Katholische Pfarrkirche St. Michael
Saarbrücken, Mitte, St. Johann, Schumannstraße 25
Die Erneuerung der katholischen Kirchenarchitektur im 20. Jahrhundert
Jahrzehntelang wurde einzig aus dem Bauhaus entwachsene Architektur als eine "moderne", als "neue Architektur" anerkannt. Dabei übersah man die große Anzahl von Baumeistern, die sich neuartiger Materialien und Konstruktionen bedienten, auch ein sachlicheres Formenvokabular nutzten und dennoch der Tradition verbunden blieben. Zu ihnen gehören die Architekten der so genannten "Stuttgarter Schule", die auf Theodor Fischer zurückgeht und von Paul Bonatz, Paul Schmitthenner oder Martin Elsässer geprägt war. Bei ihnen hatte der Hans Herkommer von 1906 bis 1910 studiert. Wie der wenige Jahre ältere Dominikus Böhm und der jüngere Rudolf Schwarz avancierte auch Herkommer seit den 1920er Jahren zu einem einflussreichen und stilbildenden katholischen Kirchenarchitekten. Für die evangelischen war Otto Bartning ein großes Vorbild.
Diese Baumeister beteiligten sich nicht nur theoretisch an den Diskussionen der Liturgischen Bewegung, sondern suchten nach Baugestalten, in denen das reformatorische Gedankengut architektonischen Ausdruck fand. Dazu gehörte die erhöhte Stellung des Altars, "als Ausdruck des neuen Verständnisses für das Mysterium der heiligen Messe" (Kahle 1990, S. 42), die gute Sichtbarkeit in einem stützenlosen Raum und damit die Teilnahme der Gläubigen an der Heiligen Handlung. Die Gemeinschaft der Gläubigen sollte betont werden. Es entwickelten sich Grundrisstypologien, einerseits die "christozentrische" Anlage, bei der im Zentrum des Baus der Altar steht, um den sich alles andere gruppiert. Die geforderte Richtungsbezogenheit der Gemeinde auf den Altar hin ließ sich in diesem Grundriss nur schwer in eine bauliche Gestalt umsetzen und kann nur mit wenigen Beispielen belegt werden. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Altar als baulicher Mittelpunkt der Kirche zum allgemeingültigen Prinzip.
Die "Wegkirche" andererseits bewahrte die traditionelle Form. Der Gläubige bewegt sich durch den Kirchenraum auf den Opfertisch zu als dem endgültigen Höhepunkt des Raumes. Rudolf Schwarz, der den Altar "nicht als Mitte sondern als 'Mittler und als Schwelle zu' Gott" verstand (Kahle 1990, S. 37), kritisierte die christozentrische Idee, und auch Herkommer hat vor dem Zweiten Weltkrieg ausschließlich Wegkirchen gebaut. Sein Ziel war ein "gemeinschaftsbildender Raum mit freier Sicht nach der Opferstätte für alle Teilnehmer am Gottesdienst und mit freier Sicht nach dem Prediger. Dieses Streben der Gemeinschaft zu gemeingültigem Opfer, zu gemeingültiger Feier und zu gemeingültigem Wort verlangt gebieterisch nach einem sichtbaren pfeilerlosen Einraum" (Neuzeitliche Kirchenkunst, S. 176). Doch dieses Ziel erkannte und erreichte er erst, nachdem er mit dem Bau mehrerer Kirchen umfassende Erfahrungen gesammelt hatte.
Der am 24. Mai 1887 in Schwäbisch Gmünd geborene Hans Herkommer hatte sich dort 1913 als freier Architekt niedergelassen, bevor er ab 1919 sein Büro in Stuttgart betrieb. Von Anbeginn seiner Tätigkeit als Architekt bis zu seinem Tode 1956 gelangen ihm wegweisende Bauten in der Verbindung von Tradition und Moderne. Anfangs ersetzte er lediglich überlieferte Bauweisen durch moderne Konstruktionen.
Die katholische Pfarrkirche St. Michael in Saarbrücken erbaut nach Plänen von Hans Herkommer
Seit bald neunzig Jahren, seit 1924, beherrscht St. Michael weithin sichtbar aus vielen Perspektiven das Saarbrücker Stadtbild und wirkt dabei "in verschiedenartigster Weise. Schlank und schmal vom Westen her, von Süden als eine langgelagerte wuchtige Masse über dem Häusermeer und aus Nordwesten als eine stolz emporragende Bekrönung des Rotenbergs ... Die Doppeltürme recken sich ... als zusammengehöriges, gedrungenes Massiv empor," so beschreibt der Architekt seine Kirche (Festschrift 1924, S. 38), die 1924 "als die erste größere moderne Kirche Deutschlands" gerühmt wurde.
Bis dahin baute man Kirchen in historistischen Formen – gotisch oder romanisch – und begründete es mit den inhaltlichen Komponenten, weil diese wesentlich die Baugestalt bestimmen und mit einem tradierten Vokabular leichter wiederzuerkennen sind. Im Gegensatz dazu erforderten moderne Baumethoden, gesellschaftliche Veränderungen und liturgische Reformen eine zeitgemäße Formensprache, um aus ihr neue Bilder zu entwickeln. Viele Jahre wurde einzig aus dem Bauhaus entwachsene Architektur als eine "moderne", als "neue Architektur" anerkannt, und man übersah die vielen Baumeister, die sich neuartiger Materialien und Konstruktionen bedienten, auch ein sachlicheres Formenvokabular nutzten und dennoch der Tradition verbunden blieben, wie die Architekten der so genannten "Stuttgarter Schule". Gegründet von Theodor Fischer, prägten sie Paul Bonatz, Paul Schmitthenner oder Martin Elsässer entscheidend. Bei diesen Lehrern hatte auch Hans Herkommer von 1906 bis 1910 studiert. Nach einigen Jahren in Dresden ließ er sich 1913 als freier Architekt in seiner Geburtsstadt Schwäbisch Gmünd nieder, bevor er ab 1919 sein Büro in Stuttgart betrieb. Wie der wenige Jahre ältere Dominikus Böhm und der jüngere Rudolf Schwarz avancierte auch Herkommer seit den 1920er Jahren zu einem einflussreichen und stilbildenden katholischen Kirchenarchitekten. Diese Baumeister beteiligten sich nicht nur theoretisch an den Diskussionen der Liturgischen Bewegung, sondern suchten nach Baugestalten, in denen das reformatorische Gedankengut architektonischen Ausdruck fand. Dazu gehörte die erhöhte Stellung des Altars, "als Ausdruck des neuen Verständnisses für das Mysterium der heiligen Messe" (Kahle 1990, S. 42), die gute Sichtbarkeit in einem stützenlosen Raum und die Teilnahme der Gläubigen an der Heiligen Handlung, um die Gemeinschaft der Gläubigen zu betonen.
Es entwickelten sich zwei Grundrisstypen. Einerseits die "christozentrische" Anlage, bei der im Zentrum des Baus der Altar steht, um den sich alles andere gruppiert. Sie kann nur mit wenigen Beispielen belegt werden. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Altar als baulicher Mittelpunkt der Kirche zum allgemeingültigen Prinzip. Die Variante "Wegkirche" dagegen bewahrte die traditionelle Form. Der Gläubige bewegt sich durch den Kirchenraum auf den Opfertisch zu als dem endgültigen Höhepunkt des Raumes. Rudolf Schwarz, der den Altar "nicht als Mitte sondern als ‚Mittler und als Schwelle zu Gott‘" verstand (Kahle 1990, S. 37) kritisierte die christozentrische Idee und auch Herkommer hat vor dem Zweiten Weltkrieg ausschließlich Wegkirchen gebaut.
Sein Ziel war ein "gemeinschaftsbildender Raum mit freier Sicht nach der Opferstätte für alle Teilnehmer am Gottesdienst und mit freier Sicht zum Prediger. Dieses Streben der Gemeinschaft zu gemeingültigem Opfer, zu gemeingültiger Feier und zu gemeingültigem Wort verlangt gebieterisch nach einem sichtbaren pfeilerlosen Einraum" (Herkommer, 1929, S. 176). Doch dieses Ziel erkannte und erreichte er erst, nachdem er durch den Bau mehrerer Kirchen umfassende Erfahrungen gesammelt hatte.
In St. Michael entsprechen sich Innenraum und äußerer Baukörper nur unvollkommen, der Kultraum ist in ein anders geformtes Haus hineingestellt, und der Dachraum wurde kaum genutzt. Herkommers Streben aber ging dahin, Innenraum und umhüllenden Baukörper zu einer Einheit zu verschmelzen, und er begründete es so: "Zurück zum Wesentlichen heißt es auch in der Architektur und das bedeutet zurück zum Körperhaften. Die Fläche spielt eine untergeordnete Rolle. Und das Ornament so gut wie gar keine. Das Körperhafte, Kubische leitet uns heute; wir wollen die klare Herausbildung der Baukörper und ein Inbeziehung und Inbewegungsetzen der verschiedenen Kuben und Räume eines Baukörperkomplexes. Uns beschäftigt das klangvolle Hineinstellen der Baumassen in das Landschafts- und Platzbild. Die Baukörper entstehen aus der Raumvorstellung und diese wird geboren aus dem sakralen Erlebnis." (Herkommer, 1929, S. 176)
Anfangs jedoch ersetzte er lediglich überlieferte Bauweisen durch moderne Konstruktionen. So wird das Tonnengewölbe bei Herkommers erstem großen Kirchenbau, St. Michael in Saarbrücken, aus Stampfbeton gefertigt. Dieser Bau ist in Grundrissstruktur und Körpergestalt noch von der Tradition bestimmt, wenngleich ihn starke formale Vereinfachungen als ein Werk der 1920er Jahre charakterisieren.
Die Baugeschichte
Im Frühjahr 1913 hatte die Pfarrgemeinde einen Wettbewerb unter allen im Reichsgebiet tätigen Architekten ausgeschrieben. Als Baugrundstück standen Teile des ehemaligen Friedhofsgeländes auf einer Anhöhe des Rotenbergs am Rande der städtischen Bebauung zur Verfügung. In dieser exponierten Lage wünschte die Gemeinde ein monumentales, die Stadtlandschaft beherrschendes Bauwerk, dessen "Äußeres … der hervorragenden Lage Rechnung tragen und daher durch schöne Gruppierung und gefällige Verteilung wirken" sollte. Ein bestimmter Stil wurde nicht festgelegt. "Der Architekt ist nicht an historische Formen gebunden, seiner künstlerischen Gestaltungskraft soll freie Bahn gelassen werden." (zit. nach Böker, 1998, S. 127)
173 Entwürfe wurden eingereicht; Herkommer, damals gerade 26 Jahre alt, erhielt nur einen Ankauf. Prämiert wurden entgegen dem Ausschreibungstext historisierende Lösungen, während Herkommer eine "den Zeitumständen angepasste neuartige Formgebung" vorschlug, wie sie der Kirchenvorstand auch verlangt hatte. Der Entwurf beruhte zudem auf malerischen Aspekten und städtebaulicher Wirkung. "Der äußere Aufbau ist namentlich in der Westansicht sehr monumental und in Verbindung mit der hallenartigen Einfassung des Kirchenplatzes von überaus malerischer Wirkung," urteilte die Jury (Böker, 1998, S. 128). Dennoch wurde Herkommer erst nach der Vorlage eines Gutachtens von Stadtbaurat Hamm und nach langwierigen Diskussionen mit dem Bau beauftragt. Er "hatte es verstanden, durch den einfachen und überschaubaren Grundriss sowie durch die markige und eindringliche Wucht des Bauwerks seinen Plan zum Siege zu führen", heißt es dazu in der Festschrift von 1924.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs vereitelte den Baubeginn, der Krieg vernichtete auch das angesammelte Baukapital. Erst im Juni 1923 wurde mit dem Bau der Kirche aus hellem Fechinger Sandstein begonnen.
Herkommer hatte den Entwurf von 1913 weiter überarbeitet. Der an der Südseite geplante Kreuzgang entfiel, die ursprünglich reichgegliederte Außenarchitektur wurde durch "schlichte, ruhige, große Flächen, die durch einfache alte Mauertechnik belebt sind," ersetzt. "Flächigkeit, gepaart mit starken Vertiefungen und auskragenden Spannungsentladungen bringen Ruhe, Rhythmus und Dynamik", meinte Herkommer (Festschrift, 1924, S. 41). Gegen diese formale Vereinfachung äußerte das Hochbauamt für Militär und Wohnungswesen Bedenken. In einem Gutachten vom 27. Juli 1923 heißt es: "Die Architektur ist in modernen Bauformen gehalten und lässt die hohe künstlerische Gestaltungskraft des Entwurfsverfassers ohne Zweifel erkennen. Dagegen muss bezweifelt werden, ob mit diesen Formen dem traditionellen Geiste des Katholizismus entsprochen ist. Ein Vergleich mit Kirchenbauten des Mittelalters und der Barockzeit lässt den profanen Charakter der gewählten modernen Formen im Gegensatz zu den kirchlichen jener Zeiten erkennen und zwingt dazu, von ihrer Anwendung abzuraten, solange diese Formen nicht als Ausdruck einer allgemeinen Geisteshaltung gelten können." (LA Saarbrücken, MK 432, Gutachten vom 27. Juli 1923. Zit. nach Böker, 1998, S. 137) Da am 5. März die Bauarbeiten durch die Firma Hubert Rauwald bereits begonnen hatten, blieb das Gutachten ohne Einfluss, allerdings änderte Herkommer noch in der Bauphase mehrfach einzelne Details und passte sie den Wünschen der Bauherren an.
Am 27. September 1924, dem Michaelstag, wurde die Kirche geweiht.
Die Architektur
St. Michael steht als hocherhobener Point de Vue in der Achse der Rotenbergstraße, von der eine Treppenanlage zunächst auf die Schumannstraße führt. Sie setzt sich fort mit einer 12 m breiten, monumentalen Treppe, überwindet den Höhenunterschied von 8 m und endet auf einem Vorplatz, den Pfarrhaus und Westwand der Kirche begrenzen.
Im Laufe des Aufstiegs gewinnt die Kirche zusehends an Körperstruktur und die Baukuben werden deutlicher. Die klare Flächigkeit der Außenwände durchbrechen stark vertiefte Rundbogenfenster und Nischen, schmale hohe Lichtschlitze und Gesimse, stark vereinfachte Formen der traditionellen Baukunst. Ein ruhiges steiles Dach fasst den Baukörper zusammen. Charakteristisch ist die Turmfassade. Sie erinnert an ein Triumphtor, aber auch an die Eingangssituation des Stuttgarter Hauptbahnhofs, den Herkommers Lehrer, Paul Bonatz, gleichzeitig errichtete. Für den Architekten war es selbstverständlich, Details der profanen Baukunst in den Sakralbau zu übernehmen. Herkommer wird das Rundbogenmotiv in der Eingangsfassade bei all seinen Kirchenbauten beibehalten.
In St. Michael unterbricht eine große Rundbogennische die 18 m breite und 23 m hohe, massive und schmucklose Westwand. Auf einem Kragstein oberhalb des Torbogens erhebt sich der Friedensbote, eine Bronzestatue des Erzengels Michael, der mit hocherhobener Hand zum Himmel weist und "energisch zum Frieden mahnt". Ihr Schöpfer war der Bildhauer Franz Lorch aus Sigmaringen. Die Eingangsfront wird klar begrenzt durch ein auskragendes Gesims, eigentlich nur eine horizontale Scheibe. Erst die hoch hinauf strebenden Türme darüber zeigen das Formempfinden der Zwanziger Jahre, sind expressionistisch geprägt. Zu Dreiergruppen zusammengefasste Fensterschlitze durchbrechen die Turmkuben, lösen ihre Massivität aber nicht auf. Gestufte kronenartige Abschlüsse scheinen Kreuze in die Höhe zu heben und vermitteln zwischen der Schwere des Baukörpers und der Himmelstransparenz. Ruhe, Rhythmus und Dynamik kennzeichnen den Außenbau. Im Baumaterial deutet sich Heimatverbundenheit an, gleichzeitig wird die Monumentalität der Kirche gesteigert, die sich im Grundriss als dreischiffige Basilika mit Querhaus und Chor darstellt.
Zurückgenommen in der 13 m hohen Eingangsnische liegt das dreigeteilte Kirchenportal, das sich in eine 8 m breite Windfangvorhalle öffnet, Schwelle im Übergang von der profanen Außenwelt in den mit 38 m doppelt so langen wie breiten und hohen Kirchenraum. Das schmiedeeiserne Eingangstor erlaubt einen ersten Durchblick, bei jedem weiteren Schritt in die Kirche erhält der Besucher einen sich langsam steigernden Raumeindruck. Auf die Vorhalle folgt zunächst eine niedrige, verdunkelte Zone unterhalb der von einer Säulenarkade gestützten Sängerempore, die sich in das Schiff schiebt. Dieser Bereich wurde vor einigen Jahren mit einer Glaswand abgetrennt und wird heute als Foyer genutzt. Erst danach erlebt der Besucher die Mächtigkeit des weiten, hohen Kirchenraumes, den das massive Tonnengewölbe der Decke beherrscht, und deren Wirkung auch auf der Konstruktion beruht. Während der Kämpferpunkt des Tonnengewölbes auf halber Raumhöhe liegt, führen die aufgelegten wulstförmigen Querrippen bis ins untere Raumdrittel und teilen gemeinsam mit den schlanken Längsrippen das Gewölbe in einzelne kassettierte Elemente. Die Decke verläuft ohne Unterbrechung vom Eingang bis zum Chor, unterstützt die Hinführung der Gemeinde auf das liturgische Zentrum.
Wie die Michaelskirche in München oder die Kirche Il Jesu in Rom, so gehört auch die Saarbrücker Kirche in die Gruppe der Wandpfeilerbasiliken. Schmale Seitenschiffe sind auf gereihte nischenförmige und tonnengewölbte Kapellen reduziert, öffnen sich mit hohen Rundbögen ins Längsschiff. Darüber, im Obergaden, begleiten schmale Rundbogenfenster solche mit Palladiomotiv, also der Rahmung eines Bogens durch zwei seitliche flache Wandfelder. Das Querschiff trägt ebenfalls ein Tonnengewölbe, eingestellte Säulen deuten die Seitenschiffe an. Damit präsentiert sich St. Michael als einheitliche Großform, als Halle, die ihre Originalität wesentlich auch aus traditionellen Bauformen und Strukturen gewinnt.
Der Karlsruher Kirchenmaler Franz Schilling schmückte die Kirche aus. Die Wände des Hauptschiffs waren in einem leuchtenden Orange verputzt, die Deckenkassetten blau, rot, grün und violett ausgemalt und mit Goldhöhung gefasst. "Das Gewölbe wirkt wie ein großer Teppich, Farbe sitzt unvermittelt an Farbe. ... Die architektonische Gliederung ist trefflich unterstützt." (Festschrift, 1924, S. 49)
Der Chor
Beim Eintritt stellt sich heute der Taufbrunnen in den Weg, doch der Blick wird magisch angezogen vom 12 m breiten und 15 m tiefen Chor. Diesen architektonischen wie religiösen Höhepunkt der Kirche rahmt die schmucklose Stirnwand des Schiffes wie ein Triumphbogen. Die baukünstlerische Durchbildung korrespondiert mit einem symbolhaltigen, fast mystischen Ausdrucksgehalt, von gedämpfter Beleuchtung unterstrichen und durch die blaue Fassung verstärkt. Am Außenbau als Rechteckblock sichtbar, gliedert sich der Chor innen in Vor- und Hochchor. Sie lenken Blick und Bewegung auf den religiösen und räumlichen Mittelpunkt, den Hochaltar, gleichzeitig vergrößert sich die Distanz zu ihm. Mit dem ein Joch breiten Vorchor baute Herkommer wieder eine Schwelle ein, diesmal zwischen Laienraum und Chor. "Den Gläubigen den Weg zum Heil dartuend", stehen "hoch an den Wänden des Vorchors unter den Gurten" (Festschrift, 1924, S. 48) auf beiden Seiten Konsolstatuen, jeweils fünf vollplastische schlanke Frauengestalten, die "Klugen und Törichten Jungfrauen" des Bildhauers Franz Lorch. Herkommer nahm ein Bildprogramm auf, das häufig die Eingangsfassaden gotischer Kathedralen als Übergangszone von weltlicher zu geistiger Sphäre bezeichnet.
Das Tonnengewölbe im Chor verengt sich konzentrisch in zweifacher Abstufung. Der Raum wird niedriger, wirkt enger durch seitlich eingestellte Säulen mit nur angedeutetem Kapitel. Die beiden Reihen grenzen den intimen Altarraum weiter aus, denn Gewölbe und Säulen schließen sich im Blick des Betrachters zu einem Tor mit Palladiomotiv zusammen. Den Vorchor charakterisiert die "rasche Abfolge von Transversalbögen" (Böker, 1998, S. 144), das Gewölbe des Hochchores schmückt ein Rautennetz, das an Gewölbeformen der Gotik erinnert. Diese verschiedenen Gewölbekonstruktionen tragen ebenso zur optischen Trennung bei wie die als Block erscheinende Krypta und eine den Chor füllende Treppenanlage. Als seitliche Läufe im Vorchor ausgebildet, gehen die Treppen im Hochchor über in die ganze Raumbreite, um zum Altar hinauf zu steigen, wo die Höhe von 2,20 m über Fußbodenniveau des Langhauses erreicht wird. Die flimmernde Textur des Gewölbes und die seitlichen Säulenreihen wurden dazu genutzt, "einen strukturell deutlich vom Langhaus mit seiner vergleichsweise plastischen Detaillierung abgesetzten Raumabschnitt entstehen zu lassen." (Böker, 1998, S. 144).
Schützend begleiteten fünf Paare von Engelssäulen – heute nur noch drei – den Hochaltar, stehen zunächst weit auseinander, werden höher und rücken gleichzeitig immer mehr zur Mitte. Der Hanauer Maler Reinhold Ewald hat sie aus gebranntem Ton geschaffen. Indem sie den Altar umrahmen und gleichzeitig die räumliche Verbindung zum dahinter hochsteigenden farbenprächtigen Rundbogenfenster – ebenfalls von Ewald – herstellen und eingrenzen, verschmelzen Altar, Engelssäulen und Fenster zu einer mit dem Ausdrucksgehalt ihrer Symbole aufeinander bezogenen Einheit. Die Säulenreihen filtern aus den Seitenfenstern einfallendes Licht und verwischen wie das große Rundbogenfenster die Raumgrenzen noch zusätzlich. Die Darstellungen des Fensters zeigen den Erzengel Michael in jeweils anderen Situationen. Alle weisen auf die Opferbank und damit auf den Altar hin. Die Engelssäulen binden die Gläubigen symbolisch in das Geschehen ein und verdeutlichen die Verbindung zum Altar, zu Altar und Gläubigen und zu Altar und Fenster.
Der Hochaltar
Den mit blauer Majolika geschmückten, expressionistisch detaillierten Hochaltar hat Herkommer zu einer neuartigen Verbindung aus Opfertisch und dem darüber schwebenden Tabernakel geformt, in dem er den alten Gedanken des Zeltes als schützenden Ort für die geweihten Hostien aufnahm. Der dreistufige Rundbau aus Sockel, zeltartigem Aufbau, dem Aufbewahrungsort für den Tabernakel, und Kuppel ist mit einem Kruzifix bekrönt. Hier steht kein leidender Christus mit Dornenkrone am Kreuzesbalken, sondern ein Sieger, geschmückt mit der Königskrone. Der Altar kommt aus dem kreisförmigen hohen Sockel als Rechteckblock nach vorne, und der Tabernakel darüber ist durch ein nach oben weisendes, weit über die Abschlusskante des Aufbaus hinausragendes, spitzes Dreieck als bedeutender liturgischer Ort gekennzeichnet.
Von der Saarbrücker Kaufmannsfamilie Nikolaus Weißgerber gestiftet, wurde der Hochaltar von Hans Herkommer entworfen, von Emil Sutor, Bildhauer aus Karlsruhe, plastisch bearbeitet und von der Firma Villeroy & Boch in Dänischburg bei Lübeck ausgeführt. "Was die Geeignetheit farbiger Majolika für einen Altar besonders ausmacht, ist die Verbindung von Farbe und Form. Durch die Wahl der Farben fügt sich der Altar in die vorhandene Umgebung, es ist eine Anpassung an Vorhandenes möglich, wie es sonst kein Material zulässt." (Echelmeyer, 1926, S. 11) Aus dem feierlichen Blau des Grundtones hebt sich der figürliche und ornamentale Schmuck in zartem Grün, in Gelb und Rot ab. Die Felder zwischen den sieben Tragpfeilern sind zu sieben Nischen geformt. Sechs von ihnen werden durch große durchbrochene Dreiecke gefüllt und jeweils von einem Apostelpaar flankiert. Das siebente Feld "in der Mitte über dem Opfertisch ist als Tabernakel mit darüber liegender Expositionsnische ausgebildet" (Echelmeyer, 1926, S. 9).
Während den Sockel rundum das immer wiederkehrende Motiv einer Distel schmückt, überzieht die Vorderseite des Altars eine bildliche Darstellung aus dem Alten Testament: das Opfer Abrahams mit Opferlamm, dem kniend gefesselten Isaak, dem zur Tötung bereiten Abraham, den nur die Gesten von Engel und Gottvater daran hindern. Die Schmiedearbeiten der Türen des Tabernakels zeigen die Verkündigung. Auf der einen ist Maria zu sehen, auf der anderen der Erzengel Gabriel, begleitet von den zwölf Aposteln, die "als wachsame Wächter den Altar rings umstehen." Der Altar ist zudem reich geschmückt mit Blumen, Vögeln, kleinen Engeln, Bilder einer paradiesischen Welt, zu der auch die Taube mit dem Ölzweig als Sinnbild des Friedens gehört. Sämtliche Bildmotive des Altars haben symbolische Bedeutung, die sich mit den Darstellungen des großen Glasfensters zu einer ikonografischen Gesamtschau verbinden.
Ein Rundgang
Unter dem Altarraum erstreckt sich wie in romanischen Domen die Krypta, deren gelbe und violette Farbgebung eine mystische Stimmung auslösen kann. Jedoch ist hier jetzt die orthodoxe Gemeinde zu Gast und sie ist vollgestellt mit Ikonen. Zur Entstehungszeit verbarg sich der Abgang hinter einer halbrunden Kommunionbank, die, kostbar geschmückt mit einem geschmiedeten, vergoldeten Gitter, Chor und Laienraum des Schiffes verband. Den Eingang betonten "zwei prächtig gelungene handgewebte Teppiche nach Entwurf von Frl. Beißwenger-Stuttgart mit dem Inhalt ‚Verkündigung Mariens‘ und ‚Anbetung der hl. drei Könige‘." (Festschrift, 1924, S. 45) Heute führt der Weg hinunter an einem Bildrelief "Heilige Familie" und einer kleinen "Madonna mit Kind" vorbei.
Die beiden schlichten Seitenaltäre an der Stirnwand des Längsschiffes ordnen sich dem Chorensemble unter, sind aber durch Altarfiguren und Andachtsbilder unübersehbar: einerseits einem Teppich, andererseits einer zierlichen Konsolstatue. Sie zeigt "Maria als Königin" mit segnenden Händen und erinnert in Form und Duktus an die Jungfrauen im Gewölbe. Sie ist vermutlich ebenfalls eine Arbeit von Franz Lorch.
Die Eingänge zur Sakristei in der südlichen Chorseite und zur kleinen Kapelle in der gegenüberliegenden Seite greifen das Palladiomotiv auf. Die Kapelle schmiegt sich an die Nordseite des Chores. Einst Marien- und Taufkapelle, wird sie heute für die Taufe nicht mehr genutzt. Der Liturgie entsprechend, erwartet den Besucher und Gläubigen das Taufbecken am Eingang. 1924 schmückte den Altar in der Kapelle eine kleine Figur, die "Königin Mutter mit dem Kinde", eine "hoheitsvolle, edle Arbeit" des Bildhauers Franz Lorch. Den Raum aber beherrschte damals das große "Johannisfenster", "ein monumentales, reifes Werk von Maler Kuhn, Stuttgart", das die Taufe Christi im Jordan darstellte. (Festschrift, 1924, S.48) Das heutige Fenster ist Maria gewidmet.
In einer Kapelle des rechten Seitenschiffes ehrt ein Altarrelief die "Heilige Therese von Lisieux". Acht Stationen aus ihrem Leben hat der Bildhauer Berthold Müller-Oerlinghausen feinfühlig in leicht abstrahierender Form dargestellt.
Der "Josefsaltar" im Querschiff wird nicht mehr genutzt. Vierzehn Kreuzwegstationen verteilen sich im Rund an den Seitenschiffwänden und sind ebenso beachtenswert wie die kunstvoll geschmiedeten Wandleuchten, die Apostelleuchter, in denen die Anfangsbuchstaben von pflanzlicher Ornamentik umgeben sind. Sie wurden, wie alle Kunstschmiedearbeiten, von den ortsansässigen Firmen Wehlen und Bergem gearbeitet.
Der leuchtenden Farbenglut des Altarfensters ordnen sich Kirchenfenster aus hell getöntem oder gefärbtem Antikglas unter. Die großen hohen Fenster im Querschiff sowie die Obergadenfenster sind mit ihrem abstrakten Muster in hellbraunen, hellorangenen und hellvioletten Tönen gehalten und harmonieren mit der farbigen Fassung der Architektur. Die runden Glasfenster der Seitenschiffe wurden von Gabriel Loire aus Chartres geschaffen und beeindrucken seit 1955 mit ihrer blauroten Farbigkeit.
Beim Eintritt in die Kirche hatten Chor und Altar den Blick des Besuchers angezogen, erst beim Verlassen entdeckt er die Orgel auf der Empore. Sie ist zwischen die Türme eingebaut und verbirgt ihre Technik fast vollständig hinter einer jalousieartigen, filigranen Holzverkleidung, die wirkungsvoll die Westwand der Kirche belebt und die expressionistische Formgebung Herkommers vollendet. Seit 1925 füllen die Klänge der Orgel, einem Werk der Gebrüder Späth aus Ennetach-Mengen, den Kirchenraum. Im Zweiten Weltkrieg beschädigt, anschließend vernachlässigt, wurde sie erst 1983 grundlegend renoviert und erfreut seither in Gottesdienst wie Konzert die Hörer.
Herkommers Kirche St. Michael in Saarbrücken erregte Aufsehen und, obwohl sie in der einschlägigen Literatur immer beachtet wurde, machte den Architekten erst die wenig später errichtete Frauenfriedens-Kirche in Frankfurt berühmt, bei der er Gestaltungselemente wie etwa die farbige Ausgestaltung übernahm.
Edith Cartellieri beschrieb 1930 deren Wirkung in St. Michael: "Große ruhige Formen, klare Gliederung der Flächen und Betonung durch ein harmonisches Farbenspiel wirken durch ihre Echtheit und Vornehmheit als geschlossenes Ganzes, ohne jede überflüssige Schmuck und Zierform. Die Macht des Ausdruckes, geistig Abstraktes hat hier im Kampf der Kräfte die Oberhand über das sinnlich Dekorative gewonnen."(Cartellieri, 1930, S. 35) Willy Fuchs-Röll und andere wiederum betonen die "bemerkenswerte Beherrschung von Farbe und Form". (Fuchs-Röll, 1925, S. 152)
St. Michael wurde im Krieg beschädigt, Dach und Kirchengewölbe durchschlagen, die Wand zwischen Chor und Sakristei zerstört.
Unmittelbar nach Kriegsende wieder aufgebaut, war die Kirche 1948 unter der Leitung von Architekt Guckelsberger und Baurat Hoferer wiederhergestellt. Seit November 1953 lassen sechs neue Bronzeglocken – die ersten Nachkriegsglocken in Saarbrücken – ihr feierliches Geläut ertönen, nachdem die Glocken der Erbauungszeit eingeschmolzen werden mussten. 1955, nach dem Einbau der Kirchenfenster von Gabriel Loire, war der Wiederaufbau vollendet. 1970 gestaltete Prof. Günter Kleinjohann, Trier, den Chor neu. Den nachkonziliaren Forderungen entsprechend, wurde ein neuer Opferaltar in das Querschiff vor die Kryptawand und damit näher zur Gemeinde aufgestellt. Bis 1974 wurde die Krypta umgebaut, das Dach erneuert, Kriegsfolgeschäden beseitigt. (vgl. Meiser, 1974) Die stark verschmutzte, bemerkenswerte Farbgebung sollte "nach Möglichkeit wiederhergestellt werden". (Böker, 1998, S. 144) Wie weit das gelang, können nur Konservatoren beurteilen. Nach Abbildungen und Beschreibungen schien die ursprüngliche wesentlich intensiver, die heutige zarter und heller. Nach wie vor ist der Eindruck jedoch ein überwältigender, den das indirekte Lichtkonzept der Firma Bartenbach unterstützt. Die Kirche ist weitgehend in Ursprungsform und -detail erhalten, wenn auch heutigen liturgischen Anforderungen angepasst. Altar und Lesepult stehen leicht erhöht nicht in der Mitte, führen jedoch in das Kirchenschiff, das zusammen mit der faszinierenden Choranlage ein Gesamtkunstwerk bildet.
Marlen Dittmann
Bibliografie
Archivalien
Redaktion: Oranna Dimmig, Claudia Maas, Christine Koch
Privatpersonen | Schüler*innen, Studierende | Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen | |
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je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: