"Sag mir, Freund, sage mir die Ordnung der Erde, die du schautest! – Ich sage sie dir nicht, Freund ich sage sie dir nicht! sag' ich dir die Ordnung der Erde, die ich schaute, du müsstest dich setzen und weinen!" – heißt es im Gilgamesch-Epos (zitiert nach. Hans Hennry Jahnn: Fluss ohne Ufer (1935-47). Die Ordnung der Erde sagt auch Lukas Kramer dem Betrachter seiner Bilder. Hier wie dort ist die Ordnung hinter den Dingen gemeint, hinter dem scheinbar so sichereren Gefüge der Welt um uns. Kramer lässt den Betrachter mit den Bildern seiner Ausstellung Blicke hinter die vorgeblich so sichere Ordnung werfen; er zeigt, wie unsicher, wie haltlos diese anscheinend so sichere Ordnung der Dinge um uns ist, wenn sie der Macht der Dunkelheit, des Chaos anheimfallen. Dunkelheit und Chaos sind nicht per se Kramers Thematik, sondern wie sie als Gegenwirklichkeit auf die Welt als fest gefügtes und sicher geglaubtes System der Dinge einwirkt, wenn die dünne Membran zwischen beiden zerreißt.
Schwarz, Grau- und Graunbrauntöne sind die Grundfarben einer der beiden Bilder-Serien, "Black-out" und "Fluid System".
Schwarz steht in den Bildern der Black-out“ Serie vor allem für Kälte, Dunkelheit, Trauer und Verderben, weniger für den fruchtbaren Urgrund, aus dem Neues entstehen kann. Kalkig-fahle Schleier von Weiß verhüllen kaum das drängende Dunkel ("Aggregat II", 1986), das sich bereits Bahn bricht oder sich als grauer Schimmer hinter Weiß lauernd nur unvollkommen verbirgt. Brüchig ist das, was man fest wähnt: die so unnahbar, so unangreifbar wirkende Kachelwand in "Blackout", 1987 gerät unter einem unaufhaltsamen Druck ins Wanken, beginnt zu bersten. Die weißen und grauen Waschbecken und Installationen zerfallen, zerbrechen, hängen nutzlos und hilflos ins Leere nach unten, wo nur noch gerade eben ein grau-grünlicher Farbkeil den Grund andeutet, auf dem man stehen kann.
Neben den drängenden Dunkelfarben ist es vor allem diese Unsicherheit des Standortes, das Fehlen fester Bezugspunkte – die, selbst wenn sie sich andeuten, Zweifel an ihrer Verlässlichkeit aufkommen lassen – das die bedrohliche, desillusionierende Stimmung der Bilder bestimmt ("Blackout III, 1988). Selbst das Gewühl fester, "handlicher" Dinge, wie der Rohrstücke in einem Bild der "Fluid-System" Serie (Fluid-System III, 1988) ist nicht "handgreiflich" dichte, sondern nur scheinbar feste Materiebündelung, ist nicht sicher, nicht verlässlich. In der Mitte des Bildes "Fluid-System III" etwa schreiben sich zwei schwarze Linien, einen Winkel bildend, ins Röhrengeflecht, so, als ob ein dreieckiges Loch in das massive Konglomerat geschnitten würde, in eine letztlich nur täuschende Folie vor der anderen Wirklichkeit. Auch hier also Irritation, Wirklichkeit, die nicht nur ungastlich ist, sondern auch täuschendes Verbergen eines noch Schlimmeren ist. Die Veränderung zwischen den beiden Werkgruppen beschränkt sich offensichtlich "nur" auf die andere Farbigkeit: von düsterem Grauschwarz der "Blackout"-Bilder mit dem schlaglichtartigen Aufblitzen trüb-giftiger Neonbuntfarben wandelt sich der Farbklang zu einem neblig-verwaschenen Stahlgrau mit wenigen Buntfarbenschlieren in den "Fluid-System" Bildern. Keineswegs aber scheinen "Bildillusionen im So-Sein der Bildmittel" (Meinrad Maria Grewenig: Blackout – Fluid System. In : Lukas Kramer. Blackout – Fluid-System. 1983-89. Saarbrücken 1989, S. 8) umgeschlagen. Die Illusion ist nur noch um eine Stufe täuschender, bitterer geworden. Selbst das Unwirkliche ist keine feste Größe mehr, sondern wiederum nur Vorspiegelung. Selbst die unschöne Wirklichkeit ist nicht das, was sie scheint, ist nicht verlässlich, sondern veränderlich, unfassbar. Fluid-System. Irrlichtern noch in den "Blackout"-Bildern ein grelle kaltweiße Blitze, so ist aus dem Licht in den "Fluid-System"-Arbeiten die kühle Indifferenz von schmutzigem Eisglanz geworden.
Der unsicheren, bedrohlichen, unwirtlichen Stimmung der Bilder Kramers entsprechen die Formmittel: mit den großflächigen Dunkelzonen kontrastieren dünne, flüchtige Farblinien, Tropfenbahnen durchschneiden harte, glimmende, stahlgraue Flächen, zerfließen, verwischen, zertröpfeln: ohnmächtige Leuchtspuren in kaltem Dunkel. Pinselstriche, schmutzige Koloritfontänen, aufgespritzte Acrylfarbnebel, informell anmutende Farbmaterieverknäuelungen, harte Linien, die wie schneidende Ränder einer zerbrechlichen Glasscheibe wirken: rosa, violett, giftgrün, schwefelgelb, durch Eisenstaub wird Farbe zur metallisch-kalten Substanz: die "Unordnung" der Farbkomposition entspricht dem Chaos zerborstener Gegenstände, kippender Ordnungshilfen, schwankenden Bodens der "wirklichen" Umwelt, hinter der Gefahr und Untergang lauern. Die Bildinhalte Kramers, in den siebziger Jahren noch eindeutig in ihrer politischen, gesellschaftskritischen Aussage, sind mehrdeutig oder besser "gesamtdeutig" geworden. Und wenn man dies als Resümee der Themen der früheren Bilder sehen darf – die ganze Gestimmtheit der Blackout" und der "Fluid-System"-Bilder zwingt dazu – so ist Kramers Ton resignierender, weil allgemeingültiger geworden. Die Bedrohung ist allgemein, allumfassend und damit zugleich weniger fassbar geworden in ihrer Allgemeingültigkeit – vielleicht haben sich die existenziellen Bedrohungen für den Menschen des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu einem einzigen pessimistischen Gefühl verdichtet und hier Ausdruck gewonnen. Es ist für den Besucher der Ausstellung schwer, sich der trauergrauen Magie dieser Bilder zu entziehen. Die Konsequenz Kramerschen Bilddenkens ist frappierend, die magische Suggestivkraft zerbrechender Ordnungen, gefährdeten Dunkels ist erschreckend und faszinierend zugleich, zumal im unausweichlichen Sog, den seine Arbeiten ausstrahlen.
Michael Jähne
Redaktion: Michael Jähne
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