“... ich habe keine ausgesprochene Architekturtheorie, es sei denn die, möglichst gut und schön zu bauen.“
Professor Gottfried Böhm, einziger deutscher Pritzker-Preisträger und mit vielen weiteren Ehrungen ausgezeichnet, entstammt einer alten Baumeisterfamilie. Der Großvater gründete 1867 ein Baugeschäft, dem Vater, Dominikus Böhm, hat der Kirchenbau des 20. Jahrhunderts wegweisende Beispiele zu verdanken. So wurde dem Sohn die Architektur von Kindesbeinen an ein vertrautes Terrain und es ist kaum verwunderlich, dass auch er, der ursprünglich der Bildhauerei zuneigte, seine Berufung im Bauen fand. Seit mehr als 60 Jahren prägen nun seine Bauten das Land. Gottfried Böhm, am 23. Januar 1920 in Offenbach geboren, studierte ab 1942 zunächst an der Münchner Akademie Bildhauerei, um sich dann an der Technischen Hochschule der Architektur zuzuwenden und diplomierte noch vor Kriegsende 1945 bei Hans Döllgast. 1948 trat er in das väterliche Büro ein, das er nach dessen Tod 1955 übernahm. Er begann wie sein Vater als Kirchenbauer, beeinflusst von dessen Gedankengut und den daraus entwickelten architektonischen Gestaltungen. Noch heute spricht er verehrend von ihm. Bis weit in die 1960er Jahre schuf Gottfried Böhm annähernd 70 Kirchen.
In der ersten Nachkriegszeit beschäftigten Böhm vor allem Wiederaufbau oder Erweiterung von Gotteshäusern. Vater und Sohn erweiterten gemeinsam die Liebfrauenkirche in Püttlingen (1952-54), “eine der originellsten und die Liturgie berücksichtigenden Kirchenerweiterungen.“ (Schnell, 1973, S. 91). Für die kleine heute in den Museumsbau von Peter Zumthor integrierte Kapelle St. Columba in Köln (1947-50) hingegen zeichnet Gottfried Böhm allein verantwortlich. Eine noch in der Münchner Zeit entwickelte Rabitz-Gewebedecke, eine zeltartig hängende Membran, bestimmte den Raum. Eine ähnliche Deckenkonstruktion hatte er zunächst auch für die Kirche St. Albert auf dem Saarbrücker Rodenhof vorgesehen. Sie trat an die Stelle einer kriegszerstörten und ist Böhms erster saarländischer Bau. Ein vom Vater für St. Albert auf Wunsch des damaligen Pastors schon 1945 ausgearbeitetes Projekt genügte den Ansprüchen der Gemeinde nicht, sehr wohl aber der ab 1950 von Gottfried Böhm vollständig neu konzipierte Vorschlag. Anfängliche Einwände der Regierung des Saarlandes konnten mit einem Gutachten durch das städtische Bauamt ausgeräumt werden:
“Bei der Betrachtung der Entwurfszeichnung fällt sofort die überzeugende Klarheit der städtebaulichen Lösung, wie auch der Gestaltung der Grund- und Aufrisse ins Auge. ... Kirche und Turm werden der gesamten baulichen Umgebung Halt geben und das Stadtbild durch eine reizvolle Silhouette bereichern.“ (Gemeindebrief Kirche St. Albert 1974-79, 1979, S. 9) Diese Einschätzung bestätigt sich bis heute. Die Zweifel über die Urheberschaft beendete Dominikus Böhm. “Wie Ihnen schon immer bekannt ist, stammt der Entwurf und die Durcharbeitung desselben allein von meinem Sohn. Ich bin daher unter keinen Umständen einverstanden, dass dieser Bau mit meinem Namen in Beziehung gebracht wird. Ich kann das mit meinem Gewissen nie vereinbaren,“ schrieb er an Pastor Massing. (Gemeindebrief, 1979, S. 43)
Auf einem Eckgrundstück, umgeben von einer Gartenanlage, breitet sich eine Komposition aus Einzelelementen aus: eine geschlossene Pergola dient als Eingangshalle und verbindet Kirchenschiff und Taufkapelle, einen kleinen Rundbau zwischen den Strebepfeilern des freistehenden Glockenturmes. Dazu kommen Pfarrhaus und Gemeinderäume. Der an der Straßenecke positionierte weithin sichtbare, 30 m hohe Turm beherrscht das umliegende Wohngebiet. Diagonal dazu schiebt sich die Kirche in die Grundstückstiefe, verbirgt sich zunächst, umso mehr überrascht ihre außergewöhnliche Baustruktur.
14 kühne Strebepfeiler aus Beton erinnern an das Pfeilersystem gotischer Chöre. Sie umstehen als äußerer Ring den Baukörper und schwingen sich 17 m hoch zur Stahlbetonkuppel des gläsernen Tambours, der asymmetrisch in die dünne kegelförmige Dachschale eingeschnitten ist. Das Dach hängt an den Strebepfeilern, während die fensterlosen, aus roten Ziegeln gemauerten Außenwände der Kirche keine statische Funktion übernehmen. Sie sind einzig bergende Hülle.
Auch in dem kühnen Neubau von St. Albert bewahrt Böhm die Spuren der Vergangenheit. In die dicken Außenwände der kreisförmigen kleine Krypta unter der Kirche wurden nicht nur Fundamente des Altbaus einbezogen, sondern auch sämtliche 70000 Mauersteine stammen von der zerstörten Kirche.
Zwei ungleich große Ellipsoide formen den ovalen, in sich geschlossenen Grundriss der Oberkirche. Das Oval verdeutlicht den Zentralraumgedanken, definiert gleichzeitig durch die ihm innewohnende Längsausrichtung eine Mittelachse. Diese markiert den Weg zum Altar, verhindert aber nicht den zentrierenden Zusammenschluss der Gemeinde um den Tisch des Herrn. Betritt man diesen weiten, fast schwerelos wirkenden Kirchenraum, fühlt man sich von ihm umhüllt, dabei magisch angezogen von der Lichterfülle, die auf den Altar herabströmt. 14 schlanke Stahlsäulen umstehen kreisförmig die um eine Stufe erhöhte Altarinsel und tragen einen hohen überkuppelten Tambour, der wellenartig in die gewölbte Decke einschneidet. Dahinter rückt die kostbar ausgestattete Sakramentskonche ins Blickfeld, Endpunkt der Wegeachse. Eine polierte schwarze Marmorkugel bewahrt den Tabernakel. Ihre abgeschliffene Rückseite durchdringt das Mauerwerk der Konchen-Außenwand, die aus den Sandsteinen der Vorgängerkirche gemauert wurde. Die Tambourverglasung aus zwei Sorten farblosen Industrieglases ersetzen seit einer Sanierung in den 1980er Jahren farbige Glasfenster mit gegenständlichen Darstellungen nach einem Entwurf von Hubert Schaffmeister. Böhms Kuppelbild blieb erhalten: in der Mitte das Kreuz als Quelle der Gnade, weiße Linien symbolisieren die Dreieinigkeit. Das einströmende Tageslicht wandert an der Decke entlang, lässt sie wie irreal erscheinen und schützt als ein imaginärer aus Licht geformter Baldachin den Altar im Zentrum. Er ist die einzige Beleuchtungsquelle in dem leeren Raum, der die Gemeinde wie in einer Höhle birgt, sie von der Betriebsamkeit der Außenwelt distanziert. In eine fließende Bewegung gerät auch die raumumschließende Wand mit ein- und aus schwingenden Nischen für Altäre, Beichtstühle und Orgel. Diese Dynamik, die Wände, Boden und Decke erfasst, setzt sich fort in der gewellten Decke der Eingangspergola, dem so genannten Paradies, und findet einen erneuten Höhepunkt in der Velo-Decke der Taufkapelle, deren Faltenreichtum Böhm mit seiner Konstruktion der Gewebedecke erreichen konnte.
Um viele Stufen vertieft geht die runde Taufkapelle mit dem Altar eine unsichtbare Achse ein. Im Zentrum steht der Taufbrunnen aus rotem Sandstein, eine Taube schwebt von der Decke herab. Durch die Velo-Decke schimmert farbenfrohes Licht, das durch ein schmales Glasband im oberen Mauerwerk hereinfällt und die Farben der christlichen Kunst symbolisiert. In der Einweihungsschrift beschreibt Gottfried Böhm die bewusste Abfolge der drei Bereiche – Kirche, Atrium und Taufkapelle: “Zwischen Taufkapelle und Kirche ist ein Atrium gegliedert als Eingangs- und Vorbereitungsraum zum Kirchenraum sowie zur Taufkapelle. Die Dachfläche dieses Vorraumes verläuft in Wellenlinien, die das Wasser und somit die Reinigung symbolisieren. Das Durchschreiten des Atriums ist gleichsam der Gang durch das reinigende Wasser, das vom Taufbrunnen ausgeht.“ (Kahle, 1990, S. 194) 30 Jahre später bezeichnet er den Bau als “ein recht typisches Beispiel der Einstellung der fünfziger Jahre. ... Es liegt dieser Zeit der Wunsch zu Grunde, mit dem Krieg alles, was nur traditionell überliefert war, abzulehnen und sich auf die unverfälschten Ursprünge und -zustände zu besinnen. In Saarbrücken war der Wunsch vorherrschend, im Bau ausschließlich das darzustellen, was in der zeitgemäßen Liturgie wichtig erschien. So wurde der Raum allein auf das Abendmahl hin konzipiert. Er sollte die Gemeinde darstellen, wie sie sich auch ursprünglich um den Tisch des Herrn versammelt hat.“ (Raev, 1988, S. 80)
Im Rückblick 2009 äußert sich Böhm zur Entstehungsgeschichte: “Der Einfluss des Vaters hat eine große Rolle gespielt, den ich als junger Kerl so schätzte, weil er neue Wege ging.“ In St. Albert “verbindet sich das konstruktivistische mit einem neuen Offensein in der Formgebung. Begeistert hat mich auch die Einstellung des Pfarrers zur Gottesdienstfeier, damals war die zentrale Feier noch nicht üblich. Später bin ich dann wesentlich ruhiger geworden, ich wollte strenger bauen.“ (Interview mit der Verfasserin 2009) Die kühne Konstruktion und die spannungsgeladene Komposition von St. Albert hat Böhm kein zweites Mal angewandt. Wenige Jahre später charakterisieren strenge Kuben, Zylinder und Kegel seinen Kirchenbau und die einzelnen Baukörper gruppieren sich häufig um einen ummauerten Innenhof, in großartiger Weise in der Pfarrkirche Herz-Jesu in Schildgen (ab 1956) realisiert.
