Lukas Kramer
Lichtwellenauge, 2001 (2002 eingeweiht, 2004 zerstört)
Acrylfarbe auf Glas, Durchmesser: 0,95 m
Gustav-Regler-Zentrum/ Park der Andersdenkenden, ehemalige Landesnervenklinik, Merzig
Lukas Kramers Lichtwellenauge gehört in den Zusammenhang seines ganzen künstlerischen Oeuvres wie in den Kontext dieser Anlage, den Park der Andersdenkenden auf dem Friedhof der alten Merziger Nervenheilanstalt. Beide Bezüge sind in dieser kurzen Einführung anzusprechen.
Seit Beginn seines eigenen künstlerischen Weges war Lukas Kramer fasziniert vom Licht, vom Licht im Kontrast zum Dunkel, und von deren unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten. In den frühen achtziger Jahren waren seine Bilder bestimmt von einem schwarzen, nächtigen Ausdrucksraum, in dem Apparate, Maschinenteile, Fragmente elektrischer Leitungen schweben, verwischt, wie in heftige Bewegungen hineingerissen, umflackert von Fäden kalten Lichts, aufstrahlend in eisigem Grün, Metallblau, grellem Gelb.
Auf die Blackout-Serie und auf Werke, die deren Zerrissenheit und deren dynamische Wucht des Bildgefüges noch steigern, – sie tragen Titel wie Aggregat, Falle oder Verlassene Zone – folgen Bilder, die der Künstler unter dem Begriff Fluid System zusammenfasste. Hier erhebt Kramer das bildnerische Motiv in Helldunkel abgestuften Graustreifen, die gegenständlich wie Röhren wirken, zur Hauptform. Dicht besetzen solche Röhren nun das Bildfeld. Die Spannung zwischen weitem, dunklem Raumgrund und Lichtlinien, Lichtblitzen schwindet. Der Bildraum wird eng, weil sich die Polarität von Schwarz und Weiß verengt zu Stufungen zwischen Grau und Weißlich und zum Konzentrat in Grau.
Grau ist für Lukas Kramer anschauliches Symbol der Technik, in ihrem Charakter des Bleiernen Medium der Bedrängung und Bedrückung. So können Kramers graue Bilder noch bedrohlicher erscheinen als seine schwarzen. Die innere Unermesslichkeit, das Lockende, Abgrundhafte des Schwarz ist der Monotonie des Grau gewichen. Im Gewirr der Röhren verliert sich der Blick. Er findet keinen Halt, wird auch von der Bildfläche nicht abgewiesen, sucht vielmehr in sie einzudringen, angeregt von der wechselnden Erscheinungsweise des Grau. Denn dieses Grau ist sowohl Oberflächenfarbe von Metallröhren als auch, dank seiner zarten Verwischungen, atmosphärisches, raumhaltiges Grau, das dem Blick das Eindringen in die Bildtiefe ermöglicht, in eine Bildtiefe, die sich jedoch als labyrinthisch, als ausweglos und beengend erweist. Zunehmend aber erfüllt gelbes, ins Weißliche sich aufhellendes Licht diese Röhren. Kramers malerische Arbeit wird nun begleitet von seiner fotografischen.
Damit sind schon wesentliche Elemente der Kunst Kramers zur Gestaltung der hiesigen Aufgabe benannt: Ihre Fähigkeit zur Thematisierung von Erinnerung, auch und gerade der Erinnerung an dunkle, angstbesetzte Situationen der Vergangenheit und die Wertschätzung des »Beiläufigen«, der »Überreste«, des von der funktionierenden »großen Welt« an den Rand Gedrängten und Vergessenen.
Ein letzter Wesenszug der künstlerischen Arbeit Lukas Kramers sei noch angesprochen, ihr durchgehender Bezug zum Raum. Hier sei nur erinnert an Werkreihen mit den Titeln Vibrant, Pulsation oder Meßstation. Auf immer neue Weise – und doch nach derselben Methode – lassen Kramers Werke Raum aus kontinuierlichem Farbwechsel und durch Kontrastierung verschiedener Erscheinungsweisen der Farben entstehen. Schneller, stetiger Farbwechsel bildet Zylinder-, Röhren- Formen, wobei die Farben auch als Bezeichnung von Gegenstandsoberflächen verstanden werden können. Ihre Verschmelzung dagegen führt sie zu atmosphärischer Wirkung. Nebelschleier scheinen sich vor die Gegenstände zu legen, scheinen sie in eine unbestimmbare Ferne zu entrücken.
Nun entstehen auch dreidimensionale Objekte, mit denen Kramer in den realen Raum vordringt, in den Raum des Betrachters, wobei er zugleich Einblicke in »irreale«, nur gemalte Räume öffnet. Solche Objekte sind aus Wellpappe, einem weichen, alltäglichen Material, das in seinem Bräunlichton zugleich an Naturhaftes, an Erde und Sand, erinnern kann und dennoch seinen Charakter als Verpackungsmaterial nicht verliert. (Dittmann 1996)
Bei seiner Austellung im Museum von St. Ingbert anlässlich der Verleihung des Albert-Weisgerber-Preises konnte Lukas Kramer 1998 mit seiner Meßstation eine große, raumbestimmende Arbeit schaffen. 160 gleichförmige bemalte Pappkästen waren im Ausstellungsraum nach einem bestimmten Rastersystem angeordnet, wobei nicht nur die Horizontal- und Vertikalabstände zwischen den einzelnen Bausteinen, sondern auch die in diesem Raum vorgegebenen Wandstrukturen in die Anordnung einkalkuliert waren. Der vorgefundene konkrete Raum wird Teil der künstlerischen Gestaltung.
Auch nach dieser Hinsicht schließt Kramers Lichtwellenauge im Park der Andersdenkenden bruchlos an das frühere Schaffen des Künstlers an. Vorgegeben hat sich Kramer hier den Ort, das kreisförmige Fenster im aufgegebenen Wasserreservoir der Anstalt, und vorgegeben ist damit die Naturraumsituation, die Höhe mit einem weiten Blick auf ferne Berge, und vorgegeben ist der Weg zu diesem Ort, der Anstieg aus der Tiefe nach oben, zu einer Stelle, die freie Ausschau auf den Horizont ermöglicht und die Erfahrung des Lichts der Sonne, das aus der Weite des Himmels diesen Ort erhellt.
Das Okulusfenster in der Ruine erinnerte den Künstler an ein totes Auge und er beschloss, dieser dunklen Öffnung wieder Leben zu verleihen. Er setzte ein Fenster ein und versah dessen Glas mit einem horizontalen Farbstreifen, der gleichsam als seine horizontale Pupille wirkt. Die Farben dieses Streifens wandeln sich von Schwarz zu Violett an den beiden Seiten über Gelb zum Weiß in der Mitte. Damit wird eine virtuelle Vorwölbung erreicht. Das Farblichtband schließt bildnerisch an Kramers Röhrenbilder an, aber nun handelt es sich gewissermaßen um den Ring einer vertikalen Röhre, und völlig verändert ist der Ausdrucksgehalt dieses Farblichtbandes, das vor der Dunkelheit des Fensters aufleuchtet.
»Die Farben sind Taten des Lichts, Taten und Leiden. In diesem Sinne können wir von denselben Aufschlüsse über das Licht erwarten. Farben und Licht stehen zwar untereinander in dem genauesten Verhältnis, aber wir müssen uns beide als der ganzen Natur angehörig denken, denn sie ist es ganz, die sich dadurch dem Sinne des Auges besonders offenbaren will,« schrieb Goethe im »Vorwort« seiner 1810 erschienenen »Farbenlehre« und in der »Einleitung« dazu heißt es, »die Farbe sei die gesetzmäßige Natur in bezug auf den Sinn des Auges«. Deren Hauptgesetzmäßigkeit aber ist, dass das Auge selbst Farben erzeugen kann. Das formulierte Goethe in einem Abschnitt seines Kapitels über die »sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe« folgendermaßen: »Wenn das Auge die Farbe erblickt, so wird es gleich in Tätigkeit gesetzt, und es ist seiner Natur gemäß, auf der Stelle eine andre, so unbewusst als notwendig, hervorzubringen, welche mit der gegebenen die Totalität des ganzen Farbenkreises enthält. Eine einzelne Farbe erregt in dem Auge, durch eine spezifische Empfindung, das Streben nach Allgemeinheit. [...] Wird nun die Farbentotalität von außen dem Auge als Objekt gebracht, so ist sie ihm erfreulich, weil ihm die Summe seiner eignen Tätigkeit als Realität entgegenkommt.« Der Farbkreis zeigt die einander »fordernden Farben«: »Gelb fordert Rotblau, Blau fordert Rotgelb, Purpur fordert Grün und umgekehrt.«
Das erste Paar der Goetheschen einander fordernden Farben: »Gelb fordert Rotblau« erscheint im Farblichtband der Kramerschen »Lichtwelle«. Diese Lichtwelle ist als »Auge« gestaltet und wendet sich dem Licht der Sonne entgegen. Das Fenster reflektiert das Licht der Sonne und leitet den Strahl in die Tiefe, hinab zu den Gräbern. Damit ist eine Sinnstruktur gegeben, die der Goetheschen Auffassung entspricht. Goethe schrieb in der genannten »Einleitung« seiner »Farbenlehre« (Goethe, Farbenlehre, 1953): »Das Auge hat sein Dasein dem Licht zu danken. Aus gleichgültigen tierischen Hilfsorganen ruft sich das Licht ein Organ hervor, das seinesgleichen werde; und so bildet sich das Auge am Lichte fürs Licht, damit das innere Licht dem äußeren entgegentrete. Hierbei erinnern wir uns der alten ionischen Schule, welche mit so großer Bedeutsamkeit immer wiederholte: nur von gleichem werde gleiches erkannt, wie auch der Worte eines alten Mystikers [des neuplatonischen Philosophen Plotin], die wir in deutschen Reimen folgendermaßen ausdrücken möchten:
Wär’ nicht das Auge sonnenhaft,/
Wie könnten wir das Licht erblicken?/
Lebt’ nicht in uns des Gottes eigne Kraft,/
Wie könnt’ uns Göttliches entzücken?«
Damit öffnet sich der Gedankengang in die Dimension des Religiösen, was sowohl dem Werk, wie dem Ort und dem heutigen Tage angemessen erscheint.
Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem »Licht« und dem »Göttlichen«?
Im sechsunddreißigsten Psalm findet sich die Zeile: »In deinem Licht schauen wir das Licht«. Der Psalm lautet:
Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist,/deine Treue, so weit die Wolken ziehn./
Deine Gerechtigkeit steht wie die hohen Berge,/ deine Rechtssatzungen sind tief wie das Meer./
Du erhältst Menschen und Tiere, o Herr!/ Gott, wie köstlich ist deine Huld!/
Die Menschen bergen sich im Schatten deiner Flügel,/ sie laben sich am Reichtum deines Hauses,/ du läßt sie trinken aus dem Fluß deiner Wonnen./
Denn bei dir ist die Quelle des Lebens,/ in deinem Licht schauen wir das Licht.
Welches Licht ist gemeint?
Der Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann verglich diesen Psalm in einem lehrreichen Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22. Dezember 2001, in dem er auch Goethes plotinische Verse zitierte, mit einem Hymnus des ägyptischen Königs Echnaton an den ägyptischen Lichtgott Aton:
Du bist die lebendige Sonne, die unendliche Zeit ist das Abbild;/ du hast den Himmel fern gemacht, um an ihm aufzugehen,/ um alles zu sehen, was du erschaffst, indem du ein Einziger bist,/ aber Millionen von Leben in dir sind, um sie zu beleben – / (denn) Lebenshauch an die Nase ist es, deine Strahlen zu sehen.
Den Unterschied zwischen der ägyptischen und der jüdischen Lichtverehrung beschrieb Assmann folgendermaßen: »Das Licht der Offenbarung, das den Kindern Israels aufging, ließ ihnen das Licht Ägyptens, die Sonne, als Finsternis erscheinen. ‘Statt jener Finsternis’, so lesen wir im Buch der Weisheit, ‘gabst du den Deinen eine flammende Feuersäule als Führerin auf unbekanntem Weg, als freundliche Sonne auf ihrer ruhmvollen Wanderung. Jene (die Ägypter) hingegen hatten es verdient, des Lichtes beraubt und in Finsternis gefangen zu sein, weil sie einst deine Söhne eingeschlossen und gefangen hielten, durch die das unvergängliche Licht des Gesetzes der Welt gegeben werden sollte.’« In der Finsternis liegt die Welt für die Juden und für die Christen, und für die Christen ist die »Sonne der Gerechtigkeit« in Jesus Christus aufgegangen. »Das Licht Christi leuchtet in der Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht begriffen.«
Die wichtige Zusammenfassung Jan Assmanns aber lautet: »Damit ist aber der ägyptische Sinn der Verse ‘In deinem Licht sehen wir das Licht’ keineswegs zu Unsinn geworden. [...] Die Bibel ist vielstimmig, und die ägyptische Lesung dieses Psalmverses klingt immer mit.«
Immer wieder kann, wie bei Goethe, auch im Licht der sichtbaren Sonne etwas »Göttliches« erfahren werden. Immer muss ja dem »äußeren Licht« ein »inneres Licht« begegnen, und dieses »innere Licht« ist untrennbar von der je eigenen Subjektivität.
Der Hinweis auf solch unterschiedliche Deutungen grundlegender Lebens- und Weltverhältnisse soll meine Enführung zu Lukas Kramers Lichtwellenauge im Park der Andersdenkenden beschließen.
Lorenz Dittmann
(Auszug aus der schriftlichen Fassung der Rede anlässlich der Einweihung am 2. Februar 2002 in Merzig)
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