Heinz Oliberius, Kreuzweg mit 14 Stationen, um 1968
Bronze, je ca. 40 x 40 cm
Katholische Kirche St. Andreas, Wallerfangen-Gisingen
Zu Beginn jeder künstlerischen Arbeit steht die Frage nach der Form und ihrem Verhältnis zum Betrachter oder anders formuliert: Jedes Kunstwerk zielt auf eine Reaktion des Betrachters ab, d. h. es muss eine Art Kommunikation stattfinden. Diese Ausgangsüberlegung ist gerade im Hinblick auf Kreuzwegdarstellungen von besonderer Bedeutung. Hier soll nicht nur ein biblisches Geschehen verbildlicht werden, sondern der Betrachter ist angehalten, den Kreuzweg selbst abzuschreiten und sich die Passion Christi zu vergegenwärtigen. Das "Nachempfinden" der Leiden Jesu und die Identifikation mit dem Menschensohn stehen im Vordergrund. Im Folgenden ist zu klären, auf welche Weise Oliberius dieses Thema künstlerisch umsetzt.
Grundlage der Kreuzwegstationen in ihrer heutigen Form sind die Passionsberichte der Evangelisten, wobei stellenweise Ergänzungen und Ausschmückungen vorgenommen wurden, wie etwa die Veronika-Legende (vgl. Eckmann 1968, Sternberg 2003). Andere Stellen, die in den Passionsbildern dargestellt werden, wie etwa die Geißelung, werden ausgenommen. Einzug in die Kirchen als Teil der Inneneinrichtung hielt der Kreuzweg um 1700. Eine Festlegung auf 14 Stationen erfolgte 1731, Vorgaben im Hinblick auf die bildliche Darstellung wurden allerdings nicht gemacht (Sternberg 2003, 174-175).
Im Laufe der Jahrhunderte haben sich folgende 14 Stationen herausgebildet: 1. Verurteilung durch Pilatus, 2. Kreuzauflegung, 3. erster Fall unter dem Kreuz, 4. Begegnung mit der Mutter, 5. Hilfe Simons, 6. Veronika mit dem Tuch-Abbild, 7. zweiter Fall unter dem Kreuz, 8. Begegnung mit den weinenden Frauen, 9. dritter Fall unter dem Kreuz, 10. Entkleidung, 11. Annagelung, 12. Kreuzaufrichtung/Tod am Kreuz, 13. Kreuzabnahme, 14. Grablegung.
Oliberius‘ Werk ist um 1968 datiert und damit zeitlich drei Jahre nach seinem Studium bei Hans Mettel und ein Jahr nach seinem Umzug ins Saarland zu verorten. Der Relief-Kreuzweg besteht aus 14 Stationen, die symmetrisch an den beiden gegenüberliegenden Kirchenwänden angebracht sind, d. h. die sieben ersten Stationen auf der rechten Seite, die sieben folgenden auf der linken Seite. Es handelt sich um Bronzearbeiten, die auf einem Holzuntergrund aufgebracht sind.
In seiner Komposition verzichtet Oliberius bewusst auf narrative Elemente und schmückendes Beiwerk. Er beschränkt sich bei jeder Station auf die Hauptfiguren, d. h. es wird weder die schaulustige Menge am Wegesrand, noch werden Soldaten dargestellt, so dass die Höchstzahl der Figuren auf drei beschränkt ist. In dieser bewussten Reduktion auf das Wesentliche gelingt es Oliberius die Aufmerksamkeit des Betrachters zu bündeln und in konzentrierter Form auf das Geschehen, den Leidensweg Jesu, zu lenken. Dementsprechend lässt Oliberius seine Protagonisten dem Betrachter nicht im Profil begegnen, sondern wählt mehrheitlich eine frontale Darstellungsweise und zeigt die Figuren nur selten, beispielsweise bei der vierten Station (Begegnung mit der Mutter) mit einer leichten Drehung des Kopfes, so dass sie im Halbprofil erscheinen. Auf diese Weise scheint es, als wenden sie sich direkt an den Betrachter, "sprechen" ihn direkt an und fordern ihn auf, in einen intensiven Dialog mit ihnen zu treten. Gerade diese Unmittelbarkeit in der Darstellung ist es, die bei jeder Station zum Verweilen anhält. Begünstigt wird dies durch die Anbringung der Stationen in Augenhöhe des Betrachters.
Eine Ausnahme in der Darstellungsweise bildet die neunte Station (dritter Fall unter dem Kreuz). Hier erscheint der am Boden liegende Jesus im Gebet in sich selbst versunken. Die neunte Station bildet zudem den Höhepunkt einer kompositorischen Klimax, da Oliberius in der Darstellung der drei Fälle eine Steigerung anlegt. Während Jesus beim ersten Fall unter dem Kreuz (dritte Station) kniend dargestellt wird, liegt er beim zweiten Fall (siebte Station) bereits am Boden, hält aber weiterhin das Kreuz fest und sucht Blickkontakt mit dem Betrachter. Beim dritten Fall (neunte Station) ist er unter der Last des Kreuzes zusammengebrochen. Am Boden zusammengesunken hat er die Hände zum Gebet gefaltet. Das Kreuz scheint über ihm zerbrochen, worauf der Querbalken, der unmittelbar hinter der Gestalt Jesu als Diagonale zu sehen ist, schließen lässt. Oliberius versinnbildlicht in dieser Darstellung eindringlich die Schwere der Bürde, die Jesus stellvertretend zu tragen hat. Er wird regelrecht vom Kreuz begraben, ein Eindruck, der insbesondere durch den Querbalken, der seinen Körper niederzudrücken scheint, hervorgerufen wird. Trotzdem gelingt es Oliberius in seiner Darstellung zugleich ein Zeichen der Hoffnung zu setzen, indem er von Christus' betenden Händen ausgehend eine Aufwärtsbewegung in die Komposition einfügt. Der Waagerechten, verkörpert durch die Christusfigur und den Querbalken, setzt er eine Senkrechte entgegen. Somit schafft er zum einen ein spannungsgeladenes Bildganzes und greift kompositorisch in dem Nebeneinander beider Richtungen die Form des Kreuzes auf, ohne sie direkt zu zitieren.
Die Reduktion auf das Wesentliche behält Oliberius auch in der Figurenbildung bei. Bei der Gestaltung der Gesichter wurde auf jedes porträthafte Charakteristikum verzichtet: Augen, Nase und Mund sind als geometrische Formen gestaltet, wodurch sich Parallelen zu den Steh- und Sitzfiguren aus Oliberius' Studienzeit bei Mettel ergeben. Auffallend ist auch, dass die Gesichtszüge der Figuren stellenweise "zerklüftet" wirken, wie beispielsweise bei der Simondarstellung (vierte Station). Formal schafft Oliberius damit eine Verbindung zum Hintergrund. Ebenso wie die Gewänder der Figuren ist dieser nicht als homogene Fläche gestaltet, sondern erscheint aus einzelnen Teilen zusammengesetzt, die den Eindruck erwecken, als können sie gegeneinander verschoben werden bzw. als drohten sie auseinanderzubrechen. Auf diese Weise entsteht ein Gefühl von Bewegung.
Diese Beobachtung ist insofern interessant, als in dieser Schaffenszeit Arbeiten von Oliberius entstehen, die nicht als feste Komposition konzipiert sind, sondern in Raum und Anordnung verändert werden können. Zu denken ist beispielsweise an die unbetitelte Arbeit von 1969 oder das Werk "Aufeinander" von 1975. Dementsprechend agieren die Figuren nicht vor einer geschlossenen rechteckigen Fläche. Die Begrenzungslinien scheinen ebenso in Bewegung wie die Fläche selbst. Damit setzt Oliberius dem Blockhaften und Schematischen der Figuren auf formaler Ebene Dynamik und Komplexität entgegen. Sinnbildlich verweist die Bewegung des Auseinanderbrechens und Gegeneinanderverschiebens auf die Situation Jesu, der zwar Gottes Sohn ist, aber als Mensch auf die Erde geschickt wurde und stellvertretend das Leid auf sich nimmt und sich opfert. Zugleich bedeutet Bewegung aber auch Veränderung und im Sinne des Kreuzweges einen Neuanfang und Hoffnung. Interessant ist auch zu sehen, wie Oliberius das Kreuz in die Komposition einsetzt. Die Kreuzform erscheint zum einen als Gliederungseinheit in der Fläche, um die sich die Figuren gruppieren. Zugleich fungiert es aber auch als Architekturelement. Im Sinne des Kreuzweges ist es immer an die Figur Jesu - als "Kreuztragenden" - gebunden. Auffallend ist allerdings, dass es sich während des Kreuzweges in seiner Form zu verändern scheint: Das Verhältnis von Quer- und Längsbalken bzw. die Länge der beiden Balken variiert.
Abschließend lässt sich festhalten, dass Oliberius in seiner Figurenbildung noch der Formensprache seines Lehrers Hans Mettel verhaftet ist. Dies zeigt sich im Figurenaufbau, der tektonischen Gestaltungsprinzipien folgt, und in der Reduktion auf geometrische Grundformen. Zugleich steht Oliberius aber auch in der Tradition der Kreuzwegdarstellung nach 1945. Franz Dambeck stellt in seinem Aufsatz "Neue Kreuzwege seit 1945" einige Charakteristika der modernen Kreuzwegdarstellungen heraus, die auch für Oliberius' Komposition Gültigkeit haben: so etwa die Reduktion auf das Wesentliche, was sich in einem beschränkten Figurenpersonal äußert, die Wahl eines kleinen Formats und der Verzicht auf "porträthafte Anlehnung" bei der Christusdarstellung und somit die Tendenz zum Schematischen bzw. Schemenhaften. Gerade den letzten Aspekt, d. h. diese Art der Verbildlichung von Christus, kritisiert Dambeck und konstatiert "weil die Kreuzwegandacht so sehr im Bereich des Persönlichen liegt, würde sie ein klar umrissenes 'Du' für ihre Aussprache benötigen" (Dambeck 1954, 102).
Im Fall von Oliberius gewinnt die Komposition dadurch jedoch an Eindringlichkeit. Der Betrachter verliert sich nicht in Einzelheiten und die Identifikation mit dem Leidenden wird vereinfacht. Der Architekt Alois Peitz fasst diese Wirkung treffend zusammen: "Die blockhaften Figuren, noch im Material verhaftet, mehr drin als herausgelöst, sind keine Individuen. Sie stehen generell für etwas: der Gestürzte für alle Gestürzten, die beiden Frauen für alle, die Anteil nehmen… Die Figuren sind Zeichen, Symbole (Peitz, Gesprächsnotiz, 2009)."
Sandra Brutscher
Auswahlbibliographie
Redaktion: Oranna Dimmig
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