Fast gleichzeitig mit St. Albert baut Böhm St. Hildegard in Sulzbach-Neuweiler (1952-55). Diese Kirche gewinnt ihre besondere Gestalt ebenfalls aus der Deckenkonstruktion. Denn gleichzeitig mit Hängedach und Schalenkonstruktion konzipierte Böhm eine innovative Deckenlösung über weit gespannten Stahlbetonrahmen. Er nutzte sie bei drei Projekten: St. Hildegard, St. Konrad in Neuss (1953-59) und St. Anna, Köln-Ehrenfeld (1954-56). Dabei verbreitern sich V-förmige Stützen nach oben, sind mit Balken oder Riegeln zu steifen Rahmenecken verbunden, und verjüngen sich nach unten, wo sie auf unbeweglichem Fundament gelenkig gelagert sind. Auf diesen Rahmen ruht die Decke. Der lange Baukörper von St. Hildegard ist zwischen zwei Straßenzeilen auf einem abfallenden Hang in die Ortsbebauung eingebunden und, damit sich ein Vorplatz bilden kann, aus der Front zurückgenommen. So versteckt sich der flach und klein erscheinende Bau zwischen den Nachbarn. In der unteren Straßenansicht dagegen wächst er mit seiner gebogenen Chorwand zu monumentaler Größe und Höhe. Manfred Speidel bezeichnet St. Hildegard als eine “wahrhaft städtische Kathedrale…wie ein Riesentier legt sich der am Eingang niedrige und fast unscheinbar beginnende Bau über den Hügel, zu einem majestätischen Schild hochgereckt.“ (Speidel, in: Voigt, 2006, S. 100) Ursprünglich schloss sich der Glockenturm an die seitlich angebaute Sakristei an und überragte 30 Meter hoch die Nachbarbebauung. Er musste aus statischen Gründen 2005 abgerissen werden, das wegweisende Symbol fehlte fortan. Doch Gottfried Böhm entwarf einen neuen Turm, einen Campanile als 16 m hohe offene Stahlkonstruktion, die in einigem Abstand frei vor dem Kircheneingang steht. Das Untergeschoss ist als Portal ausgebildeten, darüber stufen sich abgetreppt vier Glockenräume in die Höhe. Die aus Schallschutz-Gründen holzverkleideten Seitenwände wie auch die Untersicht bemalte Böhms Sohn Markus. Der Weg der Kirchenbesucher, auf dem Vorplatz noch ausgeweitet, wird eingeschnürt durch das Turmportal, weitergeführt zum Eingang der Kirche, gelangt dort zunächst in einen Windfang, darauf in eine Art Vorraum, den die beiden frei im Raum stehenden Stützen aus dem Kirchenschiff ausgrenzen, um dann geradezu hinein gesogen zu werden in den trapezförmigen Saal direkt auf den Altar zu. Die Raumkonstruktion unterstützt diese zielgerichtete Perspektive, denn die seitlichen Kirchenwände verengen sich von 18 m am Eingang auf 14 m am Chor. Die bogenförmigen Riegel, die die leicht gekrümmte Betonschale des Daches tragen, zeichnen diese Bewegung nach, schwingen sich über dem Altar hoch hinauf. So steigt die im Vorraum zunächst niedrige Raumhöhe bis zur konkav geschwungenen Chorabschlusswand aus rotem Naturstein stark an und hebt den um sechs Stufen erhöhten Chor seiner Bedeutung entsprechend hervor. Durch seitliche, raumhohe Glasflächen sowie ein Fensterband unter der Decke fällt in Blautönen gefiltert das Licht, taucht den Chor in milde Helligkeit, löst die Chorabschlusswand aus dem Gesamtgefüge und verbindet sich mit ihr zu einem Himmelsbild. Diese mundgeblasenen Glasfenster sind nach einem Entwurf von Böhm ausgeführt.
In der Kirche wurde vieles verändert, doch das grundsätzliche Raumkonzept mit seiner leisen, ruhigen Ausstrahlung blieb erhalten. Ursprünglich stand der Altar im Chor. Die Liturgiereform verlangte die Nähe zur Gemeinde und ein neuer, kleinerer fand seinen Platz vor den Chorstufen im Gemeinderaum. Eine halbrunde Chorschranke gibt ihm rückwärtigen Halt. An beiden Seiten führen Treppen hinab in eine kleine runde Taufkapelle. Sie wird, da unbeheizbar, als solche nicht mehr genutzt. Nach Wolfgang Götz hatte Böhm hier auch keine Taufkapelle, sondern eine Krypta geplant. Als Baptisterium hatte er den kleinen, in Eingangsnähe an die Seitenwand angelehnten achteckigen Baukörper gedacht. Er wurde jedoch zur Grabkapelle von Vikar Friedrich Klein, der den Kirchenbau entscheidend voran getrieben hatte und mitten in der Bauphase 1956 plötzlich verstarb. Damals muss diese Änderung bereits geschehen sein. Heute steht das Taufbecken am Eingang und wird auch als Weihwasserbecken genutzt. Seit 1966 ersetzen große Kirchentüren von Georg Probst aus München die originalen. Die figurenreichen Glasfenster über dem Eingang wurden von dem Kölner Architekten Rolf Link entworfen und 1964 eingebaut.
Der dritte saarländische Kirchenbau, St. Ludwig in Saarlouis entstand zehn Jahre später. In der Zwischenzeit hatte sich Böhm immer stärker dem Baustoff Beton zugewandt, mit ihm die Möglichkeiten für eine freie expressive und sehr plastische Baukörper- und Raumstruktur erprobt, die er, angeregt durch die kristallinen Deckenkonstruktionen seines Vaters, aus Faltwerken entwickelte. Für ihn wie für Dominikus Böhm “war es immer das Aufregendste bei der Raumbildung das Ausgegrenzte zu überspannen.“ (Raev, 1982, S. 12) Dabei entstanden immer wieder neue Lösungen. Anfangs, in St. Fatima, Kassel (1956-60) faltete er nur die Träger der eigentlichen Decke. In der Kölner Universitätskirche (1958-66) ruht eine gefaltete Decke auf den Außenmauern, in der dortigen St. Gertruds Kirche (1960-67) gelang es ihm dann, die Decke als selbsttragende Faltwerkkonstruktion auszuführen und sie mit den Wänden zu einer in sich stabilen räumlichen Einheit zusammen zu fassen. Ihren architektonischen Höhepunkt erreicht diese Gestaltungsweise mit der Wallfahrtskirche in Neviges (1961-73), heute eine Inkunabel der modernen Architektur: der Innenraum mystisch expressiv, der Baukörper eine felsenartige Skulptur.
In die Reihe der Faltwerkkonstruktionen gehört auch St. Ludwig in Saarlouis (1965-70). Böhm hatte den ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen. Die erhaltene, denkmalgeschützte neugotische Turmfassade der abgerissenen Vorgängerkirche war zu berücksichtigen. Er schuf in Respekt vor dem Bestand ein neues Langschiff, eine große Skulptur, die, da weithin eingebaut, im Stadtraum nur mit ihrer sich auftürmenden Dachlandschaft wirkt. Direkt am Großen Markt erhebt sich auf unregelmäßigem winkligen Grundriss ein kristallin gebrochener, polygonal modellierter Baukörper, 46 m lang und 26 m breit, dessen Wände bruchlos in das faltenreiche Dach übergehen und dessen Inneres die äußere Gestalt als Negativform spiegelt.
Beim Eintritt in die Kirche umfangen den Besucher steil aufragende Betonwände und warme Dunkelheit. Die glatte, geschlossene Rückwand der Orgelempore steht frei im Raum. Angezogen wird der Blick von einem “Tor“ in der Mittelachse, dass den prachtvollen neugotischen Hochaltar in der Chornische optisch rahmt. Der Weg auf ihn zu wird zu einem Erlebnis und weckt Assoziationen an eine gotische Kirche. “Da spielt noch ein bisschen der gotische Geist herein,“ bestätigt Böhm (Interview, 2009). Auch hier durchschreitet man aus der Höhle des Vorraumes kommend, zunächst die Andeutung eines Langschiffes, begleitet von den himmelwärts aufstrebenden, vielfach gefalteten Wänden. Sie treten nach außen zurück und wieder vor, bilden Nischen, weiten den Raum und deuten einen Zentralraum oder eine Vierung an, in der leicht erhöht auf einer Insel der Opferaltar steht, um sich dann im Chor wieder zusammen zu schließen.
