Zwischen Figuration und Abstraktion – ein Werk zwischen Glas und Leinwand
Glücklich, wer die bekanntesten Fenster von Ferdinand Selgrad noch in ihrem Originalumfeld gesehen hat! Denn durch die baulichen Veränderungen ihres Umfelds und den Wegfall des einfallenden Tageslichts verlieren sie viel von ihrer ursprünglichen Ausstrahlung: Gemeint ist das Triptychon der Bleiglasfenster in der ehemaligen Bergwerksdirektion in Saarbrücken. Als Mahnmal und Ehrenmal zum Gedenken der im Grubenunglück von 1962 getöteten Bergleute geschaffen, ging 1964 Selgrads Entwurf als Sieger aus einem beschränkten Wettbewerb der Bergwerksverwaltung hervor (sechs saarländische und sechs überregionale Künstler waren eingeladen).
Thema, Größe, Form und Ort der Realisation waren vorgegeben. Selgrad musste sich mit seiner gestalterischen Lösung in ein enges Raster einfügen, das keine abstrakten Darstellungen, die er damals überwiegend fertigte, zuließ. Er stellt jedoch die Figuren in ein strenges Gerüst aus Rechteckformen, das Elemente des Bergbaus andeutet. Die Darstellung der Figuren – die Bergleute in ihren Festtagsuniformen – wird mit sparsamen, reduzierten Details gezeichnet. Die Zurückhaltung in der Farbigkeit, eine Reduzierung im Grunde auf Blau für die Kleidung, Rot für den Hintergrund und Gelb als Akzent in Haar und Symbol des Lichts, unterstreichen die fast plakative Darstellung. Und so kommt die Jury in ihrer Bewertung auch zu dem Schluss, dass die Darstellung sich von alleine erklärt und keinerlei zusätzlicher Informationen bedarf. "Dieses Gesamtbild sollte jedermann, der das Gebäude durch den Eckpavillon betritt und dessen Blick nahezu zwangsläufig auf den ersten Absatz des dreiarmigen Treppenhauses gelenkt wird, daran erinnern, dass der Tod ein ständiger Begleiter des Bergmanns bei seiner täglichen Arbeit ist, dass er Witwen und Waisen hinterlässt. Dieser von Selgrad beabsichtigten Wirkung kann sich der Betrachter auch nicht entziehen, und so konnte auf das Hilfsmittel einer zusätzlichen Beschriftung, wie in den Ausschreibungsbedingungen erwünscht, völlig verzichtet werden." (Scharwath 2003, S. 54)
Vergleichbar mit diesem preisgekrönten Fenster ist eine andere Barbarafigur, die Selgrad fünf Jahr zuvor als Betonglasfenster in der katholischen Kirche St. Barbara, Neunkirchen-Heinitz ausführte. In den drei Fenstern im Obergeschoss der Bergwerksdirektion sieht man dann, zu welcher Formensprache 1964 Selgrad greift, wenn er „ohne Auflagen“ gestalten darf.
Die künstlerische Entwicklung von Ferdinand Selgrad verläuft zwischen den unterschiedlichen Ausbringungsformen wie Bleiglas- und Betonglasfenster, Mosaiken, Zeichnungen und Gemälden in einer relativ stringenten Linie von der figürlichen Darstellung zur Abstraktion. Schon zu Studienzeiten in Saarbrücken – er gehörte der Experimentellen Klasse von Boris Kleint an – war er nach anfänglicher Befremdung fasziniert von den Strömungen des „Abstrakten Expressionismus“ sowohl der Franzosen als auch der Amerikaner. Während seiner Studienzeit in Paris, 1949/50, trat er dann in unmittelbaren Kontakt mit der Szene. Ausstellungsbesuche und Kunstzeitschriften wurden Impulsgeber für ihn.
Die Szene um Alfred Manessier, Jean René Bazaine, Jean Le Moal, Raoul d’Ubac, also die „Nouvelle École de Paris“, sog er in sich auf und lernte einige von ihnen später im Atelier Louis Barillet – dem bekannten Atelier für Glas- und Mosaikkunst in Paris – kennen. Der Kontakt mit dem Atelier Barillet wurde (wohl) über seinen Dozenten Jacques Le Chevallier, der in diesem Atelier arbeitete, hergestellt. Im Atelier Louis Barillet wurden unter der Leitung von Jean Barillet 1951 die ersten kunsthistorisch relevanten Betonglasfenster nach Entwürfen von Fernand Léger für die katholische Kirche Sacré-Cœur in Audincourt entwickelt und ausgeführt. Fenster von Bazaine, Braques, Le Moal folgten. So scheint es logisch, dass sich Selgrad mit seinen ersten Entwürfen in Betonglas im Jahre 1957 an die erprobte und ihm vertraute Werkstatt in Paris wendet und nicht die Werkstatt von Gabriel Loire in Chartres wählt. Diese hat zwei Jahre zuvor die Betonfenster von St. Mauritius, Saarbrücken – es sollen die ersten Betonglasfenster im deutschen Kirchenbau sein (Denkmalpflege im Saarland 4, S. 120) – nach einem Entwurf seines Lehrers Boris Kleint ausgeführt. Zudem ist die Zuwendung nach Frankreich hin, dem damaligen Status des Saarlandes geschuldet, um einiges einfacherer als die Beauftragung einer Werkstatt im Bundesgebiet. Dort ist die Glaswerkstatt von Wilhelm Derix in Rottweil – laut Eigenauskunft – eine der ersten, die die neue Technik in Betonglas im Jahre 1954 ausführt. Selgrad wird auch mit dieser Werkstatt viele seiner Fenster realisieren. Doch seine ersten Arbeiten in Glas sind Bleiglasfenster, die er keiner Werkstatt anvertraute, sondern selbst ausführte in der Absicht, allmählich so etwas wie eine Bauhütte aufzubauen. Die Fenster von St. Maternus in Aschbach, 1951 geweiht, stellte er mit Hilfe seiner ehemaligen Kommilitonin Marianne Klein (heute Aatz) fertig. Diese Arbeiten zeigen deutlich das vorsichtige Herantasten an die Materie. Die Setzung der Farben zueinander, die Gliederung durch Bleiruten, die kaum eine Binnengliederung vornehmen, erscheinen noch sehr statisch, wenn nicht hölzern. Durch das eigene Anfertigen vor Ort vergeht zwischen dem ersten und letzten Fenstern notgedrungen einige Zeit, und damit einher geht ein Zugewinn an Erfahrung: Das zuletzt ausgeführte Fenster in der Sakristei weist eine freiere Behandlung der Bleiruten auf.
Es schließen sich unmittelbar die Bleiglasfenster im heutigen Pfarrsaal von Herz Jesu, der ehemaligen Kapelle des Klosters, in der Gemeinde Elversberg an. Die jeweils drei querrechteckigen Oberlichtfenster auf jeder Seite des Saals sind je nach Himmelsrichtung in blau (Nordseite) und rot (Südseite) gehalten. Ein Prinzip, das er in vielen folgenden Kirchen übernehmen wird. Die Fenster, die, ebenfalls wie in Aschbach, die Mariengeschichte thematisieren, sind mit einer feineren Linienführung der Bleiruten ausgeführt. Auch hier ist ein deutliches Fortschreiten der stilistischen Entwicklung während der Ausführung zu spüren. Während die Fenster der Nordseite die Figuren in ein starres Raster aus horizontalen und vertikalen Linien einbinden, nimmt die Südseite den Schwung der Figuren auf, die Linienführung der Bleiruten wird organisch, Figur und Grund gehen ineinander auf. Parallel zu diesem Fenstern führt er auch das Mosaik an der Eingangsfront aus.
In diese Entwicklung passen die Fenster der Kirchen Maria Königin in Grügelborn (1954), St. Martin in Reitscheid (1955) und St. Peter in Bous (1952-1956). Die Konturen werden weicher, die Linienführung nimmt den für die 1950er Jahre typischen Schwung mit auf. Teilweise ist die Farbigkeit – durch viele unterschiedliche Gläser verursacht – noch groß.
Sein wohl erstes vollständig abstraktes Bleiglasfenster ist das der evangelischen Kirche in Hirstein. Das Motiv, das vollkommen der abstrakten, dekorativen Linienführung der 1950er Jahre verschrieben ist, breitet sich aus, ohne auf die Unterteilung der Einzelfenster Rücksicht zu nehmen.
Auch für die katholische Kirche Zur Heiligen Rosenkranzkönigin in Merchweiler (1960) entschied man sich für figurative Bleiglasfenster. Doch die Ausarbeitung der so genannten Rosenkranzfenster erlaubte Selgrad eine abstrakte Darstellung, so dass in dieser Kirche sowohl abstrakte als auch figürliche Fenster zusammentreffen. Das flache Oberlichtband mit figurativer Darstellung wirkt durch die darstellungsübergreifende Farbverwendung abstrahierend. Die szenischen Motive treten aufgrund von direktem Aneinanderreihen der Einzelfenster hinter den sich stark hervorhebenden durchgängigen Farbflächen zurück. Der Betrachter nimmt von unten eher durchlaufende, rhythmisch gegliederte Farbflächen als einzelne szenische Darstellungen wahr. Die abstrakten Rosenkranzfenster, nach Aussagen von Selgrad unter dem Einfluss von Manessier entstanden, zeigen dagegen eine aus heutiger Sicht dekorative Gestaltung im Stile der 1950er Jahre, die wesentlich mehr dem Zeitstil verhaftet ist als die figurativen Oberlichtfenster.
In den 1960er Jahren löst Selgrad sich von den „dekorativen“ Formen der 1950er Jahre. Seine Motive werden durch unterschiedlich ausgeformte Farbflächen gebildet, unterschiedlich dicke Ruten werden als malerisches Element mit einbezogen. Die Farbflächen werden nicht mehr durch einzelne Gläser zusammengesetzt. Bleiruten trennen nicht eine Form in Binnenformen, sondern werden formbestimmendes Element, werden „autonomer graphischer Ausdrucksträger“ (Birgit Schwarz, Johannes Schreiter: Das glasbildnerische Werk von 1959 bis 1980. Darmstadt 1987).
Frühe Beispiele sind die evangelische Kirche in Mettlach (1962), St. Donatus in Gronig (1963), Maria Königin in Primsweiler (1963) und St. Petrus von Mailand in Eidenborn (1964). All diesen Arbeiten gemeinsam sind die deutlich in verschiedenen Stärken ausgebildeten Bleiruten, die den Eindruck eines abstrakten Gemäldes, losgelöst von statischen oder technischen Vorgaben der Glasfenster, unterstreichen. Die in St. Petrus von Mailand gewünschten Fenster der Apostel werden als figürliche Darstellungen in Bänder mit abstrahierenden Formen eingespannt. Durch die Bleilotzeichnungen werden die Gesichter im Grunde zum einzigen figürlichen Element dieser Fenster.
Eine weitere Herausbildung eines zentralen Motivs – in Eidenborn im kleineren und noch in starken Farben ausgeführt – findet sich in dem großen dreieckigen Altarfenster in Maria Königin in Primsweiler. Die Farbigkeit reduziert sich in Primsweiler auf graue und graublaue Töne. Die Unterteilung der Fläche in Rechteckformen, die sich im gegenüberliegenden Fenster des Kirchenraums noch gleichmäßig über das gesamte Fenster hinspinnt, konzentriert sich hier im Altarfenster auf die untere Hälfte, gleich einem aufgeklappten Flügelaltar. Im helleren Zentrum lässt sich eine dunklere Figur, die Fensterkreuze überschneidend, ausmachen.
In St. Medardus, Waldhölzbach, (1964) negiert Selgrad mit seiner Gliederung der Fensterfläche vollkommen die dreieckigen Fensterformen. Die Bleiruten werden völlig unabhängig von ihrer konstruktiven Notwendigkeit eingesetzt. Die Motive laufen quer über die Fenster und scheinbar über die Fensterflächen hinaus. Es sind Formen, die an Gesteinsschichtungen, an Flöze erinnern, die kantig sind und Schichten, Streifen bilden.
Ab 1965 geht Selgrad noch einen Schritt weiter in Richtung Abstraktion und freie Gestaltung der Fläche: Die bisher noch relativ eckige Linienführung der Flächen geht langsam in eine runde Formensprache über. Die Verteilung der verschieden großen Glasteilflächen im gesamten Fenster, die bisher immer noch relativ ausgewogen war, wird vollkommen aufgegeben. Große Flächen stehen kleinen, schmalen Flächen entgegen, schmale Bleiruten stehen breiten gegenüber. Zudem nimmt er die Farbigkeit noch weiter zurück, so dass das Fenster zu einem rein abstrakten Bild wird, das sich klar von der Architektur absetzt. So zu sehen in den Fenstern der katholischen Kirche Unsere Heilige Familie, Rentrisch (1965), der lutherischen Kirche im französischen Ottwiller (ebenfalls 1965) und der evangelischen Pfarrkirche Leitersweiler (1966).
Unter dem Einfluss von Meistermann und Schreiter entstehen ab 1965 Fenster, die eine deutliche Änderung des Aufbaus mit sich bringen: Eine Sockelzone mit einem stark farbigen Motiv geht in eine Schichtung von schmalen Streifen über, die durch einzelne, senkrechte oder diese Fläche nach oben durchkreuzende Linien unterbrochen werden.
In den Fenstern der Pfarrkirche St. Michael in St. Ingbert (1965/67) verlassen nach oben strebende Lote die untere abstrakt-motivisch gestaltete Sockelzone und dringen in eine Zone von gleichmäßigen Streifen ein.
Die Flächengliederung findet auch noch in den 1970er Jahren Anwendung in St. Quiriakus in Mechern (1972) und in St. Michael in Gehweiler (1974). Bei beiden letztgenannten Kirchen setzt er plastische Glasstücke, teilweise geschliffene Glasprismen, in denen sich das Licht brechen kann, als zusätzliche, das Motiv erhöhende Elemente ein. Auch die Fenster der Aussegnungshalle in St. Wendel (1997) gehören in diese Reihe.
Die beiden Fenster in Saarlouis-Roden, Christkönig (1968), können als vollkommene Übernahme von Gestaltungsprinzipien des Tafelbildes in ein Bleiglasfenster gesehen werden. Große Farbflächen stehen gegeneinander, überlappen sich, die Bleiruten in unterschiedlichen Dicken werden rein malerisch eingesetzt. Bleilot setzt zusätzliche malerische Effekte. In dieselbe Zeit kann man das Fensterband in der Aussegnungshalle in Roschberg datieren. Auch hier liegt eine rein malerische Gliederung der Fläche vor. Durch die umlaufende helle Glasform, wird das zentrale Motiv von der Architektur getrennt und damit hervorgehoben.
Die Fenster für die Adventskirche in Jägersburg (1966 und 1969) fallen, bedingt durch die Bauaufgabe (figurative Fenster waren vorgegeben), aus der stetigen Entwicklung heraus. In den beiden den Altar flankierenden Fenstern sollen die Bibelzitate „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ (Joh. 15,5) und „Dornenkrone“ (Matth. 27,29; Markus 15,1; Joh. 19,2) dargestellt werden. Selgrad führt beide Motive weitgehend abstrakt aus. Den Weinstock löst Selgrad in gebogene Formen vollständig, fast manieristisch, auf. Lediglich Ähren und Weintrauben sind noch klar in ihrer Form erkennbar. Die Dornenkrone wird wie der Weinstock als „formatfüllendes“ Motiv gezeigt. Selgrad bezieht sich in dieser Darstellung auf ein Bildmotiv seines Vorbilds Manessier, das er in Glas übersetzt.
Beide Motive, Dornenkrone und Weinstock, gehen über die das Gesamtfenster unterteilenden senkrechten Stützen hinweg. Durch Aufzeichnen von grauen Schattenlinien an den Bleiruten wird Dreidimensionalität und Tiefe erreicht. Die einige Jahre später entstandenen kleineren Oberlichtfenster sind ganz einer traditionell figürlichen Darstellung verhaftet und in der Ausführung einer klaren Formensprache verpflichtet.
Die Entwicklung der Betonglasfenster verläuft parallel zu den Bleiglasfenstern. Nachdem es schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts erste Versuche in der Technik des Betonglasfensters gab, kam der große Durchbruch in den 1950er Jahren. Und Ferdinand Selgrad, der, wie Wilhelm Derix betonte, immer einer der experimentierfreudigen Künstler war, führte im Jahr 1957, gleich an mehreren Orten, Fenster in dieser Technik aus.
Diesen frühen Fenstern ist eine noch kleinteilige Untergliederung gemeinsam. Die Betonstege werden in unterschiedlichen Dicken ausgeführt, was gerade in der Marienkapelle in Spiesen-Elversberg die Fenster in der Außenansicht grafisch und wie ein durchbrochenes Spitzennetz wirken lässt. In der Marienkapelle zeigen die Fenster der vorderen Wand – die Außenwand wird allein von den Fenstern gebildet – symbolhafte Darstellungen der Mariengeschichte. In gleicher Ausführung finden sich auch ähnliche Motive in dem Fensterfries in St. Marien in Urweiler, der ebenfalls 1957 entstanden ist.
Das zweite Fenster in Urweiler – ehemals Altarfenster in dem in den 1950er Jahren gefertigten Anbau – zeigt eine Pietà. Auch hier sind die Dickglasstücke noch relativ klein und gleichmäßig über Motiv und Fenster verteilt. Und: In der Marienkapelle führt er, zwei Jahre vor seinen ersten abstrakten Bleiglasfenstern, in den beiden seitlichen Altarfenstern seine ersten abstrakten Betonglasfenster aus.
Unmittelbar daran schließt sich in der Gestaltung das 1958/59 für die katholische Kirche in Heinitz, St. Barbara, entstandene Barbarafenster an. Auch hier übernehmen die Betonstege noch die Rolle der Bleiruten und bilden die Figur aus.
Die nächsten abstrakten Fenster entstehen 1961 in Maria Trost, Dillingen-Pachten. Es handelt sich um eine streng grafische Darstellung. Der Anteil der schwarzen Trennlinien aus Mörtel wächst im Altarfenster an, gliedert die Fläche stark grafisch, ist gegenüber den relativ kleinen Glasflächen dominant. Hier hebt Selgrad, zum ersten Mal bei Betonglasfenstern, durch einen hellen Kranz von Gläsern das Motiv aus seiner Umgebung hervor. Das Motiv wird so aus dem Architekturzusammenhang gelöst, dem es als Betonglasfenster noch mehr als ein Bleiglasfenster verpflichtet ist. Die Altarwand gelingt ihm als einzigartiges abstraktes Gemälde. Auch die Seitenkapellenfenster, die freier in der Form sind, wiederholen das helle Rahmenmotiv, sind motivisch indessen nicht so abgeschlossen.
Dieses Rahmenmotiv bleibt auch in St. Donatus, Gronig (1963) erhalten. In Gronig überwindet er die Kleinteiligkeit im Aufbau der Fläche, indem er die großzügige Flächengliederung seiner Bleiglasfenster vom Kirchenraum auf die Betonglaswand im Vorbau überträgt. Die Glasstücke werden größer, die Gliederung der Formen unregelmäßig. Die Farbe fasst nun mehrere Glasformen zu einer Form zusammen. Auch die Dicke der Gläser und ihr Heraustreten aus der Fläche werden ein eigenständige Gestaltungselement. Die Aufnahme von groben Kristallglasbrocken, die das Licht besonders brechen, bereichert die Komposition.
In diesem Stil entstehen St. Bonifatius in Hofeld-Mauschbach (1963/64), St. Josef in Mettlach-Keuchingen (inzwischen abgerissen), St. Hedwig in Völklingen-Wehrden (1965), die Aussegnungshalle in Wemmetsweiler (1965) und St. Josef in Neunkirchen (1965/66). Alle vier Objekte weisen relativ gleichmäßige Gliederungen der Gesamtflächen auf.
Die Aussegnungshalle in Wemmetsweiler verweist meines Erachtens direkt auf die Bleiglasfenster von Eidenborn und durch die Gliederung in offene Randzonen und verdichtete Motivzonen auf die Fenster in Leitersweiler und Rentrisch. In dieser Entwicklungsreihe stehen auch die Betonglasfenster der evangelischen Pfarrkirche in Hangard aus dem Jahre 1966.
Es folgen 1967 und 1968 die beiden Kirchen St. Franziskus in St. Ingbert und die evangelische Heilig-Geist-Kirche in Dudweiler-Süd. In diesen Fenstern löst Selgad die Flächen und Formen immer mehr auf. Die Motive scheinen sich über die Fenster hinaus auszubreiten. Die Linienführung ist vergleichbar mit St. Medardus in Waldhölzbach.
Der Bau der evangelischen Heilig-Geist-Kirche in Dudweiler-Süd hat eine bemerkenswerte Entsprechung in der evangelischen Bruderkirche in Düsseldorf-Bilk und lässt es zu, Betonglasentwürfe mit Entwürfen für Bleiglas einmal unmittelbar vergleichen zu können.
Beide Kirchen – die Architekten waren Rudolf und Klaus Krüger – haben den gleichen Grundriss, sind lediglich spiegelbildlich gebaut. In Düsseldorf-Bilk hat Selgrad die Fenster in Bleiglas ausgeführt, als freie malerische Formen. Die Fenster in Dudweiler-Süd sind dagegen in Betonglas entstanden. Wirken die Bleiglasfenster hell und verspielt, so erscheinen die Betonglasfenster, obwohl Selgrad versucht, auch hier mit unterschiedlich großen Betonflächen malerisch zu spielen, im direkten Vergleich schwer und dunkel.
Dazwischen treten in den Jahren 1966 mit St. Barbara, Emmersweiler und 1969 mit der Filialkirche Maria Königin, Wemmetsweiler, figurative Darstellungen in Betonglas. In Emmersweiler ist es das Motiv des Weltenherrschers, der in einer Raute in der Spitze des Zeltdaches von oben auf die Gemeinde herabsieht. Ein ähnliches Motiv setzt Selgrad auch in Kastel bei Saarburg um. In Wemmetsweiler dagegen entstanden zwei riesige Betonglaswände mit der Darstellung des Weltenherrschers inmitten der Apostel und auf der anderen Wandscheibe eine Maria Immaculata inmitten der Darstellung der Mariengeschichte.
Wie in den 1970er Jahren in der Bleiverglasung wird in dieser Zeit auch im Betonglas die Verwendung von Linienrastern, die von einzelnen expressiven Formen durchbrochen werden, in seinen Entwürfen realisiert. Beispiel dafür ist die Aussegnungshalle in Elversberg.
Die Fenster der Kirche St. Nikolaus, Großrosseln (1971) zeigen den Übergang zwischen den malerischen Formen, die in einem hellen Rahmen das Motiv entwickeln, und den durch horizontale Linien bestimmten neuen Fenstergliederungen. St. Nikolaus überzeugt nicht zuletzt durch die intensive Farbigkeit, die sich dem Betrachter zeigt, sobald er den Kirchenraum betreten hat. Diese malerische Farbigkeit ist vergleichbar mit den Fenstergemälden von Saarlouis-Roden.
Zu der „malerischen“ Kategorie der Betonglasfenster kann man die sechs schmalen Fenster der Kapelle des Rastpfuhlkrankenhauses in Saarbrücken zählen. Der Einsatz von stark farbigen Gläsern und die großzügige Verwendung von Dickgläsern, von klaren Glasbrocken, die sich aus der Ebene herauslösen, geben den Fenstern trotz der schmalen Ausmaße eine starke Präsenz.
Womit ein Ausblick auf das malerische Werk auf Leinwand von Ferdinand Selgrad ansteht. Sieht man seine Arbeiten, seien es seine abstrakten Ölbilder oder seine realistischen Tuschzeichnungen aus der Provence, so ist die Verbindung zu seinen abstrakten Glasbildern eklatant: Strukturen, rhythmische Bewegungen gliedern sie, die Farbe wird expressiv nebeneinander gesetzt. Farbkontraste im Sinne der Farbenlehre sind ihm wichtig. Er setzt auch hier, wie bei vielen seiner Glasbilder ab Mitte der 1960er Jahre, die Motive in einen Rahmen, der hier wie ein zusätzliches Passepartout wirkt.
Und was immer wieder auffällt: die Linie ist für ihn wichtig. Ist sie in den Anfangsjahren noch relativ verhalten, sowohl in den Glasbildern als auch in seinen Zeichnungen, wird sie zu Beginn der 1970er Jahre immer freier, malerischer und expressiver. In dieser Zeit findet er während Urlauben in der Provence zum Gegenständlichen zurück. Bei Wanderungen durch die südlichen Felder entstehen Skizzen, Ideen von Bildern, die die Natur mit ihren Strukturen zeigen, die uns naturgetreue Ansichten der Landschaft vorgaukeln, gleichzeitig lassen aber die Rohrfederzeichnungen aus der eingefangenen Natur wieder abstrakte Darstellungen werden. Und hier ist er ganz abstrakter Expressionist oder Informeller, der die Natur als Ursprung aller künstlerischen Konzepte sieht, als von festen Kompositionsregeln befreite Kunst, die die impulsive Ausdrucksgebärde und auch eine lyrische Farbrhythmik feiert.
Wobei sein Arbeiten nie den Aktionismus beispielsweise eines Jackson Pollock beinhaltet. Selgrads Arbeiten ist ein genau austarierendes Herantasten an das Gesamtkonzept. Er hat eine Idee – auch eine Idee von Landschaft – baut sie auf, lässt Spontaneität zu, ergänzt oder korrigiert. Und dann kann es auch vorkommen, dass ein Baum in der Landschaft dort steht, wo er in der Natur gar nicht vorkommt.
Annelie Scherschel-Freudenberger
(aus: Ferdinand Selgrad. Zwischen Figuration und Abstraktion. Glas und Leinwand. Ausstellungskatalog Städtische Galerie Neunkirchen. Neunkirchen 2013, S. 11-27)
Redaktion: Annelie Scherschel-Freudenberger, Oranna Dimmig, Benedikt Stange
Privatpersonen | Schüler*innen, Studierende | Praxen, Kanzleien, gewerbliche Einrichtungen und Firmen | |
---|---|---|---|
je Kunstwerk | 50 € | 30 € | 80 € |
Für alle Entleiher gilt: