn Einsamkeit. Ganz still steht er dort an seinem selbst geschaffenen Ort. Auf der blankpolierten Schwärze des Steines flimmert das Licht, glänzt die Regenfeuchte, informelle Runen scheinen eingegraben. Erst im Näherkommen offenbaren sie sich als die Kornbrustschen Schriftzüge, wird der Text von Felicitas Frischmuth lesbar. Ich werde darauf zurückkommen.
 
Die frühen Werke, Arbeiten der fünfziger Jahre, sind zumeist stehende Bronzefiguren, in stark geschwungenen, an- und abschwellenden, fast barocken Formen. Dynamisch und massig bewegen sie sich um ihre Körperachse. Doch mehr und mehr reduziert sich das Volumen. Erste Bezüge zur Architektur werden sichtbar, etwa mit dem Sandstein für die Abtei in Tholey 1964 oder dem markanten Betonrelief über dem Eingang des Kulturhauses in Überherrn von 1968. Die Plastik im öffentlichen Raum wird nun Kornbrusts zentrales Thema.
 
Anfangs arbeitet er auch in Stahl und Holz, doch sein eigentlicher Werkstoff wird der Stein. Zunehmend entwickelt er die Form aus dem Material, aus dessen farbiger Erscheinung und stofflicher Eigenart. Häufig wendet er geometrische Grundformen an – Quadrat, Dreieck, Achteck, Kreis in unterschiedlichen Verbindungen, selten dogmatisch exakt. Aber diese abstrakten Gebilde, als architektonisches Element benutzt, stellen für ihn nur eine von vielen plastischen Möglichkeiten dar.
 
Ab 1966 entsteht der Prototyp der Stele, aufgebaut aus dem additiven Zusammenschluss der Teile, in späteren Werken häufig aus einem einzigen Rohling geformt. Für die Homburger Uni-Kliniken schafft Kornbrust ein komplexes Gefüge aus drei Muschelkalkskulpturen, – eindrucksvoller noch, spartanischer in der Formgebung die vier Meter hohe Säulengruppe aus Basalt vor dem Eingang der St. Wendeler Realschule von 1967. Unübersehbar, betritt man den Vorhof der Schule, Blickpunkt beim Verlassen des Gebäudes, stellt sie sich den Menschen dennoch nicht in den Weg. Im bloßen Anblick eine strenge, statische Figurengruppe, von fast abweisender Sprödigkeit, fordert sie die Aktivität des Betrachters heraus. Vier kraftvolle hochaufgerichtete Steinzylinder fügen sich im Umschreiten zu einer komplexen Masse, rücken auseinander, weiten sich zum Tor, öffnen sich zum Himmel, beschützen den inneren umstellten Raum und verbinden ihn zugleich mit der Umgebung. Zusätzliche Spannung in dieses Spiel der Formen bringen die Sinnlichkeit des Materials, die Schlagschatten des Gegenübers, die Modellierung durch den eigenen Schatten. Solche Aktivierung des Zwischenraumes wird zu einem wichtigen Bestandteil des Werkes.
 
Fünf Jahre später, 1972, errichtet Kornbrust die mehrfach geknickte Säule aus Basaltlava am Rathaus zu St. Ingbert. Als Kontrapunkt zum Rathaus mit seinem konstruktiven Stützensystem, das genau berechnet, Kräfte auffangend, hochhinausstreben kann, zeigt die Säule den schwierigen Prozeß der gegen alle Widerstände hinaufwachsenden menschlichen Figur. Leo Kornbrust hat ein Gedicht seiner Frau eingemeißelt. Große gleichmäßige Buchstaben ziehen sich über den Stein, lesbar nur im Umschreiten. Doch dies fällt schwer, denn die Skulptur steht erhöht auf terrassiertem Gelände, von Pflanzenwuchs umgeben und entzieht sich dem Betrachter.
 
Neben strengen geometrischen Werken entstehen Skulpturen, deren Gestalt Kornbrust aus den natürlichen Gegebenheiten des Steines gewann, Steinsitze und Steinthron. So gleichen sie bearbeiteten Findlingen mit archaischer, fast mythischer Wirkung, Monolithen gleich. Die Vielansichtigkeit der Figurengruppen komprimiert sich hier in einem einzigen Stein. Der Stein-Sitz Hommage à Panoias ist Kornbrusts Beitrag zur St. Wendeler Skulpturenstraße, die er als Hommage an den jüdischen Maler, Bildhauer und Ideengeber einer solcher Straße, Otto Freundlich, konzipierte und die über viele Jahre hinweg entstand. Stärker als die Aussagekraft der autonomen Form bestimmt der räumliche Zusammenhang zwischen den einzelnen Skulpturen und ihr Verhältnis zur Landschaft den Erlebniswert der einzelnen Werke.
 
1985-88 gestaltete Kornbrust an der St. Wendeler Basilika die Fußgängerzone. Hier stellt er an der Nordseite einen Stein auf, wiederum dem im KZ Majdanek umgekommenen künstlerischen Vorbild gewidmet. Aus dem abfallenden Gelände grenzt er eine um wenige Stufen erhöhte Plattform aus und errichtet eine kleine exakte Pyramide. Während eine Bodenplatte aus Basaltlava in der Achse des Kirchenportals die Inschrift Coincidentia oppositorum, Worte des Nikolaus von Kues enthält, fassen die Schriftzüge auf dem Stein den Lebenslauf Otto Freundlich zusammen. Wenn ich es richtig sehe, ist es das einzige Mal, dass Kornbrust die Form der Pyramide verwendet. Er antwortet damit den verzogenen Pyramidentürmchen des Westwerks, erinnert gleichzeitig an die Grabkammer der ägyptischen Könige, die so zu einer angemessen-symbolischen Form wird. Als Kornbrust 1984, anlässlich der Verleihung des saarländischen Kunstpreises in der Modernen Galerie in Saarbrücken eine Ausstellung erhält, heißt das Begleitbuch Innere Linie. Die innere Linie wurde für ihn zu einem beherrschenden Themenkreis. Innere Linie meint, mit den Worten von Joachim Heusinger von Waldegg: Offenlegung der mittleren plastischen Zone, ”Ausdünnung des Volumens”, womit sich "der Eindruck des Fragilen, auch Schutzlosen" verbindet. (1)
 
Kornbrust spielt die Problematik der inneren Linie in vielen Variationen durch. In München Neuperlach steht vor einem Verwaltungsgebäude einer der aufregendsten Versuche: Wolf-Dieter Dube beschreibt diesen Stein so: "Etwa 9 Meter hoch ragt der grauschwarze Stein auf … Ganz still steht die dunkle Figur vor der Folie der grün gestrichenen Metall-Glas-Architektur. … Da ist kein Auftrumpfen, kein Signetanspruch, keine Berechnung auf Fernwirkung. Im Gegenteil: In jenem geometrischen Ort aufgerichtet, welcher den Schnittpunkt der aus der Architektur herausführenden Linien bildet, konstituiert und akzentuiert die steinerne Stele den von den Baugliedern ermöglichten, doch unbestimmt gelassenen Raum … So schafft Kornbrust durch seine Skulptur einen zusätzlichen Erlebnisraum.” (2) Selten begnügt sich Kornbrust damit, nur eine einzige plastische Form in den Raum zu stellen. Häufiger schafft er Ensembles unlösbar zueinander in Beziehung stehender unterschiedlicher Formen. Sie bieten dem Benutzer ein vielfältiges Angebot, sich ihnen zu nähern, sich in ihnen zu bewegen, sie zu entdecken: etwa das Ambiente von 1974 für die Universitätsbibliothek Erlangen: Es setzt sich zusammen aus stereometrischen Objekten, umgeben von formverdeutlichenden und den Ort markierenden, gepflasterten Bereichen, erweitert sich um einen kaum bearbeiteten, nur durch eine Wasserrinne akzentuierten Stein. In den Boden eingelassene Granitplatten vervollständigen es. Und hier steht zu lesen: Dies sollte eine Liebesreise werden.
 
Im Hochschulbereich Weihenstephan findet sich seit 1980 auf einem mit Bäumen bepflanzten Platz ein wundersames Steinensemble – eine Bezeichnung von Hermann Rühl. Drei verschieden geformte, verschieden farbige und unterschiedlich fein bearbeitete Granite, Kegelstümpfe und eine liegende, gurkenförmige Figur. Ich zitiere weiter Rühl: "Sie sprechen das Auge und den Tastsinn gleichermaßen an und werden von den Studenten gerne als Sitz- und Liegemöbel gebraucht – ein nicht mehr wegdenkbarer, sehr persönlicher Akzent in einer neueren Architekturlandschaft”. 3
 
Und 1993 vollendet Kornbrust den Außenbereich des Berufsbildungszentrums in Brebach-Fechingen durch Pflasterung und Steinskulpturen. Aus den Bewegungen des Betrachters, aus seiner aktiven Anteilnahme an den Steinen entsteht ein Ort, deutlich umrissen, offen zugleich.
 
Ähnliches gelang ihm bereits 1978 mit den stereometrisch geformten Skulpturen am Haupteingang der Saarbrücker Oberfinanzdirektion.
 
Einen ganz speziellen Werkbereich nehmen durch Worte, Sätze charakterisierte Steine ein. Fast von Beginn an sind sie häufiger Bestandteil seiner Skulptur, doch erst als die persönliche Handschrift des Künstlers die anonymen Druckbuchstaben ersetzt, werden Schrift und Text zum dominierenden Element. Ohne Schrift ist die Säule leer, sagt Leo Kornbrust nach dem Zeugnis seiner Frau.
 
In München steht eine achteckige Schriftsäule an der Straßenkurve eines Schwabinger Neubauviertels, eine andere, höher noch und viereckig, darin der Saarbrücker Granitsäule ähnlich, im Kreuzungsbereich zweier viel befahrener Straßen. Die Lokalisierung dieser Skulpturen, wie all seiner Arbeiten im öffentlichen Raum, wird zu einem entscheidenden Kriterium. Perspektive, Sichtwinkel, Blickhöhe, Bewegungsrichtung, in diese Koordinaten einer künstlerischen Raumdefinition baut Kornbrust sein Werk ein. Und darüber hinaus umgibt er es mit Leere, mit Einsamkeit. Um die "künstlerischen Qualitäten eines Standbildes sichtbar werden zu lassen, genügt nicht eine Wand, von der es sich abhebt,” wie der Kunsthistoriker Kurt Badt anmerkt, "bedarf es keiner Folie, also keines anderen Körpers, um so zu wirken, sondern einer gewissen Einsamkeit des Alleinseins in bestimmten Abständen von anderen Dingen, mit anderen Worten einer Isolierung auf der Erde. Das ist seine Grundforderung. Wieviel Platz es bedarf, ist nicht von Vornherein auszumachen.” 4
 
Trotz ihrer imposanten Höhe kann man die Saarbrücker Schriftsäule übersehen, ihre Anwesenheit vergessen. Die Masse kommt nicht zur Geltung. In der Eleganz ihrer schlanken Form wirkt sie, wie die anderen auch fast schwerelos, scharfgeschnittene Kanten unterstreichen den Eindruck hermetischer Verschlossenheit. Doch mathematische Ordnung, tektonische Logik, anonyme Ausdrucksformen, hinter die der Künstler zurücktreten kann, werden in diesem stereometrischen Körper überspielt durch die bewegte Linearität der Handschrift des Künstlers, die zum Persönlichsten eines Menschen gehört, ihn charakterisiert und identifiziert. Begrenzte Flächen füllen sich mit Linien, mit Poesie. Der Text provoziert in den Gedanken des Betrachters ständig wechselnde Bilder, erzeugt Assoziationen, regt seine Phantasie an. Laut gelesen erklingt die Melodie der Sprache, erfüllt den Raum mit Tönen. In geistiger Anspannung und sinnlicher Wahrnehmung verschmelzen Text und Stein zu einer Einheit, die seine Grenzen öffnet und weit über sich selbst hinausweist. Von Otto Freundlich stammt der Satz:” Kunst betreibt das Universelle. Die Vereinzelung hebt sie auf. Sie schließt im Menschen eine Dimension eigener Art auf, die Imagination.” Im Werk Leo Kornbrusts können wir sie finden.

Ich danke Ihnen.

Marlen Dittmann


Anmerkungen:
 
1 Joachim Heusinger von Waldegg: Figur, Torso, Ensemble – Stationen architektonischer Plastik im Werk von Leo Kornbrust. In: Leo Kornbrust. Innere Linie – Skulpturen 1958-1984. Saarbrücken 1984, S. 22
 
2 Wolf-Dieter Dube: Die Neuperlacher Skulptur. In: Leo Kornbrust, a.a.O., S. 94
 
3 Hermann Rühl: Kunstwerke im öffentlichen Raum. Das Beispiel der Universität. In: Denkmal – Zeichen – Monument. Skulptur und öffentlicher Raum heute. München 1989, S. 154
 
4 Kurt Badt: Raumphantasien und Raumillusionen. Köln 1963, S. 114

Leihgebühren pro Halbjahr

Privatpersonen Schüler*innen, Studierende Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen
je Kunstwerk 50 € 30 € 80 €

Für alle Entleiher gilt:

Bleiben Sie auf dem Laufenden