Analog dazu stuft sich die expressiv bewegte Decke mit Winkeln und Kanten, mit würfelartigen, kubenförmigen Austritten, Stichkappen gleich, undefinierbaren Flächen oder tiefen Einschnitten höher und höher hinauf, zeichnet als ebene Fläche in einer Höhe von 25 m die Altarinsel nach und sinkt dann steil hinab. Wände und Decke bilden eine untrennbare, plastisch gestaltete Einheit, die nicht zu erkennen gibt, welche Details konstruktiv bedingt sind und welche künstlerischen Vorstellungen entspringen. Tageslicht fällt durch sparsam verteilte, hochrechteckig-transparente Bänder, quadratisch gereihte Fenster in den Wänden und durch schmale Lichtschlitze, auf den Dachflächen verstreut. Ihre Licht- und Schattenwirkungen unterstreichen das Geheimnisvolle. Straßenlaternen nachempfundene hohe Lampen begleiten den Weg, umstehen die Altarinsel und zeichnen sie als Zentrum der Kirche, Mittelpunkt der Gemeinde aus.
Der ursprüngliche Raumeindruck ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Die von Böhm bewusst gewählten Straßenlaternen, mit denen er den Zusammenhang von Stadtraum und Kirchenraum, beides Lebensräume des Gläubigen, betont, sind durch “Flutlichter“ ersetzt. Böhm hat für St. Ludwig keine farbigen Glasfenster entworfen. Vielleicht aus Kostengründen, vielleicht aber auch, um die harmonische Vielfalt des Raumes mit seinen alten schmückenden Kunstwerken nicht zu stören, denn “manche Räume vertragen kein farbiges Licht.“ (Interview, 2009) Die ornamentalen figürlichen Darstellungen auf den farbenreichen Glasfenstern von Ernst Alt zerstören die Raumstimmung.
Seit etwa 1970 dominieren Profanbauten in Böhms Werk. Hallen und Passagen werden zum Ausgangspunkt öffentlicher Gebäude, der Zusammenhang von Innen- und Außenraum und die Verflechtungen mit dem Stadtleben zum konstituierenden Motiv. Die Godesburg in Bonn (1959-68) wird zur vielbewunderten Betonplastik, einen weiteren Höhepunkt bildet das spektakuläre Diözesanmuseum in Paderborn (1969-71) mit seiner Durchdringung von offenem aber gesichertem Innen- und städtischem Außenraum. Die Halle wird zum eingehausten Stadtraum, in höchster Vollendung zeigt sich dieses Konzept im Züblin-Haus in Stuttgart (1981-85). Gleichzeitig entwickelt Böhm ein starkes städtebauliches Engagement, mit dem er ein Gegengewicht zu den Wohnsilos der Satellitenstädte und den langweiligen Reihen der Vorstadtsiedlungen entwarf. Er möchte die Funktionstrennung überwinden und dafür die Zusammenhänge in der Stadtstruktur wieder neu beleben. Wichtig ist ihm eine erlebnisreiche Wohnumgebung, die als Ort Identität schafft. Berühmt wird er mit einem Wohnquartier in der Satellitenstadt Köln-Chorweiler (1966-74).
Die saarländischen Projekte sind kleinmaßstäbliche, fast idyllische Siedlungen, die sich mit der Natur verbinden, dem Steilhang in der Talstraße, dem grünen Anger in Dudweiler, dem Fluss am Saarufer.
Mit der Wohnbebauung Talstraße (1978-82) zeigt sich Böhms Fähigkeit, Stadträume zu reparieren und Zusammenhänge zwischen Bau und Außenraum herzustellen. Böhm hatte die Aufgabe, ein bereits projektiertes viergeschossiges Parkhaus, das an der Rückseite an einen Steilhang grenzt, mit Wohnungen und Büros zu überbauen. Wichtig war ihm dabei, die Straßenwand der Talstraße wieder zu schließen und so deren städtischen Charakter zu unterstreichen. Er stellte vor den Garagenbau eine Straßenzeile, deren hohes Erdgeschoss durch eine Arkade aufgelöst wird. Die schmale Ladenzone erweiterte er ins erste Obergeschoss. Drei weitere Etagen sind Büros vorbehalten. Unabhängig von der Straßenzeile ist das Garagendach bis zum Steilhang hin mit Wohnungen bebaut, die durch innere Wege, Vorgärten und Vorhöfe erschlossen werden. Böhm baut seine Siedlungen zwar aus Einzelelementen, doch sieht er jedes Gebäude im Zusammenhang mit dem Außenraum, mit Straßen und Plätzen. Hier verbinden sich Wohnungen und Grünzonen mit dem urwüchsigen Steilhang und der darüber liegenden Einfamilienhausbebauung.
Die Straßenfassade Talstraße, die aus rötlich eingefärbten Betonfertigteilen gefügt wurde, – der Farbe des Steilhanges – ist sowohl in der Horizontalen als auch der Vertikalen stark differenziert. Während sich die Zugehörigkeit zur Ladenzone im durchlaufenden, rhythmisch unterteilten Fensterband der ersten Etage spiegelt, bezieht sich die senkrechte Gliederung auf den Arkadenrhythmus. Ein breites Gesimsband trennt Laden-, Parkhaus- und Bürozone. Erker stoßen hervor, arkadenbreite Einschnitte ziehen sich zurück in die Tiefe, machen Platz für kleine Balkone. So wirkt Böhm der Eintönigkeit entgegen mit einer plastisch modellierten Fassade, die mit ihrem Spannungsreichtum das Bild des Straßenraumes belebt.
Die Stadtmitte-Bebauung in Dudweiler (1979-84) wurde nie vollendet. Sie variiert die in den 1980er Jahren propagierte Blockrand-Bebauung auf sehr originelle Weise. Zur Verfügung stand eine ungenutzte, langgestreckte Freifläche zwischen zwei Straßen. Das Grundstück inspirierte ihn zu einer städtebaulichen Figur in Fischform mit einem Bürgerhaus im Kopf und in der Flosse einem Geschäftsbereich, der direkt an den alten Marktplatz angrenzt. Eine Passage verbindet ihn mit dem innen liegenden grünen Anger, auf den sich die einzelnen, durch kurze Gassen kammartig erschlossenen Wohnzeilen ausrichten. Pultdächer unterstreichen die formale Strenge der dreigeschossigen Hauskuben, mit der zweiten verbindenden Bauschicht, vorgelagerten Treppen, Terrassen oder Lauben, erreicht Böhm die Lebendigkeit der Architektur und öffnet sie in je einzelne Wohnhöfe, – mit dem Nachteil, dass keine wirklich intimen, abgeschlossenen Außenbereiche entstehen können.
Das kreisförmige Bürgerhaus markiert den Ortseingang. Schichtenweise legen sich die einzelnen Funktionen um den zentralen Kern, einen viergeschossigen Bauzylinder. Er dient als Mehrzwecksaal. Die Wände sind von Logen und Balkonen aufgebrochen und erweitern den schachtartigen Raum. Assoziationen an ein Rangtheater steigen auf, aber auch an einen von Architekturbildern gerahmten Platz. Im unteren Bereich völlig fensterlos, lässt ein umlaufendes Glasband die Decke schwebend erscheinen. Gottfried Böhm hat sie mit einer überdimensionalen Traube bemalt, die aus dem Gebälk heraus wächst, so als wolle er die unsichtbare Natur illusionistisch hereinholen. Um den Zylinder legt sich als zweite Bauschicht das glasgedeckte und so natürlich beleuchtete Foyer. Spiralartig windet sich die Erschließungstreppe um den Saal nach oben. Brückenstege auf verschiedenen Ebenen erlauben den Zugang in Restaurant und Stadtbibliothek, die als eigenständige Funktionselemente an den Baukörper angedockt sind.
Im Werk von Böhm findet man mehrere Bürgerhäuser: Bocholt (1971-77) oder der Bergische Löwe in Bergisch-Gladbach (1974-78). Immer haben Mehrzweck- oder Theatersaal einen je eigenen Charakter: Er konnte dabei auf seine Erfahrungen mit dem Theaterbau zurück greifen. Dieses Thema hatte ihn erstmals 1959 beschäftigt, als Teilnehmer am Wettbewerb für ein Bonner Haus. Das Stadttheater Itzehoe baute er 1984. Sein Vorschlag zur Umwandlung des Stuttgarter Hauses wurde ebenso wenig umgesetzt wie der für das Münchner Residenztheater. Saal und Foyers des hiesigen Hauses dagegen passte er gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth 1986-87 den verlangten Funktionen an. Weitere Umbauvorschläge und insbesondere die Umwandlung des Theatervorplatzes in einen repräsentativen und gestalteten Außenraum ließen sich nicht realisieren. Auch blieben seine Überlegungen zu Hafeninsel und Malstatter Markt nur städtebauliche Etüden.
Den Höhepunkt des Schaffens im Saarland finden wir in der Wiedererweckung des Saarbrücker Schlosses zu einer Stadtkrone. Dieses Werk zählt zu den herausragenden Schöpfungen des Baumeisters Gottfried Böhm, das in langjähriger Diskussion und Auseinandersetzung mit den Bürgern seine endgültige Gestalt fand. Der respektvolle Umgang mit überkommenen Vorgängerbauten oder ihren Resten, mit Bauten in historischer Umgebung durchzieht sein gesamtes Werk. Dabei sind die Godesburg, das Rathaus in Bensberg oder die Burg Kauzenberg bei Bad Kreuznach (1969-76) damals bereits vielbeachtete wichtige Bauten.
Der Auftrag zur Sanierung und zum Um- und Weiterbau des Saarbrücker Schlosses ergab sich aus einem städtebaulichen Gutachterverfahren (1977-78), zu dem Böhm gemeinsam mit sechs renommierten Architekten eingeladen worden war. Die weitere Schlossumgebung sollte untersucht werden. Böhm beschreibt seinen Entwurf so: “Wir haben eine Überbauung der Autobahn vorgeschlagen mit einer marktähnlichen Verkaufszone, überdachten Höfen, einer Volkshochschule in Verbindung mit der alten Brücke sowie einem kleinen Bootshafen und anderen dazu gehörigen Einrichtungen. Zur Saar hin wird dieser Komplex durch eine lange Reihe von Wohnhäusern mit Gartenhöfen abgegrenzt, die eine ideale Wohnlage und zugleich eine belebte Uferzone herstellen. Alle Bauten überbrücken die riesigen Straßenflächen und lassen dabei die Zufahrten offen. Das ist eine Zukunftsvorstellung, die mit steigendem Grundstückswert immer leichter finanzierbar wird. Durch diese Planung würde der Stadtteil wieder in seiner zentralen Lage ans Ufer herangeführt und damit würde auch das Schloss deutlich zum Zentrum der Stadt gehören.“ (Raev, 1988, S. 196) Damals fand die Autobahnüberbauung keine entschiedenen Mitstreiter.
Die Rekonstruktion des Schlosses nach Stengel aber war allgemeiner Konsens, auch wenn über die tatsächlichen Möglichkeiten bereits Zweifel aufkamen. Technische und finanzielle Probleme, vor allem aber die Tatsache, mit einer Rekonstruktion eine zweihundertjährige Geschichte ungeschehen zu machen, bewogen Böhm, seine Projektpartner Nikolaus Rosiny, Klaus Krüger und Lutz Rieger neben den Plänen für die Rekonstruktion auch eine Skizze mit dem Bestandserhalt der Seitenflügel und einem modernen Mittelteil vorzulegen. Sie wurde zum Ausgangspunkt der schließlich gefundenen Lösung. “Der an dem barocken Vorbild gemessene Anspruch für den Neubau ist groß. … Das Problem besteht in der Neugestaltung des so sehr verkümmerten Mittelbaus, ohne die auch hier schon geschichtliche Situation zu zerstören. Man wünscht sich einen Mittelbau mit mehr Kraft, damit der ganze Komplex wieder Zusammenhalt und Bedeutung bekommt. … auch die höfische Trennung wird hinfällig zwischen der ‘cour d‘honneur’ vor und dem abgeschlossenen Park hinter dem Schloss. Der heutigen Nutzung entspricht vielmehr ein offener städtischer Platz vor dem Schloss und ein Gebäude mit Durchlässigkeit zum Park, der nun ebenfalls der Öffentlichkeit zugänglich ist. Daher wollen wir den Mittelbau möglichst transparent gestalten.“ (Raev, 1988, S. 200) Der neue Mittelpavillon fasst die Schlossanlage wieder zu einem U-förmige Ganzen zusammen. (Lüth, 2009, S. 125 f). Die Gestaltung des Schlossplatzes erinnert an die eindrucksvolle barocke Raumfolge aus Cour d'Honneur und Avant-Cour. Die Stelle des ehemaligen Wachhauses nimmt der von Böhm entworfene Brunnen ein. Auf der leicht ansteigenden, noblen Platzanlage führt ein streng ausgerichteter Gehweg direkt auf die gläserne Schlossmitte zu, mit der Böhm die sanierten Reste des Dihm-Baus einhaust und so die sich anschließenden Seitenflügel verbindet. Während der Ankommende sie in der Platzansicht erst hinter der mit grauen Stahlstützen stark gegliederten transparenten Fassade entdeckt, erhalten sie gartenseitig repräsentatives Gewicht und tragen als Sockel die moderne Stahlkonstruktion.
Mit dieser neuen Fassade hat Böhm sowohl Maßvorgaben des alten Schlosses aufgenommen, als auch mit Materialien unserer Zeit in eine heutige Architektursprache übersetzte formale Details. Acht paarweise angeordnete, hochaufragende Stahlstützen, horizontale, die Geschosse markierende Gesimsbänder sowie durch Verkröpfungen betonte Nahtstellen sind klassische Gliederungselemente. Dazu gehört auch die Rhythmische Travee, der Wechsel zwischen breiten und begleitenden schmaleren Feldern. Und schließlich finden wir im Barock eine schichtenweise Staffelung und Durchdringung der Fassadenelemente nach hinten. Eingänge und die Haupträume werden so herausgehoben. Böhm betont den Festsaal ebenfalls, beschränkt sich mit der Staffelung auf die mittlere Achse, wo sich die Glashaut in mehreren Schichten und über mehrere Geschosse nach vorne schiebt, bis sie auf gleicher Ebene mit den Stützen liegt. Die beiden seitlichen Achsen charakterisieren jeweils in die Fassade hervortretende Wendeltreppen. Ihr diagonal aufsteigender Sandsteinsockel verankert den gesamten Mittelbau und rahmt das in der Tiefe versteckte Eingangsportal. Die von weitem so flächig wirkende Glaswand strahlt bei näherer Betrachtung eine expressive Plastizität aus, die Böhm mit den rationalen Mitteln der Architektur gewinnt: mit Schichten, Staffeln, Überlagern. In der Eingangshalle, die Durchlass in den Garten gewährt, setzt sich das Platzpflaster fort und bestimmt mit den Fassaden des Bestandes den optischen Eindruck. Böhm verwirklicht damit erstmals die Idee einer haushohen gläsernen Halle, in die Mitte genommen zwischen massive Bauten. Im Stuttgarter Züblin-Haus weitet sie sich zu einer großzügigen Baufigur aus. Den Besucher erwartet ein System von Stegen, Treppen, Galerien, von Sichtachsen und Durchblicken, die Alt und Neu verbinden und durch das Haus führen: hinauf zum großartigen, von Licht durchfluteten Festsaal, dem Höhepunkt des Hauses. Aus seinen Fenstern präsentieren sich als eindrucksvolle Endpunkte von Sichtachsen die nahe Ludwigskirche, weit hinaus der Halberg, auf dem anderen Flussufer St. Johann. Sichtachsen bildeten die Grundlage der Stengelschen Stadtplanung, von der Saarbrücken noch heute lebt. Mit dem Blick aus den Fenstern hat Böhm sie wieder sicht- und erlebbar gemacht. Verspiegelte Wände bereichern die Blickbeziehungen, verwandeln den Saal ins Irreale, übertroffen nur noch von der Saaldecke, die Böhm, teils eigenhändig, mit Streifen, Bändern und Rahmen bemalte. Sie überlagern sich, durchkreuzen sich zu einem unentwirrbaren Bild vor schwarzem Hintergrund. Die Deutung wirft Rätsel auf, aber vielleicht äußert sich darin nur der Wunsch, wie in seinen anderen Bemalungen auch, “die Architektur schöner zu machen.
Den Südflügel des Schlosses begleitet die schmale langgestreckte Erweiterung des Historischen Museums. Der Bau, geschaffen, wieder in Zusammenarbeit mit Nikolaus Rosiny, Köln und den Saarbrücker Architekten Klaus Krüger und Lutz Rieger, beherrscht als kompakte Masse die Straße. Hinter einem gewaltigen abweisenden Sandsteinsockel verbirgt sich die Höhle des unterirdischen Sammlungsraumes. Vier große Bullaugen-Fenster lockern den rötlichen Sockel auf, der ein Gebilde aus rhythmisch aneinander gereihten, schlanken Stahlstützen trägt. Dahinter spannt sich eine vollständig geschlossene Wand aus Aluminiumblechen. Sie geht unmittelbar über in eine Art Tonnendach. Diese Konstruktion wird an den Schmalseiten zum schmückenden Element, das seine Kurvatur scharf gegen den Himmel abzeichnet und Eingangs- und Gartenansicht prägt. Die fast gewichtlos wirkende kleine Eingangsfront, vollständig verglast und nur sparsam unterteilt, drängt sich nicht ins Bild. Doch Mittelpavillon, Museum und Brunnen bilden durch die Verwendung gleicher Materialien und ähnlicher Entwurfsprinzipien einen optischen Dreiklang und schaffen ein konsequentes Schlossensemble.
Ein charakteristisches Kennzeichen der Böhmschen Architektur ist die Schaffung von Zusammenhängen. Nirgendwo an seinen saarländischen Projekten lässt es sich so deutlich ablesen wie am Schloss. Der Zusammenhang mit alter Bebauung, mit der Zeit, mit Gegenwart und Tradition ist konstituierendes Element.
Marlen Dittmann
Auswahl
Auswahl
Redaktion: Claudia Maas, Oranna Dimmig
Privatpersonen | Schüler*innen, Studierende | Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen | |
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je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: