Werner Constroffer – Themen und Formen
Werner Constroffer entwirft in seinen künstlerischen Arbeiten gleichermaßen sensibel-zurückgenommene wie auch einnehmend-präsente Welten und Situationen; er visualisiert fragmentierte Alltagswahrnehmungen als komplexe Chiffren, die eigentümlich ungewisse Bildgestaltungen hervorbringen. Dabei lassen sich in der zeitlichen Abfolge voneinander zu trennende Werkphasen nur schwerlich bestimmen. Vieles geschieht simultan. Bestimmte zentrale künstlerische Anliegen werden immer wieder aufgegriffen, neu formuliert, verworfen, beiseitegelegt und Anderes wird begonnen.
Im Rahmen dieses permanenten Schaffensprozesses verdichten sich Themen als existenzielle Notwendigkeiten und drängen zur bildlichen Verwirklichung. Werner Constroffer spricht diesbezüglich von seinen „Kopfzimmern“, in denen Themen, Erfahrungen und Erlebnisse als innere Prozesse gespeichert sind, die dann wiederum als bildliche Erfahrung in nicht-rational bestimmten Raumgefügen Gestalt gewinnen. Die aus den „Kopfzimmern“ hervorgehenden Bilder formulieren eine innere Architektur ohne tektonische Ordnung und geben als unstete, labile Formationen intuitiv-gestische Szenarien wieder.
Das den Menschen in seiner Lebenswirklichkeit existenziell Betreffende ist eines der in immer variierender Bildgestalt realisierten Haupthemen in den Arbeiten von Werner Constroffer. Dabei kann die menschliche Figur gleichermaßen als konkretes Motiv wie auch als bildmetaphorisches Element eine Rolle spielen, aber auch andere Motivhorizonte werden hierfür fruchtbar gemacht – die Landschaft etwa, seit der deutschen Romantik Ausdrucksträger für innere Gestimmtheit und Objekt transzendenter Aufladung. Dazu treten grafisch-abstrakte Farb-Formkorrelationen, die über die atmosphärische Potenzierung in der Bildrezeption eine emotionalisiernde Qualität erzeugen.
Seit dem Beginn der Arbeit als Freier Künstler in der Mitte der 1980er Jahre ist die Beschäftigung mit menschlich-lebensweltlichen Erfahrungshorizonten eine prägende Konstante im Werk von Werner Constroffer. Dabei überwiegen zunächst flüchtige Alltagsbeobachtungen und fragmentarische Darstellungen von Welt und Natur mit vorrangig grafisch-abstrakten sowie verrätselt ornamentalen Zügen, die in ihrer Zeichenhaftigkeit gleichermaßen Dokumentation von Erlebtem wie auch Reaktion auf Erfahrenes darstellen (Ausstellungskatalog Saarländisches Künstlerhaus Saarbrücken 2008).
Ab 2009 verdichtet sich diese biografisch bestimmte, innere Kartografie vermehrt im Sujet der menschlichen Figur, die die Bildwelt in besonderer Weise sensibel für die Betrachtungswahrnehmung werden lässt. Der Leib oder auch die fragmentierte Dekonstruktion des Leibeszusammenhanges erzeugt im Bildraum ein Gegenüber, das als Identifikationspotenzial die Qualität der Betrachtung leitet.
Sofern der Mensch in den Bildern erscheint, ist der Raum bei Werner Constroffer ein Lebensraum und in Verbindung mit der menschlichen Figur ein Erfahrungsraum. Dabei ist die Relation von Figur und Raum von übergeordneter Bedeutung. Der Raum kann verstanden werden als etwas vom figurativen Motiv Hervorgebrachtes, als Eigenschaft, die wesentlich mit der Figur verbunden ist. Dunkle Silhouetten erscheinen vor einem farbig gehaltenen, transparenten Bildgrund. Seltsam ortlos und unbestimmt entfaltet sich Constroffers Bildpersonal in nicht näher definierten, beängstigend unsicher scheinenden Räumen. Auch wenn hierbei paraphrasierende Andeutungen eine Bezugnahme zur wirklichen Dingwelt ermöglichen, erreicht die Situation nie die gefestigte Formulierung einer äußeren Realität.
Die Thematisierung innerer Erlebnisprozesse erfolgt in einer jüngeren, zwischen 2011 und 2015 entstanden Werkgruppe, indem Werner Constroffer weitgehend auf figürliche Motive verzichtet. In der Abkehr von der Figuration zugunsten einer freien, assoziativen Bildgestaltung entstehen fluktuierende Konstellationen der kompositionellen Elemente, die den Ereignisraum des Bildes unbestimmt in der Schwebe halten. Dabei überwiegen in den aktuelleren Arbeiten landschaftliche Anklänge und eine meditative Gestimmtheit, die durch eine zum Teil formal reduzierte kompositionelle Ordnung motiviert wird. In der Konstellation von offen gehaltener, diffuser Raumlandschaft und sich materiell verdichtender Farbpräsenz vermitteln sich emotionale Zustände, die innere Bildwelten eröffnen und den Betrachter so unmittelbar erreichen. „Das Gelebte“, wie der Künstler selbst sagt, „drückt sich in immer anderen Formen aus.“
Es entstehen im Potenziellen verbleibende Naturmetaphern, die an die Wasseroberfläche eines Sees denken lassen, in dem sich Weltelemente spiegeln, allerdings nicht so, dass sie klar und benennbar Erscheinung gewinnen, sondern vielmehr im Ungewissen verbleiben und so das Rätsel des Bildes als solches belassen. Auch hier zeigt sich ein gewisser Modus von formaler Auflösung, von Labilität und Unbestimmtheit, die sich jedoch nicht ins Abgründige steigert, sondern über die Schönheit der Farberscheinung das Prekäre der Situation konterkariert.
Im Rahmen dieser Werkphase finden sich ebenso, gleichsam als Suche nach Ordnung in der Auflösung, Aspekte der Verfestigung. Horizontalen, Bahnenstrukturen und weitere geometrisierende Formationen durchdringen die gestisch motivierte Bildsituation und generieren neue kompositionelle Koordinaten. Bedeutsam für die neuesten Arbeiten ist hierbei eine Werkgruppe in formaler Reduktion. In eine aquarellartige Grundgestaltung in Grau- und Gelbtönen sind schlichte Motive eingetragen – Rechtecke, horizontale Bahnen; „einfache“ Kompositionen, die das Aufwühlende vorangegangener Arbeiten in eine beruhigte, kontemplative Bildform überführen.
Ausgehend von dieser Werkreihe gelangt man zu Arbeiten aus den Jahren 2014 und 2015, in einem für Werner Constroffer eher ungewöhnlichen, großen Format. Diese Malereien auf Tyvek-Folie zeigen in der Rückführung auf geometrische Basisformen wie Kreis oder Rechteck eine ausgesprochen hohe formale Strukturierung.
Insbesondere dem Kreis kommt hierbei, neben dem formal-kompositionellen Aspekt, eine besondere inhaltliche Bedeutung zu. Als Symbol für Ganzheit, Gleichgewicht und Harmonie gilt die Kreisform seit der Antike als Grundelement einer göttlichen Ordnung. Im Zen-Buddhismus ist die Kreisform als Enso, einem Symbol aus der japanischen Kalligrafie, mit Begriffen wie Erleuchtung, Stärke, Eleganz und Leere verbunden. Das Malen des Enso stellt nach Auffassung des Zen-Buddhismus einen Moment dar, in dem das Bewusstsein frei ist und Körper und Geist nicht in ihrem Schaffensprozess eingeschränkt werden.
Werner Constroffer entwickelt den Kreis als zentrales Motiv einer Werkgruppe. Kreisflächen bauen sich in verschiedenfarbigen Scheiben auf, werden überlagert und durchdrungen von horizontal durch das Bildfeld geführten Bahnen, die in das Kolorit der Kreisscheiben hineinwirken und so Mikrostrukturen erzeugen, die die „vollkommene“ Form relativieren und ausschnitthaft werden lassen. Dieser Aspekt der Fragmentierung zeigt sich gesteigert bei Arbeiten, in denen sich überlagernde Kreissegmente das Bildfeld als dichtes Geflecht strudelnd durchweben. Jedoch sind auch hierbei bildimmanente Ordnungssysteme wirksam, in zugleich das Prozesshafte der künstlerischen Arbeit deutlich wird.
Eine Arbeit zeigt einen zunächst strengen Aufbau aus vier verschiedenfarbigen Rechtecken, die von vier roten, diagonal ins Bildfeld gesetzten Kreissegmenten so überformt werden, dass eine sich überkreuzende mandelförmige Struktur entsteht, die wiederum begleitet wird von konzentrischen Kreisfragmenten in einem matten Gelbton. Diese Elemente werden dann überzeichnet von parallel geführten gelben Farbbahnen, die die Höhe des Bildfeldes durchmessen. Die unterschiedlichen grafischen Elemente werden zusammengefasst durch die diagonal angeordneten roten Kreissegmente, die gleichsam an den Eckpunkten des Bildes verankert sind und leitmotivisch die divergenten Ordnungssysteme integrieren.
In einer anderen Arbeit füllen drei sich überlagernde grüntonige Kreisformen Breite und Höhe des Bildfeldes so, dass die Ränder tangential an die Bildgrenzen heranreichen. In der Überschneidung der Kreise entstehen Binnenformen, die sich als Nukleus der weiteren formalen Entwicklung öffnen und ein Bewegungspotenzial in die Komposition einbringen. Einerseits expandiert die Formentwicklung pulsierend zu den Bildgrenzen hin und über diese hinaus, andererseits erfolgt eine Konzentration hinsichtlich des Bildzentrums. Diese ambivalent-bipolare systemische Struktur wird akzentuiert durch in rhythmischer Setzung eingebrachte vertikale Farbbahnen, die das Sequenzielle der dynamisch verstandenen Motiventwicklung unterstützen.
Über die engere Formgestaltung und -variation hinausgehend bindet Werner Constroffer die Kreiselemente auch in erweiternde Kontexte ein. Als landschaftsanaloge Bildformen zeigen sich einige Arbeiten, in denen eine Horizontlinie erscheint. Eine zunächst wahrgenommene räumliche Tiefenentwicklung wird jedoch unmittelbar in Frage gestellt durch vertikal verkaufende Bahnen, die zum Teil den „Horizont“ übergreifen und so den suggerierten Tiefenraum wieder an die Bildfläche binden. Dennoch entfalten diese Kompositionen eine Anmutung surreal-welthafter Szenarien, in die die Kreismotive wie Zitate des Welthaften selbst – gleichsam wie Planeten, wie eine Metapher des Kosmischen, das dem Kreis kulturgeschichtlich inhärent ist – involviert.
Auffallend bei diesen Arbeiten ist die überwiegend heitere und leuchtend-plakative Farbigkeit, die inspiriert ist durch die Beschäftigung mit dem japanischen Farbholzschnitt ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, insbesondere mit den Werken der Meister Utagawa Hiroshige und Katsushika Hokusai. Analog zum klassischen japanischen Farbholzschnitt, für den das Fehlen von Licht- und Schatteneffekten sowie von räumlich illusionierter Tiefe kennzeichnend ist, zeigen sich auch in den Arbeiten von Werner Constroffer die genuinen Bildkomponenten als farbig gefüllte Flächenelemente, die weniger die naturgetreue Wiedergabe des Sujets, sondern vielmehr die wesenhafte Darstellung einer Situation oder Empfindung thematisieren.
Werner Constroffers malerische und grafische Arbeiten bewegen sich somit in permeablen Grenzbereichen zwischen erlebter Wirklichkeitswahrnehmung und ebenso hypothetischer wie auch konkreter Erfahrungsbeschreibung. Es sind betrachtungsintensive Objekte, deren Gestaltreichtum sich erst in der angemessenen Betrachtungsdauer erschließt und deren künstlerisch formulierte, metaphorische Bezugnahme auf Lebens- oder Seinssituationen ihre Entsprechung in der Schicksalserfahrung der Rezipienten finden.
Andreas Bayer
ursprünglich publiziert in: Werner Constroffer, Arbeiten 13/ 14/15, Saarländisches Künstlerhaus Saarbrücken e.V., Saarbrücken 2016
Redaktion: Doris Kiefer
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